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Gießen/Iraklio (Kreta). Die Entlassung eines Bundeswehrsoldaten, der auf einem Felsplateau auf Kreta die griechische Flagge gegen die deutsche ausgetauscht hatte, ist rechtmäßig. Er habe das Ansehen der Bundeswehr verletzt, entschied das Verwaltungsgericht (VG) Gießen am vergangenen Mittwoch (21. Mai). Mit dem Urteil wies die 5. Kammer des Gerichts die Klage des Zeitsoldaten gegen seine fristlose Entlassung aus der Truppe ab.

Hintergrund der fristlosen Entlassung war nach Darlegung des VG Gießen ein Vorfall in der dienstfreien Zeit des Klägers während eines Einsatzes auf Kreta. Hierbei war es zur Inhaftierung und Verurteilung des Klägers durch die griechischen Behörden gekommen. Den Soldaten war vorgeworfen worden, dass er auf einem Felsplateau auf Kreta die griechische Flagge gegen eine mitgeführte deutsche Flagge ausgetauscht hätte.

Mit Bescheid vom 15. Juli 2019 entließ das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBw) den Kläger aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Das BAPersBw begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger „schwerwiegend und schuldhaft gegen seine Pflicht zum treuen Dienen und die Pflicht zum Wohlverhalten nach Maßgabe des Soldatengesetzes verstoßen“ habe.

Angeblich von den Kriegsereignissen auf der Insel nichts gewusst

Der Kläger selbst hatte seine Entlassung – dies geht aus der Presseerklärung des VG Gießen hervor –als „unverhältnismäßig“ empfunden. Er hatte bestritten, bei diesem Vorfall selbst aktiv geworden sei. Zudem gehöre ihm die gehisste Deutschlandflagge nicht, so seine Behauptung. Im Übrigen sei es gängig, dass am Berggipfel für Touristen ein Fahnenmast stehe, um nach einem anstrengenden Aufstieg einen Erfolg zu feiern. Das Hissen von Flaggen sei kein strafbares Verhalten, solange es sich nicht um verbotene Symbole handele, hatte er vorgebracht. Aufgrund seiner Unkenntnis über die historischen Ereignisse im Zusammenhang mit der Besetzung Kretas durch Deutschland während der NS-Zeit sei ihm die Dienstpflichtverletzung nicht vorwerfbar.

Das VG Gießen folgte dieser Argumentation des Klägers nicht. Das Hissen der weithin, bis an den Strand sichtbaren deutschen Fahne auf fremdem Staatsgebiet sei eine schwere und vorwerfbare Verletzung der Pflicht des Klägers, auch außerhalb der Kaserne und außerhalb des Dienstes das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordere, nicht ernsthaft zu beeinträchtigen.

Dem Ansehen der Bundeswehr auf Kreta und in der Region Schaden zugefügt

Das Verhalten des Klägers und seines Kameraden sei von den Anwohnern zu Recht als schwerer Affront aufgefasst worden und habe durch eine umfangreiche Medienberichterstattung das Ansehen der Bundeswehr schwer verletzt, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung weiter. Auf das Vorbringen des Klägers, nicht er, sondern sein Kamerad habe die Fahne gehisst und sie habe auch nicht ihm gehört, sei es nicht maßgeblich angekommen. Denn die Ermittlungen der Bundeswehr hätten eindeutig ergeben, dass der Kläger zumindest gemeinsam mit seinem Kameraden gehandelt habe, argumentierte das Verwaltungsgericht.

Das Verhalten des klagenden Zeitsoldaten ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht damit zu entschuldigen, dass er sich – wie er im Verfahren geltend gemacht hatte – nicht darüber bewusst gewesen sei, dass es während des Zweiten Weltkrieges bei der Besetzung Kretas durch deutsche Truppen zu hohen Verlusten in der griechischen Bevölkerung der Insel gekommen war.

Ungeachtet geschichtlicher Vorkenntnisse sei das Signal, dass durch Hissen einer deutschen Fahne durch einen Bundeswehrsoldaten an einen Fahnenmast auf fremdem Staatsgebiet ausgehe, geeignet, Herrschaftsansprüche zu demonstrieren. Dies lasse sich keinesfalls mit der Funktion der Bundeswehr in Einklang bringen. Der Vorfall unterscheide sich insoweit auch deutlich „vom Setzen eines Fähnchens nach der Erwanderung eines Berggipfels oder dem Bau einer Sandburg im Urlaub am Strand“. Ein Fahnenmast auf fremden Staatsgebiet sei für einen Soldaten „unter allen Umständen tabu für das eigenmächtige Aufziehen der deutschen Fahne“, erklärte das Verwaltungsgericht.

Verbleiben im Dienst würde militärische Ordnung gefährden

Nach Auffassung der Kammer sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung trotz des bis dahin beanstandungsfreien Verhaltens des Klägers gegeben. Sein Verbleiben im Dienst würde ansonsten die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr gefährden.

Das Urteil (Az.: 5 K 696/20.GI) ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe die Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragen.


Hintergrund                           

Man möchte es fast nicht wahrhaben, wie leichtfertig manche Zeitgenossen ihren bis dahin so geraden Lebensweg verlassen und ins Unglück stolpern. Vor einiger Zeit berichteten wir über einen Hauptfeldwebel, der im Suff zwei Kameradinnen vergewaltigt hatte und jetzt vor den Trümmern seiner Existent steht (siehe hier). Und nun: Ein Zeitsoldat lässt sich auf Kreta zu einer Riesendummheit hinreißen und wird deswegen von der Bundeswehr gefeuert. Das Verwaltungsgericht Gießen befasste sich inzwischen mit den absurden Verteidigungsargumenten des jungen Mannes, attestierte ihm unausgesprochen Blödheit und gab dem Dienstherrn vollumfänglich recht.

Es bleibt die Frage, warum ein Bundeswehrangehöriger auf einer mit schwerer Historie beladenen Insel Griechenlands angeblich nichts über die traumatische Vergangenheit der Bewohner weiß? Desinteresse? Mangelhafte Vorbildung? Fehlende Aufklärung durch den Dienstherrn? Geben wir dem Kameraden Nachhilfe …

In kaum einem Land außerhalb Osteuropas wüteten während des Zweiten Weltkriegs deutsche Einheiten und ihre Verbündeten so extrem wie in Griechenland. Auch die beiden Besatzernationen Italien und Bulgarien gingen schlimm gegen die griechische Bevölkerung vor, die Wehrmacht galt jedoch als besonders erbarmungslos. Äußerst brutal erwiesen sich in den Jahren 1941 bis 1945 im Rahmen der deutschen Besatzung auf Kreta auch deutsche Fallschirmjäger, die immer wieder an Zivilisten Verbrechen verübten.

Unmittelbar nach Kriegsende – vom 29. Juni bis zum 6. August 1945 – war auf Kreta eine Kommission unterwegs, die von der damaligen griechischen Regierung unter Pétros Voúlgaris beauftragt worden war, die Gräueltaten der deutschen und italienischen Besatzungsmacht auf der Insel zu dokumentieren. Die Kommission bestand aus dem griechischen Schriftsteller Níkos Kazantzákis, den Professoren Ioánnis Kakridís und Ioánnis Kalitsounákis sowie dem Fotografen Kóstas Koutoulákis (Anm.: Der 1957 in Freiburg im Breisgau verstorbene Kazantzákis war einer der bedeutendsten griechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts; sein bekanntester Roman „Alexis Sorbas“ wurde 1964 mit Anthony Quinn in der Hauptrolle verfilmt).

Der „Bericht der zentralen Kommission zur Feststellung der Gräueltaten auf Kreta“ blieb lange verschollen und wurde erst im Jahr 1983 von der kretischen Gemeinde Heráklion veröffentlicht. Im Ortsregister der Publikation sind 105 kretische Städte und Gemeinden aufgeführt, die Gräueltaten der deutschen Wehrmacht und der italienischen Besatzungsmacht (sie hatte im Verwaltungsbezirk Lasíthi das Sagen) über sich hatten ergehen lassen müssen.

Über den Ort Kefalovrisi erfuhr die Kommission um Kazantzákis beispielsweise: „Auch hier hatten die Einwohner vergeblich versucht, die Raserei der Deutschen zu besänftigen, indem sie ihnen entgegengingen, vorneweg der Ortsvorsteher, und Raki und Essen mitbrachten. Die Deutschen verhafteten alle Männer, die sich dort befanden, und nachdem sie Frauen und Kinder fortgejagt hatten, erschossen sie die Männer neben der Schule, 33 insgesamt, von denen 3 überlebten. Außerdem ermordeten sie den uralten Em. G. Kontákis in seinem Bett mit dem Bajonett. Der Pfarrer und Lehrer des Dorfes, M. Jialadákis, verlor an jenem Tag seinen Bruder, seinen Sohn, seinen Schwiegersohn und seinen Schwager. Die Deutschen plünderten das Dorf und zogen ab.“

Im Jahre 2017 – 72 Jahre nach seiner Entstehung – erschien eine deutsche Übersetzung, die nun von der Gesellschaft für Kretische Historische Studien (EKIM) als Band 8 der Reihe „Martyries“ (Zeugnisse) herausgegeben wird. Die Übersetzung stammt von Markus List. Erhältlich ist der Zeitzeugenbericht über den Museumsladen des Historischen Museums Kreta, das sich in der Inselhauptstadt Iraklio/Heráklion befindet (http://www.historical-museum.gr/store/). Die Publikation kostet 8 Euro. In die Suchmaske des Shops per Copy & Paste eingeben:
Έκθεσις της Κεντρικής Επιτροπής Διαπιστώσεως Ωμοτήτων εν Κρήτη
(ISBN 978-960-9480-39-0)


Unser Symbolbild zu diesem Beitrag zeigt eine griechische Flagge. Eine solche Flagge hatte der Zeitsoldat gemeinsam mit einem Kameraden während eines Einsatzes auf der Insel Kreta entfernt und dafür eine Deutschlandfahne hochgezogen. Die Bundeswehr nutzt seit 1968 auf Kreta die „NATO Missile Firing Installation“, kurz NAMFI. Das Areal befindet sich nahe der Küstenstadt Chania und der Souda Bay.
(Foto: nr)


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