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Moskau/Kiew/Berlin. Am heutigen Donnerstagmorgen (24. Februar) ist das eingetreten, was die Welt seit Wochen befürchtet hatte: Wladimir Putin hat seine Drohungen wahrgemacht, russische Truppen sind in die Ukraine einmarschiert, in der Hauptstadt Kiew und in anderen Zentren des Landes waren nach Meldungen von Medienvertretern heftige Explosionen zu hören. Wie ukrainische Stellen im Laufe des Tages schließlich mitteilten, sollen sich die Kämpfe im Land kurz nach der Invasion durch Putins Streitkräfte rasch auf große Landesteile ausgeweitet haben. Noch vor dem Überfall hatte der russische Präsident in einer martialischen Ansprache an sein Volk und den Westen langatmig seine Beweggründe für den Bruch des Völkerrechts offengelegt. Lassen Sie uns mit dieser denkwürdigen Rede beginnen …

Putin machte zu Beginn seiner Ausführungen unmissverständlich klar, wen er für die „grundlegende Bedrohung seines Landes“ verantwortlich macht. Er deutete auf die „unverantwortlichen westlichen Politiker“, die diese Bedrohung „Jahr für Jahr auf rücksichtlose und unverantwortliche Weise für Russland“ geschaffen hätten und brachte es auf den Punkt: „Ich spreche von der Osterweiterung der NATO, die ihre militärische Infrastruktur immer näher an die russische Grenze heranrückt.“

Was den früheren KGB-Offizier, der zu DDR-Zeiten einige Jahre in Dresden stationiert war (1985 bis 1990), unbändig umtreibt, ist der aus seiner Sicht beklagenswerte Verlust früherer sowjetimperialer Größe. Putin erklärte bei seinem Fernsehauftritt: „Alles ist klar und offensichtlich. In den späten 1980er-Jahren wurde die Sowjetunion schwächer und brach schließlich auseinander. Diese Erfahrung sollte uns eine gute Lehre sein, denn sie hat uns gezeigt, dass die Lähmung der Macht und des Willens der erste Schritt zu völliger Erniedrigung und Vergessenheit ist. Wir haben nur für einen Moment das Vertrauen verloren, aber das hat gereicht, um das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt zu stören.“ Eine sehr eigenwillige Geschichtsbetrachtung!

Gesamter westlicher Block für Putin ein „Lügenimperium“

Unmissverständlich beantwortete der russische Präsident auch die Frage, wen er für den eigentlichen Gegner seines Landes hält: die USA. Mit Blick auf militärische Verstrickungen der Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren – Jugoslawien, Libyen, Irak und Syrien – verstieg sich Putin dann zu der Aussage: „Insgesamt hat es den Anschein, dass fast überall, in vielen Regionen der Welt, wo die Vereinigten Staaten für Recht und Ordnung gesorgt haben, blutige, nicht heilende Wunden und der Fluch des internationalen Terrorismus und Extremismus entstanden sind.“ Man können außerdem „mit gutem Grund sagen, dass der gesamte sogenannte westliche Block, den die Vereinigten Staaten nach ihrem eigenen Bild und Vorstellungen geschaffen haben, in seiner Gesamtheit ein und dasselbe ,Lügenimperium‘ ist“.

Es folgten weitere hasserfüllte Bemerkungen wie: die USA und ihre Partner hätten durch eine einseitige Abrüstung sein Land „völlig vernichten“ wollen. Oder: der Westen habe die traditionellen Werte Russlands zerstören und seine „falschen Werte“ aufzwingen wollen.

Danach legte Putin endgültig die Maske beiseite und drohte: „Das heutige Russland ist auch nach der Auflösung der UdSSR und dem Verlust eines beträchtlichen Teils seiner Fähigkeiten nach wie vor einer der mächtigsten Atomstaaten. Außerdem verfügt es über einen gewissen Vorsprung bei mehreren hochmodernen Waffen. In diesem Zusammenhang sollte es für niemanden einen Zweifel daran geben, dass jeder potenzielle Aggressor mit einer Niederlage und unheilvollen Konsequenzen rechnen muss, sollte er unser Land direkt angreifen.“

In diesem Zusammenhang erinnerte Putin auch an seinen Rubikon, der seiner Meinung nach keinesfalls überschritten werden dürfe. Wie aus der Zeit gefallen – vielleicht nur noch verhaftet in der Ära des Stalinismus – sagte er: „Ein weiterer Ausbau der Infrastruktur des Nordatlantikbündnisses oder die anhaltenden Bemühungen, militärisch auf ukrainischem Gebiet Fuß zu fassen, sind für uns inakzeptabel. Natürlich geht es bei dieser Frage nicht um die NATO selbst. Sie dient lediglich als Instrument der US-Außenpolitik. Das Problem besteht darin, dass in den an Russland angrenzenden Gebieten, die unser historisches Land sind, ein feindliche ,Anti-Russland‘-Haltung zunimmt. Sie wird völlig von außen kontrolliert und zieht letztendlich NATO-Streitkräfte an und hofft dabei auch auf die Ausstattung mit modernsten Waffen.“

Für die USA und ihre Verbündeten gehe es um eine Politik der Eindämmung Russlands, behauptete der Kreml-Chef in seiner Ansprache weiter. „Für unser Land ist es eine Frage von Leben und Tod, eine Frage unserer historischen Zukunft als Nation. Das ist keine Übertreibung, das ist eine Tatsache. Es handelt sich nicht nur um eine sehr reale Bedrohung unserer Interessen, sondern um eine Bedrohung der Existenz unseres Staates und seiner Souveränität. Das ist die rote Linie, über die wir bei zahlreichen Gelegenheiten gesprochen haben.“

Kreml-Chef will „die Ukraine entmilitarisieren und entnazifizieren“

Völlig aus der Spur geriet der Präsident dann bei seiner „Lagebeurteilung zum Donbass“, der Region im Südosten der Ukraine. Teile dieses Territoriums – die Gebiete mit und um Luhansk und Donezk – wurden im Zuge des russisch-ukrainischen Konflikts teilweise von separatistischen Gruppen besetzt. Putin sprach von einem „Völkermord an Millionen von Menschen, die dort leben und ihre Hoffnungen auf Russland“ setzen würden. Die „Hoffnungen, die Gefühle und der Schmerz dieser Menschen“ seien letztendlich der Hauptgrund für die Entscheidung gewesen, die Unabhängigkeit der Volksrepubliken im Donbass anzuerkennen.

Deshalb habe er auch „gemäß Artikel 51 (Kapitel VII) der Charta der Vereinten Nationen mit Genehmigung des Russischen Föderationsrates und in Ausführung der Verträge über Freundschaft und gegenseitigen Beistand mit der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Luhansk, die von der Bundesversammlung am 22. Februar ratifiziert wurden, beschlossen, eine besondere Militäroperation durchzuführen“. Artikel 51 regelt das Recht eines jeden Mitgliedlandes der Vereinten Nationen auf Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs. Es ist somit ein Recht, das jetzt der Aggressor, Russland, in Anspruch nimmt. Zynischer hätte die Führung des Atomwaffenstaates ihren Überfall auf die Ukraine kaum umdeuten können.

Was nun beabsichtigt Putin? Auch dieser Teil seiner Kreml-Rede verdient das Prädikat „wirre“. Der Präsident erklärte: „Ziel dieser Operation ist es, die Menschen zu schützen, die seit acht Jahren der Erniedrigung und dem Völkermord durch das Kiewer Regime ausgesetzt sind. Zu diesem Zweck werden wir versuchen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und diejenigen vor Gericht zu stellen, die zahlreiche blutige Verbrechen an der Zivilbevölkerung, auch an Bürgern der Russischen Föderation, verübt haben.“ Die Ukraine entmilitarisieren und entnazifizieren? An anderer Stelle wiederholte Putin: Man habe nicht vor, das ukrainische Territorium zu besetzen oder die Absicht, „irgendjemandem etwas mit Gewalt aufzuzwingen“. Aber! Aber es gehe darum, Russland und die Interessen des ukrainischen Volkes gegen die „heutigen Neonazis in der Ukraine“, gegen die „Junta, die die Ukraine ausplündert und das ukrainische Volk ausplündert“, vorzugehen. Begründungen für einen Völkerrechtsbruch wie aus dem Tollhaus …

Wie gefährlich allerdings die von Putin heraufbeschworene Situation werden könnte (oder bereits ist), macht seine geballte Ladung Warnung an den Westen am Ende seiner Ansprache deutlich. Er erklärte: „Ich möchte nun etwas sehr Wichtiges für diejenigen sagen, die versucht sein könnten, sich von außen in diese Entwicklungen einzumischen. Wer auch immer versucht, sich uns in den Weg zu stellen oder gar unser Land und unser Volk zu bedrohen, muss wissen, dass Russland sofort reagieren wird, und zwar mit Konsequenzen, wie Sie sie in Ihrer ganzen Geschichte noch nicht erlebt haben. Ganz gleich, wie sich die Ereignisse entwickeln, wir sind bereit. Alle notwendigen Entscheidungen in dieser Hinsicht sind getroffen worden. Ich hoffe, dass meine Worte Gehör finden werden.“

Vordringen der russischen Invasionskräfte aus vier verschiedenen Richtungen

Der russische Überfall auf das Nachbarland begann am 24. Februar 2022 gegen vier Uhr am Morgen (Ortszeit) mit Luftangriffen auf Luftabwehrstellungen, Nachschubdepots und Flugplätze in der ganzen Ukraine. Nach Informationen des US-Verteidigungsministeriums wurden bei den ersten Angriffen mehr als 100 Raketen – darunter ein Mix aus ballistischen Kurz- und Mittelstreckenraketen, Marschflugkörpern und seegestützten Raketen – abgefeuert. Etwa 75 russische Bomber sollen zu Beginn beteiligt gewesen sein.

Westlichen Quellen zufolge soll es Russland dabei nicht gelungen sein, die ukrainische Luftwaffe am Boden zu halten oder die Streitkräfte des Landes nachhaltig auszuschalten. In der Folge meldete die ukrainische Seite im Laufe des Donnerstags „mehrere bedeutende Erfolge“. So will das ukrainische Militär bis zum Donnerstagabend sieben russische Flugzeuge und sieben Hubschrauber abgeschossen haben.

Der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj ordnet nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ostukraine die allgemeine Mobilmachung an. Die Anordnung gilt zunächst 90 Tage und sieht die Einberufung von Wehrpflichtigen und Reservisten vor.

Die Invasionskräfte Putins drangen in die Ukraine aus vier Stoßrichtungen vor: Aus Belarus (Weißrussland) auf die ukrainische Hauptstadt Kiew, über Charkow (nach Kiew mit rund 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Ukraine), aus dem Donbass-Gebiet und aus dem Bereich der Halbinsel Krim weiter über die Seehafenstadt Cherson (Cherson liegt im Mündungsdelta des Flusses Dnepr rund 30 Kilometer entfernt vom Schwarzen Meer).

Ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa

Der Westen reagierte empört über die Entwicklung in den frühen Morgenstunden des 24. Februar. So verurteilte Bundeskanzler Olaf Scholz den russischen Angriff auf die Ukraine scharf. Dieser sei „ein eklatanter Bruch des Völkerrechts“ und durch nichts zu rechtfertigen, so der Kanzler. Er sprach von einem dunklen Tag für Europa – und kündigte weitere, harte Sanktionen an. Er forderte den russischen Präsidenten auf, seine Truppen vom Gebiet der Ukraine zurückzuziehen.

„Dieser 24. Februar ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa“, sagte Scholz sichtlich erschüttert in einer Stellungnahme am Donnerstag im Bundeskanzleramt in Berlin. Mit dem Angriff auf die Ukraine bringe der russische Präsident Wladimir Putin Leid und Zerstörung über seine direkten Nachbarn. Er verletze die Souveränität und die Grenzen der Ukraine. Zudem gefährde er „das Leben von unzähligen Unschuldigen in der Ukraine, dem Brudervolk Russlands“. Letztlich stelle der russische Präsident damit auch die Friedensordnung des europäischen Kontinents in Frage, beklagte Scholz.

„Für all das gibt es keine Rechtfertigung – das ist Putins Krieg“, stellte der Bundeskanzler unmissverständlich klar. Er habe dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagmorgen in einem Telefonat die volle Solidarität Deutschlands mit der Ukraine und ihrer Bevölkerung versichert.

Scholz berichtete weiter, er habe bereits angesichts der aktuellen Entwicklung das Sicherheitskabinett einberufen, damit die Bundesregierung über die Lage beraten und gemeinsam über das weitere Vorgehen entscheiden könne. Er bat zudem die Präsidentin des Deutschen Bundestages, für Sonntag eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen. „Dort werde ich eine Regierungserklärung abgeben“, kündigte Scholz an.

Als amtierender G7-Vorsitzender werde er sich darüber hinaus an diesem Donnerstagnachmittag für eine „einheitliche und klare Reaktion“ der wirtschaftlich stärksten Demokratien der Welt einsetzen, versicherte Scholz. In der NATO und EU werde man zudem als nächsten Schritt noch an diesem Tag „weitere harte Sanktionen gegen Russland“ beschließen. „Es ist gut, dass wir das sorgfältig vorbereitet haben“, bekräftigte der Bundeskanzler. Ziel der Sanktionen sei es, der russischen Führung klarzumachen, dass sie für diese Aggression einen bitteren Preis zahle. Es werde sich zeigen: „Putin hat mit seinem Krieg einen schweren Fehler begangen.“

Bundeskanzler Scholz richtete sich in seinem Statement auch an die NATO-Verbündeten in Osteuropa. Polen, Rumänien und den baltischen Ländern versicherte er mit Nachdruck: „Wir verstehen eure Sorgen im Angesicht dieser Entwicklung nur zu gut. Wir werden euch zur Seite stehen. Deutschland steht zur Beistandspflicht der NATO.“

Gemeinsam mit Frankreich Präsident Emmanuel Macron schlage er vor, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Bündnisstaaten sehr bald treffen und die Lage erörtern werden, so Scholz weiter. Noch an diesem Donnerstagabend werde er nach Brüssel fahren, um mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union das weitere Vorgehen zu besprechen. „Die Lage ist sehr ernst“. Der Bundeskanzler appellierte abschließend einmal mehr an Präsident Putin, „den militärischen Angriff sofort zu stoppen, dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten und seine Truppen vom Territorium der Ukraine vollständig zurückzuziehen.“

(Berichterstattung wird fortgesetzt) …


Zu unserem Bildmaterial:
1. Der russische Präsident Wladimir Putin bei seiner denkwürdigen Ansprache am frühen Morgen des 24. Februar 2022.
(Videostandbild: Quelle Rossija 24)

2. Übersichtsgrafik zu den Ereignissen vom 24. Februar 2022 – die Darstellung zeigt die Angriffe russischer Kräfte auf Zentren in der Ukraine.
(Bildschirmfoto: Quelle OpenStreetMap; Bildmontage: mediakompakt)

3. Russische Panzer am 24. Februar 2022 auf dem Weg ins Landesinnere der Ukraine.
(Bild: nr/Twitter)

4. Nach den ersten Meldungen vom Vordringen russischer Kräfte in die Ukraine berichteten die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender und teilweise auch private Sender intensiv über die Ereignisse des 24. Februar 2022 im Osten Europas.
(Videostandbild: Quelle ZDF-Nachrichten)

5. und 6. Der russische Einmarsch forderte bereits am ersten Tag Opfer unter der Zivilbevölkerung in der Ukraine und verursachte auch an zivilen Gebäuden schwere Kriegsschäden.
(Bilder: nr/Twitter)

7. In vielen deutschen und europäischen Städten erstrahlten am Tag der russischen Invasion öffentliche Gebäude – wie hier das Brandenburger Tor in Berlin – in den Farben der Ukraine. Solidaritätsbekundungen der besonderen Art!
(Bild: nr/Twitter)

8. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich am 24. Februar 2022 zum Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine zunächst vor der Presse – die Aufnahme zeigt ihn kurz vor seiner Erklärung.
(Foto: Bundesregierung/über Twitter)

Kleines Beitragsbild: In vielen Städten rund um den Globus demonstrierten Menschen direkt nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine gegen den Völkerrechtsbruch Putins.
(Bild: nr)


Kommentare

  1. Dr.-Ing. U. Hensgen | 27. Februar 2022 um 10:30 Uhr

    Eigentlich müssten diejenigen Politiker, die pazifistisch und bundeswehrfeindlich eingestellt sind, jetzt etwas dazu gelernt haben. Aber meine Hoffnung ist gering. Entweder sind diese Leute zu weltfremd (was bei Politikern, die noch nie außerhalb ihrer Blase gelebt und im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst haben, nicht verwunderlich ist), oder sie wollen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung nicht.
    Im Augenblick ist fast jeder Politiker in der Öffentlichkeit der Ansicht, dass die Bundeswehr besser ausgerüstet werden muss. Das waren sie nach der Evakuierungsaktion in Kabul auch. Nach den Wahlen war allerdings keine Rede mehr davon.
    Wer das demokratische System in Europa mit all seinen Freiheiten bewahren will, muss auch bereit sein, dafür Opfer zu bringen. Und damit meine ich nicht nur finanzielle Opfer.

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