Hamburg/Straubing. Ivo Daalder, sicherheitspolitischer Berater der früheren US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama, äußert sich jetzt in einem Gespräch mit dem Wochenmagazin stern über Deutschlands Verteidigungsbereitschaft. Der amerikanische Sicherheitsexperte und ehemalige US-Botschafter in Brüssel bei der NATO vertritt die Ansicht, Deutschland müsse „weitaus mehr in seine Verteidigungsfähigkeit investieren, als bisher geplant“.
Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, mit dem die Regierung Scholz die Bundeswehr voranbringen will, sieht Daalder lediglich als „Anzahlung, um einige der ausgebliebenen Investitionen der vergangenen 20 Jahre aufzuholen“.
Die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik müssten dauerhaft auf zwei bis drei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung steigen, allerdings erkenne er bisher keine Bereitschaft dazu, so der Experte im stern.
Er kritisierte: „Die [von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 im Deutschen Bundestag] angekündigte ,Zeitenwende‘ ist noch nicht ausreichend vollzogen.“ Mehr als 40 Jahre lang hätten deutsche Bundeskanzler der Bevölkerung verkauft, dass man nicht ernsthaft in die Verteidigung investieren müsse. „Jetzt braucht es eine starke Führung, die sagt: ,Schluss damit‘“, so Daalder.
Ein meinungsstarker Kommentar zum Thema „Bundeswehr und Verteidigungsfähigkeit“ findet sich am heutigen Donnerstag (19. Januar) im Straubinger Tagblatt, das wir in der Vergangenheit im Zusammenhang mit den deutschen Streitkräften schon mehrfach zitiert haben.
Das Straubinger Tagblatt stellt eine interessante These auf und schreibt: „Es fehlt nicht an Geld, nein, des Pudels Kern ist woanders zu suchen. In der Bundeswehr-Bürokratie. Im gesamten starren und verknöcherten Apparat des Verwaltungs-, Beschaffungs- und Nachschubwesens, beginnend beim Wasserkopf des Ministeriums. In einem Kompetenzgewirr, das sich über Jahrzehnte aufgebaut hat und welches niemand mehr wirklich durchschaut. Solange dieses nicht entwirrt ist, werden weiterhin Milliarden in dem unüberschaubaren bürokratischen Sumpf versickern.“
Weiter heißt es in dem Kommentar: „Richtig müsste es also heißen: Die Bundeswehr ist ,kaputtgemanagt‘ worden – auch durch zweifelhafte Entscheidungen der politischen Führung, durch strategische Neuausrichtung mit Abkehr von der Verteidigungsbereitschaft, durch verpatzte Strukturreformen, durch Überbürokratisierung in allen Bereichen, die produktive Ansätze im Keim erstickt. Letztlich ein Missmanagement – politisch, administrativ, wodurch der Bundeswehr nicht nur die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung verlorenging, sondern auch Geld, das der Truppe für zeitgemäße Ausrüstung und moderne Bewaffnung fehlt.“
In der Tat, ein meinungsstarkes Stück …
Zu unserem Bildmaterial:
1. 22. Februar 2013 – der amerikanische NATO-Botschafter Ivo H. Daalder (rechts) nach einem Treffen mit Bündnispartnern in der Zentrale der Allianz in Brüssel. Neben ihm der damalige US-Verteidigungsminister Leon E. Panetta. Panetta war der 23. Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten und hatte das Amt im Zeitraum 1. Juli 2011 bis 27. Februar 2013 inne.
(Foto: Glenn Fawcett/U.S. Department of Defense)
2. Daalder ist seit Juli 2013 Vorsitzender des 1922 gegründeten Chicago Council on Global Affairs, einer – nach eigener Definition – „Denkfabrik für globale Angelegenheiten“. Das Bild zeigt Daalder im August 2019 bei einem Besuch des Stützpunktes Joint Base Pearl Harbor-Hickam. Er wurde bei dem Truppenbesuch von einer Delegation des Chicago Council begleitet.
(Foto: Daniel Hinton/U.S. Navy)
Kleines Beitragsbild: Daalder war von 2009 bis 2013 Ständiger Vertreter der USA beim Nordatlantikrat, dem wichtigsten Entscheidungsgremium der NATO. Die offizielle Aufnahme zeigt den früheren Botschafter im Mai 2009.
(Foto: U.S. Department of Defense)