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Eckernförde/Kiel. Das traditionsreiche Waffenunternehmen SIG Sauer wird wohl zum Jahresende in Eckernförde die Produktion einstellen und dort seine Pforten schließen. Dies meldete am heutigen Donnerstag (4. Juni) der Hörfunksender NDR 1 Welle Nord unter Berufung auf Tim Castagne, den Geschäftsführer des norddeutschen Waffenproduzenten. Castagne hatte heute auch bereits die Belegschaft und den Betriebsrat der SIG Sauer GmbH & Co. KG über die Entscheidung unterrichtet. Nach Informationen des NDR sind die Gesellschafter von SIG Sauer nicht mehr bereit, weiteres Geld in den finanziell angeschlagene Betrieb zu stecken. Rund 130 Mitarbeiter sind in Eckernförde von der Schließung betroffen. Ihnen soll laut Castagne gekündigt werden.

Im Hintergrundgespräch mit dem NDR nannte der Geschäftsführer, der nach eigenen Angaben seit November 2016 bei SIG Sauer in Eckernförde tätig ist, mehrere Gründe für die Standortschließung. Zum einen sei durch die immer stärkere Regulierung des Waffenmarktes in Deutschland der Absatz deutlich gesunken. Zum anderen lohne es sich finanziell nicht mehr, in Eckernförde Sport- und Dienstwaffen für die Polizei herzustellen. Bisher gehörte die Polizei in Berlin, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein zu den Kunden der norddeutschen Waffenschmiede.

Hinzu komme, so Castagne, dass Großaufträge – beispielsweise von der Bundeswehr – ausgeblieben seien. Der CEO erinnerte in diesem Zusammenhang an die Beteiligung seines Unternehmens im Jahr 2017 an der Ausschreibung zur Beschaffung des neuen Bundeswehr-Sturmgewehrs. Man habe sich damals aus dem Vergabeverfahren zurückgezogen, weil man „im Wettbewerb benachteiligt“ worden sei (der Bewerbungsvorschlag von SIG Sauer soll US-Technik enthalten haben, die allerdings bei der Ausschreibung von vornherein ausgeschlossen worden war – siehe dazu unseren Beitrag vom November 2017). Castagne machte abschließend gegenüber dem NDR deutlich, wie sehr die Corona-Krise den Betrieb in Eckernförde zusätzlich belastet habe.

Unternehmen zählt sich zu den Weltmarktführern der Branche

Die SIG Sauer GmbH & Co. KG ist eine Schwestergesellschaft der J. P. Sauer & Sohn GmbH, die auf die 1751 in Suhl gegründete Waffenmanufaktur Lorenz Sauer zurückgeht. In Eckernförde wurde im Jahr 1951 die J. P. Sauer & Sohn Aktiengesellschaft gegründet, die dann 2009 als neu aufgestellte J. P. Sauer & Sohn GmbH nach Isny im Allgäu umzog.

Der in Eckernförde verbliebene Betrieb (der sich einer Selbstdarstellung zufolge „hinsichtlich Qualität und Präzision zu den Weltmarktführern der Waffenbranche“ zählt) gehört seit 2000 der L&O Holding an, einer international tätige Industrieholding mit einer Vielzahl von Beteiligungen in verschiedenen Geschäftsfeldern (Sitz ist Emsdetten in Nordrhein-Westfalen). Eigentümer dieser Dachgesellschaft sind die beiden Geschäftspartner Michael Lüke und Thomas Ortmeier.

Zur L&O Holding gehören unter anderem – neben der SIG Sauer GmbH & Co.KG – auch die US-Schwester SIG Sauer Inc. in Newington (US-Bundesstaat New Hampshire) sowie die SAN Swiss Arms AG in Neuhausen (Schweiz), seit 2020 umbenannt in SIG Sauer AG. Der Namensbestandteil „SIG“ deutet auf die frühere Zugehörigkeit (1970er-Jahre bis ins Jahr 2000) zur „Schweizerischen Industrie-Gesellschaft“ hin.

Ministerium spricht von „bitterer Nachricht“ für Schleswig-Holstein

Für Thilo Rohlfs, FDP-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Schleswig-Holstein, ist die Nachricht aus Eckernförde „eine ganz bittere Nachricht für die Region, aber auch für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein insgesamt“. Erst im Februar hatte die amtliche Beschussstelle für Waffen und Böller unter dem Dach von SIG Sauer nach einer Modernisierung wieder ihren Betrieb aufnehmen können.

Das Land hatte rund 400.000 Euro für die Modernisierungsmaßnahmen ausgegeben, auch als ein klares Signal in Richtung SIG Sauer, so Rohlfs gegenüber dem NDR. Nun sei unklar, ob der Fortbestand der Einrichtung überhaupt noch Sinn mache.

Momentan prüft das Unternehmen nach Informationen des Senders, welche Aufträge noch abgearbeitet werden können. Dass der Betrieb auf jeden Fall bis Ende 2020 geschlossen werde, sei laut Castagne sicher. Das genaue Schließungsdatum stehe jedoch noch nicht fest. Mit dem Betriebsrat seien mittlerweile Verhandlungen über einen Sozialplan für die Beschäftigten aufgenommen worden.

Illegale Waffengeschäfte destabilisierten Sicherheitslage in Kolumbien zusätzlich

In den vergangenen Jahren war die Eckernförder Firma immer mal wieder in die Negativschlagzeilen geraten – der Vorwurf der illegalen Waffenlieferung nach Kolumbien hielt sich hartnäckig. Am 3. April 2019 schließlich wurden vom Kieler Landgericht drei Ex-Geschäftsführer der Firmengruppe SIG Sauer zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die drei Angeklagten mussten darüber hinaus Geldstrafen in einer Gesamthöhe von mehr als 1,2 Millionen Euro akzeptieren. Gegenüber den beteiligten SIG-Sauer-Firmen setzte die Kammer die Einziehung von etwa 11,1 Millionen Euro – Erträge aus dem illegalen Waffengeschäft – fest.

In der Urteilsbegründung hieß es: „Die Angeklagten wurden wegen Verstößen aus den Jahren 2009 bis 2011 gegen das Außenwirtschaftsgesetz verurteilt. Nach der Urteilsbegründung sollen sie Pistolen SP 2022 der Marke SIG Sauer über ihre Tochterfirma in den USA nach Kolumbien geliefert haben, ohne hierfür eine Genehmigung gehabt zu haben. Diese wäre mit Rücksicht auf die Menschenrechtsverletzungen und die besondere Sicherheitslage in Kolumbien auch nicht erteilt worden. Sie sollen gegenüber der zuständigen Behörde wahrheitswidrig angegeben haben, dass die Waffen in den USA verbleiben sollten. Mit dieser Ausfuhr gelangten mutmaßlich über 38.000 Pistolen illegal nach Kolumbien.“

Der Verurteilung der früheren Geschäftsführer waren äußerst aufwendige internationale Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel und des Zollfahndungsamtes Hamburg vorausgegangen. Ausgelöst worden war der Prozess unter anderem durch eine Strafanzeige der Sprecher der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, vertreten durch den Tübinger Anwalt Holger Rothbauer.

Der Staatsanwaltschaft Kiel zufolge sind diese Urteile vom April vergangenen Jahres inzwischen rechtskräftig. Zur Revision beim Bundesgerichtshof ist noch die Strafzahlung von 11,1 Millionen Euro anhängig.

Staatsanwaltschaft Kiel geht jetzt neuen Hinweisen aus Medienberichten nach

Doch noch ist unser Beitrag nicht zu Ende. Anfang Februar dieses Jahres wurde bekannt, dass die Kieler Staatsanwälte neuen Vorwürfen illegaler Rüstungsexporte gegen SIG Sauer nachgehen. Anlass seien Medienberichte, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem SPIEGEL sagte. Dieser beruft sich in seinem Beitrag „SIG Sauer soll Waffen illegal nach Mexiko verkauft haben“ vom 1. April in erster Linie auf Recherchen des Südwestrundfunks (SWR).

Der schwere Vorwurf an das Unternehmen in Eckernförde, der auf Grundlage der SWR-Erkenntnisse schließlich in der ARD-Doku „Tödliche Exporte: Rüstungsmanager vor Gericht“ erhoben wird: SIG Sauer USA soll neben Kolumbien auch Mexiko mit Waffen ohne Rüstungsexportgenehmigung der deutschen Regierung beliefert haben. Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Kiel dem SPIEGEL mitteilte, ist jetzt wohl auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn mit den alarmierenden Medienberichten befasst.


Die Aufnahme zeigt das Areal des Waffenproduzenten SIG Sauer GmbH & Co.KG in Eckernförde. Das Traditionsunternehmen stellt hier in der Hafenstadt seit 1951 Waffen her.
(Foto: SIG Sauer GmbH & Co.KG)


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