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Berlin/Inçirlik (Türkei). Unsere Luftwaffe hat seit Beginn ihrer Teilnahme an der Militäroperation „Counter Daesh“ gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) bis heute mehr als 700 Aufklärungseinsätze und Betankungsflüge über Syrien und dem Irak absolviert. Die Besatzungen der auf der türkischen Luftwaffenbasis Inçirlik stationierten deutschen Maschinen – sechs Tornado-Aufklärer und der A310 MRTT in der Luftbetankungsrolle – haben dabei bislang rund 2600 Flugstunden verbucht. Diese Zahlen nannte jetzt Oberst Holger Radmann. Er befehligte das Deutsche Einsatzkontingent „Counter Daesh“ seit dem 20. Mai. Am gestrigen Donnerstag (22. September) übergab Radmann in Inçirlik das Kommando an Oberst Marco Meyer.

In einem Beitrag für den Onlineauftritt des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr blickte Radmann noch einmal auf seine vier Monate an der Spitze des 2. Deutschen Einsatzkontingents zurück. Ihm unterstanden während dieser Zeit im Rahmen der „Operation Inherent Resolve“ knapp 300 Bundeswehrangehörige – das Gros in Inçirlik, dazu die deutschen Soldaten beim Combined Air Operations Centre auf der Al Udeid Air Base in Katar und beim Hauptquartier Combined Joint Task Force in Kuwait sowie die Verbindungsoffiziere der Bundeswehr in Jordanien und im Nordirak.

Das große Interesse beziehungsweise der Bedarf der Koalitionspartner am deutschen Beitrag zu „Operation Inherent Resolve“ – an der Luftbetankung und an den Aufklärungsergebnissen durch die Maschinen der beiden Taktischen Luftwaffengeschwader 33 und 51 – hätten gezeigt, dass „unser Auftrag eine wichtige Unterstützung der Alliierten im Kampf gegen die Terrororganisation des IS darstellt“, so Radmann. Er hatte das Kommando über den deutschen „Counter Daesh“-Anteil am 20. Mai von Brigadegeneral Andreas Schick übernommen.

Erinnerungen an die Nacht des Putschversuchs in der Türkei

Beim Übergabeappell am Donnerstag an Oberst Meyer würdigte Generalmajor Thorsten Poschwatta, Stellvertretender Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Radmann für die umsichtige Führung des 2. Deutschen Einsatzkontingents. Mit Blick auf den Putschversuch in der Türkei am 15. und 16. Juli sagte Poschwatta zu ihm: „Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse in der Türkei und einem sicherheitspolitisch sowie multinational äußerst komplexen Umfeld, haben Sie Ihre Führungsaufgabe hervorragend erfüllt.“

Die Nacht des Putschversuchs wird Radmann wohl nicht so schnell vergessen. Der scheidende Kontingentführer: „In den Stunden vom 15. auf den 16. Juli veränderten sich die bisher stabilen Rahmenbedingungen. Die türkischen Autoritäten verhängten ein Flugverbot und schnitten den Flugplatz von der externen Stromversorgung ab. Sie können sich sicher gut vorstellen, was es für einen Einsatzverband mit etwa 250 Frauen und Männern in dieser Region bedeutet, von jetzt auf gleich und für mehrere Tage auf Beleuchtung und Klimatisierung, auf Computer, Waschmaschinen und Warmwasser verzichten zu müssen.“ Letztlich sei es dem Kontingent gelungen, in dieser Zeit zu improvisieren und die Situation – gemeinsam mit den amerikanischen Verbündeten auf der Air Base – zu meistern, so der Luftwaffenoffizier.

Rund 60 Millionen Euro für Ausbau der Infrastruktur in Inçirlik

Das Verteidigungsministerium hat mittlerweile ein Budget von knapp 60 Millionen Euro bewilligt, das jetzt im Zusammenhang mit dem deutschen Einsatz auf dem türkischen Stützpunkt Inçirlik in dortige Infrastruktur investiert werden soll. Bereits Anfang Mai hatte die Bundesregierung dazu Details veröffentlicht.

In einer Antwort an den Bundestagsabgeordneten Tobias Lindner, haushalts- und verteidigungspolitischer Experte von Bündnis 90/Die Grünen, waren die vorgesehenen Infrastrukturmaßnahmen für Inçirlik aufgelistet worden. Demnach sind nun „für die bedarfsgerechte Unterbringung der deutschen Kräfte sowie zur operativen Befähigung der momentan eingesetzten Luftfahrzeuge […] in der Zielstruktur nach den derzeitigen Planungen […] vorgesehen“: Flugbetriebsfläche für die auf der türkischen Luftwaffenbasis stationierten sechs Tornado-Aufklärer und den Tanker (Finanzvolumen rund 10,4 Millionen Euro/Bereitstellungszeit etwa 6,5 Monate), Unterkunfts- und Stabsgebäude in Massivbauweise (rund 15 Millionen/ca. 14 Monate), mobiler Gefechtsstand (rund 34 Millionen/ca. 15 Monate).

Dieses Investitionsvorhaben der Bundeswehr war in den vergangenen Wochen und Monaten überschattet worden von einer eskalierenden politischen Missstimmung zwischen Berlin und Ankara. Auslöser war die fast einstimmige Verabschiedung der Armenien-Resolution durch den Deutschen Bundestag am 2. Juni gewesen.

Armenien-Resolution des Parlaments provozierte heftige türkische Reaktionen

In der von Union, SPD und Grünen getragenen Erklärung wird die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkrieges im damaligen Osmanischen Reich, dem Vorgänger der heutigen Türkei, als Völkermord bezeichnet. Die türkische Regierung hatte zuvor gewarnt, dass die Genozid-Bezeichnung für den Massenmord an Armeniern die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland beschädigen könnte.

Als Retourkutsche für die Armenien-Resolution des Parlaments verbot die türkische Regierung danach unter anderem deutschen Abgeordneten den Besuch des Bundeswehrkontingents in Inçirlik. Das Verbot betraf auch eine für Mitte September geplante Reise des Verteidigungsausschusses zum Luftwaffenstützpunkt. Lediglich einen Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 1. Juli in Inçirlik – ohne Bundestagsabgeordnete und Journalisten – ließ Ankara zu.

Diskussionen um Abzug der deutschen Kräfte aus der Türkei

Die Lage eskalierte. Der Bundestag reagierte empört. So sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer dem Berliner Tagesspiegel im Juli: „Soldaten und Stützpunkte eine Parlamentsarmee müssen von Angeordneten besucht werden können – immer und überall.“ Der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Florian Hahn, warnte – ebenfalls im Juli – in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das deutsche Parlament am Ende diesen Jahres einen Einsatz in der Türkei in Inçirlik verlängern wird, wenn es nicht möglich ist für uns Parlamentarier, unsere Soldatinnen und Soldaten zu besuchen.“

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen äußerte sich zur selben Zeit ähnlich. Gegenüber dem Tagesspiegel gab er zu bedenken: „Eine dauerhafte Weigerung der Türkei kann zur Beendigung der deutschen Beteiligung an dem NATO-Einsatz führen.“

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fordert wegen des Besuchsverbots in Inçirlik dann im August konkret: „Die Bundesregierung muss jetzt umgehend andere Standorte für die deutschen Soldaten abklären.“ Eine Verlängerung des Bundestagsmandats für den dortigen Einsatz im Rahmen der Anti-IS-Koalition halte er für „ausgeschlossen“, so der Sozialdemokrat gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.

Bereits einige Wochen zuvor hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert indirekt angedeutet, dass die Verlängerung des Bundestagsmandats für den Bundeswehreinsatz in der Türkei auf dem Spiel stehe. Lammert in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: „Vielleicht muss noch einmal verdeutlicht werden, dass der Bundestag dem Einsatz deutscher Soldaten im Ausland grundsätzlich nur zustimmt, wenn sie im Rahmen internationaler Missionen dort gebraucht werden und willkommen sind.“ Dort, wo sie nicht willkommen seien, so Lammert, könnten sie nicht dauerhaft bleiben.

Erklärung der Bundesregierung beendet den Streit mit Ankara

Inzwischen konnte der wochenlange Streit zwischen der Türkei und Deutschland durch einen „Kompromiss“, der beiden Seiten anscheinend auch einen Gesichtsverlust ersparte, beigelegt werden. Nachdem die Bundesregierung die Armenien-Resolution des Bundestages „als rechtlich nicht verbindlich“ eingestuft hatte, hob Ankara das Besuchsverbot auf.

Verteidigungsministerin von der Leyen erklärte danach in Berlin: „Es ist ein gutes Zeichen, dass die zuständigen Abgeordneten des Bundestages planmäßig zur Truppe reisen können.“

Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Henning Otte, kündigte in einem Statement an: „In der ersten Oktoberwoche wird eine Delegation des Verteidigungsausschusses nach Inçirlik reisen.“ Und: „Es war richtig, einerseits auf dem Besuchsrecht der Abgeordneten zu bestehen, aber andererseits auch an der Stationierung der Tornados in Inçirlik festzuhalten. Beides ist Ausdruck parlamentarischer Verantwortung.“ Es sei wichtig gewesen, die Stationierung von Bundeswehrsoldaten auf dem NATO-Stützpunkt in der Türkei nicht zum Spielball in einer übergreifenden innen- oder außenpolitischen Auseinandersetzung mit der Türkei werden lassen. Im Vordergrund stehe die Erfüllung des sicherheitspolitischen Auftrages. Und dies sei der Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“. „Dieser Aufgabe stellen wir uns gemeinsam mit unseren Verbündeten. Das sollte auch im Interesse des NATO-Partners Türkei sein“, so der Christdemokrat.

Linke fordern eine völlige Neuausrichtung der deutschen Türkeipolitik

Völlig anders sieht die Opposition die Entwicklung. „Nachdem sich die Bundesregierung ihre Distanzierung von der vom Bundestag beschlossenen Armenien-Resolution aus Ankara hat diktieren lassen, macht sie sich nun durch den Ausbau der Militärbasis in Inçirlik noch stärker als bisher von Despot Erdogan abhängig“, erklärte die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Sahra Wagenknecht. Sie forderte: „Die selbstgewählte Abhängigkeit der Bundesregierung gegenüber Ankara muss beendet und die Türkeipolitik neu ausgerichtet werden. Das bedeutet auch: Es dürfen nicht zusätzliche Millionen in die Militärbasis investiert werden; stattdessen muss die Stationierung von Bundeswehrsoldaten in Inçirlik beendet, die EU-Beitrittsverhandlungen müssen gestoppt und die EU-Vorbeitrittshilfen eingefroren werden.“

Vertreter der armenischen Interessenverbände in Deutschland haben das Verhalten der Bundesregierung in Bezug auf die umstrittene Armenien-Resolution übrigens scharf kritisiert.

So äußerte sich Samuel Lulukyan vom Zentralrat der Armenier gegenüber der Rheinischen Post: „Die Distanzierung von der Distanzierung – das ist peinlich und chaotisch. Wie kann die Armenien-Resolution keine rechtliche Bindung haben? Das ist Spielerei mit Worten.“ Der Vorsitzende der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, Raffi Kantian, zeigte sich ebenfalls enttäuscht. Er sagte der Redaktion in Düsseldorf: „Ich hätte mir gewünscht, dass nach einer Reihe von guten Entwicklungen die Bundesregierung wenigstens stillhält und die Resolution nicht durch eine öffentliche Äußerung beschädigt.“

Über die hohe Kunst des Lavierens, den Eiertanz

Lulukyan und Kantian bezogen sich in ihrer Kritik auf Kabinettssprecher Steffen Seibert, der am 2. September in der Bundespressekonferenz Medienberichte energisch zurückgewiesen hatte, wonach die Bundesregierung sich von der Armenien-Resolution des Bundestages distanzieren wolle. Das werde „fälschlich behauptet“, hatte Seibert an diesem Freitagmittag in Berlin ausgeführt.

Hören wir uns einmal abschließend seinen O-Ton an: „ Meine Damen und Herren, guten Tag! Die intensive Berichterstattung von heute Morgen veranlasst mich, mich gleich an Sie zu wenden. Da wird fälschlich behauptet, die Bundesregierung wolle sich von der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages distanzieren. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Der Deutsche Bundestag hat das Recht und die Möglichkeit, sich zu jedem Thema zu äußern, wann immer er das für richtig hält. Die Bundesregierung unterstützt und verteidigt dieses souveräne Recht der deutschen Volksvertretung. Es steht der Bundesregierung nicht zu, sich in die Zuständigkeiten eines anderen Verfassungsorgans einzumischen und sich dazu wertend zu äußern. Dieses souveräne Recht, sich zu Fragen seiner Wahl zu äußern, hat der Bundestag auch im Fall der besagten Resolution, also der Drucksache 18/8613, ausgeübt – mit einem Entschließungsantrag, der qua Definition darauf zielt, Auffassungen zu politischen Fragen zum Ausdruck zu bringen, ohne dass diese rechtsverbindlich sind. So steht es im Übrigen auch auf der Homepage des Deutschen Bundestages. In der Tat hat das Wort ,Völkermord‘ rechtlich eine ganz bestimmte Legaldefinition – und dies wird von den zuständigen Gerichten ausgelegt und festgestellt.“


Zu unseren beiden Aufnahmen:
1. Air Base Inçirlik am 10. Dezember 2015 – Tornado vom Taktischen Luftwaffengeschwader 51 „Immelmann“ bei der Landung nach einem Flug im Rahmen der „Operation Inherent Resolve“.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

2. Deutscher Tornadopilot mit Nachtsichtbrille. Das Bild entstand auf dem Luftwaffenstützpunkt Inçirlik am 4. Februar 2016.
(Foto: Falk Bärwald/Bundeswehr)


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