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Berlin. Der „Bericht zur Materiallage der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ an das Parlament war in früheren Jahren quasi ein „offenes Buch“. Die Medien nutzen den zumeist „Nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierten Bilanzreport des Ministeriums für Beiträge, die unseren Streitkräften ungute Diagnosen stellten. Politik-Redakteur Lorenz Hemicker erinnerte daran vor Kurzem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „In den vergangenen Jahren hatten die dramatischen Zahlen aus den Berichten für etliche alarmierende Artikel über die geringe Einsatzbereitschaft der Bundeswehr geführt. So gaben sie Zeugnis davon, dass etwa zwischenzeitlich alle deutschen Uboote im Hafen lagen; dass von 244 Kampfpanzern Leopard 2 zuletzt nur 105 einsatzbereit waren und von 128 Eurofighter nur 39.“ Mit der öffentlichen Bestandsaufnahme ist jetzt Schluss! Am 11. März teilte Generalinspekteur Eberhard Zorn dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Wolfgang Hellmich mit, dass der Zustandsbericht ab sofort als „geheim“ eingestuft sei und von den Abgeordneten nur noch in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages eingesehen werden könne.

In einem Gespräch mit der Funke-Mediengruppe sagte Ausschussvorsitzender Hellmich (SPD) später, alle Mitglieder seines Gremiums seien über diese Entscheidung des Wehrressorts „verwundert“. Der Verteidigungsexperte der Grünen Tobias Lindner kritisierte: „Warum ein Bericht, der seit Jahren offen war, plötzlich geheim eingestuft wird, bleibt das Betriebsgeheimnis des Ministeriums.“ Die Einsatzbereitschaft sei anscheinend so schlecht, „dass es die Öffentlichkeit besser nicht erfahren sollte“. Matthias Höhn von den Linken sprach von einer „Verschleierungstaktik“, die „durchschaubar und dem Parlament nicht überzeugend zu vermitteln“ sei.

In dem Schreiben Zorns an Hellmich, das mittlerweile im Onlineauftritt des Verteidigungsministeriums zum Download eingestellt ist, wird die Einstufung des neuesten Jahresberichts ausführlich begründet.

Konkrete Rückschlüsse auf die aktuellen Fähigkeiten der Bundeswehr

So wird argumentiert, der Bericht für das Jahr 2018 sei im Vergleich zu den vergangenen vier Jahren „umfangreicher und detaillierter“. In der Gesamtschau lasse er so „konkrete Rückschlüsse auf die aktuellen Fähigkeiten der Bundeswehr“ zu. Eine Kenntnisnahme durch Unbefugte könne die deutschen Sicherheitsinteressen schädigen. Dies gelte „umso mehr vor dem Hintergrund einer verschärften sicherheitspolitischen Lage sowie dem deutschen Beitrag zur Sicherheitsvorsorge im Rahmen der Bündnisverteidigung“.

Mit dem neuen Verfahren werde zugleich „Transparenz und Aktualität“ erhöht, schreibt der Generalinspekteur weiter. „Denn von nun an wird der Bericht halbjährlich anstatt nur einmal im Jahr erscheinen – und an den Turnus des Rüstungsberichts gekoppelt.“

Auf den Vorteil einer halbjährlichen Veröffentlichung hatte auch ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber der Frankfurter Allgemeinen hingewiesen. Im eingangs schon erwähnten Hemicker-Beitrag heißt es zudem, „der Sprecher bestritt […], dass mit der Maßnahme versucht werden solle, negative Berichte über die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu unterbinden; es sei tatsächlich um die Detailliertheit des Berichts gegangen“. Warum keine „abgespeckte und öffentlich verwertbare Version des Berichts“ geplant sei, habe der Sprecher allerdings nicht beantworten können, so das Blatt.

Öffentliche Debatte um den Zustand der Streitkräfte wird erschwert

Am heutigen Dienstag (19. März) äußerten sich noch einmal die Obleute im Verteidigungsausschuss Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen), Alexander Müller (FDP) und Alexander Neu (Die Linke) in einer gemeinsamen Presseerklärung zum Thema „Geheimhaltung des Berichts über die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr-Hauptwaffensysteme“. Die drei Parlamentarier bezeichnen die getroffene Entscheidung des Verteidigungsministeriums als „unverständlich und inakzeptabel“.

Gleichsam verlangen sie nun eine praktikable Lösung, um „transparent mit dem Bericht umgehen“ zu können. Die Einstufung des mehr als 100 Seiten starken Reports als „geheim“ führe nicht nur zu erheblichen Problemen bei der Vorbereitung der Ausschusssitzung (die Abgeordneten dürfen das Dokument nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages lesen und müssen angefertigte Notizen dort hinterlassen). Auch „eine dringend notwendige öffentliche Debatte um den Zustand der Streitkräfte“ werde so unmöglich gemacht.

Lindner erinnert daran: „Im vergangenen Jahr waren die Daten und Fakten zur Einsatzbereitschaft öffentlich, und der neue Bericht unterscheidet sich in der Aufmachung und vom Umfang her überhaupt nicht vom Vorjahr. Der Grund für die Geheimhaltung scheint rein politisch zu sein, so können wir nicht arbeiten.“

FDP-Obmann Müller gibt zu bedenken: „Wenn wir über den Zustand des Materials nicht im Plenum oder im parlamentarischen Umfeld diskutieren dürfen, wenn wir die alten und neuen Zahlen nicht nebeneinander legen dürfen zum Vergleich, dann ist dies eine nicht akzeptable Einschränkung unserer Arbeit als Parlamentarier.“

Neu von den Linken fürchtet: „Die Transparenz-Offensive der Ministerin ist schlagartig beendet. Sie verschweigt nun alle Zahlen, um jegliche Debatten zu unterbinden und aus den Schlagzeilen zu kommen.“

Die drei Politiker weisen in ihrer Erklärung auch darauf hin, dass die für den morgigen Mittwoch (20. März) geplante Ausschussbefassung mit dem Bericht des Verteidigungsministeriums derzeit „wackelt“. Wörtlich heißt es in ihrer Pressemitteilung: „Wenn es bei vollständiger Geheimhaltung bleiben sollte, werden die drei Fraktionen eine erneute Verschiebung der Beratung im Verteidigungsausschuss beantragen.“


Unser Symbolbild zeigt den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, bei seinem Besuch am 6. Februar 2019 auf dem Truppenübungsplatz in Munster.
(Foto: Thomas Imo/photothek.net/Bundeswehr)


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