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Berlin. 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist ein militärischer Konflikt zwischen europäischen Staaten eher unwahrscheinlich. Gleichwohl spielt der „Verteidigungsfall“ in unserem Grundgesetz und auch in aktuellen Bundestagsbeschlüssen eine wichtige Rolle. Das Parlament hat nun am vergangenen Dienstag (26. Oktober) in seiner konstituierenden Sitzung die „Geschäftsordnung für Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes“ („Gesetzgebung des Bundes im Verteidigungsfall“) beschlossen. Über das Thema „Geschäftsordnung für den Verteidigungsfall“ und das nicht ganz einfache Prozedere berichtete ausführlich Volker Müller, Leiter der Redaktion „Online-Dienstes des Deutschen Bundestages“. Er erteilte uns freundlicherweise eine Nachdruckerlaubnis für seinen Beitrag. Übrigens: In der deutschen Medienberichterstattung findet sich so gut wie nichts über den aktuellen Parlamentsbeschluss zum Verteidigungsfall …

Die Geschäftsordnung stammt aus dem Jahre 1969 und bezieht sich auf den Grundgesetzartikel, der das Gesetzgebungsverfahren bei „dringlichen“ Gesetzesvorlagen beschreibt. Nun sind Gesetzesvorhaben in vielen Fällen dringlich, doch in diesem Fall ist die Dringlichkeit aufgrund des Verteidigungsfalls gemeint.

Bei einem militärischen Angriff auf die Bundesrepublik bietet das Grundgesetz ein – im Vergleich zu Friedenszeiten – vereinfachtes Verfahren für die Gesetzgebung an. Ob das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht, muss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich feststellen.

Gemeinsame Beratung von Bundestag und Bundesrat

Geschieht dies auf Antrag der Bundesregierung mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen oder mindestens der Mehrheit des Bundestages, muss der Verteidigungsfall vom Bundespräsidenten verkündet werden (Artikel 115a Absätze 1 und 3 des Grundgesetzes).

Gesetzesvorlagen, die die Bundesregierung dann als „dringlich“ einstuft, müssen Bundestag und Bundesrat gleichzeitig zugeleitet werden, und beide Kammern müssen diese Vorlagen „unverzüglich“ gemeinsam beraten. Ist für das Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, benötigt das Gesetz im Bundesrat eine Mehrheit.

Kein Vermittlungsverfahren bei „dringlichen“ Vorlagen im Verteidigungsfall

Im Normalfall werden Gesetzentwürfe der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zugeleitet (Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes). Sind sich Bundestag und Bundesrat nicht einig, besteht die Möglichkeit eines Vermittlungsverfahrens. Das ist bei „dringlichen“ Vorlagen im Verteidigungsfall nicht vorgesehen.

Weiter heißt es im Absatz 2 des Artikels 115d, der im Jahr 1968, also zur Zeit der ersten Großen Koalition, ins Grundgesetz aufgenommen wurde: „Das Nähere regelt eine Geschäftsordnung, die vom Bundestage beschlossen wird und der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“

Zusammenkunft innerhalb einer Frist von drei Tagen

Was als „dringlich“ gilt, bestimmt die Bundesregierung. Leitet diese Bundestag und Bundesrat gleichzeitig eine dringliche Gesetzesvorlage zu, so müssen die Präsidenten beide Häuser „unverzüglich“ zur gemeinsamen Sitzung einberufen und die von beiden Präsidenten gemeinsam aufgestellte Tagesordnung bekanntgeben.

Die Frist zwischen dem Versenden der Einladung und der gemeinsamen Beratung soll nur drei Tage betragen. Die Regierung kann aber verlangen, dass diese Frist verkürzt wird. Geleitet werden die gemeinsamen Beratungen vom Bundestagspräsidenten. Bei einer Abstimmung innerhalb des Bundesrates in der gemeinsamen Sitzung übernimmt der Bundesratspräsident den Vorsitz.

Gemeinsame Ausschussberatung von Bundestag und Bundesrat

Die Geschäftsordnung legt weiter fest, dass nur eine Beratung (statt üblicherweise drei Beratungen) stattfindet, die aber für Ausschussberatungen unterbrochen werden kann, wenn Bundestag oder Bundesrat dies beschließen.

Findet eine Ausschussberatung statt, dann sind nur ein Ausschuss des Bundestages und ein Ausschuss des Bundesrates daran beteiligt, die unter Leitung des Vorsitzenden des Bundestagsausschusses gemeinsam tagen. In der gemeinsamen Ausschusssitzung stimmen Abgeordnete und Bundesratsvertreter getrennt ab, wobei die Vertreter des Bundesrates nicht unbedingt Mitglieder des Bundesrates sein müssen.

Nach der Ausschussberatung folgt erneut eine gemeinsame Plenarsitzung

Stimmt der Bundesratsausschuss anders ab als der Bundestagsausschuss, gilt das Ländervotum als Änderungsantrag, über den abgestimmt wird, nachdem die gemeinsame Plenarsitzung im Anschluss an die Ausschussberatung wieder aufgenommen wurde.

Stellen mindestens 30 anwesende Abgeordnete einen Antrag auf Vertagung oder Schluss der Beratung, so darf darüber nur abgestimmt werden, wenn der Bundesrat nicht mit der Mehrheit seiner Stimmen widerspricht. Die Schlussabstimmung läuft so ab, dass zunächst der Bundestag, danach der Bundesrat sein Votum abgibt.

Zustimmung des Bundesrates mit einfacher Stimmenmehrheit

Für die Zustimmung des Bundesrates reicht die einfache Stimmenmehrheit in der Länderkammer, es sei denn, das Grundgesetz macht eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Lehnt der Bundesrat ein Gesetz ab, für das seine Zustimmung gar nicht erforderlich ist, wird die Beratung wieder eröffnet und der Bundestag kann das Gesetz mit Stimmenmehrheit bestätigen. In allen übrigen Verfahrensfragen gilt die „normale“ Geschäftsordnung des Bundestages weiter, bei Abstimmungen des Bundesrates und der Bundesratsvertreter in den Ausschüssen die Geschäftsordnung des Bundesrates.


Zu unserer Aufnahme:
Blick in den Plenarsaal während der konstituierenden Sitzung des 20. Deutschen Bundestages am 26. Oktober 2021.
(Foto: Henning Schacht/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: Eröffnung der konstituierende Sitzung am 26. Oktober 2021 durch Alterspräsident Wolfgang Schäuble.
(Foto: Janine Schmitz, photothek/Deutscher Bundestag)


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