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Brüssel (Belgien)/Kabul (Afghanistan)/Berlin NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bleibt ein weiteres Jahr im Amt, das Bündnis verlängerte sein Mandat bis zum 31. Juli 2014. Dies sei auch der ausdrückliche Wunsch des früheren dänischen Ministerpräsidenten, der den Posten am 1. August 2009 übernommen hatte, gewesen. Rasmussen steht mit der Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes in Afghanistan und der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Kräfte vor einer der schwierigsten Aufgaben seiner Amtszeit. Den Truppenabzug vom Hindukusch will er, so die NATO, noch selbst zu großen Teilen abschließen. Ein Herzenswunsch…

Am 17. Oktober besuchte der Nordatlantikrat, höchstes Entscheidungsgremium der NATO, unter Leitung von Anders Fogh Rasmussen die afghanische Hauptstadt Kabul. Der Delegation gehörten auch Repräsentanten verschiedener ISAF-Partnernationen an. Auf dem Programm der dreitägigen Informationsreise standen unter anderem Gespräche mit Präsident Hamid Karsai, Regierungsmitgliedern und regionalen Führern. Zudem fanden Begegnungen mit Vertretern internationaler Organisationen, die im Land tätig sind, statt. Zu den Gesprächspartnern gehörten auch ISAF-Oberbefehlshaber John Allen, der im August neu ernannte Zivilbeauftragte der NATO in Afghanistan, Maurits R. Jochems, sowie hochrangige Kommandeure der afghanischen Sicherheitskräfte. Die Dienstreise führte die Diplomaten und Militärs auch nach Camp Morehead im Süden nahe Kabul sowie nach Herat und Mazar-e-Sharif (Camp Morehead ist das Hauptquartier „Spezielle Operationen“ der Afghanischen Nationalarmee und Trainingszentrum für nationale Spezialkräfte).

In Kabul erklärte der Generalsekretär: „Meine klare Botschaft ist, dass wir Afghanistan auch in Zukunft helfen werden. Unser Ziel dabei ist es, dass Afghanistan auf eigenen Füßen stehen kann, aber es wird dabei nicht allein sein.“ Dem afghanischen Volk könne er versichern, so versprach Rasmussen, dass es die starke und langfristige Unterstützung der gesamten internationalen Gemeinschaft habe. „So können Sie in die Zukunft blicken – eine Zukunft, die Sie wirklich wollen und verdienen.“

Planungen für ITAAM in vollem Gange

Nach Beendigung des bisherigen Kampfeinsatzes der Afghanistan-Schutztruppe ISAF, dem Abzug aller Kampftruppen und der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände wird der Westen sich weiterhin in diesem Teil der Welt engagieren. 2015 soll eine neue, andere Afghanistan-Mission – unter der derzeitigen Arbeitsbezeichnung ITAAM (International Training Assistance und Advisory Mission) folgen. Mit den Beratungen der NATO-Verteidigungsminister bei ihrem Brüsseler Treffen am 9. und 10. Oktober zu ITAAM wurde jetzt die erste Phase zur Ausplanung des künftigen Trainings-, Beratungs- und Unterstützungsvorhabens abgeschlossen. ITAAM wird keine Kampfmission sein. Weitere entscheidende Details – wie etwa die Truppenstärke – sollen Anfang nächsten Jahres bekannt gegeben werden.

Zwar will die NATO bis Ende 2013 ihre Planungen für die ISAF-Nachfolgemission beendet wissen, ob dann alle Fragen beantwortet sind, ist zumindest heute noch fraglich. Denn das Bündnis muss auch über rechtliche Aspekte der ITAAM-Mission mit der afghanischen Regierung verhandeln. Ein Rahmenabkommen (Status of Forces Agreement, SOFA) wird später die zahlreichen Aspekte – finanzielle, eigentumsrechtliche, juristische oder sicherheitsrelevante Aspekte – auflisten und besiegeln. Dazu gehört auch die Frage der Immunität der ausländischen Soldaten, die Präsident Karsai bereits jetzt thematisierte. In einem Statement anlässlich des Besuches der NATO-Delegation hatte er erklärt, er habe mit Generalsekretär Rasmussen über diesen Punkt gesprochen. Es könne sein, dass die afghanische Regierung den Soldaten der neuen Mission keine Immunität gewähren werde. „Auch wenn unsere Bevölkerung arm ist, wünscht sie den Respekt vor der nationalen Souveränität und vor der Sicherheit des Landes und der Kinder. Daher hängt der rechtliche Status der ausländischen Truppen nach 2014 von der Sicherheit, der Stabilität und dem Schutz der afghanischen Grenzen ab“, so Karsai vieldeutig.

Fortschritte, die stolz machen

NATO-Chef Rasmussen zog zum Ende seines Afghanistan-Besuchs ein optimistisches Fazit. „Unsere Strategie funktioniert“, meinte der Generalsekretär erfreut. „Wir wissen, es warten auf uns immer noch etliche Herausforderungen und genug Arbeit. Aber im Hinblick auf das, was wir während unserer Reise gesehen und gehört haben, muss ich sagen: wir haben erhebliche Fortschritte gemacht und können an unserem Zeitplan zur völligen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan bis Ende 2014 festhalten. Auch haben wir von unseren afghanischen Partnern äußerst klare Bekenntnisse erhalten, zum Gesamterfolg beitragen zu wollen.“

Ausdrücklich lobte Rasmussen die afghanischen Sicherheitskräfte, die bereits im Rahmen der Security Transition in etlichen Landesteilen die Verantwortung übernommen haben. Mit Blick auch auf seine hochrangigen militärischen Zuhörer erklärte der NATO-Generalsekretär in Kabul: „Die Sicherheitskräfte Afghanistans haben schon viel erreicht. Sie garantieren bereits jetzt die Sicherheit von drei Vierteln der Gesamtbevölkerung. Und wo sie zuständig sind, da hat auch die Gewalt abgenommen. Insgesamt sind nationalen Kräfte inzwischen federführend bei rund 80 Prozent aller Operationen, und sie führen etwa 85 Prozent der Ausbildung selbst durch. Das ist ein Fortschritt, auf den wir alle stolz sein können.“

Keine Alternative zur bisherigen Strategie

Licht am Horizont sieht auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa kurz vor Beginn der Reise der NATO-Delegation nach Afghanistan bezeichnete er die Sicherheitslage am Hindukusch als „labil, aber strukturell besser“ als zuvor. Trotz der immer noch zahlreichen sicherheitsrelevanten Vorfälle im Land bewertet auch der Minister den Aufbau der afghanischen Armee als die einzig richtige Strategie. Die afghanische Armee sei – relativ gesehen – wahrscheinlich eine der am besten funktionierenden Institutionen in Afghanistan. Sie sei ethnisch ausgewogen und ordentlich geführt. „Die Korruption ist wahrscheinlich geringer als in allen anderen öffentlichen Bereichen“, meinte de Maizière gegenüber dpa. „Die Streitkräfte haben sich stabilisierend auf den Zustand der Gesellschaft ausgewirkt und eine respektable Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Allerdings spielt sich das alles auf niedrigem Niveau ab.“

Gefragt, ob die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen tatsächlich wie erhofft funktionieren werde, antwortete de Maizière: „Es gibt keine Garantie für einen Erfolg unserer Strategie. Der Misserfolg wäre aber garantiert, wenn wir einfach weggehen würden. Die einzige Chance zum Erfolg ist also, es so zu machen, wie wir es jetzt machen.“ Ob die Security Transition insgesamt erfolgreich verlaufen sei, werde man erst in einigen Jahren wissen.

Viele Bewerber und zu viele Aussteiger

Mit derzeit 345.000 Soldaten und Polizisten haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Sollstärke von 352.000 Mann (195.000 Soldaten und 157.000 Polizisten) fast erreicht. Das von der Armee angestrebte Rekrutierungsziel für das Jahr 2012 – Stichtag 31. Dezember – sind 187.000 Freiwillige; 184.676 Mann konnten im Zeitraum Januar bis Oktober 2012 bereits angeworben werden. Ähnlich positiv sind die Zahlen (nach ISAF) bei den Polizeikräften: 157.000 Polizeianwärter bis Ende Dezember, so lautet die diesjährig Vorgabe; von Januar bis Dezember 2012 meldeten sich bereits 146.339 Interessenten für diesen Dienst. Große Sorgen bereitet allerdings die immer noch zu hohe Zahl derjenigen Rekruten, die ihre Einheiten nach kurzer Zeit schon wieder verlassen. Zumeist ohne Angaben von Gründen. Zur Zeit sind dies 27 Prozent aller Neueinstellungen. Ziel muss es sein, so ISAF, diese Quote auf unter 16,8 Prozent pro Jahr zu drücken.

Hoffnungsschimmer am Horizont

Dass die afghanischen Sicherheitskräfte – die Afghanische Nationalarmee (ANA) und die Afghanische Nationalpolizei (ANP) – schon jetzt viel stärker in der Pflicht sind, als zunächst geplant (oder erhofft), bestätigt auch Brigadegeneral Günter Katz, Sprecher der ISAF. Seinen Informationen zufolge tragen afghanische Kräfte für zwei Drittel des Landes mit 75 Prozent der Bevölkerung nun selbst die Verantwortung. Nationale Einheiten führen inzwischen etwa die Hälfte aller Operationen gegen Aufständische und leiten sogar 90 Prozent der militärischen Ausbildung.

„Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nicht rosig“. So beschrieb Verteidigungsminister Thomas de Maizière das Licht am Horizont des Hindukusch. „Sie ist labil, aber sie ist strukturell besser geworden.“


Unsere Aufnahmen zeigen:
1. ISAF-Hauptquartier in Kabul am 11. September dieses Jahres – Gedenkfeier für die Opfer der Terroranschläge in den USA vor elf Jahren.
(Foto: ISAF)
2. NATO-Delegation zu Besuch in Afghanistan. Generalmajor William C. Mayville, Kommandeur des ISAF-Regionalkommandos Ost, begrüßt die Gäste aus Brüssel. Rechts neben Mayville NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
(Foto: David J. Overson/ISAF)
3. Oberst Wali Khan Shinwari, Chef der Grenzpolizei Afghanistans, bei dem Treffen mit den NATO-Repräsentanten.
(Foto: David J. Overson/ISAF)
4. Bei der Tagung der Verteidigungsminister der NATO-Länder in Brüssel spielte die Nachfolgemission ITAAM für Afghanistan eine zentrale Rolle. Der Fotograf beobachtete Minister Thomas de Maizière und seinen italienischen Amtskollegen Giampaolo Di Paola in einer Sitzungspause.
(Foto: NATO)
5. Feierliche Indienststellung eines Bataillons der Afghanischen Nationalarmee im Camp Morehead.
(Foto: Sean Naylor/U.S. Army)

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