menu +

Nachrichten



Berlin. Wer einmal eine waschechte Zeitungsente live erleben wollte, der war am gestrigen Dienstagabend beispielsweise auf Twitter gut postiert: dort wurde in der Zeit zwischen 20:30 und 21 Uhr Gesundheitsminister Jens Spahn als Nachfolger von Ursula von der Leyen proklamiert. Von den Medien „unter Berufung auf Regierungskreise“ oder „unter Berufung auf Bundeswehrkreise“. Zunächst hatte die Rheinische Post berichtet, dass Spahn künftig die Truppe führen soll. BILD, Focus und n-tv meldeten danach ebenfalls die Berufung Spahns zum neuen Verteidigungsminister. Es dauerte gut eine Weile, bis die Ente entschwand …

Um 21:30 Uhr korrigierte dann die Deutsche Presse-Agentur (dpa), dass künftig CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer – und nicht Jens Spahn – das Wehrressort leiten wird. Wenige Minuten zuvor hatte Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios schon getwittert: „Eigene Quellen bestätigen uns, AKK wird Verteidigungsministerin! Nur warum, das fragen sie [die Quellen] sich noch. Das ist eine echte Überraschung!“

Der Tagesspiegel wird später gegen 23 Uhr in einem Onlinebeitrag von Georg Ismar andeuten, dass Spahn sich wohl sträubte, den Chefsessel im Bendlerblock zu übernehmen. Ismar, Leiter der Hauptstadtredaktion des Blattes, bewertete die Quellenlage und kam zu dem Schluss: „Damit hatte kaum jemand gerechnet: Weil Jens Spahn nicht will, muss die CDU-Chefin die Nachfolge Ursula von der Leyens im Verteidigungsministerium antreten.“

Offizielle Bestätigung von Regierungssprecher Steffen Seibert

Dass Annegret Kramp-Karrenbauer (Kürzel „AKK“) tatsächlich die neue Verteidigungsministerin werden wird, bestätigte schließlich Regierungssprecher Steffen Seibert gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Wie dpa kurz danach berichtete, war die Entscheidung „für viele Mitglieder des CDU-Präsidiums völlig überraschend“ gekommen. „In Präsidiumskreisen“ sei aber auch von einem „starken Signal von Kramp-Karrenbauer“ die Rede gewesen.

Noch am 3. Juli hatte die BILD-Zeitung die Christdemokratin während einer Israel-Reise gefragt, ob sie sich einen Wechsel ins Kabinett vorstellen könne. Die Antwort der früheren Ministerpräsidentin des Saarlandes fiel eindeutig aus: „Ich habe mich bewusst entschieden, aus einem Staatsamt in ein Parteiamt zu wechseln – es gibt in der CDU viel zu tun.“ Ähnlich ihre Antwort wenige Wochen zuvor im Mai, als auch die WELT AM SONNTAG einen Wechsel ins Kabinett thematisierte. Kramp-Karrenbauer versicherte auch bei dieser Gelegenheit energisch: „Ich habe schon letztes Jahr im Februar gesagt, ich will mich auf die Partei konzentrieren. Ich sehe keinen Anlass, warum ich von meiner Grundsatzentscheidung abweichen sollte.“

Ernennungsurkunde wird um 11 Uhr im Schloss Bellevue überreicht

Die Ernennung Kramp-Karrenbauers im Schloss Bellevue ist bereits für den heutigen Mittwoch (17. Juli) um 11 Uhr vorgesehen, dies hat mittlerweile das Bundespräsidialamt offiziell gemacht. Es ist zugleich der Tag, an dem die Bundeskanzlerin ihren 65. Geburtstag feiert.

Ursula von der Leyen, die am gestrigen Dienstag (16. Juli) in Strasbourg mit 383 Stimmen der 747 anwesenden Europaabgeordneten zur neuen Präsidentin der EU-Kommission gewählt wurde (siehe hier), wird heute offiziell vom Amt der Bundesministerin der Verteidigung zurücktreten.

Kanzlerin Angela Merkel hatte nach von der Leyens Rücktrittsankündigung bereits betont, dass dieses wichtige Regierungsamt nicht lange vakant bleiben dürfe. Sie hatte versichert: „Es wird eine rasche Neubesetzung geben. Der Verteidigungsminister oder die -ministerin sind Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Das kann man nicht lange offen lassen.“

Soziale Medien – kaum Verständnis für diese Personalentscheidung

Politische Stimmen aus Berlin oder anderen deutschen Polit-Zentren waren nach Bekanntwerden der Entscheidung eher verhalten. CSU-Vorsitzender Markus Söder begrüßte die überraschende Personalie „AKK“. „Das ist die stärkste Lösung. Das gibt der Regierung neue Kraft. Es ist richtig, als CDU-Vorsitzende in schwierigen Zeiten Verantwortung zu übernehmen“, so der Ministerpräsident des Freistaates Bayern.

Ansonsten in den sozialen Medien überwiegend Ablehnung. AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel gab ihre Meinung über eine Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf Twitter kund: „Kanzlerkandidatur adieu? Und die leidgeprüfte Truppe kommt vom Regen in die Traufe!“

Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, empörte sich: „Neeeeiiiiin! Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin? Könnte diese Bundesregierung […] endlich aufhören, immer die Unfähigsten als Minister*innen zu ernennen? […] Es wird immer schlimmer!“

Wer noch nicht wusste, was ein Shitstorm ist, der sollte jetzt einmal im Internet unterwegs sein. Die unerwartete Nominierung AKKs zur IBUG, der Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, überhitzt beispielsweise die Plattform Twitter komplett. Zu den freundlichen Wertungen zählen hier noch Begriffe wie „Affentheater“, „Realsatire“ oder „Lachnummer“. Die Entscheidung für Kramp-Karrenbauer als neue Verteidigungsministerin wertet die Mehrheit als „völlige Fehlbesetzung“. Von „Postengeschacher“ und „Bananenrepublik“ ist die Rede. Kritisiert wird die mangelhafte Fachkompetenz der Kandidatin. Mit ihrer Amtseinführung werde sicherlich der aufkommende Aufwärtstrend innerhalb der Streitkräfte abrupt gestoppt, so die Befürchtung.

Nicht im Geringsten an den Belangen der Bundeswehr interessiert?

Etwas weniger überschäumende (dennoch aber harte) Kritik kommt von Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Verteidigungsexpertin twitterte: „AKK macht sich vollends unglaubwürdig. Nachdem sie wochenlang einen Regierungseintritt ausgeschlossen hat, wird sie nun ausgerechnet Verteidigungsministerin. Wir können davon ausgehen, dass nach den Landtagswahlen im Herbst ihre Zeit bereits abgelaufen sein wird.“ Und weiter: „Kanzlerin und Union zeigen erneut, dass sie die Belange der Bundeswehr nicht im Geringsten interessieren. Sonst würden sie die gebeutelte Bundeswehr nicht für Personalspielchen missbrauchen.“

Auch BILD-Chefredakteur Julian Reichelt hat seine Sicht der Dinge. Er kommentiert die Personalentscheidung „AKK“ – spürbar verärgert – auf Twitter so: „Die Botschaft, die vom heutigen Abend ausgeht: In der Partei, die sich als Partei der Bundeswehr sieht, kann jeder jederzeit Verteidigungsminister/in werden, das Amt übernehmen, in dem es um das Leben von Menschen geht, selbst dann, wenn man ausgeschlossen hat, ein Ministeramt …“

„… zu übernehmen. Für jeden, der je Soldaten im Einsatz begleitet hat, ist klar: Bundeswehr, diese gigantische Verantwortung, kann nicht Zweit- oder Nebenjob sein, während man noch eine Partei führt. Wer von Soldaten verlangt, ihr Leben für unser Land einzusetzen und …“

„… Entscheidungen über Leben und Tod treffen muss, sollte sich ausschließlich auf die Menschen konzentrieren, die einem anvertraut sind. Sie haben 110 Prozent Aufmerksamkeit verdient.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Vorgängerin und Nachfolgerin im Amt der Bundesministerin der Verteidigung: Ursula von der Leyen (links) und Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Aufnahme entstand beim 30. Parteitag der CDU am 28. Februar 2018 in Berlin.
(Foto: Laurence Chaperon/CDU)

2. Sagte er in letzter Minute ab? Gesundheitsminister Jens Spahn – hier mit Kramp-Karrenbauer bei einer Parteiveranstaltung der Christdemokraten – galt am 16. Juli 2019 bis etwa 21 Uhr am Abend als der neue Verteidigungsminister. Erste Medien meldeten die Personalentscheidung bereits als fix. Doch dann kam alles ganz anders …
(Bild: nr)

Kleines Beitragsbild: CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer.
(Foto: Laurence Chaperon/CDU)


Kommentare

  1. Dr.-Ing. U. Hensgen | 17. Juli 2019 um 11:03 Uhr

    Ich möchte die Ernennung AKKs nicht bewerten. Dafür weiß ich zu wenig über sie und ihre Qualifikation für dieses Ministeramt. Mich würde nur einmal interessieren, ob die Politiker bei der Entscheidung auch an die Soldaten gedacht haben?

Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN