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Berlin/New York. Ob in Myanmar, Sierra Leone, Syrien oder Irak: zunehmend wird sexuelle Gewalt als Taktik in bewaffneten Konflikten eingesetzt. Deutschland hat deswegen den Schutz vor sexueller Gewalt in den Mittelpunkt seiner Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) gestellt. Nach langen Verhandlungen hat der Sicherheitsrat nun am gestrigen Dienstag (23. April) eine von der Bundesregierung eingebrachte Resolution zu sexueller Gewalt angenommen. In der VN-Resolution 2467 forderte das Gremium die Mitgliedstaaten auf, ihre Gesetzgebung zu solchen Gewaltakten zu stärken und die Verfolgung der Täter auszuweiten. Außenminister Heiko Maas nannte die Resolution einen „Meilenstein auf dem Weg zur Beendigung sexualisierter Gewalt“. Allerdings wurde der Text auf Druck der USA und anderer Staaten abgeschwächt.

Der Verabschiedung der Resolution waren schwierige Detailverhandlungen über einzelne Passagen vorangegangen. Auf Druck der USA, Chinas und Russlands wurden schließlich die ursprünglichen Forderungen nach einem festen internationalen Mechanismus zur Verfolgung sexualisierter Gewalttaten sowie nach Einsetzung einer formellen VN-Arbeitsgruppe zu dem Thema gestrichen.

Die Resolution 2467 wurde am Schluss vom Sicherheitsrat mit 13 der 15 Stimmen verabschiedet, auch die USA votierten dafür. China und Russland enthielten sich. Trotz des erheblichen Widerstands gegen die ursprüngliche Version würdigte Maas in einem Statement die „Entschlossenheit des Sicherheitsrats, die Verantwortlichen für sexuelle Gewalt zur Verantwortung zu ziehen, auch durch gezielte Sanktionen“. Der Bundesaußenminister weiter: „Wir stellen mit der Resolution die Opfer in den Mittelpunkt und rufen alle Staaten auf, diesen ein Leben in Würde zu ermöglichen.“

Eigene Themenschwerpunkte für die Sitzungen des Sicherheitsrates

Deutschland leitet seit dem 1. April zum ersten Mal seit fast sieben Jahren wieder für einen Monat den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der sich vor allem mit Krisenbewältigung und Friedenssicherung befasst. Außenminister Heiko Maas übernahm den Vorsitz in New York von seinem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian. Die beiden Länder hatten zuvor vereinbart, ihre aufeinanderfolgenden Leitungsperioden als gemeinsamen „Doppelvorsitz“ für zwei Monate zu verstehen. Deutschland gehört dem wichtigsten VN-Gremium seit Anfang 2019 für zwei Jahre an und ist eines von zehn wechselnden Mitgliedern. Frankreich zählt dagegen neben den USA, Russland, China und Großbritannien zu den fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht.

Deutschland leitet nun die Ratssitzungen bis Ende April und kann die Tagesordnung jenseits der aktuellen Krisen maßgeblich mitgestalten und eigene Themen setzen. Die Bundesregierung beabsichtigt, neben dem Thema „Sexuelle Gewalt gegen Frauen in Konflikten“ auch den Komplex der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu betonen.

Friedensnobelpreisträger fordern die Einrichtung spezieller Strafgerichte

An der Sitzung zur Verabschiedung der VN-Resolution 2467 nahmen auf Einladung von Maas unter anderem auch die beiden Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege und Nadia Murad teil. Der Arzt Mukwege betreute in den vergangenen Jahren rund 50.000 Vergewaltigungsopfer in einem von ihm gegründeten Krankenhaus in der Demokratischen Republik Kongo. Die aus dem Irak stammende Aktivistin Jesidin Murad, die den Friedensnobelpreis für ihr Engagement gegen sexuelle Gewalt als Waffe in Kriegen erhielt, war selbst einst von Milizionären der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verschleppt und missbraucht worden.

Murad und Mukwege fordern die Einrichtung spezieller nationaler oder internationaler Gerichte für Fälle von sexualisierter Gewalt. Die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney, die ebenfalls an der Ratssitzung teilnahm, appellierte in New York an die Weltgemeinschaft, sexuellen Missbrauch in Konflikten mithilfe eines internationalen Strafgerichts aufzuarbeiten.

NATO unterstützt weltweite Bemühungen zur Beendigung der Sexualgewalt

Clare Hutchinson, Sonderbeauftragte von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg für den Bereich „Frauen, Frieden und Sicherheit“, verlangte am Dienstag bei der Ratsdebatte eine stärkere Einbeziehung von Frauen bei der Lösung von Konflikten. Hutchinson erklärte: „Um sexuelle Gewalt wirksam bekämpfen zu können, müssen wir alle Hindernisse beseitigen, die einer uneingeschränkten Beteiligung von Frauen an friedens- und sicherheitspolitischen Prozessen entgegenstehen.“

Die NATO unterstütze die globalen Bemühungen zur Bekämpfung konfliktbezogener sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, so die Sonderbeauftragte in New York. „Unsere Missionen und Operationen arbeiten eng mit den lokalen Behörden und Gemeinschaften zusammen, um wirksame Präventionsstrategien zu entwickeln und nationale Verbrechensaufklärung und Täterverfolgung zu unterstützen.“

Hutchinson versicherte abschließend, dass die NATO noch mehr tun werde, um konfliktbezogene sexuelle Gewalt im Rahmen ihrer operativen Mandate zu sanktionieren. „Wo immer wir eingesetzt werden, wollen wir solche Rahmenbedingungen für Sicherheit schaffen, die es Frauen und Mädchen ermöglichen, frei von Missbrauch und Gewalt zu leben.“

In einem Leitartikel bewertete am heutigen Mittwoch Dirk Hautkapp, USA-Korrespondent der Funke-Mediengruppe, die Resolution 2467 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Sein Beitrag erschien unter anderem in der Berliner Morgenpost (zur Funke-Mediengruppe gehören insgesamt 14 deutsche Tageszeitungen).


Dirk Hautkapp, Berliner Morgenpost: Kleine Mädchen werden vergewaltigt, noch bevor ihre Körper Geschlechtsreife erlangt haben. Jungen werden mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, ihre Mütter und Schwestern zu missbrauchen. Frauen werden mit Flaschen, Holzstöcken und Messern vergewaltigt, um möglichst verheerende Verletzungen zu hinterlassen. Selbst Kleinstkinder werden aus ihren Familien gerissen und misshandelt.

Denis Mukwege hat über Jahre Tausende Frauen behandelt, die Opfer solcher Einsätze sexueller Gewalt als Kriegswaffe wurden. Am Dienstag saß der kongolesische Gynäkologe im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen in New York, dem Sicherheitsrat, um einmal mehr argumentativ den Boden dafür zu bereiten, dass die Völkergemeinschaft endlich mehr tut gegen das, was er „genitalen Terrorismus“ nennt. Gemeinsam mit der 2018 ebenfalls mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Jesidin Nadia Murad, die von IS-Dschihadisten missbraucht worden war, bildete Mukwege die Speerspitze eines Vorstoßes, mit dem Deutschland, das just den Vorsitz im Sicherheitsrat führt, einen konstruktiven Fußabdruck im VN-Geschehen hinterlassen will.

Eine neue Resolution sollte Tiefenschärfe in das bringen, was die Vereinten Nationen bereits vor mehr als zehn Jahren offiziell konstatierten: dass es sich bei Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt um „justiziable Kriegsverbrechen“ handelt. Die begangen werden vor allem, „um Frauen und Mädchen zu erniedrigen, verängstigen und dominieren, und sie aus ihrer familiären oder ethnischen Gemeinschaft zu verstoßen“, wie es in der damaligen Resolution 1820 heißt.

Seither hat die Zahl der Gräueltaten nicht abgenommen. Unaussprechliches aus dem Sudan, Jemen, Syrien oder zuletzt aus Myanmar, wo Frauen des verfolgten Rohingya-Volkes geschändet wurden, erinnert augenfällig an ältere Schreckenskapitel aus dem Bosnien-Krieg, wo muslimische Frauen die Kinder ihrer serbischen Vergewaltiger zur Welt brachten. Oder an Ruanda, wo Hutu-Krieger Frauen des Tutsi-Volkes mit HIV ansteckten.

Ernüchternde Gemeinsamkeit: Die Täter kamen und kommen meist ungeschoren davon. Obwohl die Traumatisierung und Stigmatisierung der Opfer das soziale Gefüge ganzer Gesellschaften auch dann noch schädigen, wenn die zugrundeliegenden Kriege längst Geschichte sind.

Den Vereinten Nationen wirksamere Werkzeuge an die Hand zu geben, um die weltweit verbreitete Straflosigkeit bei sexualisierter Gewalt im Zuge von Konflikten zu beenden, liegt also auf der Hand. Allein, die Realität sieht bitter aus. Mit Amerika, China und Russland haben drei Veto-Mächte im Sicherheitsrat klargemacht, dass der Kampf gegen sexuelle Kriegsgewalt für sie keine sicherheitspolitische Priorität genießt.

Eine der zentralen Forderungen der von Deutschland angeregten Resolution – die Einrichtung einer Beobachtungsstelle, die Übergriffe ermittelt und Täter identifiziert – wurde bereits vor der gestrigen Sitzung wegverhandelt. Die USA, im Zeitalter Donald Trumps ohnehin kein Freund der Vereinten Nationen mehr, drohten außerdem mit Ablehnung, wenn nicht eine Sprachregelung entfernt wird, wonach Vergewaltigungsopfer umfassende Gesundheitsversorgung beanspruchen dürfen. Logisch zu Ende gedacht: auch das Recht auf Abtreibung. Ein Thema, das die Regierung in Washington innen- wie außenpolitisch mit Rücksicht auf Trumps evangelikale Kern-Wählerschaft mit spitzen Fingern anfasst. Deutschlands Initiative, lobenswert und wichtig, war darum bereits vor dem Start zum Verwässern verurteilt.


Randnotiz                                  

Die Berliner Morgenpost ist eine deutsche regionale Tageszeitung im Großraum Berlin. Sie wurde 1898 gegründet und gehört seit 2014 zur Funke-Mediengruppe. Das Blatt erscheint täglich. Die verkaufte Auflage beträgt etwa 81.000 Exemplare, ein Minus von 55,1 Prozent seit 1998.
Dirk Hautkapp berichtet seit 2011 für die 14 deutschen Tageszeitungen der Funke-Mediengruppe aus „New York und Umgebung“. Der USA-Korrespondent begann seine journalistische Laufbahn Mitte der 1980er-Jahre als freier Mitarbeiter in der Lokalredaktion der Dortmunder Ruhr Nachrichten. Von dort wechselte er in den Lokalsport der Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung, Essen. Nächster Schritt war die Anstellung in der Politik-Redaktion des Blattes. In einem Interview mit Tina Bucek für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung im Jahr 2017 schilderte Hautkapp schließlich, wie er in die Vereinigten Staaten kam: „Es waren auch viele glückliche Zufälle, die meinen Weg geprägt haben. Die Stelle in Washington wurde ganz plötzlich und unerwartet frei. Ich hatte eigentlich andere Lebenspläne. Aber als ich gefragt wurde, war klar, dass ich das mache.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Tagung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen am 23. April 2019. An diesem Dienstag verabschiedete das Gremium eine von Deutschland eingebrachte Resolution, um sexuelle Gewalt in Konflikten zu bekämpfen und Opfer zu stärken.
(Foto: United Nations)

2. Bundesaußenminister Heiko Maas, der die Sitzung des Sicherheitsrates leitete. Deutschland hat noch den Vorsitz im Gremium bis Ende April 2019.
(Foto: United Nations)

3. An der Sitzung des Sicherheitsrates nahmen am 23. April 2019 auch die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney (links) und die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad (neben Clooney) teil. Auch Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege verfolgte die Abstimmung der Mitglieder des Sicherheitsrates um die neue Resolution.
(Foto: United Nations)

Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Zeitungen“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: kalhh/freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich; grafische Bearbeitung mediakompakt)


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