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Augsburg/Berlin. Seit der Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 durch den Deutschen Bundestag ist die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee. Eine Freiwilligenarmee, die nie genügend Personal hat. In ihrer gestrigen Samstagsausgabe (21. Juli) berichtete die Augsburger Allgemeine von einer Grundsatzüberlegung des Verteidigungsministeriums, die so neu allerdings nicht ist: es geht um die Aufnahme von Ausländern aus anderen Staaten der Europäischen Union in die deutschen Streitkräfte. Wie Bernhard Junginger, Hauptstadtkorrespondent der Zeitung in seinem Beitrag „Öffnet sich die Bundeswehr für Ausländer?“ schreibt, werde „im Berliner Bendlerblock offenbar sogar diskutiert, ausländischen Rekruten im Gegenzug zum Eintritt in die Truppe einen deutschen Pass anzubieten“. Staatsbürgerschaft gegen Risikobereitschaft, so könnte der angedachte Deal heißen, den Junginger im Ministerium ausgemacht haben will.

Eine Ministeriumssprecherin bestätigte die Gedankengänge der Planer gegenüber der Augsburger Allgemeinen. „Die Bundeswehr wird aufwachsen. Hierfür brauchen wir qualifiziertes Personal. Wir prüfen daher alle möglichen Optionen sorgfältig durch.“ Zu Einzelheiten wollte sich die Sprecherin mit Verweis auf den laufenden Prozess gegenüber dem Blatt nicht äußern.

Bisher durfte laut Soldatengesetz (§ 37 Abs. 1 Nr. 1) „in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten oder eines Soldaten auf Zeit der Bundeswehr grundsätzlich […] nur berufen werden, wer Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes ist.“ Jedoch konnte das Bundesministerium der Verteidigung auch schon in der Vergangenheit nach § 37 Abs. 2 Soldatengesetz in Einzelfällen Ausnahmen zulassen, wenn ein dienstlicher Grund dies zwingend erforderlich machte. Der besagte Absatz beschränkt sich dabei nicht nur auf Bürger mit Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaates.

So traf das Ministerium im Jahr 2014 die bisher einzige Ausnahmeentscheidung zur Rekrutierung eines Bürgers ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Bei dem Mann handelt es sich um einen promovierten Mediziner aus Rumänien, der als Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes der Bundeswehr eingestellt worden ist und dort bis heute Dienst leistet.

„Soldatische Identität hat eine enorme nationale Ausprägung“

Am 13. Juli 2016 hat die Bundesregierung ihr „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ veröffentlicht. Im Kapitel „Moderne, nachhaltige und demographiefeste Personalpolitik“ heißt es, dass „[…] die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU […] ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit der Bundeswehr [böte].“

Bereits dieser äußerst behutsam formulierte Hinweis auf eine Möglichkeit zur Einstellung von EU-Ausländern bei der Bundeswehr ist vor zwei Jahren heftig kontrovers diskutiert worden. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, beispielsweise bezeichnete damals den Vorstoß der Regierung als „ein gutes Signal“. Zwar dürfe man von der Idee nicht zu viel erwarten, so der SPD-Politiker gegenüber dem SPIEGEL. Aber es sei „durchaus vorstellbar, dass die Bundeswehr für manch jungen Europäer eine attraktive Perspektive“ sei – Voraussetzung sei „allerdings immer die Kenntnis der deutschen Sprache“.

Ganz anders der Deutsche Bundeswehr-Verband im Sommer 2016. Die deutsche Staatsangehörigkeit sei „für den Soldaten aufgrund der gesetzlichen Verankerung und als Grundlage für das gegenseitige Treueverhältnis von Staat und Soldat elementar“ und müsse dies auch bleiben, argumentierte der Vorsitzende der Interessenvereinigung, André Wüstner. Der Soldatenberuf sei kein Beruf wie jeder andere. Daher dürften der rechtliche Rahmen und die wertebezogene Führungsphilosophie niemals verwässert werden. Weiter sagte Wüstner: „Die Bereitschaft, im Zweifel für das zu sterben, was im Kopf und Herzen ist, kann nicht für eine Bereitschaft zu selbigem für jeden beliebigen Staat oder Arbeitgeber gelten. Gerade die soldatische Identität hat eine enorme nationale Ausprägung – trotz europäischen Wertesystems. Das muss der Politik immer wieder bewusst gemacht werden.“

Frühe Initiative von Verteidigungsminister zu Guttenberg

Es wurde mit dem Weißbuch von 2016 übrigens nicht der erste Versuch unternommen, laut und damit öffentlichkeitswirksam über eine Öffnung der deutschen Streitkräfte für EU-Ausländer nachzudenken. Anfang 2011 hatte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg so intensiv über diese Möglichkeit nachgedacht, dass Leitmedien wie DIE WELT bereits einen „historischen Wandel“ kommen sahen. Zu Guttenberg hatte ein 73-seitiges „Maßnahmepapier“ erstellen lassen, in dem sich unter anderem der Satz findet: „Bestehende Regelungen sind so zu erweitern, dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können.“ In ihrem „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“ rechtfertigten die damaligen Autoren die Planungen unter anderem mit bereits bestehenden Arbeitsmöglichkeiten für Ausländer in anderen Teilen des Öffentlichen Dienstes.

Beschränkung auf Bürger anderer Staaten der Europäischen Union

Zurück zum Beitrag der Augsburger Allgemeinen, der inzwischen ein deutliches Medienecho erzeugt hat. Wir konnten deshalb auch auf „Stimmenfang“ gehen.

Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, billigt nach eigenen Worten „Einzelfälle, in denen ein EU-Ausländer eine dringend benötigte Spezialfähigkeit in die Bundeswehr einbringen“ könne. Der Berliner Tagesspiegel zitiert den Unionspolitiker: „In den deutschen Streitkräften müssen in erster Linie Deutsche dienen.“

Der verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Florian Hahn, erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, er wisse ausschließlich von Überlegungen, die Bundeswehr für EU-Ausländer zu öffnen. Dem stehe er „durchaus offen“ gegenüber. „Im Rahmen der europäischen Freizügigkeit könnten hier moderne Modelle entwickelt werden“, meint der Unionspolitiker. Allerdings müsse bei jedem Soldaten das besondere Treueverhältnis gesichert sein.

Karl-Heinz Brunner, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Landesgruppe Bayern im Bundestag, sagte der Augsburger Allgemeinen: „Vor dem Hintergrund der drängenden Personalprobleme bei der Bundeswehr würde es mich nicht überraschen, wenn die Öffnung der Bundeswehr für Ausländer jetzt forciert würde.“ Allerdings sollte die Rekrutierung auf „Bürger anderer EU-Staaten“ beschränkt bleiben – quasi als „weiterer Schritt der europäischen Einheit“. Würden Bürger weiterer Staaten aufgenommen, gar gegen das Versprechen, einen deutschen Pass zu bekommen, drohe die Bundeswehr zu einer Art Söldnerarmee zu werden.

Ein anderer Verteidigungsexperte der Sozialdemokraten, Fritz Felgentreu, ist skeptisch. Er äußerte im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Ein stimmiges Konzept, für das es in Armee und Gesellschaft breite Zustimmung gibt, sehe ich in weiter Ferne.“ Felgentreu forderte zudem, eine Anwerbung von Ausländern dürfe „auf keinen Fall“ als Ersatz für die Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr herhalten.

Warnung vor „Söldnerarmee“ und Forderung nach Rückkehr zur Wehrpflicht

Der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen vertritt die Ansicht, dass bei der Personalwerbung der Bundeswehr auch neue Wege beschritten werden müssten. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte er: „Es wäre ziemlich antiquarisch, EU-Ausländer vom Dienst in der Bundeswehr auszuschließen, wenn gleichzeitig die Streitkräfte in Europa sich immer stärker verschränken. Bereits heute gibt es ja gemeinsame Verbände wie das I. Deutsch-Niederländische Korps in Münster, in denen Soldaten verschiedener Nationalität zusammen dienen.“ Natürlich seien Fragen wie die besondere Loyalität, die Soldaten zu ihrem Dienstherrn haben müssen, zu klären.

Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Linken, äußerte sich im ZDF. Die Überlegung, willigen ausländischen Rekruten etwa einen deutschen Pass anzubieten, sei „de facto ein Element einer Söldnerarmee“. Ein solches Vorgehen sei vergleichbar mit Praktiken der französischen Fremdenlegion oder der US-Armee. Pflüger: „Das ist nichts anderes, als ein Lockmittel – das halte ich für hochproblematisch.“

Schrille Töne schlägt die Afd an. Das ZDF zitierte Fraktionsvorsitzende Alice Weidel mit den Worten: „Die etablierte Politik hat jeglichen gesunden Menschenverstand verloren.“ Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Georg Pazderski beklagt in einem Pressestatement gar „einen Skandal erster Güte“. Es sei „ein weiteres Armutszeugnis von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen“, wenn man jetzt offenbar erwäge, Ausländer in der Bundeswehr einsetzen zu wollen. „Von Söldnern kann der Dienstherr keine Loyalität gegenüber Deutschland verlangen“, warnte Pazderski. Die AfD fordert eine Rücknahme der Aussetzung der Wehrpflicht.

Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages

Dass es nicht unüblich ist, die eigenen Streitkräfte auch für ausländische Bewerber zu öffnen, dokumentiert eine Untersuchung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Unter dem Titel „Zur Möglichkeit eines Militärdienstes von Ausländern in den Streitkräften ausgewählter Staaten“ (veröffentlicht am 13. Oktober 2016) hat der Dienst unter anderem herausgearbeitet, dass innerhalb von 26 untersuchten Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Anm.: zu Bulgarien und Malta lagen keine Informationen vor) EU-Bürger in den Streitkräften von acht EU-Ländern die Möglichkeit haben, als Berufs- oder Zeitsoldat zu dienen.

Dies sind Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg und Zypern (siehe dazu unsere Infografik). Deutschland erlaubt dies ebenfalls auf der Rechtsgrundlage des Soldatengesetzes § 37 Absatz 2.

Eingeschränkt wird diese Möglichkeit allerdings dadurch, dass einigen Staaten nur EU-Bürger aus bestimmten Ländern für den Militärdienst zulassen (so in Großbritannien nur Bewerber aus Irland, Malta und Zypern), nur bestimmte wenige Dienstposten zugänglich sind (Frankreich), höhere Ränge nicht erreicht werden können (Dänemark) oder bestimmte Bedingungen an die Abstammung des Bewerbers gestellt werden (Zypern).

Sitzung des Personalboards offenbar überraschend verschoben

Wenden wir uns abschließend noch einmal der Bundeswehr zu. Laut ministeriellen Planungen soll die Truppenstärke bis zum Jahr 2024 um rund 12.000 Zeit- und Berufssoldaten, etwa 1000 Reservistendienst Leistende sowie rund 5000 Zivilbedienstete zunehmen. Angestrebt wird eine Personalstärke von insgesamt rund 198.000 Soldaten und 61.400 Haushaltsstellen für Kräfte im zivilen Bereich.

Laut einer Meldung des Magazins SPIEGEL (Ausgabe vom 21. Juli) wurde jetzt die Entscheidung für die deutliche Personalaufstockung der Bundeswehr auf 198.000 Mann verschoben. Die Entscheidung hätte das sogenannte Personalboard, das aus Verteidigungsministerin von der Leyen und den wichtigsten Entscheidern ihres Ressorts besteht, Anfang des Monats verkünden sollen. Die Sitzung soll jedoch spontan verschoben worden sein.

Hintergrund für die Verschiebung sind nach SPIEGEL-Informationen Berechnungen von Finanzexperten aus dem Ministerium. Diese warnen in einer vertraulichen Vorlage, dass die zusätzlichen Personalkosten von knapp einer Milliarde Euro ab 2024 angesichts der unklaren Entwicklung des Wehretats Spielraum für Rüstungsbeschaffungen kosten würden. Das Ministerium bestätigte die Verschiebung gegenüber dem Magazin. Grundsätzlich wolle man aber am Ziel einer Aufstockung festhalten, wenn dies finanziell möglich sei, zitiert der SPIEGEL.


Unsere Infografik zeigt, in welchen Mitgliedstaaten der Europäischen Union „EU-Ausländer“ Militärdienst leisten können und in welchen nicht. Das Hintergrundfoto mit der großen EU-Flagge wurde am 17. Mai 2010 zu Beginn einer Parlamentssitzung im französischen Strasbourg aufgenommen.
(Foto: Pietro Naj-Oleari/Europäisches Parlament;
Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 07.18)

Kleines Beitragsbild: Das Symbolfoto „Formation“ entstand am 20. Juli 2018 beim Feierlichen Gelöbnis auf dem Paradeplatz des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin. Das Gelöbnis fand statt im Rahmen des 74. Jahrestages des gescheiterten Attentats auf Hitler (20. Juli 1944). Vertreter aus Politik und Gesellschaft hatten sich an diesem Freitag zunächst im Ehrenhof des Bendlerblocks zu einer Gedenkveranstaltung, bei der an den Widerstand gegen das NS-Regime erinnert wurde, versammelt. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hatte ein Grußwort gesprochen, Außenminister Heiko Maas danach eine Ansprache gehalten. Die Rekruten der Bundeswehr legten ihr Gelöbnis am späten Freitagnachmittag ab.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


Kommentare

  1. Dr.-Ing. U. Hensgen | 25. Juli 2018 um 12:37 Uhr

    Wiedereinführung der Wehrpflicht? Ja!!! Die Wehrpflicht hat immer zur Harmonisierung unserer Gesellschaft beigetragen. Um aber dem Geschrei etwa über Wehrgerechtigkeit gleich entgegenzuwirken, sollten ausnahmslos allen jungen Deutschen zu mindestens zwölf Monaten Dienst an der Allgemeinheit verpflichtet werden.
    Ob der junge Mensch dann zur Bundeswehr geht, wenn er die Musterung besteht und genommen wird, oder vollzeitlich im Pflegedienst, im Krankenhaus oder im Kindergarten aushilft, mag dann – möglichst unter Berücksichtigung seiner Neigungen und Fähigkeiten – entschieden werden.
    Selbstverständlich muss der Staat auch jedem eine Beschäftigung anbieten, was ja beispielsweise bei dem sich verstärkenden Pflegenotstand sicherlich möglich sein sollte. Mit etwas Fantasie sollte sich für jeden etwas finden lassen. Der Nutzen würde den Aufwand sicher überwiegen.

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