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Meppen/Schrobenhausen. Am 20. September setzte der Unterstützungshubschrauber Tiger mit einem Direkttreffer auf dem Areal der Wehrtechnischen Dienststelle 91 im niedersächsischen Meppen den Schlusspunkt einer schwierigen Testreihe mit dem Lenkflugkörper PARS 3 LR. Direkt getroffen wurde ein Ziel, das sich zwischen verschiedenen Häuserdeckungen bewegte. Mit der erfolgreichen Zielbekämpfung endete das Abnahmeschießen für PARS 3 LR, Voraussetzung für die formelle Freigabe des Flugkörpersystems durch das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw).

Nach der Freigabe durch das BAAINBw kann demnächst der Generalunternehmer, die PARSYS GmbH, mit der Fertigung der vertraglich vereinbarten 680 Lenkflugkörper beginnen. Die Programmgesellschaft PARSYS GmbH ist ein Joint Venture zwischen den Unternehmen Diehl BGT Defence und MBDA Deutschland GmbH (jeweils 50 Prozent). Diehl BGT Defence liefert den bildverarbeitenden Suchkopf, MBDA Deutschland den gesamten restlichen Flugkörper einschließlich Integration. Das Abnahmeschießen auf Europas größtem, mit zahlreichen Messinstrumentarien ausgestatteten Testgelände war zugleich ein Meilenstein in der Geschichte dieses nicht unumstrittenen Lenkflugkörpers.

Europäisches Gemeinschaftsprojekt „Trigat“

Aus Sicht des Auftraggebers und der Hersteller ist PARS 3 LR das zur Zeit „leistungsfähigste Fire-and-Forget-Lenkflugkörpersystem zur Bekämpfung unterschiedlicher Ziele“. Diehl Defence etwa beschreibt das Leistungspaket so: „Der Hubschrauber muss sich nur während des Schusses für wenige Sekunden aus seiner sicheren Deckung erheben und kann im Salvenschuss gleichzeitig mehrere Ziele bekämpfen. Der weit reichende Flugkörper verfolgt und bekämpft sein Ziel autonom, während der Hubschrauber seine Position wechseln bzw. andere Missionsziele verfolgen kann. Die Bundeswehr erhält mit PARS 3 LR ein einzigartiges System zur Steigerung der Durchsetzungs- und Überlebensfähigkeit.“

Die Geschichte der Fire-and-Forget-Lenkwaffe PARS 3 LR beginnt Ende der 1980er-Jahre unter der Bezeichnung „Trigat“ als europäisches Gemeinschaftsprojekt Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Geplant war – noch vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den Warschauer Pakt – die Entwicklung einer Familie von Panzerabwehrlenkwaffen, die zunächst in einem Memorandum of Understanding (MoU) definiert wurde. Belgien und die Niederlande bekundeten Interesse an diesem Vorhaben und traten als assoziierte Mitglieder der Vertragsgemeinschaft bei.

Am Ende der Systementwicklungen standen drei Varianten: Trigat MR (Variante für den Infanteristen; wie die sowjetische/russische Panzerabwehrlenkwaffe AT-16 Scallion ein sogenannter lasergeleiteter Beamrider-Flugkörper), Trigan (Lenkdraht-gesteuerte Variante der Trigat MR) sowie Trigat LR (Flugkörper für Fahrzeuge und Hubschrauber; Variante mit höherer Geschwindigkeit und Reichweite).

Nach Ende des Ost-West-Konflikts und damit völlig neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in Europa stand plötzlich das auf die Panzerbekämpfung fokussierte Trigat-Gemeinschaftsprojekt zur Diskussion. Großbritannien beschloss im Juli 2002 den Ausstieg, auch mit dem Hinweis auf die inzwischen eingetretenen enormen zeitlichen Verzögerungen bei der Projektrealisierung (zum Zeitpunkt dieser Entscheidung hatte das Britische Verteidigungsministerium bereits rund 497 Millionen Euro in das Trigat-MR- und Trigat-LR-Programm investiert). Im September 2002 verabschiedeten sich auch die Niederlande von Trigat. 2004 beendete schließlich Frankreich seine Beteiligung an dem Rüstungsvorhaben mit Hinweis auf seine angespannte Haushaltslage.

Deutschland hielt an Trigat LR – nun unter dem Begriff PARS 3 LR (Präzisions-Abstands-Raketensystem der dritten Generation mit langer Reichweite) – als Hauptbewaffnung des Kampf- und Unterstützungshubschraubers Tiger der Bundeswehr fest.

Im Visier des Bundesrechnungshofes

Im März 2000 hatte die ersten Testschüsse mit Trigat LR stattgefunden. Im September 2001 hatte erstmals ein Helikopter im Rahmen einer Testreihe einen beschleunigenden Panzer mit einer Trigat getroffen. Im Dezember 2002 war die Elektronik erfolgreich getestet worden. 2004 bis 2005 war das Waffensystem mit dem Eurocopter-Tiger erprobt worden, Mitte 2005 hatte der Lenkflugkörper seine Serienreife erlangt. Ein Jahr später wurden die ersten Negativschlagzeilen über das PARS-Rüstungsprojekt formuliert.

Im Juni 2006 berichtete die Financial Times Deutschland, dass der Bundesrechnungshof den geplanten Kauf der PARS 3 LR „für Bundeswehrhubschrauber scharf gerügt“ habe. „Der Bundestag solle dem 381 Millionen Euro teuren Projekt vorerst nicht zustimmen“, zitierte das Blatt aus „einer vertraulichen Vorlage an den Haushaltsausschuss des Parlaments“. Financial Times Deutschland weiter: „Unter Einrechnung der Entwicklungskosten würde ein einziger Schuss rund 1,3 Millionen Euro kosten, schreibt der Bundesrechnungshof.“ Diese Kostengröße hielt sich noch eine ganze Zeit lang in den Medien.

Die Bewaffnung PARS 3 LR geriet in der Folge auch des Öfteren in heftige Kritik, wenn über den deutschen Kampfhubschrauber Tiger berichtet wurde (Medientenor: „Teure Fehlplanung“). Caroline Walter und Alexander Kobylinski beispielsweise bezeichneten 2009 in ihrem Beitrag „Afghanistan – schutzlos ohne Kampfhubschrauber“ in der Sendereihe KONTRASTE den Lenkflugkörper als „Relikt des Kalten Krieges“, als „Griff in die Mottenkiste“ – ungeeignet für den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch. Die beiden Autoren zitierten auch Alexander Bonde (Bündnis 90/Die Grünen), damals Mitglied des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (seit Mai 2011 Landesminister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg). O-Ton Bonde: „PARS 3 ist teuer, passt nicht auf das, was man heute braucht – deshalb sind alle anderen Nationen ausgestiegen“.

Am 30. Juni 2006 wurde in Koblenz im damaligen Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung von Diehl BGT Defence und MBDA Deutschland der Vertrag über die Herstellung und Lieferung von 680 Lenkflugkörper PARS 3 LR für das Deutsche Heer unterzeichnet. Die Auslieferung soll bis zum Jahr 2014 erfolgen, der Gesamtpreis für die 680 PARS-Raketen beträgt 380 Millionen Euro.

Auch bereit für neue Bedrohungsszenarien?

Volker Pauly von der Programmgesellschaft PARSYS GmbH äußerte sich jetzt auf Nachfrage zu den beiden Hauptkritikpunkten an der Tiger-Hauptbewaffnung. Der Ansatz des Bundesrechnungshofes, den Einzelschuss eines PARS 3 LR-Lenkflugkörpers mit rund 1,3 Millionen Euro zu beziffern, hält Pauly für irreführend. Er gibt zu bedenken, dass zu Zeiten des britisch-deutsch-französischen Gemeinschaftsvorhabens „Trigat“ die geplanten Stückzahlen für die spätere Produktion im fünfstelligen Bereich gelegen hätten. „Natürlich erhält man, rechnet man die enormen Entwicklungskosten nun mit auf die verbliebenen 680 Lenkflugkörper um, eine wesentlich höhere Zahl als bei der ursprünglich vorgesehenen Produktionsgröße.“ Für das Rüstungsprojekt spreche zudem der Umstand, dass nach der Rüge des Bundesrechnungshofes offensichtlich Diskrepanzen ausgeräumt werden konnten. „Denn sonst wäre es ja wohl nur schwerlich – so kurz nach der Vorlage des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss – zu dem Beschaffungsvertrag vom Juni 2006 gekommen.“

Überhaupt nicht nachvollziehen kann und will der Vertreter des Generalunternehmers PARSYS Zweifel an der Einsatztauglichkeit des Systems: „PARS 3 LR ist speziell auf die präzise Bekämpfung von Bodenzielen ausgelegt. Ein passiver Infrarotsuchkopf sorgt in Verbindung mit einem Tandemhohlladungsgefechtskopf für die notwendige Präzision und Wirkung im Ziel. Der Lenkflugkörper gewährleistet den größtmöglichen Schutz der Hubschrauberbesatzung, da die Ziele bereits in der Deckung über das Mastvisier des Hubschraubers aufgefasst werden können. Der Einsatzmodus ,Fire & Forget‘ des PARS 3 LR-Lenkflugkörpers erlaubt dem Tiger-Hubschrauber, sich nur kurze Zeit dem Gegner zu exponieren. Der passive Infrarotsuchkopf wird erst unmittelbar vor dem Schuss auf das Ziel aufgeschaltet.“ Diese Fähigkeiten, so Pauly, kämen natürlich auch in asymmetrischen Bedrohungssituationen voll zum Tragen. Das gelte sowohl für den optimalen Schutz von Hubschrauber und Besatzung als auch für die wirksame Zielbekämpfung. „Wer die Panzer aus dem libyschen Bürgerkrieg noch vor Augen hat, der weiß, was ich meine. Oder denken Sie an die gefürchteten MANPADS – das Man Portable Air Defense System, Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen wie die Stinger.“

Im Juli 2010 berichtete die britische Tageszeitung The Guardian von mehreren MANPAD-Angriffen in Afghanistan auf ISAF-Hubschrauber. Am 30. Mai 2007 war ein CH-47 Chinook nach Zeugenaussagen von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden und hatte sieben Soldaten getötet. In den Folgejahren hatte es immer wieder ähnliche Attacken gegeben, die jedoch ihre Ziele – zum Teil nur knapp – verfehlt hatten. Geheimdienstquellen sprechen mittlerweile von der Möglichkeit, dass die Taliban Stinger-Raketen neuerer Bauart erhalten haben könnten, aus dem Iran und aus Pakistan.

Ist der Lenkflugkörper PARS 3 LR also doch eine Antwort auf aktuelle Bedrohungsszenarien? Immerhin stößt das Lenkflugkörpersystem bereits auf dem Exportmarkt auf großes Interesse. „Im Rahmen des Kampfhubschrauber- Beschaffungsvorhabens der Indischen Armee ist PARS 3 LR in der engeren Auswahl. MBDA Deutschland bietet PARS 3 LR für die Luft-Boden-Bewaffnung der Hubschrauber an. Die Leistungsfähigkeit wurde den Kunden aus Indien bei zwei Schießkampagnen erfolgreich demonstriert. Alle sechs Schüsse trafen ihr Ziel im optimalen Treffpunkt.“ So zumindest formuliert es MBDA Deutschland in seiner Presseinformation zum erwarteten Auftakt der Serienfertigung.


Unser Bild zeigt den
 
UH Tiger mit der Hauptbewaffnung PARS 3 LR
(Foto: MBDA Deutschland – http://www.mbda-systems.com)

Kommentare

  1. Frieauff, Dieter | 15. November 2012 um 16:35 Uhr

    Endlich liest man einmal einen fairen und informativen Bericht zu dem Thema.

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