menu +

Nachrichten


Berlin. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat Bundeskanzler Olaf Scholz am heutigen Montag (16. Januar) um Entlassung gebeten. Dies geht aus einer schriftlichen Erklärung der SPD-Politikerin hervor, die zunächst die Deutsche Presse-Agentur (dpa) verbreitete und die später im Onlineauftritt des Bundesministeriums der Verteidigung einzusehen war. In dem Schreiben macht Lambrecht die Berichterstattung der letzten Zeit für ihre Entscheidung verantwortlich. Von eigenen Versäumnissen spricht die scheidende Ministerin in ihrer Erklärung nicht. Scholz will „zeitnah“ über die Neubesetzung an der Spitze des wohl wichtigsten Ressorts in der Bundesregierung entscheiden.

In der am Montagvormittag öffentlich gewordenen Lambrecht-Erklärung heißt es: „Ich habe heute den Bundeskanzler um Entlassung aus dem Amt der Bundesministerin der Verteidigung gebeten. Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die […] Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der […] Bürger Deutschlands kaum zu. Die wertvolle Arbeit der […] Soldaten und der vielen motivierten Menschen im Geschäftsbereich muss im Vordergrund stehen. Ich habe mich deshalb entschieden, mein Amt zur Verfügung zu stellen. Ich danke allen, die sich jeden Tag für unsere Sicherheit engagieren und wünsche ihnen von Herzen alles erdenklich Gute für die Zukunft.“

Am Nachmittag folgte dann ein Tagesbefehl Lambrechts, mit dem sie sich an die Soldaten und Mitarbeiter der Streitkräfte sowie an die Frauen und Männer der Reserve wandte. Unter anderem erklärte sie: „Ich habe heute den Bundeskanzler um Entlassung aus dem Amt der Bundesministerin der Verteidigung gebeten. Es ist für mich ein schmerzhafter Schritt, weil ich dieses verantwortungsvolle Amt mit voller Überzeugung und ganzer Kraft ausgeübt habe. Von Ihrem wertvollen Dienst war ich immer tief beeindruckt. Es waren die vielen Gespräche mit Ihnen, in den Einsätzen, auf Übungen und in den Standorten, die mich täglich aufs Neue motiviert haben. Sie alle stehen täglich mit vollem Einsatz für die Sicherheit der Menschen in unserem Land ein. Sie dienen der Gemeinschaft. Mein Anspruch war es immer, die Dinge in der und mit der Bundeswehr zum Besseren zu verändern.“

Weiter heißt es in dem Befehl an die Truppe vom 16. Januar: „Diesem Anspruch kann ich leider nicht mehr gerecht werden. Die monatelange Fokussierung auf meine Person überlagert unseren gemeinsamen Auftrag: die Sicherheit unseres Landes. Und sie hat dazu geführt, dass die Aufgaben, vor denen wir in der Zeitenwende stehen, nicht mehr durchdringen. Diese Aufgaben und Ihr wertvoller Dienst müssen im Vordergrund stehen.“

Das Schreiben endet: „Ich weiß, dass die Menschen in der Bundeswehr diese anspruchsvollen Aufgaben mit vollem Engagement anpacken und meistern werden. Allen, die sich jeden Tag für unsere Sicherheit engagieren, danke ich von Herzen! Bitte passen Sie auf sich, Ihre Familien und […] Kameraden gut auf. Für die Zukunft wünsche ich Ihnen Soldatenglück und alles Gute! Ihre Christine Lambrecht (Bundesministerin der Verteidigung).“

Nachfragen in der Regierungspressekonferenz blieben unbeantwortet

Der Rücktritt Lambrechts vom Amt der Verteidigungsministerin beherrschte an diesem Montag auch die Regierungspressekonferenz in den Räumen der Bundespressekonferenz in Berlin. Den zahlreichen und drängenden Fragen der Medienvertreter stellten sich dort Christiane Hoffmann (stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung) und Christian Thiels (Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung).

Hoffman sagte: „Wie Sie alle wissen, hat die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht heute den Bundeskanzler um Entlassung gebeten. Der Bundeskanzler respektiert die Entscheidung von Frau Lambrecht und dankt ihr für die gute Arbeit, die sie in dieser schwierigen und herausfordernden Zeit als Verteidigungsministerin geleistet hat. Der Bundeskanzler wird dem Bundespräsidenten zeitnah einen Vorschlag für die Nachbesetzung des Amtes unterbreiten.“

Weitere Nachfragen – etwa nach einem möglichen Nachfolger oder einer möglichen Nachfolgerin, einer denkbaren größeren Kabinettsumbildung vor dem Hintergrund des Themas „Parität im Kabinett“ oder zu den Beweggründen der Ministerin für ihren Rücktritt – blockten Hoffmann und Thiels ab (zur Frage eines Journalisten, ob die scheidende Verteidigungsministerin durch die Bundeswehr ebenfalls mit einem Zapfenstreich geehrt werden wird, antwortete Thiels, „davon gehe ich im Moment aus“.)

Bundeskanzler spricht von „klarer Vorstellung“ für die Nachbesetzung des Amtes

Bundeskanzler Scholz äußerte sich am heutigen Montag bei seinem Besuch des Luft- und Raumfahrtunternehmens Hensoldt AG in Ulm zum Rücktrittsersuchen seiner Kabinettskollegin. Im Rahmen einer Pressekonferenz, bei der keine Nachfragen zugelassen waren, führte der SPD-Politiker aus: „Lassen Sie mich noch etwas zu einem aktuellen Thema sagen. Die Bundesministerin der Verteidigung hat mir heute mitgeteilt, dass sie ihre Aufgabe nicht mehr fortsetzen möchte. Ich habe viele, viele Jahre gut und gerne mit Christine Lambrecht zusammengearbeitet. Auch jetzt, nach dem furchtbaren Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, hat sich die Verteidigungsministerin mit ungeheurem Einsatz darum gekümmert, dass jahrzehntelang ausgetrampelte Pfade verlassen werden und wir den großen Aufbruch hinbekommen, der für unsere Landesverteidigung, aber auch konkret für die Unterstützung der Ukraine wichtig ist. Ich habe deshalb hohen Respekt für ihre Entscheidung und danke ihr ausdrücklich auch an dieser Stelle für die Arbeit, die sie für unser Land in verschiedenen Funktionen, zuletzt als Bundesministerin der Verteidigung, geleistet hat.“

Zur Nachbesetzung des Amtes erklärte Scholz: „Das ist heute natürlich aus guten Gründen nicht der Tag, darüber zu berichten, wie es weitergeht. Ich will Ihnen aber sagen: Ich habe eine klare Vorstellung. Es wird sehr schnell für alle bekannt werden, wie das weitergehen soll. Das Bundesministerium der Verteidigung, die Bundeswehr, alle, die sich um die Verteidigung in unserem Land bemühen, haben verdient, dass das schnell geklärt wird. Ich weiß, wie es aus meiner Sicht weitergehen soll. Wir werden das dann auch rechtzeitig bekannt geben.

Boulevardblatt BILD hatte die Nase bei der Berichterstattung vorne

Bereits am vergangenen Freitagabend (13. Januar) hatten verschiedene Medien übereinstimmend berichtet, Lambrecht stehe kurz vor einem freiwilligen Rückzug von ihrem Ministerposten. Die BILD-Zeitung, die „exklusiv“ berichtete „Christine Lambrecht vor Rücktritt – Pannen-Ministerin vor Rücktritt“, berief sich auf „mehrere Quellen“. In einem späteren Kommentar lobte BILD-Vize Paul Ronzheimer dann: „Oft sagen Politiker, dass das Land über der Person stehe. Lambrecht macht diesen wichtigen Satz wahr.“ Und: „Es kommt nicht häufig vor, dass Politiker, zumal wenn sie Minister sind, selbst zu der Erkenntnis kommen, dass ein Rücktritt für sie unvermeidlich ist. Lambrecht dagegen hat eingesehen, dass es im Verteidigungsministerium, mit dem sie nie warm geworden ist, einen Neuanfang braucht. Damit stellt sie ihre eigenen Ambitionen zurück – und erweist Deutschland einen Dienst.“

Medienberichten zufolge wurde seit Tagen bereits in Regierungs- und SPD-Kreisen über die Nachfolge diskutiert. Gute Chancen auf den Chefsessel im BMVg wurden der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl, eingeräumt. Laut Süddeutscher Zeitung wurde neben Högl auch Siemtje Möller, die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin der Verteidigung, als mögliche Nachfolgerin Lambrechts gehandelt. Neben den beiden SPD-Frauen waren auch SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil und Lars Klingbeil, seit Dezember 2021 einer der beiden Bundesvorsitzenden der SPD, mögliche Kandidaten.

Nachrichtenmagazin SPIEGEL spricht von „Pleiten, Pech und Pannen“

Die rund 13 Monate dauernde Amtsführung von Christine Lambrecht war von Anfang an mit wenig Fortune gesegnet. Bereits zur offiziellen Amtsübernahme gab es – so zumindest berichteten es überregionale Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) – schlechte Stimmung: Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer blieb der Zeremonie fern. Kolportiert wurde, die saarländische CDU-Politikerin sei womöglich verärgert gewesen ist, weil das Umfeld der neuen Ministerin Lambrecht Druck auf langjährige Mitarbeiter gemacht haben soll, möglichst rasch das Büro zu räumen. FAZ-Hauptstadtkorrespondent Peter Carstens überschrieb seinen damaligen Beitrag über den Wechsel an der Spitze des Wehrressorts mit „Frostige Amtsübernahme im Verteidigungsministerium“. Bestätigt wurden die Vermutungen, es habe zwischen Vorgängerin und Nachfolgerin Spannungen gegeben, allerdings nicht.

Andere unglückliche Auftritte und Äußerungen Lambrechts blieben in der Folge allerdings einer breiten Öffentlichkeit nicht mehr verborgen. Der SPIEGEL hatte am 14. Januar in seiner Chronik „Pleiten, Pech und Pannen – Lambrechts Fehler, Lambrechts Fettnäpfchen“ noch einmal nachgehalten.

Da soll es kurz nach dem Amtsantritt Lambrechts die Entscheidung gegeben haben, zu Weihnachten keines der Kontingente der Bundeswehr im Auslandseinsatz – etwa in Mali – zu besuchen. Üblicherweise für den „IBUK“, den Inhaber (oder die Inhaberin) der Befehls- und Kommandogewalt, ein Pflichttermin. Am 19. Dezember 2021 flog die neue Ministerin allerdings für wenige Stunden nach Litauen, um dort ihren Amtskollegen Arvydas Anušauskas zu treffen und anschließend Gespräche mit Bundeswehrangehörigen auf dem Kasernengelände in Rukla zu führen. Zwischen Weihnachten und Neujahr verabschiedete sich die SPD-Politikerin dann in den Skiurlaub nach Ischgl in Österreich.

Im Januar 2022 – kurz vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine – kündigte Lambrecht auf die Bitte Kiews um Waffen an, 5000 Helme aus Bundeswehr-Beständen liefern zu wollen. Andrij Melnyk, damaliger ukrainischer Botschafter in Berlin, begrüßte zwar das Angebot, sprach aber auch offen von einer „reinen Symbolgeste“. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko spottete: „5000 Helme sind ein absoluter Witz – was will Deutschland als nächstes zur Unterstützung schicken? Kopfkissen?“

Im April 2022 besuchte Lambrecht mit dem Hubschrauber der Flugbereitschaft eine Bundeswehreinheit in Norddeutschland. Am nächsten Tag ging es nach der Übernachtung im Hotel mit Auto, Personenschützer und Sohn in die Osterferien auf die nahe Insel Sylt. Nachdem der Sohn in den sozialen Medien ein Foto von sich im Helikopter veröffentlicht hatte, musste sich die Ministerin gegen harsche Kritik verteidigen, sie habe den Truppenbesuch nur organisiert, um möglichst bequem nahe an ihr Urlaubsziel Sylt zu gelangen. Lambrecht versicherte damals, sie habe das vorgeschriebene Entgelt für den Flug ihres Sohnes bezahlt. In der Folge kündigte sie an, dass dieser nicht mehr mit auf Dienstreisen kommen würde.

Bei der Bekanntgabe, dass die Bundeswehr US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35 beschaffen würde, sorgte Lambrecht ebenfalls für Irritationen. Sie hatte den Namen des neben ihr stehenden Luftwaffeninspekteurs Ingo Gerhartz offenbar nicht gekannt oder vergessen. Zuvor hatte sie auch bei den Dienstgraden der Bundeswehr mit Unwissen geglänzt.

Das größte Fettnäpfchen traf Christine Lambrecht am Silvesterabend 2022/2023. Auf ihrem privaten Instagram-Account postete sie ein Video, bei dem sofort der Begriff „Fremdschämen“ die Runde machte. In dem wirren Video spricht Lambrecht vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und schwärmt im nächsten Moment von ihren Treffen mit „interessanten und tollen Menschen“. Teils übertönt der Lärm der Böller und Silvesterraketen in dem Berliner Viertel die Worte der Ministerin. Selbst Parteifreunde empfanden die Aufnahme als „peinlich und instinktlos“.

US-Generalleutnant a.D. Ben Hodges, der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Army in Europa (von November 2014 bis Dezember 2017), sagte dem Wochenmagazin stern jetzt nach dem angekündigten Lambrecht-Rücktritt: „Ich hoffe, dass ihr Nachfolger das nötige Format mitbringt, um Deutschland zu einer Führungsrolle innerhalb der NATO zu verhelfen.“

Besetzung des Wehrressorts durch Lambrecht eine „ glatte Fehlentscheidung“

Und wie reagierte die Presse auf die Personalie „Lambrecht“? Man kann von einem intensiven Medien-Echo sprechen. Ziemlich alle überregionalen und führenden regionalen Blätter kommentierten die Entwicklung einschließlich Rücktritt. Wir haben eine kleine Auswahl zusammengestellt …

So schrieb Michael Backfisch in der Berliner Morgenpost am gestrigen Sonntag (15. Januar): „Die Besetzung des Wehrressorts durch Christine Lambrecht erwies sich als glatte Fehlentscheidung. Als die Sozialdemokratin im Dezember 2021 ihre Arbeit begann, gab ihr der Kanzler Vorschusslorbeeren mit auf den Weg: Sie werde ,eine ganz, ganz besondere Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland sein‘, orakelte Olaf Scholz. Ein eklatanter Irrtum.“

Weiter kommentierte der Auslandschef der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe: „Lambrecht verfügte über kein Fachwissen, interessierte sich nie wirklich für die komplizierte Materie im Ressort. Man muss im Rückblick sagen: Sie ist nie in ihrem Amt angekommen.“ Es sei zwar richtig, dass die Verteidigungsminister der Union in 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel eine schwere Hypothek hinterlassen hätten, so Backfisch. Die Bundeswehr sei kaputtgespart worden, die Bürokratie habe überhand genommen, die Beschaffung von Waffen habe sich als Irrlauf im Bermuda-Dreieck erwiesen. „Aber es nützt nichts, jetzt nur mit dem Finger auf die Amtsvorgänger zu zeigen. Lambrecht hatte mit Blick auf den Ukrainekrieg keinen stringenten Kurs. Mal begründete sie die Zurückhaltung bei der Lieferung deutscher Waffen mit der notwendigen Geheimhaltung. Mal machte sie geltend, dass die klamme Bundeswehr kein Militärgerät abgeben könne.“

Der Kommentator der Berliner Morgenpost rief schließlich in Erinnerung: „Die Pleiten und Pannen, die Lambrechts Pfad im Bendlerblock säumten, sind nur Symptome für mangelnde Eignung im Militärbereich. Die angekündigte Verschickung von lediglich 5000 Schutzhelmen für die Ukraine kurz vor Beginn der russischen Invasion gehört ebenso dazu wie der Hubschrauberflug mit ihrem Sohn zum Truppenbesuch mit folgendem Sylt-Urlaub und das peinliche Video zu Silvester.“

Der Kanzler habe die Dinge schleifen lassen und Lambrechts Reputationsverlust sehenden Auges in Kauf genommen, kritisierte Backfisch. „Falsch verstandene Loyalität der Ministerin und Sturheit – Scholz reagiert allergisch auf Druck von außen – mögen dahintergestanden haben.“

Desorientierter Eindruck der Ministerin im ominösen Silvestervideo

Die ostdeutsche Zeitung nd.Der Tag merkte heute an: „Dass Christine Lambrecht die längste Zeit Verteidigungsministerin war, ist nun Tatsache. Tatsache ist ebenso, dass wir nicht nur eine Neubesetzung erleben, sondern eine Verschärfung der Aufrüstungsdebatte und der Militärpolitik. Lambrecht, die vielleicht wirklich nicht geeignet war für ihr Amt, die aber auch Ziel einer massiven Kampagne aus den Unionsparteien wurde, gibt mit ihrem Rücktritt nicht nur das Ministeramt frei. Was sich nun abspielt, ist weit mehr als eine Personaldebatte. […] Wir erleben eine Zeitenwende hoch zwei. Die Linke-Abgeordnete Gesine Lötzsch hat vorgeschlagen, das Verteidigungs- in Rüstungsministerium umzubenennen. Das wäre in der Tat passend.“

Raimund Neuß schrieb am Sonntag – noch vor der offiziellen Rücktrittsverkündung der Ministerin – in der Kölnischen Rundschau: „Nicht einmal ihr Rücktritt funktioniert. Christine Lambrecht ist als Verteidigungsministerin erkennbar überfordert und machte in ihrem ominösen Silvestervideo einen desorientierten Eindruck. Jetzt will sie wohl – endlich – gehen. […] Lambrecht hat viel falsch gemacht, aber noch mehr machen jene Politiker falsch, die sie aus Gründen der Parteitaktik und der Koalitionsarithmetik in ein Amt gedrängt haben, das sie nicht wollte.“

Schuldzuweisung an die Medien wird als „Unverschämtheit“ empfunden

In der Allgemeinen Zeitung Mainz kommentierte Christian Matz am heutigen Montag: „Wenn eine Ministerin nach monatelangen Vorwürfen die Konsequenzen zieht und von ihrem Posten zurücktritt, gebührt ihr zunächst einmal Respekt. Auch aus den Reihen derjenigen Medien, die sie zuvor heftig kritisiert haben. Und ja, Medien können in ihrer Kritik an Politikern tatsächlich auch mal überziehen und gnadenlos sein. Allerdings demonstriert Christine Lambrecht auch noch mit ihrer Rücktrittserklärung, warum sie in diesem so wichtigen Amt als Verteidigungsministerin von Anfang an eine Fehlbesetzung war. Und warum die Kritik an ihr persönlich auch in diesem Ausmaß gerechtfertigt war.“ Lambrecht sei eben nicht nur an der Aufgabe, ein offenbar kaum zu führendes, kaum zu reformierendes Ressort in schwierigen Zeiten zu leiten, sondern auch an sich selbst gescheitert, so Matz.

Weiter kritisierte der Journalist: „Kein Wort steht in ihrer Erklärung zu möglichen eigenen Fehlern und Versäumnissen. Stattdessen nennt sie als obersten und wichtigsten Grund die mediale Fokussierung auf ihre Person. Mit Verlaub – das ist eine Unverschämtheit. Mit ihrem demonstrativen Desinteresse am Amt zu Beginn – eigentlich wäre sie lieber Innenministerin geworden – und zahlreichen Politik- und PR-Pannen seither hat Lambrecht ,den Medien‘ gar keine andere Möglichkeit gelassen, als sehr kritisch über ihre Person zu berichten.“

Höhe- und Schlusspunkt all der Pannen sei Lambrechts peinliches Silvestervideo, erinnerte Matz. Es sei absolut unerklärlich, wie eine erfahrene Politikerin ein solches Video, in diesem Umfeld und mit diesem Text, nicht nur aufnehmen, sondern anschließend auch noch verbreiten könne. „Damit hat Christine Lambrecht sich, ihr Amt und auch das Land international blamiert. Dafür kann sie nicht den Medien die Schuld geben, sondern muss diese allein bei sich selbst suchen.“

Eine Amtsführung, die wenig Interesse für die Truppe erkennen ließ

Die Badische Zeitung befasst sich gleich zweimal mit dem Lambrecht-Rücktritt. Am Sonntag kommentierte Tobias Peter: „Die peinlichen Vorfälle, die sie sich geleistet hat – dass sie ihren erwachsenen Sohn im Helikopter mitnahm, als sie zum Truppenbesuch flog, oder das skurrile Silvestervideo – kann eine gute Ministerin politisch überleben. Doch zusammen mit einer Amtsführung, die wenig Interesse für die Truppe erkennen ließ, haben die Vorfälle ihre Autorität untergraben. Ohne Autorität ist aber die so wichtige Reform des Beschaffungswesens nicht denkbar. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr muss rasch gut investiert werden; Lambrecht ist dafür die Falsche.“

Heute warnte Thomas Fricker in der Badischen Zeitung: „Lambrechts Nachfolgerin (oder ihr Nachfolger) wird nur dann eine Erfolgschance haben, wenn Scholz dem neuen Mann oder der neuen Frau einerseits Beinfreiheit einräumt und andererseits selbst energischer als bisher vorangeht: Die Stärkung der Wehrhaftigkeit der Bundeswehr darf sich nicht in einer starken Rede erschöpfen. Nicht zuletzt im westlichen Bündnis wird eine aktive Rolle Deutschlands dringend erwartet.“

Offenbar nicht die richtige Person zur richtigen Zeit auf dem richtigen Posten

Abschließend noch einmal ein Blick in die Berliner Morgenpost. In seinem heute erschienenen Leitartikel meinte Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent in der Zentralredaktion von Funke: „Die Medien sind also schuld. Christine Lambrecht war nicht nur als Verteidigungsministerin schwach. Sie ist es noch im Abgang. Am heutigen Montagvormittag verschickte das Ministerium eine neunzeilige Erklärung der SPD-Politikerin, in der sie nun auch offiziell mitteilt, dass sie ihr Amt zur Verfügung stellt.“

Knuf beklagte in diesem Zusammenhang: „In der Mitteilung kein Wort der Selbstkritik. Kein Wort darüber, dass die Aufgabe, die Lambrecht vor einem Jahr übertragen wurde, für sie vielleicht ein paar Nummern zu groß gewesen sein könnte. Stattdessen Medienschelte: Es ist ein Karriereende zum Fremdschämen.“

Das Amt der Verteidigungsministerin oder des Verteidigungsministers gehöre zu den schwierigsten, die in der deutschen Politik zu vergeben seien, führte er danach aus. Dies sei bereits in Friedenszeiten so, und jetzt im Krieg allemal. Knuf erläuterte: „Russland versucht gerade, mit Gewalt die Staatsgrenzen in Europa zu seinen Gunsten zu verschieben. Die überfallene Ukraine ist auf Waffen, Ausrüstung und Geld aus dem Westen angewiesen. Die NATO-Staaten können sich in dieser Situation keine größeren Meinungsverschiedenheiten leisten. Nie war es seit dem Ende des Kalten Krieges so offenkundig wie heute, dass Deutschland starke Verbündete braucht und selbst stark sein muss. Nie ist der desolate Zustand der Bundeswehr deutlicher zutage getreten.“

Der Korrespondent schlussfolgerte: „Deutschland braucht gerade jetzt einen kundigen Verteidigungsminister. Und Deutschlands Verbündete brauchen gerade jetzt einen starken Ansprechpartner in Berlin. Christine Lambrecht ist nie mit dem Amt und der Truppe warm geworden. Geld ist jetzt genug da, die Modernisierung der Streitkräfte kommt gleichwohl kaum voran. In Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine stand sie eher auf der Bremse. In fachlichen Fragen war sie häufig nicht sattelfest. Lambrechts öffentlicher Auftritt war oft täppisch – wie zuletzt bei ihrer wirren Videobotschaft zum Jahreswechsel, als sie umrahmt von Böllern und Silvesterraketen über den Krieg in der Ukraine sprach. Es gäbe für die Sozialdemokratin wahrlich genug Gründe, einmal tief in sich hineinzuhorchen und sich zu fragen, ob sie die richtige Person zur richtigen Zeit auf dem richtigen Posten war. Selbst dazu scheint sie nicht in der Lage zu sein.“


Die Aufnahme zeigt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am 14. Dezember 2021 bei ihrem ersten Truppenbesuch nach Amtsübernahme. An diesem Dienstag war sie Gast des Logistikbataillons 172 im brandenburgischen Beelitz.
(Foto: Maximilian Schulz/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Ministerin Lambrecht am 16. Dezember 2021 in einem Airbus A400M des Lufttransportgeschwaders 62 auf dem Weg zum Truppenbesuch beim Taktischen Luftwaffengeschwader 73 „Steinhoff“ in Rostock-Laage.
(Foto: Jane Schmidt/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN