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Berlin. Die Bundeswehr hat einem Bericht der Welt am Sonntag zufolge Probleme bei der Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs als Nachfolger ihres Standardmodells G36. Das G36 soll wegen vermeintlicher Mängel ausgemustert werden. Im Gegenzug sollen für rund 250 Millionen Euro 120.000 neue Sturmgewehre – Fabrikat und Typ noch unbekannt – beschafft werden. Die Alternativen zum umstrittenen G36 des Oberndorfer Herstellers Heckler & Koch schwächeln jedoch. Bei ersten Tests habe keines der von verschiedenen Herstellern angebotenen Sturmgewehre die gesetzten Anforderungen des Kunden erfüllt, schreibt Thorsten Jungholt in der Welt am Sonntag. Er beruft sich dabei auf ein vertrauliches Schreiben des Koblenzer Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), welches seiner Redaktion vorliege.

Das Sturmgewehr G36 gehört seit 1996 zur Standardausrüstung jedes Bundeswehrsoldaten; seine Nutzungsdauer wurde auf 20 Jahre angesetzt. Auch der Verfasser dieser Zeilen hatte 2002 in Vorbereitung auf seinen dreimonatigen Auslandseinsatz in Mazedonien Gelegenheit, die Waffe intensiv kennenzulernen. Über mangelnde Treffgenauigkeit des G36 konnte er sich keinesfalls beklagen (im Gegenteil – die guten Schießergebnisse waren dem Reservisten damals selbst nicht ganz geheuer).

Das Verteidigungsministerium jedoch zeigte sich 2013 nach dem Kauf von weiteren 3845 Exemplaren des G36 unzufrieden mit der Waffe, die bei der Bundeswehr in unterschiedlichen Ausführungen eingesetzt wird. In jenem Jahr mehrten sich Hinweise, dass das Gewehr bei Dauerfeuer „heiß läuft und die Schusspräzision leidet“. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen veranlasste daraufhin umfangreiche Untersuchungen zur Treffergenauigkeit des Sturmgewehrs. Diese wiesen bei hohen Temperaturschwankungen tatsächlich auf eine geringere Trefferquote hin. Wegen der Mängel forderte das Ministerium daraufhin Schadenersatz von Heckler & Koch.

Niederlage des Verteidigungsministeriums im Jahr 2016 vor dem Landgericht

Am 2. September 2016 entschied allerdings das Landgericht Koblenz zugunsten des baden-württembergischen Waffenherstellers. Der Bundeswehr seien die materialtechnischen und physikalischen Eigenschaften des G36-Gewehrs zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt gewesen. Sie habe bekommen, was sie bestellt hat. Es habe „keine negativen Abweichungen der Eigenschaften und Anforderungen“ gegenüber der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit des Gewehres gegeben, so die Koblenzer Richter an diesem Freitag.

Die in den Technischen Lieferbedingungen vorgesehene Abnahme- und Güteprüfung, die zwischen der Bundeswehr und Heckler & Koch vereinbart worden sei, habe das G36-Sturmgewehr bestanden. Die ab dem Jahr 2014 eingeleiteten Untersuchungen über die Treffergenauigkeit bei großen Temperaturschwankungen seien nicht erheblich. Diese seien auch nicht Gegenstand der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Jahren 1995 und 2013 gewesen. Das Gewehr sei letztlich zur „vertragsmäßigen Verwendung“ geeignet gewesen, sodass kein Mangel vorliegt, urteilte das Koblenzer Landgericht.

Obwohl das Verteidigungsministerium das Urteil in einer ersten Reaktion als „nicht sachgerecht“ bezeichnete, verzichtet man später doch auf eine Berufung und ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Warum auch nicht, hatte Ministerin von der Leyen zu diesem Zeitpunkt – im August 2015 – ja bereits entschieden, dass das G36 (insgesamt 167.000 Stück) bei der Bundeswehr auszumustern und durch ein neues Standardgewehr zu ersetzen sei.

G36 genießt innerhalb der Bundeswehr einen guten Ruf

Erwähnt sei an dieser Stelle auch die Arbeit des früheren Verteidigungspolitikers Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) und des ehemaligen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (Amtszeit Mai 2010 bis Mai 2015), die viereinhalb Monate lang als unabhängige Kommission den „Einsatz des G36 in Gefechtssituationen“ untersucht hatten und danach der Verteidigungsministerin berichteten.

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das G36 keineswegs als Pannengewehr abgetan werden könne. Nachtwei und Königshaus hatten unter anderem Einsatzberichte ausgewertet und sich mit 150 einsatz- und gefechtserfahrenen Soldaten über das G36 unterhalten. Ergebnis: Das Gewehr genießt in der Truppe einen guten Ruf. Im Kommissionsbericht lesen wir: „Insgesamt bewerteten die Soldaten das G36 ausnahmslos als bedienungsfreundlich, störunanfällig und verlässlich (gerade auch im internationalen Vergleich). Im Bewusstsein der Grenzen des G36 betonten sie ihr volles Vertrauen in die Waffe. Die öffentliche Darstellung des G36 als ,Pannengewehr‘ stieß bei den Soldaten einhellig auf großes Unverständnis.“

Mängelbeseitigung an den Nachfolgemodellen bis zum 15. Februar 2019

Wie nun Thorsten Jungholt in der Welt am Sonntag berichtet, haben die ersten Tests der möglichen G36-Nachfolgesysteme enttäuschende Resultate erbracht. Keines der von verschiedenen Herstellern angebotenen Sturmgewehre habe überzeugen können (über den Beschaffungsauftrag und die am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen informiert unser Beitrag vom 24. November 2017). Eine Vergleichserprobung habe ergeben, so zitiert der Politikredakteur der Welt-Gruppe aus dem BAAINBw-Papier, dass „keines der angebotenen Produkte alle durch den öffentlichen Auftraggeber zwingend geforderten Leistungen erfüllt“. Bei den sogenannten „vorvertraglichen Vergleichserprobungen“ der angebotenen Gewehre habe sich „wider Erwarten“ herausgestellt, dass „die Erfüllung einzelner Muss-Forderungen durch die vorgestellten Sturmgewehre nicht erbracht werden konnte“.

Den beteiligten Bewerbern wurde jetzt laut Schreiben des BAAINBw eine Frist bis zum 15. Februar 2019 eingeräumt, um die Mängel zu beseitigen. Anschließend müssen die Gewehre erneut geprüft werden. Dadurch verzögere sich „das Projekt um etwa acht Monate“, teilte die Behörde mit.

Ausgeschrieben sind – wie eingangs bereits erwähnt – 120.000 neue Sturmgewehre zum Preis von rund 250 Millionen Euro. Durch ebenfalls ausgeschriebenes Zubehör wird das Auftragsvolumen auf gut 400 Millionen Euro anwachsen. Der tatsächliche Preis wird erst nach einer Vergabeentscheidung mit dem ausgewählten Hersteller ausgehandelt.

Das Bundesministerium der Verteidigung ließ auf Medienanfragen hin durch Sprecher mitteilen, dass bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens für ein neues Bundeswehr-Sturmgewehr die Einsatzfähigkeit des G36 „uneingeschränkt sichergestellt“ sei.


Zum Bildmaterial unseres Beitrags:
1. Soldaten der 4. Kompanie des Jägerbataillons 292 am 7. Dezember 2016 bei der Übung „Feldberg“ auf dem Truppenübungsplatz Bergen. Das Bataillon gehört zur Deutsch-Französischen Brigade. Der Soldat im Bildvordergrund ist mit dem Standardgewehr der Bundeswehr, dem G36 A1, ausgerüstet.
(Foto: Carl Schulze/Bundeswehr)

2. Fallschirmjäger am 10. Mai 2017 bei der Übung „Red Griffin“ mit einer G36-Variante für Spezial- und Spezialisierte Kräfte. In das Foto eingebaut ist die Titelseite der Welt am Sonntag vom 14. Oktober mit dem Jungholt-Beitrag „Neue Sturmgewehr-Modelle für deutsche Soldaten fallen durch“.
(Foto: Jane Schmidt/Bundeswehr;
Bildschirmfoto und Bildmontage: mediakompakt)


Kommentare

  1. Dr.-Ing. U. Hensgen | 16. Oktober 2018 um 14:53 Uhr

    Die Probleme mit der Treffsicherheit des G36 liegen meistens 500 mm hinter der Mündung – beim Schützen. Wer hat eigentlich einen Vorteil davon, das Gewehr schlecht zu reden? Nur die Wettbewerber? Auf jeden Fall hat die „Affäre G36“ die Bundeswehr wieder Millionen gekostet.

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