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Frankfurt am Main/Berlin. Der gestrige Donnerstag (20. Mai) war für die Bundeswehr kein gewöhnlicher Tag – schier allgegenwärtig schien das Thema „Rechtsextreme in den eigenen Reihen“. Am Vormittag hat in Frankfurt am Main im Saal 165 C des Oberlandesgerichts vor dem 5. Strafsenat, dem Staatsschutzsenat, die Hauptverhandlung gegen den 32-jährigen Bundeswehr-Oberleutnant Franco A. begonnen. Ihm wird unter anderem die „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ zur Last gelegt. Die oberste Anklagebehörde will auch beweisen, dass der aus Offenbach stammende Offizier ein – so formuliert es der Journalist Martin Steinhagen in seinem Beitrag für DIE ZEIT – „bestens vernetzter rechtsextremer Täter“ ist. Am Nachmittag dann hat der Bundestag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur intensivierten erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen von Soldatinnen und Soldaten und zur Sicherheitsüberprüfung von Reservistinnen und Reservisten“ beschlossen. Die Wehrbeauftragte Eva Högl äußerte sich danach zur Reform der Sicherheitsüberprüfung und zum Dauerbrenner „Rechtsextremismus“. Über die „Verdachtsfälle im Bereich des Rechtsextremismus in den Streitkräften“ hat das Verteidigungsministerium erst vor Kurzem aktuelle Zahlen für das Jahr 2020 vorgelegt.

Das Strafverfahren „Franco A.“ ist ebenso einzigartig wie bizarr. Dass der Berufssoldat, der Anfang 2017 festgenommen worden war und damals für nationale und internationale Schlagzeilen sorgte, nun plötzlich auch ein Gesicht bekommen hat, gehört zu den Besonderheiten dieses Falles. Denn die Zahl derer, die an der realen Existenz von „Franco A.“ zu zweifeln begannen, hatte im Laufe der vergangenen vier Jahren zugenommen. Von „Franco A.“ gab es so gut wie kein zugängliches Bildmaterial. Auch sorgte die konsequente Namensschreibweise – dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschuldet – Anlass zu wachsender Spekulation.

Zu Prozessbeginn nun gab der Bundeswehroffizier – die langen braunen Haare im Nacken sorgsam zusammengebunden und in Zivilkleidung – Journalisten bereitwillig Auskunft. Bereits zuvor hatte der Angeklagte die Öffentlichkeit gesucht und erstmals überhaupt ein Fernsehinterview gegeben: dem Fernsehsender RT Deutsch, der bekanntermaßen von der russischen Regierung finanziert wird. Auch dies eine merkwürdige Facette der Geschichte um den „Hauptmann von Offenbach“, wie ZEIT-Autor Steinhagen seinen gestrigen Beitrag (in Anlehnung an den Hauptmann von Köpenick, den „Eulenspiegel des wilhelminischen Militärstaats“) überschreibt.

Verteidiger sieht seinen Mandanten als „Opfer einer Hetzkampagne“

Der Generalbundesanwalt wirft Franco A. die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz, das Sprengstoffgesetz sowie Diebstahl und Betrug vor. Einer seiner Verteidiger sieht ihn als „Opfer einer Hetzkampagne“. Dem Verfahren „gegen seinen Mandanten“ müsse bereits jetzt „die Rechtsstaatlichkeit abgesprochen werden“, behauptete der zweite Anwalt des Angeklagten.

Der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt vom gestrigen Donnerstag (20. Mai) ist die Anklage zusammengefasst zu entnehmen. Unter anderem heißt es dort: „Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einen Anschlag – möglicherweise auf den vormaligen Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz [Anm.: und heutigen Bundesaußenminister] Heiko Maas, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth oder eine Menschenrechtsaktivistin [Anm.: Anetta Kahane, Journalistin und Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin] – vorbereitet zu haben. Zu diesem Zweck soll er sich unter anderem eine Pistole verschafft haben, die er am 22. Januar 2017 in einer Toilettenanlage im Flughafen Wien-Schwechat versteckt haben soll. Zudem soll er Munition und Sprengkörper sowie Waffenzubehör aus Beständen der Bundeswehr an sich genommen und unerlaubt zwei weitere Gewehre sowie eine weitere Pistole besessen haben.“

Darüber hinaus wirft der Generalbundesanwalt dem Angeklagten vor, „sich eine Identität als syrischer Flüchtling verschafft zu haben, um bei den späteren Ermittlungen nach dem Täter den Verdacht auf in Deutschland erfasste Asylbewerber zu lenken“. In diesem Zusammenhang soll Franco A. „in betrügerischer Absicht als angeblicher Flüchtling Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch beantragt und erhalten haben“. Der Bundeswehr-Offizier, so die Anklage, habe im Dezember 2016 „als angeblicher Flüchtling aus Syrien“ das Asylverfahren durchlaufen und den subsidiären Schutzstatus erlangt.

Anklagepunkt „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“

Der Offenbacher war am 3. Februar 2017 bei dem Versuch, die Pistole aus dem Versteck im Flughafen Wien-Schwechat zu entnehmen, festgenommen und am 4. Februar 2017 wieder freigelassen worden. Nach einer erneuten Festnahme befand er sich schließlich vom 26. April 2017 bis zur Aufhebung des gegen ihn ergangenen Haftbefehls durch den Bundesgerichtshof am 29. November 2017 in Untersuchungshaft (siehe dazu auch unsere früheren Beiträge hier und hier).

Im Dezember 2017 hatte der Generalbundesanwalt „wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat im Sinne von § 89a StGB sowie Verstößen gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz, Diebstahl und Betrug“ Anklage zum Oberlandesgericht erhoben.

Mit Beschluss vom 7. Juni 2018 hatte der Staatsschutzsenat des OLG allerdings das Hauptverfahren nicht in Frankfurt am Main, sondern vor dem Landgericht Darmstadt eröffnet, weil es „an einem hinreichenden Verdacht für die Begehung der die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründenden Straftat der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ fehle, so die damalige richterliche Begründung.

Auf die gegen diesen Beschluss vom Generalbundesanwalt eingelegte sofortige Beschwerde hat der Bundesgerichtshof das Hauptverfahren mit Beschluss vom 22. August 2019 vor dem Oberlandesgericht eröffnet, sodass nunmehr die Hauptverhandlung vor dem Staatsschutzsenat durchzuführen ist. Der Senat ist mit fünf Richtern besetzt, der Angeklagte hat zwei Verteidiger aufgeboten, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof nimmt mit zwei Vertreter am Frankfurter Prozess gegen Franco A. teil. Wir werden das Verfahren verfolgen …

Schärfere Sicherheitsüberprüfung von Soldaten und Reservisten

Der Bundestag hat am gestrigen Donnerstag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur erweiterten Sicherheitsüberprüfung von Soldaten und Reservisten verabschiedet. Die Vorlage trägt den sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur intensivierten erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen von Soldatinnen und Soldaten und zur Sicherheitsüberprüfung von Reservistinnen und Reservisten“.

(Übrigens bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle: Fast zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland – 65 Prozent – lehnen einer aktuellen Umfrage von Infratest Dimap zufolge eine „gendersensible Sprache“ ab; 2020 lag die Ablehnung bei 56 Prozent. Wenn wir von Soldaten und Reservisten sprechen, so schließt dies auch Frauen mit ein!)

Aber zurück zum Gesetzesentwurf: Die Vorlage wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zugrunde.

Personen „mit fragwürdiger Einstellung“ von Waffen und Munition fernhalten

Laut Bundesregierung soll in das Soldatengesetz nun eine Regelung eingefügt werden, um „eine zeitlich und inhaltlich intensivierte Sicherheitsüberprüfung“ für die Aktiven der Bundeswehr, die „in Verwendungen mit besonders hohen Sicherheitsanforderungen“ eingesetzt sind, durchführen zu können.

Geplant ist außerdem, in das Reservistengesetz eine Rechtsgrundlage einzufügen, um für männliche und weibliche Reservisten, „die auf Grund einer Beorderung zu einer Dienstleistung bestimmt sind oder mit oder ohne Beorderung zu einer Dienstleistung herangezogen werden sollen“, eine einfache Sicherheitsüberprüfung nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz durchführen zu können. Die Anwendbarkeit der Regelung soll der Regierung zufolge auf jene Personen eingegrenzt werden, bei denen „ein tatsächlicher und zeitlich nicht nur geringfügiger Reservistendienst nach dem vierten Abschnitt des Soldatengesetzes in Betracht kommt“.

Falls Erkenntnisse vorliegen, die Verwendungen mit besonders hohen Sicherheitsanforderungen entgegenstehen (beispielsweise extremistische Tendenzen oder gar terroristische Aktivitäten), dann sollen künftig die zuständigen Stellen eine Ablösung des Verdächtigen veranlassen können. „Mögliche Erkenntnisse sollen früher gewonnen werden und es können Maßnahmen ergriffen werden, bevor ein Schaden für die Bundesrepublik Deutschland oder die Bevölkerung eintritt“, heißt es dazu im Gesetzentwurf.

Durch eine Überprüfung bereits vor Zugang zu einer besonderen Verwendung beziehungsweise Ausbildung könne von vornherein verhindert werden, dass eine abstrakte Gefahr entstehe. Die neuen Regelungen machten es nämlich möglich, die Ausbildung von Personen beispielsweise mit extremistischem oder terroristischem Potenzial vorbeugend zu unterbinden.

Für den Personenkreis der Reservisten argumentiert der Gesetzgeber in seiner Vorlage: „Die Sicherheitsüberprüfung für […] Reservisten, die auf Grund einer Beorderung zu einer Dienstleistung bestimmt sind oder mit oder ohne Beorderung zu einer Dienstleistung herangezogen werden sollen, ermöglicht es, den Zugang […] zu Waffen und Munition der Bundeswehr zu unterbinden, falls sicherheitserhebliche Erkenntnisse […] einer Waffenaus- und Weiterbildung entgegenstehen.“ Der Zugang von Personen „mit fragwürdiger Einstellung“ zu Kriegswaffen und Munition werde dadurch erschwert und gleichzeitig die Sicherheit für Staat und Bevölkerung erhöht, so die Bundesregierung.

Disziplinarrechtliche Verfahren viel schneller durchführen

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, bezeichnete die erweiterte Sicherheitsüberprüfung nach der Parlamentsdebatte als „einen Baustein von vielen, der zeigt, dass die Bundeswehr ihren Auftrag ernst nimmt, gegen Rechtsextremismus vorzugehen“. In einem Gespräch mit der Zentralredaktion der Madsack Mediengruppe, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), beklagte sie die lange Dauer der einzelnen Sicherheitsüberprüfungen. Högl ist der Meinung: „Auch die disziplinarrechtlichen Verfahren bei den Truppendienstgerichten und der Wehrdisziplinaranwaltschaft müssen viel schneller durchgeführt werden. Hier braucht es mehr Personal. Wir brauchen eine schnelle Aufklärung der Fälle, eine rasche Sanktionierung und die Verankerung der politischen Bildung im Alltag.“

Bereits bei der ersten Lesung ihres Jahresberichts 2020 im Parlament am Mittwoch (19. Mai) hatte die Wehrbeauftragte darauf hingewiesen, dass das Thema „Rechtsextremismus“ nach wie vor eine intensive Auseinandersetzung verlange. Gewaltige Anstrengung „im Bereich von Aufklärung, Sanktionierung, Reformierung und vor allem auch Prävention“ seien nötig, forderte Högl. „Das ist eine Daueraufgabe – nicht nur eine Aufgabe nach einzelnen Vorfällen.“

Fünf alte Bundesländer verzeichnen die meisten Verdachtsfälle

Aktuelles Zahlenmaterial zu der Thematik lieferte jetzt die Antwort auf eine Schriftliche Frage des FDP-Bundestagsabgeordneten Benjamin Strasser. Dieser wollte wissen, wie viele Verdachtsfälle im Bereich des Rechtsextremismus bei der Bundeswehr in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt festgestellt worden sind.

Thomas Silberhorn, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, antwortete dem Politiker. Er schrieb am 22. April: „Die Verdachtsfälle im Bereich des Rechtsextremismus in der Bundeswehr wurden letztmalig für den zweiten Bericht der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle des Verteidigungsministeriums statistisch ausgewertet und aufbereitet. Der Bericht berücksichtigt Daten bis zum Stichtag 31. Dezember 2020. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 477 Verdachtsfälle im Bereich des Rechtsextremismus beim Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst aufgenommen.“

Laut Silberhorn schlüsseln sich die Zeitpunkte der jeweiligen Aufnahmen der Verdachtsfallbearbeitung wie folgt auf:

Januar 2020: 19 Fälle
Februar 2020: 19 Fälle
März 2020: 27 Fälle
April 2020: 26 Fälle
Mai 2020: 14 Fälle
Juni 2020: 29 Fälle
Juli 2020: 66 Fälle
August 2020: 46 Fälle
September 2020: 55 Fälle
Oktober 2020: 36 Fälle
November 2020: 57 Fälle
Dezember 2020: 83 Fälle

Die fünf Bundesländer mit den zahlenmäßig meisten Verdachtsfällen im vergangenen Jahr (ohne diese Zahlen in Relation zum Umfang des dortigen Personalkörpers der Bundeswehr zu setzen) sind nach Auskunft des Staatssekretärs Niedersachsen (89 Fälle), Bayern (87 Fälle), Baden-Württemberg (43 Fälle), Nordrhein-Westfalen (38 Fälle) und Schleswig-Holstein (38 Fälle).


Zu unseren beiden Aufnahmen:
1. Symbolbild „Prozessakten“.
(Foto: OLG Frankfurt am Main)

2. Franco A. am 19. Mai 2021 im Interview mit RT Deutsch. RT Deutsch ist ein Fernsehsender mit Sitz in Berlin. Er ist Teil des globalen, mehrsprachigen RT-Netzwerks mit Zentrale in Moskau. Medienberichten zufolge wird RT Deutsch von der russischen Regierung finanziert.
(Videostandbild: Quelle RT Deutsch)

Kleines Beitragsbild: Eingangsbereich des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main.
(Foto: OLG Frankfurt am Main)


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