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Koblenz/Kongsberg (Norwegen)/Taufkirchen. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hat das norwegische Unternehmen Kongsberg Defence & Aerospace AS damit beauftragt, die Bundeswehr mit zehn Systemen zur Drohnenabwehr zu beliefern. Diese Drohnenabwehrsysteme – Counter-Unmanned Aerial Systems, C-UAS – basieren auf der fernbedienbaren Kongsberg-Waffenstation Protector Remote Weapon Station (RWS). Der Gesamtauftragswert beträgt rund 24,7 Millionen Euro. Kongsberg hat den Zuschlag für den Auftrag im Rahmen eines internationalen Ausschreibungsverfahrens erhalten.

Für das deutsche Projekt „Protector RWS C-UAS“ arbeitet Kongsberg eng mit dem Rüstungskonzern Hensoldt Holding GmbH zusammen. So soll in das künftige Drohnenabwehrsystem der Bundeswehr das SPEXER-Radar der dritten Generation von Hensoldt integriert werden, um unbemannte fliegende Objekt entdecken, erkennen und verfolgen zu können. Als sogenannten „kinetischen Effektor“ wird die Gesamtlösung eine 40mm Granatmaschinenwaffe nutzen, die auch Airburst-Munition verschießen kann.

Bei Airburst-Munition lässt sich der Detonationszeitpunkt der Geschosse programmieren. Dies geschieht beispielsweise nach dem Verlassen des Projektils aus dem Rohr der Waffe durch ein vom Feuerleitvisier übermitteltes Infrarotsignal. Die Wirkung der Geschosse wird dann in einer exakt ermittelten Distanz über ihrem Ziel erbracht.

Ist es tatsächlich der Beginn einer neuen Ära in der Luftfahrt?

Preiswerte Drohnen erleben derzeit einen regelrechten Boom. Durch ihre Aufklärungs- und Zuladungsfähigkeit – beispielsweise Explosivkörper – können sie aber auch zu einer Bedrohung für militärische und zivile Einrichtungen werden. Terroristen und Kriminelle, aber auch gedankenlose Hobbyflieger können mit Drohnen enorme Schäden anrichten.

Erinnern wir uns: Im Dezember 2018 musste der Londoner Gatwick Airport wegen eines Drohnen-Alarms vorübergehend seinen Betrieb einstellen. Rund 1000 Flüge fielen aus, 140.000 Passagiere waren betroffen. Der wirtschaftliche Schaden wurde schließlich auf 50 Millionen Britische Pfund geschätzt. In Deutschland verzeichnete die Deutsche Flugsicherung (DFS) im Jahr 2018 insgesamt 158 Zwischenfälle mit Drohnen an Flughäfen.

Thilo Koch, Leiter des Bereichs „Drohnenflugverkehr“ („UAS/UTM Development & Solutions“) der DFS, beschreibt die aktuelle Situation am Himmel als „Beginn einer neuen Ära in der Luftfahrt“. Er warnt: „Bemannte und unbemannte Flugobjekte werden sich künftig den Luftraum teilen, und wir müssen in der Flugsicherung schleunigst die technischen Voraussetzungen dafür schaffen.“ Jedes Flugzeug und jeder Helikopter im deutschen Luftraum sei der DFS mit Flugroute und Kennung bekannt, so Vogt. Anders die Drohnen: „Sie fliegen noch völlig unkoordiniert und haben keine individuelle Kennung. Und auch die Radarsysteme, mit denen die DFS arbeitet, sind blind für solch kleine unbemannte Flugobjekte.“ Der DFS-Experte fordert deshalb: „Wir benötigen völlig neue Verfahren und Regelungen. Eine Registrierung und elektronische Erkennbarkeit aller Drohnen ist überfällig. Auf EU-Ebene wird gleichzeitig an neuen gesetzlichen Vorgaben gearbeitet.“

Datenbanken, Luftlagedarstellung und Gegenmaßnahmen

Geforscht und getestet wird viel. Im Februar beispielsweise hatte die DFS gemeinsam mit der Wehrtechnischen Dienststelle für Luftfahrzeuge der Bundeswehr (WTD 61) und Rheinmetall in Manching erfolgreich Versuche zur Drohnenabwehr durchgeführt. Basis der Testreihe war die Luftlagedarstellung der Flugsicherung, die kooperative und nicht kooperative Drohnen identifizieren kann.

Ein anderes Beispiel ist das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT, das früher bereits im Rahmen eines vom Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien/ABC-Schutz (WIS) initiierten Forschungsvorhabens verschiedene Drohnen hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit gegen elektromagnetische Störsignale untersucht hatte. Es sollten so geeignete Ansätze für Gegenmaßnahmen auf Basis von Quellen starker elektromagnetischer Strahlung (High Power Electromagnetics, HPEM) gefunden werden.

Auch Kongsberg weist in seiner Presseerklärung zur Beauftragung durch das BAAINBw darauf hin, dass man sich lange schon mit der Bedrohung durch unbemannte Flugobjekte befasst habe, um geeignete technologische Lösungen zur Erkennung, Verfolgung und Bekämpfung dieser Systeme entwickeln zu können. Dabei habe man auch eng mit dem Norwegischen Verteidigungsforschungsinstitut (Norwegian Defence Research Establishment, FFI) zusammengearbeitet. Die Kombination des betriebserprobten Protector RWS mit fortschrittlichen Sensoren, Tracking-Algorithmen und schneller Zielbekämpfung biete nun eine innovative und kostengünstige Lösung, so Kongsberg.

Bundeswehr-Lösung integriert in den Radpanzer GTK Boxer

Die jetzt bei den Norwegern bestellten zehn Drohnenabwehrsysteme sollen zunächst im Jahr 2023 bei der NATO-Speerspitze, der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), zum Einsatz kommen. Träger der Bundeswehr-Lösung „Protector RWS“ soll Medienberichten zufolge der Radpanzer GTK Boxer sein.

In der Ausschreibung des BAAINBw hieß es, es gehe um „einen zeitlich begrenzten, operationell und technisch eingeschränkten Selbstschutz vor Bedrohungen durch Mini- und Micro-UAS (Unmanned Aerial Systems) im Nächstbereich“. Der Ausschreibung zufolge müssen die Drohnenabwehrsysteme innerhalb von 24 Monaten nach Auftragserteilung an die Bundeswehr ausgeliefert werden.

Dieser Selbstschutz, die Luftverteidigung im Nah- und Nächstbereich, ist Bestandteil der sogenannten „qualifizierten Fliegerabwehr“. In einem Interview mit dem Bonner Fachmagazin cpmFORUM im Sommer 2018 erläuterte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer, den Begriff näher. Die Mini- und Micro-Drohnen, die Landstreitkräfte bei ihren taktischen Aktivitäten unmittelbar bedrohten, erforderten neue Antworten, so Vollmer. Daher habe man ergänzend und integriert zum Luftwaffenprojekt „Luftverteidigungssystem für den Nah- und Nächstbereichsschutz“ (LVS NNbS) das Teilprojekt „qualifizierte Fliegerabwehr“ initiiert. Ziel sei es, mit diesem Projekt die Schließung der Fähigkeitslücke bei der Abwehr gegen Mini/Micro-UAS bereits bis zur Übernahme der Verantwortung für die VJTF Land 2023 durch Deutschland sicherzustellen.

Der Inspekteur führte gegenüber dem cpmFORUM weiter aus: „Die qualifizierte Fliegerabwehr ist die Weiterentwicklung der ,Jedermann-Aufgabe‘ Fliegerabwehr aller Truppen und verfügt über explizite Fähigkeiten zur Abwehr von Bedrohungen aus der Luft, im Schwerpunkt gegen UAS, mit dem Ziel der Selbstverteidigung und des Eigenschutzes. Sie dient damit dem unmittelbaren Schutz von Landstreitkräften und Schutzbefohlenen im Nah- und Nächstbereich, liegt unterhalb des von der spezifischen Flugabwehr gebildeten Schutzschirms und wird integraler Bestandteil aller Kampftruppenbataillone werden.“


Die Aufnahme zeigt eine Protector Remote Weapon Station, kurz Protector RWS. Wie Kongsberg mitteilte, ist Deutschland nun das 22. Land, das dieses Waffensystem nutzen wird.
(Bild: Kongsberg Defence & Aerospace AS)


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