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Berlin/Brüssel (Belgien). Eine erfreuliche Entwicklung, aber noch keine Entwarnung. Das Schifffahrtsbüro der Internationalen Handelskammer teilte am 24. April mit, dass die Piraterie auf den Weltmeeren im ersten Quartal 2014 ihren im Vergleich zu früheren Zeiträumen niedrigsten Stand seit 2007 erreicht habe. Allerdings sei die Gefahr von Piratenangriffen auch in Zukunft allgegenwärtig. Die deutsche Marine wird sich auch weiterhin am Anti-Piraten-Einsatz Atalanta der Europäischen Union (EU) vor der somalischen Küste beteiligen. Dies beschloss der Deutsche Bundestag am 22. Mai mit großer Mehrheit.

Der neueste Report des International Maritime Bureau (IMB) verzeichnet in den ersten Monaten dieses Jahres weltweit 49 Piratenangriffe (nur 2007 waren es mit 41 Angriffen weniger). Für den Bereich der somalischen Küste wurden bis jetzt fünf Attacken gemeldet, so viel wie im Vergleichszeitraum 2013. Drei Schiffe wurden dabei erfolglos angegriffen, auf zwei wurde geschossen. IMB-Direktor Pottengal Mukundan kommentierte die Entwicklung am Horn von Afrika mit gedämpftem Optimismus: „Auch wenn die Zahl der versuchten Schiffsattacken wieder einmal niedrig ist, so bleibt die Bedrohung durch somalische Seeräuber doch auch weiterhin bestehen.“

Das Schifffahrtsbüro IMB ist eine besondere Abteilung für Kriminalität auf See der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) in London. Das Büro selber besitzt einen Beobachterstatus bei Interpol, hat mit der Weltzollorganisation (World Customs Organization, WCO) ein Memorandum of Understanding vereinbart und unterhält seit 1992 ein rund um die Uhr besetztes Meldezentrum für Piraterie in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur (IMB Piracy Reporting Centre).

Große Mehrheit der Bundestagsabgeordneten für eine Mandatsverlängerung

Bei der namentlichen Abstimmung im Parlament über den Antrag der Bundesregierung vom 30. April mit dem sperrigen Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias“ wurden 582 Stimmen abgegeben. 461 Abgeordnete stimmten mit Ja. Es gab 70 Nein-Stimmen und 51 Enthaltungen. Dem Regierungsantrag hatten im Mai bereits der Auswärtige Ausschuss und der Verteidigungsausschuss zugestimmt. Die Linksfraktion votierte gegen eine Mandatsverlängerung, die Grünen enthielten sich. Keine Mehrheit fand ein Entschließungsantrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die unter anderem gefordert hatte, die Ausweitung des Operationsgebiets für die Bundeswehr über Land in Somalia zurückzunehmen.

Die Bundeswehr kann sich nun an der Operation „EU NAVFOR Somalia – Atalanta“ bis längstens 31. Mai 2015 beteiligen (mit einer weiteren Mandatsverlängerung ist zu rechnen). Bis zu 1200 deutsche Soldaten können eingesetzt werden, um internationale Schiffsrouten am Horn von Afrika zu schützen; zuvor lag die Mandatsobergrenze bei 1400 Soldaten. Im Augenblick beteiligt sich unsere Marine mit folgenden Einheiten an Atalanta: Fregatte „Brandenburg“, Betriebsstofftanker „Rhön“, ein Seefernaufklärer P-3C Orion sowie Hubschrauber Sea Lynx Mk.88A.

Die einsatzbedingten Atalanta-Zusatzausgaben für den Zeitraum 1. Juni 2014 bis 31. Mai 2015 werden nach Regierungsangaben rund 64,9 Millionen Euro betragen und aus dem Verteidigungsetat bestritten. Auf das Haushaltsjahr 2014 entfallen davon 37,9 Millionen, auf das Haushaltsjahr 2015 27 Millionen Euro.

Maritimer EU-Verband zum zweiten Mal unter deutschem Kommando

Die „Brandenburg“ hat am 6. April in Dschibuti, Hauptstadt der gleichnamigen afrikanischen Republik am Golf von Aden, die Rolle als Atalanta-Flaggschiff von dem französischen Landungsschiff „Siroco“ übernommen. Den multinationalen Verband führt jetzt bis August Flottillenadmiral Jürgen zur Mühlen, Kommandeur der Einsatzflottille 2 (am 22. August wird die „Brandenburg“ wieder in Wilhelmshaven zurückerwartet). Unterstützt wird der Commander von einem 35 Mann starken internationalen Stab, dem Seeleute aus zwölf Nationen angehören.

Mit zur Mühlen hat zum zweiten Mal ein Deutscher den Oberbefehl über diese Task-Force der EU. Vom 13. August bis zum 6. Dezember 2011 war Flottillenadmiral Thomas Jugel – an Bord der Fregatte „Bayern“ – Force Commander gewesen. Dem Verband um die „Brandenburg“ gehören neben der „Rhön“ folgende Schiffe an: Fregatte „Floréal“ (Frankreich), Fregatte „De Zeven Provinciën“ (Niederlande) und Patrouillenboot „Relámpago“ (Spanien). Neben Deutschland stellen auch Luxemburg und Spanien jeweils einen Seeaufklärer.

Zurzeit – Stand 28. Mai – sind 368 Bundeswehrangehörige in der EU-Mission am Horn von Afrika und in den angrenzenden Seegebieten im Einsatz, darunter 15 Soldatinnen und 12 Reservisten. Am 23. April hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das deutsche Einsatzkontingent besucht. In Dschibuti war sie von Botschafter Wolfgang Piecha und Flottillenadmiral zur Mühlen begrüßt worden. Im Anschluss daran ging die Ministerin an Bord der „Brandenburg“.

Eine der größten Bedrohungen für die internationalen Schifffahrtsrouten

Die Bundesregierung, die die Fortsetzung der Bundeswehr-Beteiligung an Atalanta am 30. April beschlossen hatte, stellt in ihrem Antrag zur Bundestagsabstimmung noch einmal die Situation am Horn von Afrika dar. Nach wie vor liege hier eine der größten Bedrohungen der internationalen Schifffahrtsrouten, warnt sie. Weiter heißt es: „Durch das Seegebiet vor Somalia – vor allem den Golf von Aden – führt die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, der Arabischen Halbinsel und Asien. Diese sicher und offen zu halten, ist eine wichtige Aufgabe internationaler Sicherheitspolitik und liegt auch in unmittelbarem deutschen Interesse. Das dortige Problem der Piraterie hat seine Ursache in den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Somalia. Das Land bleibt weiterhin Rekrutierungsgebiet und Ausgangsbasis für Piraterieaktivitäten.“

Atalanta hat insgesamt zum Ziel, den humanitären Zugang nach Somalia durch den Schutz von Schiffen des Welternährungsprogramms und der AMISOM (African Union Mission to Somalia) sicherzustellen, die vor der Küste Somalias agierenden Piraten zu bekämpfen und abzuschrecken, den zivilen Schiffsverkehr auf den dortigen Handelswegen zu sichern, Geiselnahmen und Lösegelderpressungen zu unterbinden und das Völkerrecht durchzusetzen.

Drei aufeinander aufbauende GSVP-Missionen der Europäer

Die Bundesregierung beteiligt sich auf verschiedene Weise an den internationalen Bemühungen zur Stabilisierung Somalias. Die EU ist am Horn von Afrika bislang mit der militärischen Operation EU NAVFOR Atalanta, der militärischen Trainingsmission EUTM Somalia und der vornehmlich zivilen Ausbildungsmission zur Stärkung regionaler maritimer Fähigkeiten EUCAP Nestor engagiert. Zudem unterstützt sie die Friedensmission AMISOM. Mit ihren drei aufeinander aufbauenden GSVP-Missionen spielt die EU eine bedeutende Rolle in der Region (GSVP: Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik).

Als Teil dieses „Strategischen Rahmens für das Horn von Afrika“ der EU leistet EUTM Somalia einen wesentlichen Beitrag im Bereich der Sicherheitssektorreform bei der Unterstützung des Aufbaus der somalischen Streitkräfte und fördert dadurch die nachhaltige Befriedung und Stabilisierung des ostafrikanischen Staates und der weiteren Region.

Laut einer Antwort der Bundesregierung vom 6. Mai dieses Jahres auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen sind in den bisherigen Ausbildungsdurchgängen von EUTM Somalia in der Republik Uganda bis Ende 2013 rund 3600 somalische Soldaten ausgebildet worden. Am 5. April 2014 haben weitere 34 Soldaten nach Abschluss des ersten Ausbildungskurses in der somalischen Hauptstadt Mogadischu die Qualifikation zum Ausbilder erlangt. Diese Einheiten bilden künftig den Kern der somalischen Streitkräfte.

Die Mission EUCAP Nestor ist ein weiterer Baustein für den Aufbau und die Förderung eines eigenverantwortlichen, regionalen afrikanischen Konfliktmanagements. Mit ihr unterstützt die EU die Nachbarstaaten Somalias, leistungsfähige Agenturen zur selbstständigen Kontrolle des eigenen Seeraums zu schaffen. Zudem soll Somalia in die Lage versetzt werden, Kapazitäten zur Kontrolle seines Küstengebiets sowie zur Pirateriebekämpfung aufzubauen und zu fördern. Die Mission berät auch bei rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit maritimer Sicherheit.

Arbeiten Sicherheitsfirmen in einem rechtsfreien Raum?

Bei der parlamentarischen Debatte im Bundestag am 22. Mai machte die Opposition noch einmal ihre Positionen deutlich. Jan van Aken (Die Linke) kritisierte den Einsatz privater Sicherheitskräfte auf Schiffen im Operationsgebiet von Atalanta. „Der Krieg gegen die Piraten wird längst privat geführt, von Unternehmen, die sich auf das Geschäft mit dem Krieg zur See spezialisiert haben und damit mittlerweile jedes Jahr Hunderte von Millionen Euro verdienen. Das Schlimme ist, dass diese Firmen in einem völlig rechtsfreien Raum agieren.“

Zugleich verurteilte van Aken den „vernetzten Ansatz“ der Bundesregierung und der EU in der Krisenregion. In Somalia habe sich in den letzten Jahren weder politisch noch ökonomisch irgendetwas verbessert, beklagte der Abgeordnete der Linken. „Die sogenannte Regierung von Somalia hat in den letzten Monaten sogar die Kontrolle über große Teile der Hauptstadt verloren. Schwere Anschläge sind in Mogadischu an der Tagesordnung. Jetzt droht auch noch eine katastrophale Hungersnot.“ Das, was nach Ansicht van Akens helfen würde, seien direkte Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Die Bundesregierung verhindere dies durch die Unterstützung der aus Sicht seiner Partei und Fraktion „demokratisch nicht legitimierten“ somalischen Führung.

Grüne gegen eine „schleichende Einführung von Dauermandaten“

Doris Wagner von Bündnis 90/Die Grünen rügte bei der Parlamentsdebatte „eine gewisse Intransparenz“ im Antragstext der Regierung. „Statt klar zu umreißen, was die deutsche Marine am Horn von Afrika eigentlich machen soll, speist uns die Bundesregierung mit dem Verweis ab, man werde einfach weitermachen wie bisher.“ Mit diesem Mandatstext stelle sich die Regierung Merkel gegen den Geist des Parlamentsbeteiligungsgesetzes.

Der SPD warf Wagner vor, auf diese Weise verschleiern zu wollen, das Atalanta-Mandat letztes Jahr noch abgelehnt zu haben. Auch der Union komme diese Verschleierungstaktik gelegen: „Denn genau das ist es ja, was Sie mit der Kommission zur Überprüfung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes eigentlich beabsichtigen – der Bundestag soll eben nicht mehr jedes Jahr genau hinsehen und entscheiden können, ob ein bestimmter Bundeswehreinsatz im Ausland zu verantworten ist oder nicht. Was Sie hier eigentlich betreiben, ist die schleichende Einführung von Dauermandaten, die wir einfach durchwinken sollen, ohne näher nachzufragen und nachzudenken.“

Neben der aus Sicht von Bündnis90/Die Grünen mangelnden Klarheit des Mandatstextes gab es einen zweiten Grund für die Fraktion, sich bei der anschließenden Abstimmung zu enthalten. Dazu die Abgeordnete: „Der andere Grund liegt darin, dass das Mandat die Bundeswehr nach wie vor dazu ermächtigt, bis zu einer Tiefe von zwei Kilometern auf das somalische Festland vorzudringen, um dort … gegen logistische Einrichtungen der Piraten vorzugehen.“ Damit nehme die Regierung billigend in Kauf, dass „die Bundeswehr durch Operationen an Land auch noch zur militärischen Eskalation in Somalia beitragen könnte“.

Über den Fortgang der Bundestagsdebatte vor der namentlichen Abstimmung zur Atalanta-Mandatsverlängerung am 22. Mai und über neueste Zahlen zum Thema „Piraterie am Horn von Afrika“ berichten wir im zweiten Teil unseres Beitrages.



Zu unserem Bildangebot „Atalanta-Mandat“ (Teil 1):
1. Am 4. November 2011 klärte die Fregatte „Köln“ etwa 60 Seemeilen vor der Küste Tansanias ein vermutliches Piratenmutterschiff und ein Motorboot auf. Nach dem Boardingeinsatz durch deutsche Marinekräfte wurden sieben verdächtige Personen an Bord der „Köln“ gebracht. Anschließend wurden beide Boote versenkt.
(Foto: PrInfoZ Marine Dschibuti/Bundeswehr)

2. Die Fregatte „Brandenburg“, seit 6. April 2014 Flaggschiff der Atalanta-Mission in den Gewässern am Horn von Afrika. Kommandant des Schiffes ist Fregattenkapitän Gerald Liebich.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)

3. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch des deutschen Einsatzkontingents Atalanta am 23. April 2014.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)

4. Der Betriebsstofftanker „Rhön“ am Horn von Afrika. Das Trossschiff unter dem Kommando von Kapitän Egon Rhauderwiek hatte den Marinestützpunkt Wilhelmshaven am 18. März 2014 verlassen, einen Tag nach der „Brandenburg“.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)

5. Ein Seefernaufklärer P-3C Orion der deutschen Marineflieger auf dem Flugfeld von Dschibuti.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)


Kommentare

  1. Brake | 5. Juni 2014 um 09:17 Uhr

    Herzlichen Dank für diesen Beitrag. Sehr ausgewogen und gut informiert. Empfehlenswerte Lektüre für diejenigen, die sich ein aktuelles Bild des Einsatzes und unserer politischen Debatte darüber machen wollen.

    Mit freundlichen Grüßen

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