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Berlin/Wiesbaden. Das Bundeskriminalamt (BKA) hält am 17. und 18. November im „RheinMain CongressCenter Wiesbaden“ seine diesjährige Herbsttagung ab. Das Thema der Veranstaltung: „Stabilität statt Spaltung: Was trägt und erträgt die Innere Sicherheit?“ Vor diesem Hintergrund hat sich auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler zu Wort gemeldet. In einem Interview mit dem Dokumentationskanal phoenix sagte Fiedler – Kriminalhauptkommissar und seit November 2018 Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter – Querdenker seien „Verschwörungsextremisten“ und längerfristiges Problem der Sicherheitsbehörden.

Fiedler sieht in der im Zuge der Coronavirus-Pandemie aufgekommenen sogenannten „Querdenker-Bewegung“ eine neue Form von Extremismus. Der SPD-Politiker führte dazu in seinem gestrigen Gespräch (17. November) mit phoenix aus: „Ich bin der Auffassung, dass wir es hier mit einem tatsächlich neuen und weiteren Extremismus zu tun haben, der natürlich Überschneidungspunkte zu den Rechtsextremen hat, aber es ist nicht identisch. Es ist inzwischen wirklich ein eigener Ideologiekern, der sich bei diesen Menschen herausgebildet hat, weil es bei den Mythen, die sie beschäftigen, nicht mehr nur um die Coronavirus-Pandemie geht, sondern beispielsweise auch um manipulierte Wahlen und andere Erzählungen. Deswegen glaube ich, das ist ein Punkt, der wird uns auch in der Zukunft noch beschäftigen, selbst, wenn die Pandemie schon vorbei ist.“

Fiedler ergänzte, das Thema werde „ein Schwerpunkt der Sicherheitsbehörden bleiben müssen, ob wir wollen oder nicht“. Den Begriff „Querdenker“ halte er für diese Extremistengruppe für nicht passend. „Ich tue mich schwer mit dem Begriff ,Querdenker‘, weil dieser eigentlich ein positiver Begriff sein sollte. Ich sage dazu ,Verschwörungsextremisten‘.“

In vielen Fragen der Sicherheitspolitik einfach „mehr Europa“ wagen

Mit Blick auf die BKA-Herbsttagung forderte Fiedler eine bessere Qualifikation der Menschen in den Sicherheitsbehörden. Ebenso sei es wichtig, die europäischen Sicherheitsbehörden weiterzuentwickeln und „mehr Europa“ in der Sicherheitspolitik zu wagen. Nur so könne man den großen Themen – wie etwa Wirtschafts- oder Umweltkriminalität – effektiv begegnen.

Auf die Frage nach den Kosten sagte der SPD-Innenexperte: „Es ist ein Irrglaube, dass eine bessere Qualifikation mehr Geld kostet. Das Gegenteil dürfte der Fall sein: Wenn wir die Leute besser qualifizieren, dann können wir im Bereich der Weiterbildung möglicherweise sparen.“ Außerdem müsse man dabei immer vor Augen haben: „Kriminalität kostet am Ende immer mehr als Kriminalitätsbekämpfung“.

Bund Deutscher Einsatzveteranen fürchtet Radikalisierung altgedienter Soldaten

Nach der Zahl der Angehörige der Sicherheitsorgane mit Verbindungen zu sogenannten Querdenkern, Corona-Leugnern und zur Reichsbürgerszene erkundigten sich am 24. September die Bundestagsabgeordneten der Linken Gökay Akbulut, André Hahn und Martina Renner.

In ihrer Vorbemerkung machten die Fragesteller unter anderem auf einen Beitrag des ARD-Politmagazin „Kontraste“ zum Thema „Querdenker im Kampfmodus“ aufmerksam. Gegenstand des Beitrages war das Engagement ehemaliger oder möglicherweise auch aktiver Angehöriger von Bundeswehr und Polizeien zur Unterstützung der Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie. Die Parlamentarier verwiesen in diesem Zusammenhang auch auf verschiedene Telegram-Kanäle – etwa auf die Kanäle „Soldaten & Reservisten“, „Veteranen Pool“ oder „Veteranen 5n12“.

Akbulut, Hahn und Renner erwähnt zudem, dass „Teile dieser und ähnlicher Gruppen offenbar auch [versucht haben sollen], anlässlich der Flutkatastrophe im Juli 2021 durch die Einrichtung eines „Familien-Zentrums“ in einer Schule der besonders schwer betroffenen Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler Fuß zu fassen. Dabei sollen Mitglieder dieser Gruppierung unter anderem gegen das Uniformtrageverbot verstoßen haben.

Die Fragesteller erinnerten in ihrer Vorbemerkung ebenfalls an eine Aussage des Vorsitzenden des Bundes Deutscher Einsatzveteranen, Bernhard Drescher. Dieser habe im Zusammenhang mit dem Abzug der deutschen und internationalen Truppen aus Afghanistan vor einer Radikalisierung altgedienter Soldaten gewarnt. Drescher zufolge würden sich diese Personen „in rechtsorientierten Gruppen wie ,Veteranen 5n12‘ oder ,Veteranen Pool‘ sammeln“.

Reichsbürger – derzeit 29 gerichtliche Disziplinarverfahren gegen Soldaten

Zwar ließ die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 21. Oktober „aus Gründen des Staatswohls“ ein Großteil der gestellten Fragen unbeantwortet (Erklärung: „Im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie hält die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann.“ Und: „Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Fragen aus Gründen des Staatswohls selbst in eingestufter Form nicht beantwortet werden können.“). Dennoch erfahren wir das ein oder andere interessante Detail.

Eines der Puzzle, auf das die Bundesregierung einen Blick gestattet, betrifft den Komplex „Querdenker-Szene und Corona-Leugner“. Die Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion wollten wissen: „Werden Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit Aktivitäten der Querdenken-, Corona-Leugner- beziehungsweise Reichsbürger-Szene gegen Angehörige der Bundeswehr geführt, und wenn ja, wie viele?“

Die Bundesregierung erklärte dazu: „Die Phänomenbereiche ,Querdenker-Szene‘ und ,Corona-Leugner‘ werden zusammengefasst unter dem Sammel-Beobachtungsobjekt ,Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates‘. Durch die Verfassungsschutzbehörden werden dabei nur die Mitglieder dieser Phänomenbereiche betrachtet, die als extremistisch eingestuft werden. Daher kann die Frage nur in Bezug auf diese Personen beantwortet werden. Eine gesonderte Statistik zu Disziplinarverfahren gegen diese Gruppierungen wird nicht geführt, so dass eine Beantwortung hierzu nicht erfolgen kann. Es werden derzeit 29 gerichtliche Disziplinarverfahren gegen [Bundeswehrangehörige] mit Bezug zum Reichsbürgertum geführt.“

Weiter teilte die Bundesregierung mit, dass momentan im Zusammenhang mit Aktivitäten des Phänomenbereiches „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ beziehungsweise der Reichsbürger-Szene ein Strafverfahren „gegen eine der Bundeswehr angehörende Person“ geführt wird.

Auch einige Reservisten aktiv in der Reichsbürgerszene unterwegs

Weiter erfahren wir, dass auch andere Staatsdiener Sorgen bereiten. Im Bundeskriminalamt werden derzeit zwar keine Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit Aktivitäten der Querdenken-, Corona-Leugner- beziehungsweise Reichsbürger-Szene geführt. Bei der Bundespolizei seien aber zwölf und beim Zoll fünf Disziplinarverfahren anhängig, so die Bundesregierung. Gegen Angehörige der Polizeibehörden des Bundes und der Zollbehörde gebe es zudem „eine geringe einstellige Zahl von Strafverfahren“, die im Zusammenhang mit Aktivitäten im Phänomenbereich „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ beziehungsweise der Reichsbürger-Szene stünden.

Weiter informierte die Bundesregierung in ihrer Antwort an die Linken darüber, dass „nach aktueller Kenntnis [im Augenblick] sechs Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit Aktivitäten der Reichsbürger-Szene gegen […] Reservisten geführt“ würden. Verfahren über eine Entlassung aus dem Reservewehrdienstverhältnis im Zusammenhang mit Aktivitäten im Phänomenbereich „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ beziehungsweise Reichsbürger-Szene würden derzeit gegen diese Statusgruppe nicht geführt, heißt es in der Regierungsantwort weiter.

Covid-Proteste weisen bereits zentrale Merkmale einer sozialen Bewegung auf

Woche für Woche gehen bundesweit Corona-Leugner (und ja: auch -Leugnerinnen) auf die Straße. Immer wieder tauchen dabei auch Vertreter der Querdenker-Szene auf. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Fabian Virchow und der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler haben im vergangenen Jahr Strukturen und verschwörungserzählende Positionen dieser Bewegung, insbesondere in Bezug auf ihre Berührungspunkte zum Rechtsextremismus, erforscht.

Dabei führte das Duo im Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2020 eine umfangreiche Datenerhebung durch, die es jetzt erlaubt, nicht nur den Umfang der Proteste in Nordrhein-Westfalen für das gesamte Bundesland und seine Regierungsbezirke in Grundzügen abzubilden, sondern auch das Protestgeschehen in der Landeshauptstadt Düsseldorf exemplarisch darzustellen.

Auf der Grundlage der erhobenen Daten stellen Virchow und Häusler in der Publikation „Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen“, die herausgegeben wird vom „Netzwerk zur Extremismusforschung“ in Nordrhein-Westfalen (Connecting Research on Extremism, kurz CoRE), unter anderem relevante Gruppen und Strukturen vor, die die Proteste organisieren beziehungsweise an ihrer Durchführung mitwirken. Untersucht werden auch Positionierung und Aktivitäten verschiedener Akteure der populistischen/extremen Rechten sowie die relevantesten Verschwörungserzählungen und Schlagworte, die im Rahmen des Protestgeschehens relevant gesetzt wurden. Das Kurzgutachten fragt schließlich nach, ob die extreme Rechte die von Gruppen wie „Querdenken“ durchgeführten Proteste zu instrumentalisieren sucht oder ob diese Aktivitäten sogar aus dieser Richtung initiiert und gesteuert werden. Hierzu stellen die Autoren dar, wie sich die verschiedenen Strömungen der extremen Rechten – etwa die NPD, Die Rechte, Der III. Weg aber auch AfD und oder Die Republikaner und Deutsche Mitte – gegenüber der COVID-19-Pandemie und den staatlicherseits zu deren Einhegung beschlossenen Maßnahmen positionieren.

In ihrem Fazit warnen die Autoren: „Die in dieser Untersuchung analysierten, seit dem Frühjahr 2020 stattfindenden Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Kontrolle der COVID-19-Pandemie weisen bereits zentrale Merkmale einer sozialen Bewegung aus. (…) Ob es ihr dabei gelingt, entlang akut auftretender Fragen und Entwicklungen weitere Anhängerschaft zu gewinnen, oder ob sich Teile weiter radikalisieren und dies die inneren Widersprüche in der Bewegung zuspitzen wird, lässt sich derzeit nicht prognostizieren.“

Wir bieten unseren Lesern das äußerst empfehlenswert Kurzgutachten von Virchow und Häusler in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing an. Sie können sich hier die einzelnen Kapitel gezielt ansehen, ein Download der Datei oder ein Ausdruck einzelner Seiten ist aber nicht möglich. Über die ESC-Taste in Yumpu kommen Sie hierhin zurück. Zur 48 Seiten starken Publikation „Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen“ geht es hier:

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Redaktioneller NACHBRENNER

„Mit seiner Herbsttagung zeigt das Bundeskriminalamt Flagge, dokumentiert den Stand der Kriminalität und den der Kriminalitätsbekämpfung. Das kann zur Gratwanderung werden. Gibt es keine Verbrechen mehr, kann man gerne auf das BKA verzichten.“ In seinem Kommentar am 18. November für die Allgemeine Zeitung Mainz befasst sich Christoph Cuntz mit der Veranstaltung der Berliner Sicherheitsbehörde in Wiesbaden.

Er schreibt weiter: „Wird indes die Darstellung der Kriminalität überzogen, wachsen Zweifel an deren Bekämpfung durch das BKA. Dessen Präsident Holger Münch hat deshalb darauf hingewiesen, dass Gangster, Gauner und Extremisten ihr Handwerk zwar immer besser verstehen. Dass aber Deutschland auch deshalb eines der sichersten Länder der Welt ist, weil das BKA permanent Kriminalitätsbekämpfung und Extremismusprävention optimiert.“

Dies sei die eine Botschaft der Herbsttagung, auf der Münch ein BKA präsentiert habe, das in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer größer geworden sei, so Cuntz. Die andere Botschaft dieser Tagung laute: Wo der überwiegende Teil der Verfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität Bezüge ins Ausland habe, führe kein Weg an noch mehr Kompetenzen für das BKA vorbei.

„Auch Terrorismus und Cyberkriminalität kennen keine Ländergrenzen“, meint der Politikredakteur. „Gerade Wirtschaftsunternehmen – wie jüngst Media Markt und Saturn – werden durch Schadsoftware erheblich gefährdet. Münch weiß sehr gut, dass im föderal strukturierten Deutschland die Eifersüchteleien der Länder geweckt werden, wenn eine Bundesbehörde mehr Zuständigkeiten fordert. Es sei ja ,genug für alle da‘, hat er auf der Herbsttagung gesagt. Und so versucht, Eifersucht gar nicht erst aufkommen zu lassen.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Der Aluhut, auf den zahlreiche Zeitgenossen zum Schutz vor „einflussnehmender Bestrahlung durch die Etablierten“ schwören, ist der 1927 veröffentlichten Kurzgeschichte „The Tissue-Culture King“ von Julian Huxley entsprungen. In dem Science-Fiction-Stück hat der Protagonist die Wahnidee, eine Kappe aus Metallfolie könne telepathische Einflüsse auf das Gehirn blockieren. Seit den frühen 1980er-Jahren ist im Englischen das Wort „tinfoil hat“ mit der Bedeutung einer solchen Kappe belegt (vorher existierte es bereits für eine Partykopfbedeckung für Kinder). Relativ bald erlangte „tinfoil hat“ dann die Bedeutung „paranoide Person, die eine solche Kappe trägt, um sich vor Telepathie und Strahlen zu schützen“. Das entsprechende deutsche Wort „Aluhut“ existiert mindestens seit dem Jahr 2000, als es der Theaterkritiker Andreas Schäfer in einem Zeitungsbeitrag verwandte. Als Synonym für Verschwörungstheoretiker wird es mindestens seit 2011 gebraucht. Das Wort wurde 2020 vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in eine Liste von Neologismen der 2010er-Jahre aufgenommen. Unser „Aluhut“-Bild entstand bei einer Demonstration von Corona-Leugnern, Querdenkern und Verschwörungsanhängern in Süddeutschland.
(Foto: nr)

2. Demonstration am 18. November 2020 in Berlin von rechten und verschwörungsideologischen Gruppen gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, in der diese ein „neues Ermächtigungsgesetz“ sehen. Die Demonstration im Bannkreis war verboten worden, der Protest davor wurde damals wegen „Verstoßes gegen die Infektionsschutzverordnung“ von den Ordnungskräften aufgelöst.
(Foto: Leonhard Lenz/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en)

3. Der SPD-Politiker und Sicherheitsexperte Sebastian Fiedler im September 2021 bei einer Wahlveranstaltung in Mülheim an der Ruhr.
(Foto: Kenny Colis/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 4.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

Kleines Beitragsbild: Bühne mit „Querdenker“-Banner in Frankfurt am Main. Hier fand im August 2020 eine Demonstration von Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen statt.
(Foto: photoheuristic/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY 2.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)


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