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Berlin. Die Reform der Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist gescheitert. Führende Vertreter aus Union und SPD haben dem ARD-Hauptstadtstudio bestätigt, dass Unionsfraktionschef Volker Kauder dem Koalitionspartner am heutigen Mittwoch (15. Februar) offiziell mitgeteilt habe, dass es bis zur Bundestagswahl kein gemeinsames Gesetz mehr geben werde. Damit distanziert sich die Union von einem gemeinsamen Entwurf, der bereits vor einem Jahr ins Parlament eingebracht worden war. In dem Entwurf werden eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag sowie die Ergebnisse der sogenannten Rühe-Kommission umgesetzt. Mit dem neuen Gesetz sollten die Mitwirkungsrechte des Bundestages auf die veränderten Anforderungen bei Auslandseinsätzen angepasst und die Informationsrechte gestärkt werden. Die Sozialdemokraten sind über diese unerwartete Wendung so empört, dass sie vorläufig die Ausschreibung eines millionenschweren Beratervertrages, der von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen initiiert worden ist, blockieren.

Mit der Reform der Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr – dem „Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland“ (Parlamentsbeteiligungsgesetz) – sollten bestimmte Missionen, sofern sie in einem sicheren Umfeld stattfinden, in Zukunft auch ohne ein Mandat des Parlaments möglich sein. Auch über die Entsendung von Bundeswehroffizieren in internationale Stäbe von NATO und EU sollte künftig die Bundesregierung alleine entscheiden können, sofern der Einsatz außerhalb von Kampfgebieten stattfindet (siehe dazu auch unseren früheren Beitrag).

Befürworter in der Koalition bewerten den Gesetzentwurf als gut ausbalancierten Kompromiss. Allerdings gab es vor allem unter Verteidigungspolitikern von CDU und CSU Stimmen, die das Gesetz ablehnten, weil sich die Union mit ihrer Maximalforderung nach Vorratsbeschlüssen für bestimmte Auslandseinsätze nicht durchsetzen konnte. Dabei ging es darum, alle Missionen unterhalb von Kampfeinsätzen vorab zu genehmigen – der Bundestag hätte dann nur das Recht, die deutschen Soldaten nachträglich zurückzurufen. Solche Mandate waren von Verfassungsrechtlern in der Rühe-Kommission allerdings als grundgesetzwidrig eingeschätzt worden.

Eine „CDU/CSU-Erfolgsgeschichte“ ohne Happy End

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios hatte sich zuletzt auch Fraktionschef Kauder auf die Seite der Kritiker gestellt und sich damit über die Argumente anderer Fachpolitiker hinweggesetzt.

Ein interner Vermerk aus dem Büro von Kauders Stellvertreter Franz Josef Jung, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, nennt das Gesetz beispielsweise eine „Erfolgsgeschichte der CDU/CSU-Bundestagsgeschichte“ und warnt: „Es wäre nicht vermittelbar, wenn wir diese Erfolge jetzt aufgeben wollten, wenn wir eine Neufassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes verhindern würden.“ In ähnlicher Weise sollen sich fraktionsintern auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen sowie der außenpolitische Obmann Roderich Kiesewetter für den Koalitionskompromiss eingesetzt haben, berichtet die ARD weiter.

Vorratsbeschlüsse mit bisheriger Rechtsprechung nicht in Einklang zu bringen

Am Ende dieses fraktionsinternen Machtkampfes hat Kauder am gestrigen Dienstagmorgen seinem sozialdemokratischen Partner Thomas Oppermann offiziell mitgeteilt, dass man den gemeinsamen Gesetzentwurf nicht mehr weiter verfolgen werde. Als Begründung nannte er ausdrücklich die umstrittenen Vorratsbeschlüsse.

Über die heißt es allerdings in dem internen Vermerk aus dem Büro von Fraktionsvize Jung: „Die Verfassungsrechtler haben uns während der Beratungen der Rühe-Kommission eindeutig dargelegt, dass Vorratsbeschlüsse mit der bisherigen Rechtsprechung nicht in Einklang zu bringen wären.“

SPD beklagt fundamentalen Bruch der Zusammenarbeit innerhalb der Koalition

Beim Koalitionspartner reagiert man empört. So erklärt der außenpolitische Sprecher Niels Annen gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio: „Gerade in Zeiten, in denen zu Recht mehr europäische Zusammenarbeit im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik gefordert wird, sendet dieser Vorgang das völlig falsche politische Signal in Sachen deutscher Bündnissolidarität und Verlässlichkeit aus.“ Die CDU/CSU entwerte durch ihr Vorgehen die Empfehlungen der von ihr selbst initiierten Bundestagskommission.

Der Verteidigungsexperte der Sozialdemokraten, Rainer Arnold, spricht „von einer tiefen Verärgerung“ seiner Fraktion. „Dass ein ausverhandelter Gesetzentwurf mit einem Federstrich gestoppt wird, ist ein fundamentaler Bruch der Zusammenarbeit innerhalb der Koalition.“

Als unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung der Unionsführung, den gesamten Gesetzentwurf zu kippen, blockiert die SPD jetzt die Ausschreibung eines millionenschweren Beratervertrages. Das erfuhr die ARD am Rande der heutigen Beratungen des Haushalts- und Verteidigungsausschusses. Auf Initiative der SPD wurde dieser Tagesordnungspunkt „Abschluss einer Rahmenvereinbarung über Unterstützungsleistungen für das Projektmanagement im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen. Über die Bewilligung der Gelder für die Ausschreibung kann frühestens in drei Wochen wieder in den Ausschüssen beraten werden.

Die Entscheidung von Fraktionschef Kauder ist nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios auch innerhalb der Unionsfraktion heftig umstritten. „Die Union hat leider den Koalitionsvertrag gebrochen“, räumt ein enttäuschter Verteidigungspolitiker offen ein. Es werde so schnell nicht wieder gelingen, ein so hohes Maß an Einigungsfähigkeit wie in der Rühe-Kommission zu erreichen.


Unser Symbolbild zum Thema „Auslandseinsätze der Bundeswehr“ entstand am 30. Dezember 2015 bei der Ankunft deutscher Soldaten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Inçirlik. Von Inçirlik aus fliegt die deutsche Luftwaffe Aufklärungs- und Luftbetankungseinsätze für die Anti-IS-Koalition.
(Foto: Falk Bärwald/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Soldaten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 „Immelmann“ am 10. Dezember 2015 an Bord eines Militärtransporters A400M auf dem Weg zur Inçirlik Air Base.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)


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