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Garlstedt/Bremerhaven. Am gestrigen Freitag (6. Januar) hat in Bremerhaven mit der Entladung des Frachters „Resolve“ die US-Operation „Atlantic Resolve“ auf europäischem Boden begonnen. Sie ist eine weitere Antwort der NATO auf die Annexion der Krim durch Russland im März 2014 und die schwelende Ukrainekrise, die die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen nachhaltig belastet. Im Rahmen von „Atlantic Resolve“ wird jeweils eine amerikanische Kampfbrigade – zunächst die gepanzerte 3. Kampfbrigade der 4. Infanteriedivision (3rd Armored Brigade Combat Team/4th Infantry Division) aus Fort Carson/US-Bundesstaat Colorado – für neun Monate nach Mittel- und Osteuropa verlegt. Insgesamt werden mehr als 2500 „Ladungsstücke“ nach Norddeutschland, quasi die Logistikdrehscheibe, gebracht: Gefechtsfahrzeuge, Transporter, Spezialfahrzeuge, Anhänger und Container. Rund 4000 US-Soldaten nehmen an dieser ersten Rotation teil. Spiegel online bezeichnete die Operation, die unter dem Kommando der Vereinigten Staaten steht, als den größten Aufmarsch der US-Streitkräfte in Europa seit Ende des Kalten Krieges.

Der RoRo-Frachter (Roll on-Roll off) „Resolve“ war bereits am Mittwoch in Bremerhaven eingetroffen. Zwei weitere Schiffe des Unternehmens American Roll on-Roll off Carrier (ARC), die „Freedom“ und die „Endurance“, sollen bis zum morgigen Sonntag den Überseehafen Bremerhavens erreichen.

ARC ist das führende Schifftransportunternehmen der USA. Zu den Hauptkunden zählt die Regierung in Washington mit ihren verschiedenen Ministerien und Diensten. Alle ARC-Schiffe stehen dem Verteidigungsministerium im Rahmen des „Ausbauprogramms der Handelsmarine zur Unterstützung der Seeflotte im Ernstfall“ (Maritime Security Program, MSP) zur Verfügung.

Grundlagen der europäischen Sicherheitsordnung wurden erschüttert

Die nun angelaufene Verlegung von Verbänden aus den USA in NATO-Länder in Mittel- und Osteuropa geht zurück auf die Beschlüsse der Bündnisgipfel von Newport/Wales (September 2014) und Warschau (Juli 2016).

Wie Wolfgang Richter von der Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in seinem im Sommer vergangenen Jahres erschienenen Beitrag „Rückversicherung und Stabilität“ schrieb, hat „Moskau im Zuge des Ukrainekonflikts das Völkerrecht, die Helsinki-Prinzipien und das Budapester Memorandum von 1994 gebrochen – dadurch wurden die Grundlagen der europäischen Sicherheitsordnung erschüttert“.

Richter – Oberst a.D., von 1999 bis 2005 Abteilungsleiter (globale und europäische Rüstungskontrolle) im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen und bis 2009 Leiter des militärischen Anteils der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE in Wien – erinnert in seiner Arbeit unter anderem an die ersten militärpolitischen Reaktionen der NATO auf das Vorgehen Moskaus und das dadurch ausgelöste Bedrohungsgefühl besonders in den baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen sowie in Polen und in Rumänien. Er schreibt: „Die damaligen Beschlüsse zielten darauf, die schnelle Reaktionsfähigkeit des Bündnisses zu verstärken (Readiness Action Plan) und eine ,anhaltende‘ militärische Präsenz an den Ostgrenzen der Allianz herzustellen. Zu diesem Zweck wurden die NATO Response Force (NRF) zu einer Enhanced NRF weiterentwickelt, ihre Personalstärke von 19.000 auf 40.000 angehoben, die Einsatzbereitschaft eines Vorauselements von 5000 Soldaten erhöht (Very High Readiness Joint Task Force) und das Hauptquartier des Multinationalen Korps Nordost im polnischen Stettin verstärkt, um die Führungsfähigkeit zu gewährleisten.“

Zugleich habe das Bündnis die Frequenz und die Umfänge von Land- und Seemanövern in Osteuropa, in der Ostsee und im Schwarzen Meer erheblich vergrößert, die entsprechenden Einsatzgebiete ausgedehnt und die Zahl von Aufklärungsflügen und Luftpatrouillen vervielfacht, so Richter.

Ablösung nach neun Monaten durch identische US-Verbände

Parallel zu diesem Maßnahmebündel der NATO schob US-Präsident Barack Obama eine bilaterale Initiative an, die er am 3. Juni 2014 in Warschau als „European Reassurance Initiative“ (ERI) vorstellte. Mit seiner Initiative setzt er auf eine deutliche Ausweitung bi- und multinationaler Übungen sowie auf eine starke militärische Präsenz auf Rotationsbasis in Europa, besonders in den östlichen NATO-Mitgliedstaaten. Hinzu kommen die sogenannte „Vorwärtsstationierung“ gepanzerter Kampffahrzeuge und die Einlagerung von Kriegsmaterial in vorgeschobene Depots auf europäischem Boden.

Wie ernst es Obama mit ERI ist, zeigt allein die Tatsache, dass das Pentagon für diese Zwecke seine Finanzmittel vervierfacht hat – von 789,3 Millionen US-Dollar im Haushaltsjahr 2016 auf rund 3,4 Milliarden US-Dollar im Haushaltsjahr 2017 (das Haushaltsjahr 2017 dauert vom 1. Oktober 2016 bis zum 30. September 2017).

Die Operation „Atlantic Resolve“ ist Teil der „European Reassurance Initiative“. Bereits seit April 2014 wurden und werden unter Führung der US-Landstreitkräfte in Europa kontinuierlich Maßnahmen zur Ausbildung und Sicherheitskooperation mit Verbündeten und Partnerstaaten in Osteuropa – unter anderem mit Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn – durchgeführt. Die jetzt in Bremerhaven ankommenden Einheiten aus den Vereinigten Staaten, die die Truppenrotation eröffnen, werden nach neun Monaten durch identische US-Verbände abgelöst. Auch diese werden dann samt Ausrüstung von ihren Heimatstandorten in den Staaten nach Europa entsandt.

Heeresflieger aus Fort Drum und Fort Bliss kommen im Februar

Die Soldaten der 3. Kampfbrigade hatten Anfang November in den USA damit begonnen, die drei ARC-Schiffe mit Fahrzeugen und Containern zu beladen. Die mehr als 2500 Ladungsstücke, die in Bremerhaven an Land gebracht werden, werden anschließend über Polen in weitere Länder Mittel- und Osteuropas transportiert. Das Material soll bis zum 20. Januar im Bahntransport und mit Militärkonvois Polen erreichen. Von Polen aus geht die Reise weiter in die anderen mittel- und osteuropäischen Bestimmungsländer. Die meisten der gut 4000 Brigadesoldaten werden Polen, wo sich das Hauptquartier der Operation „Atlantic Resolve“ befindet, mit dem Flugzeug erreichen.

Einer Pressemitteilung des Public Affairs Office/U.S. Army Europe zufolge werden in Bremerhaven für die 3. Kampfbrigade folgende Fahrzeuge und Güter entladen: 446 Kettenfahrzeuge, 907 Radfahrzeuge sowie 650 Anhänger und Auflieger. Unter dieser Schiffsladung befinden sich unter anderem 87 Kampfpanzer, 144 Bradley-Schützenpanzer, 18 Panzerhaubitzen M109A6 Paladin sowie 419 geländegängige Fahrzeuge (Humvees).

Anfang Februar soll außerdem die 10. Heeresfliegerkampfbrigade (10th Combat Aviation Brigade) aus Fort Drum/US-Bundesstaat New York mit voraussichtlich 1800 Soldaten sowie 10 Chinook- und 50 Blackhawk-Helikoptern nach Europa verlegen. Sein Hauptquartier wird der Verband in mittelfränkischen Illesheim auf dem Illesheim Army Heliport einrichten. Die Hubschrauber werden auf „vorgeschobenen“ Landeplätzen in Lettland, Rumänien und Polen stationiert.

Der Kampfbrigade wird ferner für den Einsatz in Europa ein Heeresfliegerbataillon aus Fort Bliss/US-Bundesstaat Texas mit etwa 400 Soldaten und 24 schweren Apache-Kampfhubschraubern unterstellt.

Die Streitkräftebasis als Servicepartner der amerikanischen Einheiten

Für die reibungslose Verlegung in und durch Deutschland ist die Streitkräftebasis verantwortlich. Sie leistet hierfür den „Host Nation Support“, die logistische Unterstützung im Gastgeberland.

Der Organisationsbereich der Bundeswehr stellt mit seinen Fähigkeiten Lagerkapazität und Betriebsstoffe, Unterkunft und Verpflegung, Instandsetzung, Transport und Umschlag sowie Feldjägerunterstützung (für die Begleitung, Absicherung und den Betrieb eines Verkehrsleitnetzes) und Transportsicherung bereit.

Die der Streitkräftebasis unterstehende Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt bei Bremen hat sich als zentraler Anlaufpunkt in Deutschland intensiv auf die Unterstützung der Operation „Atlantic Resolve“ vorbereitet. Hier werden jetzt vorübergehend rund 400 amerikanische Soldaten untergebracht. Darüber hinaus stellt die Logistikschule Abstell- und Umschlagflächen sowie Infrastruktur für etwa 600 Fahrzeuge zur Verfügung. Zu den deutschen Serviceleistungen in Garlstedt gehört auch der Aufbau eines mobilen Gefechtsstandes zur Koordinierung und Überwachung der US-Konvois.

Etwa 900 Waggons mit militärischem Material werden per Eisenbahn von Bremerhaven nach Polen gebracht (die Waggons entsprechen einer Gesamtzuglänge von etwa zehn Kilometern). Hinzu kommen ungefähr 600 Frachtstücke, die vom Truppenübungsplatz Bergen-Hohne ebenfalls per Bahn nach Polen transportiert werden. Knapp 40 Fahrzeuge werden direkt über die Straße von Bremerhaven nach Polen bewegt.

Am 13. Dezember informierte sich vor Ort in Garlstedt der Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, Generalleutnant Ben Hodges, über die Vorbereitungen für „Atlantic Resolve“. Gemeinsam mit Generalleutnant Peter Bohrer, Stellvertreter des Inspekteurs der Streitkräftebasis, beantwortete Hodges am Schluss seiner Stippvisite zahlreiche Fragen der Pressevertreter.

Irritierendes Statement von Brandenburgs Ministerpräsident Woidke

Der Beginn von „Atlantic Resolve“ trifft in Norddeutschland nicht nur auf Zustimmung. So äußerte sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke besorgt „über das Bild, das die US-Panzer abgeben werden, die durch die Lausitz rollen“. Der SPD-Politiker sagte dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) am Mittwoch (4. Januar) in Cottbus, angesichts der aktuellen politischen Lage hoffe er, dass alles ruhig bleibe. „Ich glaube, dass wir trotz aller Schwierigkeiten den Dialog mit Russland suchen sollten. Es hilft uns nicht weiter, wenn Panzer auf beiden Seiten der Grenze auf und ab fahren. Deswegen hoffe ich, dass alle ruhig Blut bewahren.“

Die Operation stößt auch auf Kritik bei Friedensaktivisten und Linken. Bundestagsabgeordneter Thomas Nord (Linke) kündigte am Donnerstag (5. Januar) Proteste seiner Partei gegen die Truppenverlegung an. „Die politische Situation zwischen Russland und Ländern wie Polen ist sicher angespannt. Aber es hilft nichts, sie durch gegenseitige Aufrüstung noch weiter hochzuschaukeln“, erklärte Nord gegenüber der Schweriner Volkszeitung.

AfD-Vize Gauland lobt „Putin-Versteher“ Trump in höchsten Tönen

Bliebe noch ein Blick auf Donald Trump. Der hatte im Wahlkampf mehrfach davon gesprochen, dass sich die Europäer in Zukunft selbst mehr um ihre Verteidigung kümmern müssten. Die Vereinigten Staaten könnten nicht länger die Hauptlast der Abschreckung in Europa tragen. Darüber hinaus strebt der kommende US-Präsident offenbar ein besseres Verhältnis zu Kremlchef Wladimir Putin an. Putin hält die nun beginnende amerikanische Truppenrotation in den mittel- und osteuropäischen Bündnisländern für eine reine Provokation.

Man hört förmlich Trump argumentieren, wenn man die am gestrigen Freitag (6. Januar) erschienene Pressemitteilung des AfD-Stellvertreters Alexander Gauland liest.

„Atlantic Resolve“ sei eine wirkungslose Geldverschwendung, die am Ende niemanden beeindrucken werde, so Gauland. „Ich halte generell ziemlich wenig davon zu versuchen, Putin durch Säbelrasseln abzuschrecken. Säbelrasseln und wirtschaftliche Sanktionen fallen eher uns auf die Füße, als dass sie Putin in die Knie zwingen. Vielmehr sollten wir die Sanktionen endlich aufheben, damit wichtige russische Aufträge nicht an die Chinesen vergeben werden.“ Donald Trump mache es da „genau richtig“, meint der AfD-Vize. Dieser habe „den Wert der putinschen Realpolitik“ erkannt und möchte dem Präsidenten der Russischen Föderation „klugerweise auch auf Augenhöhe begegnen“. Gauland, der Mann vom rechten Rand, ist nicht erst seit heute als Putin-freundlich bekannt. Auf Trump darf man noch sorgenvoll gespannt sein …

Erste amerikanische Soldaten der 3. Kampfbrigade sind übrigens bereits in Polen eingetroffen. Rund 250 GIs landeten in Wrocław (Breslau), wie soeben die Nachrichtenagentur PAP (Polska Agencja Prasowa SA) berichtete.


Zu unserer Bildsequenz:
1. Entladung schwerer Kettenfahrzeuge am 6. Januar 2017 im Kaiserhafen von Bremerhaven, im Hintergrund das RoRo-Schiff „Resolve“.
(Foto: Scott Walters/3rd Armored Brigade Combat Team/4th Infantry Division/U.S. Army)

2. Bahnverladung der ersten M109A6-Panzerhaubitzen Paladin.
(Foto: Elizabeth Tarr/24th Press Camp Headquarters/U.S. Army)

3. Bradley-Schützenpanzer nach der Anlandung auf der Pier.
(Foto: Micah VanDyke/4th ID MCE Public Affairs/24th Press Camp Headquarters/U.S. Army)

4. Medientermin am 13. Dezember 2016 in Garlstedt: Generalleutnant Ben Hodges (rechts) mit dem Stellvertreter des Inspekteurs der Streitkräftebasis, Generalleutnant Peter Bohrer.
(Foto: PrInfoZ Streitkräftebasis)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt die Ladung im Inneren des RoRo-Frachters „Resolve“; die Aufnahme entstand kurz nach der Ankunft in Bremerhaven.
(Foto: Jacob A. McDonald/U.S. Army)

Kleines Beitragsbild: Operation „Atlantic Resolve“ – mit der Ankunft des ersten RoRo-Schiffes des Unternehmens ARC in Bremerhaven hat die von US-Präsident Barack Obama initiierte amerikanische Truppenrotation zur Verstärkung der NATO-Ostflanke begonnen.
(Foto: Micah VanDyke/4th ID MCE Public Affairs/24th Press Camp Headquarters/U.S. Army)


Kommentare

  1. Peace | 13. Januar 2017 um 13:04 Uhr

    Wie kann ein Statement als „irritierend“ betitelt werden, das auf Dialog anstelle auf Konfrontation setzt?

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