menu +

Nachrichten



Washington/Düsseldorf. Erst drohte er am gestrigen Montag (1. Juni) bei einer Pressekonferenz auf dem Rasen des Weißen Hauses mit dem Einsatz von Militär zu Beendigung der anhaltenden Proteste im ganzen Land. Danach machte er sich auf zu der nahegelegenen episkopalen Kirche St. John’s, um dort vor Medienvertretern einen bigotten Bibelauftritt zu inszenieren. US-Präsident Donald Trump lässt in diesen Tagen nach dem am 25. Mai durch Polizeigewalt ausgelösten Tod des Afroamerikaners George Floyd wahrlich keine Gelegenheit aus, um große Teile der amerikanischen Bevölkerung weiter zu erzürnen. Auch in anderen Ländern wachsen das Unverständnis über den und der Überdruss am „Führer der freien Welt“, der offenbar im Moment nur noch seine Wiederwahl im November im Sinn hat.

Trumps Justizminister William Barr soll vor dem Gang des Präsidenten zur Kirche den Sicherheitskräften den Befehl erteilt haben, friedliche Demonstranten im Washingtoner Lafayette Park nahe des Weißen Hauses zu entfernen. Bei der angeordneten Räumung wurden Reizgas und Gummigeschosse gegen Menschen eingesetzt, die an diesem Tag hier im Zentrum der Stadt von ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatten.

Die Bibel „als ein Aushängeschild im Wahlkampf“

Der Polizeieinsatz beim Weißen Haus hat in den USA viel Kritik ausgelöst. Trumps designierter Herausforderer bei der Novemberwahl, Joe Biden, reagierte empört darauf, dass Trump „für einen Fototermin“ Tränengas und Gummigeschosse auf Demonstranten habe feuern lassen.

US-Bischöfin Mariann Edgar Budde distanziert sich von dem Auftritt Trumps vor der Kirche. „Der Präsident benutzt ausgerechnet eine Bibel, den heiligsten Text der jüdisch-christlichen Tradition, und eine der Kirchen meiner Diözese ohne Erlaubnis als Hintergrund für eine Botschaft, die sich im Widerspruch zu den Lehren Jesu und allem befindet, wofür unsere Kirchen stehen“, sagte die Bischöfin der Episkopalkirche dem Sender CNN.

Der Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica, Pater Antonio Spadaro, zeigte sich empört über den Bibelauftritt Trumps vor St. John’s. „Wer die Bibel angesichts einer Tragödie für die eigene weltliche Macht benutzt, macht sie nichtig“, so Papstvertrauter Spadaro.

Katherine Stewart, Journalistin und Buchautorin, die sich viel mit der religiösen Rechten beschäftigt hat, sieht in der Geste Trumps mit der Bibel ein Zeichen, das sie an Victor Orbán in Ungarn oder an Recep Tayyip Erdogan in der Türkei erinnert. Autoritäre Führer liebten es, sich mit religiösen Symbolen zu umgeben. „Trump zitiert nichts aus der Bibel“, sagte Stewart der New York Times. „Er benutzt sie nur, als ein Aushängeschild im Wahlkampf.“

Markiert der skurrile Trump-Auftritt am Montag eine weitere Stufe auf der Abwärtsleiter des 45. Präsident der Vereinigten Staaten? Dazu Eva Quadbeck, Stellvertretende Chefredakteurin der Rheinischen Post und Leiterin des Parlamentsbüros der Zeitung in Berlin, in einem Kommentar.


Eva Quadbeck, Rheinische Post: Das Sprichwort, wonach Gott demjenigen, dem er ein Amt gebe, auch Verstand gebe, hat sich im Fall von Donald Trump nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Je mehr Verantwortung auf diesen US-Präsidenten zukommt, desto irrationaler handelt er. Nun scheint er mit seinem gefühllosen Vorgehen nach dem gewaltsamen Tod eines schwarzen Amerikaners an einem Wendepunkt seiner Präsidentschaft angekommen zu sein: Er verliert sein wichtigstes Argument – den Rückhalt in der Bevölkerung.

Auch international hat er Einfluss und Ansehen der Vereinigten Staaten verspielt. Russland macht in Europa und im Nahen Osten schon lange, was es will. China lauert nur darauf, die USA machtpolitisch und ökonomisch als führende Nation der Welt abzulösen. Und die von aufgeklärten Amerikanern als Anführerin der freien Welt gerühmte deutsche Kanzlerin geht auf maximale Distanz. Trumps Einladung zum G7-Gipfel folgt Angela Merkel nicht. Ihr Nein dürfte dem US-Präsidenten den Plan verhageln, inmitten der Corona-Krise, während innenpolitischer Auseinandersetzungen und im Jahr der US-Wahl ein Signal internationaler Stärke zu senden.

Trump kommt einem in diesen Tagen vor wie der Monarch aus dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ – in jenem Augenblick, in dem ein Kind ruft: „Der hat ja keine Kleider an“. Trump ist in der amerikanischen Öffentlichkeit demaskiert, nachdem er am vergangenen Freitag vor den Demonstranten in den Bunker im Weißen Haus fliehen musste. Dass er nun die Demonstranten vor seinem Amtssitz mit Tränengas auseinandertreiben ließ, um sich mit einer Bibel in der Hand vor der gegenüberliegenden Kirche fotografieren zu lassen, zeigt einmal mehr seine Entrückung von der Realität. Trump hat in den USA Hass gesät, nun erntet er Gewalt.


Randnotiz                                  

Die Rheinische Post wurde neun Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit Lizenz der britischen Militärregierung gegründet. Ihre Gründer waren der Zeitungsverleger Anton Betz, der Politiker Karl Arnold und der Jurist Erich Wenderoth, welche sich nach dem Zweiten Weltkrieg für einen politischen, wirtschaftlichen und moralischen Neubeginn einsetzten.

Die Zentralredaktion des Blattes befindet sich in Düsseldorf, wo Themen analysiert, bewertet und für die Print- und Onlineausgaben aufbereitet werden. Die Rheinische Post gilt als Autorenzeitung: 80 Prozent der Beiträge verfassen Journalisten des Hauses. Ein Parlamentsbüro in Berlin, die Zentralredaktion in Düsseldorf und Korrespondenten in Washington D.C., London, Brüssel, Paris und Moskau liefern ebenfalls Inhalte für die Zeitung.

Eva Quadbeck studierte nach dem Abitur 1989 in Düsseldorf Geschichte und Politik. In dieser Zeit arbeitete sie als freie Journalistin für die Rheinische Post und Radio RPR. Nach einem Volontariat bei der Zeitung war sie Redakteurin in verschiedenen Ressorts, unter anderem Regionales, Medien und Politische Nachrichten. Seit 2002 ist Quadbeck als Parlamentskorrespondentin in der Hauptstadt tätig, seit 2014 führt sie das Berliner Büro, seit 2019 ist sie Stellvertretende Chefredakteurin der Zeitung.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Symbolbild „Presselandschaft“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: Michael Gaida/freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich)

2. US-Präsident Donald Trump mit Bibel am 1. Juni 2020 vor der episkopalen Kirche St. John’s in Washington D.C., unweit des Weißen Hauses.
(Foto: Shealah Craighead/Official White House Photo/Wikipedia/Wikimedia Commons/
unter Lizenz Public Domain)

Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Zeitungen“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: kalhh/freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich; grafische Bearbeitung mediakompakt)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN