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Den Haag (Niederlande)/Berlin. Die europäische Polizeibehörde Europol warnt vor einer Radikalisierung von potenziellen Einzeltätern in Zeiten strenger Corona-Maßnahmen. Die Gefahr von terroristischen Anschlägen steige, heißt es im neuesten Terrorismusbericht von Europol. Der Bericht mit dem Originaltitel „EU Terrorism Situation and Trend Report 2020“ (TE-SAT 2020) wurde am Dienstag vergangener Woche (23. Juni) in Den Haag vorgestellt.

Die möglichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie könnten die Radikalisierung einzelner Personen befeuern, erklärte Europol-Chefin Catherine De Bolle im Vorwort des Berichts. „Aktivisten der links- wie auch rechtsextremistischen Szene sowie aus Kreisen des dschihadistischen Terrorismus versuchen, die Pandemie auszunutzen, um ihre Ziele weiter zu propagieren“, so die belgische Juristin.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr innerhalb der Europäischen Union bei 119 „vereitelten, gescheiterten oder ausgeführten“ Terroranschlägen zehn Menschen getötet und 27 verletzt. Alle Todesopfer und 26 Verletzte gingen dabei auf das Konto dschihadistischer Attacken, eine Person wurde durch einen rechtsextremistischen Angriff verletzt.

Das Bundeskriminalamt meldete für den Bericht „TE-SAT 2020“ zusätzlich zwei Terroranschläge: die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses im hessischen Wolfhagen-Istha sowie den Anschlag in Halle (Saale) auf eine Synagoge und später einen Imbiss mit zwei Toten und drei Verletzten.

Am 21. April 2019 kamen außerdem bei einer Serie von Bombenanschlägen in Sri Lanka 17 EU-Bürger ums Leben.

Weltweite Welle von rechtsextremistisch motivierter Gewalt

Wie „TE-SAT 2020“ weiter feststellt, ist die Zahl der Anschläge von Separatisten und nationalistischen Gruppen zurückgegangen. Europa erlebt jedoch die Auswirkungen einer weltweiten Welle von rechtsextremistisch motivierter Gewalt (siehe auch hier). Viele rechtsextremistische Gruppen in Europa seien zwar nicht gewalttätig, heißt es in dem Europol-Bericht. „Diese Gruppen tragen aber zu einem Klima der Angst und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten bei.“ Bei Einzelnen könne diese Entwicklung die Schwelle zur Gewalt senken, befürchtet die EU-Behörde. Auch bei Linksextremisten nehme die Gewaltbereitschaft zu.

Für das Jahr 2019 registrierte Europol 57 Anschläge von separatistischen und nationalistischen Gruppen. Es gab 26 linksextreme Anschläge. Rechtsextremisten verübten sechs Attacken in der EU. 21 Anschläge gingen auf das Konto von Dschihadisten. Neun Fälle konnten keiner Gruppierung zugeordnet werden.

Im Berichtszeitraum wurden 1004 Personen wegen eines Terrorverdachts verhaftet. Diese Fälle betrafen 19 EU-Länder – hauptsächlich Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien.

Deutschland weiterhin im Fokus des islamistischen Terrorismus

Mit dem Europol-Terrorismusbericht befasste sich vor Kurzem auch die Bundesregierung. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion vom 19. Mai heißt es: „Allgemein lässt sich konstatieren, dass die im Bericht [von Europol] dargestellten Entwicklungstendenzen seitens der zuständigen Behörden des Bundes ebenso gesehen werden. Die Anschläge/Anschlagsplanungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Deutschland weiterhin im Fokus des islamistischen Terrorismus steht. Auch die Gefahr rechtsterroristischer Anschläge ist nach wie vor hoch.“

Die von Europol getroffenen Feststellungen machten deutlich, dass terroristisch motivierte Gewalttaten – unabhängig vom Phänomenbereich – weiterhin „eine immanente Gefahr“ darstellten, der „mit einer soliden Sicherheitsstruktur“ begegnet werden müsse, so die Bundesregierung weiter. Zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität (dazu hier) erläuterte die Regierung: „[Dieser Gesetzentwurf] reagiert auf die – zumal im Phänomenbereich des Rechtsextremismus – massiv feststellbare Hasskriminalität im Netz, wobei tatbestandlich solche Hasskriminalität phänomenbereichsunabhängig erfasst wird, also gleichermaßen islamistisch oder linksextremistisch motivierte Taten, so dass insoweit kein komplementärer Handlungsbedarf mehr verbleibt.“

Organisiertes Verbrechen verursacht jährlich Schäden in Milliardenhöhe

Die EU geht davon aus, dass in Zeiten der Corona-Krise auch die Finanzkriminalität steigen wird. Dazu Europol-Direktorin Catherine De Bolle: „Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie haben unsere Wirtschaft geschwächt und für neue Anfälligkeiten gesorgt, die Kriminalität nach sich ziehen können.“

Um jetzt Delikte aus dem Bereich der Finanz- und Wirtschaftskriminalität besser verfolgen zu können, hat Europol am 5. Juni eine neue Institution eröffnet: das Europol Financial and Economic Crime Centre (EFECC). Mit dem neuen Zentrum soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden innerhalb und außerhalb Europas verstärkt und die Kooperation mit Banken und anderen privaten Einrichtungen erleichtert werden. Ziel ist die Eindämmung der jährlichen Milliardenschäden, die durch das Organisierte Verbrechen entstehen. Dem EFECC werden zunächst 65 Experten angehören.

Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, wies bei der Eröffnung des Zentrums in Den Haag darauf hin, dass das Organisierte Verbrechen der EU jährlich einen Schaden von mehr als 110 Milliarden Euro zufüge. Nur zwei Prozent davon hätten die Behörden in der Vergangenheit einfrieren und nur 1,1 Prozent konfiszieren können. Die frühere schwedische Arbeitsministerin sagte außerdem: „Das Zentrum wird dazu beitragen, die Finanzermittlungen in der gesamten Europäischen Union zu intensivieren. Finanz- und Wirtschaftskriminalität schadet uns allen und macht nicht an nationalen Grenzen halt. Und es ist oft eine Schlüsselaktivität der Organisierten Kriminalität, die wir aufdecken können, wenn wir dem Geld folgen. Mit unserem neuen Zentrum werden wir besser gerüstet sein, um Wirtschaftskriminalität gemeinsam zu bekämpfen.“


Zur Bildfolge unseres Beitrags:
1. Europol-Gebäudekomplex im niederländischen Den Haag. Die Behörde unterstützt die 27 EU-Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung schwerer Formen der internationalen Kriminalität und des Terrorismus. Dabei arbeitet sie auch mit zahlreichen Partnerländern außerhalb der EU und mit internationalen Organisationen zusammen.
(Foto: Europol)

2. Catherine De Bolle ist eine belgische Juristin, ehemalige Generalkommissarin der Nationalpolizei des Königreichs Belgien und seit Mai 2018 Direktorin des Europäischen Polizeiamtes Europol.
(Foto: Europol)

3. Das Hintergrundbild zeigt die Flagge der europäischen Polizeibehörde Europol. Einmontiert ist der Titel der aktuellen Publikation der Behörde über den Terrorismus in Europa für das Berichtsjahr 2019.
(Hintergrundfoto: Europol; Bildmontage mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Symbolfoto „Europol-Kräfte“.
(Foto: European Parliament/European Union 2016)


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