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Berlin. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages hat die Bundeswehr nach rechtsextremen Strukturen durchleuchtet. Die Bundesregierung hat dazu dem Gremium eine Vielzahl von Akten der deutschen Nachrichtendienste übermittelt sowie zahlreiche zusätzliche Fragen beantwortet. Die neun Parlamentarier, die dem Organ angehören, erhielten außerdem viele Aktenstücke von beteiligten Behörden in Bund und Land zur Einsicht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst hätten derzeit zwar keine Beweise für eine „Schattenarmee“, die einen gewaltsamen Umsturz plane, so die Kontrolleure. Die Untersuchung habe aber gezeigt, dass in der Bundeswehr sowie in unterschiedlichen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern (Polizei und Nachrichtendienste) – teilweise trotz bestehender Sicherheitsüberprüfungen – „eine Reihe von Beschäftigten mit rechtsextremistischem, auch gewaltorientiertem Gedankengut“ tätig seien. Die ARD-Nachrichtensendung „Tagesschau“ brachte dieses Ergebnis am 11. Dezember auf die Formel: „Rechtsextreme in der Bundeswehr – keine Schattenarmee, aber Netzwerke“.

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und überwacht das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Die Bundesregierung ist dazu verpflichtet, das PKGr umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten.

In seiner Sitzung am 28. November 2018 hatte das Gremium seinen Ständigen Bevollmächtigten (seit 10. Januar 2017 Arne Schlatmann) damit beauftragt, Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Verdacht rechtsextremistischer Tendenzen in Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr zu untersuchen. Auf den Prüfstand gestellt werden sollte dabei insbesondere auch die Arbeit der drei Dienste im Hinblick auf deren „Aufklärung von Netzwerkstrukturen bei der Bearbeitung des Rechtsextremismus- und Rechtsterrorismus“.

Der Fall Franco A., Lübcke-Attentat und Prepper-Gruppe „Nordkreuz“

Der Auftrag stellte vor allem ab auf die Ereignissen um den aus Offenbach stammenden Heeresoffizier Franco A., der Ende April 2017 für mehrere Monate in Untersuchungshaft genommen worden war. Ihm wird weiterhin vorgeworfen, aus rechtsextremer Gesinnung einen Anschlag geplant und sich als Asylbewerber ausgegeben zu haben, um den Verdacht auf Flüchtlinge zu lenken. Der Oberleutnant wartet immer noch auf sein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“. Das Gericht ist derzeit stark ausgelastet, unter anderem wegen des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Die Ermordung Lübckes am 2. Juni 2019 war und ist ebenfalls ein weiterer Untersuchungsgegenstand des PKGr-Auftrages. Hier befassten sich die Kontrolleure vor allem näher „mit der Aktenführung und der Informationsverarbeitung in Datenverarbeitungssystemen des BfV anhand des mutmaßlichen Lübcke-Attentäters“.

Darüber hinaus konzentrierte sich die Untersuchung des Ständigen Bevollmächtigten auf Sachverhalte vorwiegend in Mecklenburg-Vorpommern, „in denen die beteiligten Personen mutmaßlich rechtsextremistische ,Siedlungsbestrebungen‘ vorantreiben wollten und sich dazu in Chatgruppen (Stichwort „Nordkreuz“) organisiert austauschten“.

Untersuchungsbericht des Ständigen Bevollmächtigten des Gremiums

Vor drei Wochen, am 25. November – nach rund zwei Jahren Aktenstudium und Zusatzrecherchen – präsentierten der Ständige Bevollmächtigte und sein Team den neun Gremiumsmitgliedern den geheimen Bericht zum Kontrollauftrag „Erkenntnisse, Beiträge und Maßnahmen von Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zur Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr“. An diesem Mittwoch wurde auch bekannt, dass das PKGr zudem eine „Bewertung des Berichts für die Öffentlichkeit im Rahmen einer Pressekonferenz“ abgeben wird (siehe hier).

Üblicherweise tagt das Parlamentarische Kontrollgremium geheim. Die neun Abgeordneten dürfen zudem öffentlich nicht darüber sprechen, was ihnen die Nachrichtendienste anvertrauen. Umso außergewöhnlicher war es nun, dass das PKGr tatsächlich zu einer Pressekonferenz einlud – die Veranstaltung am 11. Dezember im Saal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses des Bundestages war sozusagen eine lupenreine Premiere.

Staatsdiener mit „rechtsextremistischem und gewaltorientiertem Gedankengut“

Befassen wir uns nun mit der öffentlichen Bewertung sprich „Unterrichtung“ des Gremiums, die auch als 12-seitige Bundestagsdrucksache vorliegt.

Der Vorsitzende des PKGr, der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, wies bei der Vorstellung des Berichts am Freitag darauf hin, dass die Untersuchung deutlich gezeigt habe, dass in der Bundeswehr sowie in unterschiedlichen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern – teilweise trotz bestehender Sicherheitsüberprüfungen – eine Reihe von Beschäftigten mit rechtsextremistischem und auch gewaltorientiertem Gedankengut tätig seien.

Im Bericht heißt es dazu: „Diese Beschäftigten […] stehen – wenn auch nicht alle mit allen – so doch in verschiedenen Kreisen in unterschiedlich intensiven Verbindungen zueinander. Eine Vernetzung erfolgt dabei virtuell über die sozialen Medien, mutmaßlich auch bei Treffen im Rahmen von Waffenbörsen, Schießtrainings und beruflichen Zusammentreffen. Offene Chatgruppen und -foren sowie bestimmte Internetplattformen spielen dabei eine besondere Rolle. In den Chatforen teilen sie oftmals auch eine gemeinsame rechtsextremistische ideologische Ausrichtung.“

Viele Teilnehmer an einschlägigen Chat-Foren hätten darüber hinaus eine ausgeprägte Waffenaffinität, verfügten über Spezialwissen aus ihrer beruflichen Erfahrung und hätten dienstlich auch Zugang zu Waffen, so ein weiteres Untersuchungsresultat. Hinzu komme, dass „eine Vielzahl handelnder Personen“ aus dem fraglichen Bereich in Verbindung zu rechtsextremistischen Bestrebungen wie der Identitären Bewegung, dem „Flügel“ der AfD in Bund und Ländern, der NPD oder zu lokal oder regional agierenden Burschenschaften und Kameradschaften stünden.

Darüber hinaus seien auch Bezüge zur Bewegung der sogenannten „Reichsbürger und Selbstverwalter“ festzustellen. „Bei den handelnden Personen tritt ihre antisemitische Gesinnung als verbindendes Element zutage“, hält der PKGr-Bericht fest.

Eine schallende Ohrfeige für den Militärischen Abschirmdienst

In ungewöhnlich scharfer und offener Form rügt der Bericht den Militärischen Abschirmdienst beziehungsweise das Bundesamt. Unter der Überschrift „Mangelnde Aufgabenwahrnehmung“ lesen wir: „Im Laufe der Untersuchung wurde deutlich, dass das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) seine Aufgaben in der Bekämpfung des Rechtsextremismus und bei der Spionageabwehr der Bundeswehr nicht in hinreichendem Maße wahrgenommen hat. Das BAMAD ist Teil der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland und muss diese Aufgabe auch praktisch wahrnehmen.“ Die zurückhaltende Informationsübermittlung zu Verdachtspersonen an das BfV müsse unbedingt „einem durchgängigen Informationsaustausch“ weichen, so die Forderung. Um dies sicherzustellen, sei das BAMAD ja in den Verbund der Verfassungsschutzbehörden einbezogen worden. Die vor diesem Hintergrund getroffenen Entscheidungen des Verteidigungsministeriums zur Umstrukturierung im Oktober 2019 seien ein erster Schritt gewesen und zeigten jetzt schon Wirkung.

Der Bericht bemängelt auch „einen sorglosen, nicht ordnungsgemäßen Umgang bei der Verwaltung von Schusswaffen und Munition in den Dienststellen der Bundeswehr“. Dadurch hätten Schusswaffen und Munition unbemerkt durch mutmaßliche Rechtsextremisten entwendet werden können. Das PKGr hat bereits im Juni dieses Jahres eine separate Untersuchung zu dem Themenkomplex „Erkenntnisse und Maßnahmen von BAMAD, BfV und BND zu Waffen- und Sprengstoffverlusten bei der Bundeswehr sowie bei den Sicherheitsbehörden des Bundes“ beauftragt. Dabei sollen die jeweiligen Dienstvorschriften, Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten für die Sicherheitsbehörden betrachten werden.

Schützende Hand „über den Rechtsextremismus“ gehalten?

Politische Statements sammelte am 11. Dezember im Laufe der Berliner Pressekonferenz Franz Ludwig Averdunk. Der frühere Hauptstadtkorrespondent der Westfälischen Nachrichten, Journalist im Ruhestand und nach wie vor Autor der Online-Dienste des Deutschen Bundestages überließ dem bundeswehr-journal freundlicherweise die Parlamentarierstimmen.

So notierte Averdunk bei André Hahn (Die Linke), dass dieser heftig den Militärischen Abschirmdienst kritisierte. Der MAD sei über Jahre schlecht aufgestellt gewesen sei und habe das Rechtsextremismus-Problem schlichtweg geleugnet. Der Abgeordnete, Mitglied des Innenausschusses des Bundestages, hielt dem früheren BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen vor, seine schützende Hand über den Rechtsextremismus gehalten zu haben. Dies habe sich nun allerdings geändert.

Der Sozialdemokrat Thomas Hitschler, der dem Innen- und dem Verteidigungsausschuss angehört, bezeichnete bei der Pressekonferenz den Rechtsextremismus „als größte Gefahr für Deutschland“. Hitschler wies noch einmal mit Nachdruck darauf hin, dass sich die Protagonisten perfekt in der digitalen Welt bewegen würden. Wie Averdunk weiter berichtete, forderte der SPD-Bundestagsabgeordnete bei der Veranstaltung schließlich eine bessere personelle und sachliche Ausstattung der Sicherheitsbehörden und beklagte die „teils fehlende verantwortungsvolle Führung“.

Einem Diskussionsbeitrag von Andrea Lindholz konnte Averdunk entnehmen, dass die CSU-Abgeordnete sich eine „noch wesentlich bessere Ausgestaltung der Verzahnung der Nachrichtendienste untereinander und mit den übrigen Sicherheitsbehörden“ wünscht. Allerdings, so die Expertin aus dem Innenausschuss, sei doch schon einiges erreicht worden. „Der Bereich ,Rechtsextremismus‘ hat eine solche Relevanz, dass bei seiner Bekämpfung nicht nachgelassen werden darf“, zitierte Averdunk die Politikerin weiter.

Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), Stellvertretender PKGr-Vorsitzender und ebenfalls Mitglied des Ausschuss für Inneres und Heimat, äußerte sich zum „äußerst sorglosen, nicht ordnungsgemäßen Umgang bei der Verwaltung von Schusswaffen und Munition in den Dienststellen der Bundeswehr“. Averdunk hielt weiter fest: Es sei – so von Notz – kein Zustand, dass Schusswaffen und Munition, die zu einem großen Teil aus den Beständen der Bundeswehr und sonstiger Spezialeinheiten der Polizeien stammten, unbemerkt zu entwenden gewesen seien.

Dem AfD-Abgeordneten Roman Johannes Reusch war es bei der Pressekonferenz wichtig, sich zum Parlamentarischen Kontrollgremium selbst zu äußern. Wie Averdunk notierte, hob Reusch hervor, dass nun „das PKGr nach einer Reform eigene Ermittlungen anstellen kann und somit eine ressortübergreifende Sicht auf die Nachrichtendienste hat“. Diese Sichtweise stehe gegen Eifersüchteleien und Tunnelblick in den Behörden, die der frühere Berliner Staatsanwalt (1986 bis 2017) mit dem Satz beschrieb „Paragraph eins: Jeder macht seins“.

Und schließlich noch der Freidemokrat Stephan Thomae, dessen Statement Averdunk ebenfalls aufschrieb. Äußerung Thomae: „Die vom Parlamentarischen Kontrollgremium angestoßenen Strukturreformen im Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst haben nicht zuletzt dazu geführt, dass nicht nur Einzelpersonen in den Blick genommen werden, sondern nun auch in Netzwerken gedacht wird.“ Thomae, seit 1998 Rechtsanwalt, begrüßte außerdem, dass „die Antennen inzwischen verstärkt in Richtung rechts gedreht“ worden seien. Die Wirksamkeit dieses Vorgehens habe sich bewiesen, erklärte der FDP-Politiker

(Neben dem CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter, der seit dem 25. November 2020 Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist, gehören noch der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch und der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg zum Gremium.)

Wir haben die Bundestagsdrucksache „Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium“ zum Themenkomplex „Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr“ für Sie auch in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing eingestellt. Sie können hier in der Drucksache blättern und sich gezielt einzelne Teile ansehen, ein Download der Datei oder ein Ausdruck einzelner Seiten ist aber bei uns nicht möglich. Über die ESC-Taste in Yumpu kommen Sie hierhin zurück. Zu der Öffentlichen Bewertung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Kontrollgremiumgesetz zum Kontrollauftrag „Erkenntnisse, Beiträge und Maßnahmen von Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zur Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr“:

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Unser Symbolfoto „Parlamentsarbeit“ zeigt das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus bei Nacht. Hier fand am 11. Dezember 2020 auch die Pressekonferenz des Parlamentarische Kontrollgremiums zu der seit zwei Jahren laufenden Untersuchung zur Aufklärung „möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr“ statt.
(Foto: Ulrich Wanner-Laufer/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 – vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Kleines Beitragsbild: Symbolfoto „Staatsdiener“. Ausschnitt einer Aufnahme, die am 20. Juli 2020 bei einem Feierlichen Gelöbnis im Stauffenberg-Saal des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin gemacht wurde.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


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