menu +

Nachrichten



Wunstorf/Sevilla (Spanien)/Berlin. Das Lufttransportgeschwader 62 im niedersächsischen Wunstorf hat am Donnerstag dieser Woche (15. Dezember) den ersten für taktische Missionen qualifizierten Airbus A400M Atlas erhalten. Damit könnte die Bundeswehr den A400M künftig auch über Kampfgebiet einsetzen. Die Maschine mit der Kennung „54+07“ und der Seriennummer MSN43 traf auf dem Fliegerhorst in der Nacht ein. Ein Team der Luftwaffe hatte die „54+07“ am 12. Dezember im Auslieferungswerk im spanischen Sevilla übernommen. Im Gegensatz zur rein logistischen Variante verfügt der „taktische“ A400M über ein Selbstschutzsystem mit der Bezeichnung DASS (Defensive Aids Sub-System). DASS kann durch den Ausstoß von Täuschkörpern radargelenkte und wärmesuchende Flugkörper von dem Airbus-Militärtransporter fernhalten.

Es handelt sich bei der überführten Maschine um das insgesamt sechste Transportflugzeug vom Typ A400M für Deutschland, das zusätzlich zu seiner Leistungsfähigkeit als strategisches Transportflugzeug nun erstmals auch neue taktische Fähigkeiten mitbringt. Die Neuerungen beinhalten insbesondere Verbesserungen der Selbstschutzsysteme sowie die Fähigkeit zum Absetzen von Lasten und Fallschirmspringern. Zudem kann das Flugzeug auf unbefestigten Pisten starten und landen, im Tiefflug in einer Höhe von nur 150 Fuß über dem Boden operieren, andere Flugzeuge betanken und auch unter extrem hohen Temperaturen sicher starten und landen. Wir hatten über die einzelnen Erprobungsphasen berichtet (unter anderem hier und hier).

Kurt Rossner, A400M-Programmleiter bei Airbus Defence and Space, erklärte gegenüber der Presse: „Das A400M-Programm hat mit der Einführung dieser wichtigen Fähigkeiten in diesem Jahr enorme Fortschritte gemacht. Es gibt kein anderes Flugzeug auf dem Markt, das taktische und strategische Fähigkeiten kombiniert wie der A400M. Das Flugzeug wird die Lufteinsatzfähigkeit Deutschlands grundlegend verändern.“

Alle bisher an die deutsche Luftwaffe gelieferten Flugzeuge sollen nach Angaben des Herstellers ebenfalls auf den neuen Standard gebracht und zusätzlich zur aktuellen Zertifizierung nachträglich umgerüstet werden.

Selbstschutzausstattung der deutschen A400M-Maschinen in zwei Stufen

Das bereits erwähnte Selbstschutzsystem – Defensive Aids Sub-System, DASS – beinhaltet folgende Komponenten: Flugkörperwarnsystem, Radar-Warnempfänger und erweiterbares Abwehrsystem mit Chaff-/Flare-Dispenser zur Abwehr von radar- und infrarotgestützten Flugkörpern. DASS, welches die von allen A400M-Nationen bestellte Standardausrüstung im Selbstschutz ist, soll bei Airbus Defence and Space in Ulm eingebaut werden.

Um das Thema „deutsche A400M und Selbstschutzausstattung“ zu verstehen, ist mitunter ein Gang ins Archiv hilfreich. Denn um DASS und DIRCM herrscht doch eine gewisse Verwirrung. Selbst Fachleute der Luftwaffe und des Verteidigungsministeriums, die wir im Rahmen unserer letzten Berichterstattung befragten (siehe hier), sprachen davon, dass nun lediglich ein „Selbstschutzsystem light“ ausgeliefert werde. Aber sehen wir im Archiv nach …

Am 4. Januar 2008 hatte die damalige Bundesregierung (Kabinett Merkel I/16. Legislaturperiode) einen 28 Punkte umfassenden Fragenkatalog der damaligen FDP-Bundestagsfraktion beantwortet, der sich um das Thema die „Probleme beim A400M und deren Konsequenzen für die Bundeswehr“ drehte.

Aus dem Dokument geht hervor, dass die Selbstschutzausstattung der (deutschen) A400M-Transporter in zwei Stufen realisiert werden soll. Das System DASS Step 1 entspricht dabei lediglich dem Schutzniveau der Transall. Der erweiterte Selbstschutz A400M, das System DASS Step 2, besteht aus weiteren zusätzlichen Teilsystemen – darunter die Selbstschutzausrüstung EloKa DIRCM (Directed Infrared Counter Measure). Die DIRCM-Entwicklung und Beschaffung erfolgt als eigenes Projekt.

Beschaffungsplanung umfasst 24 Rüstsätze des Typs DASS Step 1

In ihren weiteren Ausführungen schrieb die Bundesregierung 2008: „Alle A400M verfügen als Basisflugzeug (Common Standard Aircraft) über dieselben funktionalen Ausstattungsmerkmale. Für Lufttransportaufgaben, die in Gebieten mit potenzieller Bedrohung durchgeführt werden müssen, werden unter anderem 24 Rüstsätze Selbstschutzausstattung beschafft, die das Basisflugzeug A400M funktional, insbesondere für den Bereich Selbstschutz, erweitern. Diese 24 Rüstsätze können in allen A400M eingerüstet werden.“

Auch folgende Passage aus der Regierungsantwort vom Januar 2008 bringt Licht in die diffusen Informationen um DASS und DIRCM: „Die Beschaffungsplanung A400M umfasst […] 24 Rüstsätze Selbstschutzausstattung mit der Bezeichnung DASS Step 1, um den Einsatz von A400M in Gebieten mit potenzieller Bedrohung zu ermöglichen. Alle A400M […] erhalten die dazugehörige Serienvorbereitung für die Einrüstung der Komponenten des DASS Step 1. Die 24 Rüstsätze können demnach in jeden A400M eingerüstet werden.“

(Anm.: Deutschland hatte ursprünglich 60 Militärtransporter A400M bestellt. Im Rahmen einer Vertragsanpassung wurde die Bestellmenge auf 53 Maschinen reduziert, von denen Deutschland 13 direkt nach Auslieferung weiter an andere Länder verkaufen will. Die deutsche Luftwaffe erhält insgesamt 40 Airbus-Transporter – 16 logistisch und 24 taktisch ausgestattete Exemplare.)

Zurück zur Regierungsantwort, dort erfahren wir nun: „Analog dazu ist beabsichtigt, alle […] A400M zur Aufnahme eines DIRCM-Systems vorzubereiten. Das DIRCM-System erweitert die komplexe Selbstschutzausstattung DASS Step 1 und stützt sich dabei auf die Sensorik des DASS Step 1 ab. Daher entspricht die geplante Anzahl der DIRCM-Systeme dem Umfang von DASS Step 1.“

Laserbasiertes Schutzsystem DIRCM „in der Endphase der Entwicklung“

Maschinen, so die Bundesregierung 2008, die in Krisenregionen eingesetzt würden, könnten dies auch ohne das Schutzsystem DASS Step 2 leisten. Denn: „Für den Einsatz von A400M wird grundsätzlich eine Einzelfallbetrachtung – insbesondere unter Berücksichtigung des Auftrages und der potenziellen Bedrohung, vorgenommen. Die Selbstschutzausstattung DASS Step 1 gewährleistet mit seinen zur Anwendung kommenden Hochtechnologiekomponenten einen wirkungsvollen und robusten Schutz des Flugzeuges gegen ein breites Bedrohungsspektrum.

Das geplante laserbasierte Schutzsystem Direct Infrared Counter Measure (DIRCM) von Diehl BGT Defence und Kooperationspartner Elbit Systems (Israel), über das wir ja bereits in unserem Oktober-Beitrag berichtet hatten, soll sich übrigens laut Aussage von Diehl „in der Endphase der Entwicklung“ befinden. Dies hatte Claus Günther, Mitglied des Vorstandes der Diehl Stiftung und Sprecher des Bereichsvorstandes Diehl Defence, im Juni bei der diesjährigen Luft- und Raumfahrtmesse ILA in Berlin mitgeteilt.

Später einmal in einem einzigen Absetzvorgang 58 Fallschirmspringer

Lassen Sie uns abschließend noch einmal kurz auf die anderen taktischen Fähigkeiten eingehen, die die „54+07“ mit nach Wunstorf gebracht hat.

Der A400M ist bereits für das Absetzen militärischer Lasten und humanitärer Hilfsgüter bis zu einem Stückgewicht von jeweils acht Tonnen zertifiziert. Bei Erprobungsflügen werden laut Airbus ständig weitere Lastenkategorien untersucht.

Fallschirmspringer können in Gruppen von 20 Personen über die Rampe oder die Seitentüren des A400M abgesetzt werden. Fallschirmspringertests mit 30 Personen wurden bereits erfolgreich durchgeführt, die entsprechende Zulassung wird in Kürze erwartet. Nach Herstellerangaben werden die Flugtests fortgesetzt, um die Zahl der Springer zunächst auf 40 und später auf 58 in einem einzigen Absetzvorgang zu erhöhen.

Entwicklung einer automatischen Tiefflugfähigkeit bereits weit fortgeschritten

Der A400M ist für den Einsatz auf Graspisten zugelassen und hat seine Einsatzfähigkeit auf Geröll- und Sandpisten bewiesen; die entsprechende Zertifizierung läuft. In bergigem Gelände können Piloten per manueller Steuerung Tiefflüge in einer Höhe von 150 Fuß bei Tag und 300 Fuß bei Nacht absolvieren. Die Entwicklung einer automatischen Tiefflugfähigkeit ist, wie das Unternehmen mitteilt, schon weit fortgeschritten.

Das Flugzeug ist dafür zertifiziert, im Flug betankt zu werden und als taktisches Tankflugzeug selbst Kampfflugzeuge und andere Großflugzeuge bei Tag zu betanken. Die Fähigkeit zur nächtlichen Betankung sei bereits demonstriert worden und werde demnächst zugelassen, so Airbus.

In der neuesten Konfiguration ist der A400M für den Betrieb bei Temperaturen bis zu 55 Grad Celsius auf Meereshöhe zertifiziert. Dazu Airbus Defence and Space: „Die Maschine erbringt hervorragende Leistungen unter ,Hot and High‘-Bedingungen auf schwierigsten Pisten auf der ganzen Welt. Im Falle eines mechanischen Problems oder eines Gefechtsschadens ist das Flugzeug für den Start und Betrieb mit nur drei der vier leistungsstarken Triebwerke zugelassen, was seine Einsatzautonomie erhöht.“

„Neue Risiken und Probleme in Hinblick auf die Produktionsqualität“

Dies alles klingt aus Herstellersicht doch ziemlich zufriedenstellend. Wer allerdings den aktuellen Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zu Rüstungsangelegenheiten vom September (öffentlich zugänglicher Teil) aufschlägt, wird auch mit den besorgniserregenden Dingen dieses Rüstungsprojekts konfrontiert. So wird gewarnt: „Derzeit zeichnen sich neue Risiken und Probleme in Hinblick auf die Produktionsqualität ab, die auch ursächlich für die Auslieferungsverzögerung des vierten deutschen A400M waren. […] Insgesamt unterliegt das Programm weiterhin signifikanten Verzögerungen in der Produktion und im Fähigkeitsaufwuchs.“ Überzeugte Kunden klingen anders!

Das Verteidigungsministerium schreibt denn auch im Rüstungsbericht unter Punkt „Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft bei Systemen in Nutzung“: „Fähigkeitsaufwuchs und Schutz sind die Schlüsselkomponenten für den taktischen Lufttransport, der durch den A400M entstehen soll. Das Projekt ist genau in diesen Punkten durch Verzögerungen äußerst risikobehaftet. Die Auswirkungen auf laufende und mögliche zukünftige Einsätze zeichnen sich bereits heute ab.“

Die Einrichtung der Arbeitsgruppe „Perspektiven Lufttransport“ zur Vermeidung von weiteren Einschränkungen im taktisch-operativen Lufttransport sei deshalb auch ein erster Schritt zur Abmilderung der Problematik gewesen, unterstreicht das Ministerium. Lösungskonzepte müssten hier rasch greifen. Auch müsse unbedingt „die Herstellung der Einsatzreife“ aller deutschen A400M vorangetrieben werden.

Der Rüstungsbericht kommt in diesem Zusammenhang auch zu der Bewertung, dass die „bei DIRCM in Rede stehende Infrarot-Technologie für Deutschland als Schlüsseltechnologie (Schutz, Sensorik) von nationalem Sicherheitsinteresse“ sei.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Der sechste A400M der deutschen Luftwaffe – Kennung „54+07“ – vor seiner Überführung nach Wunstorf zum Lufttransportgeschwader 62. Die Aufnahme wurde am 12. Dezember 2016 im spanischen Sevilla gemacht.
(Foto: Airbus Defence and Space)

2. Das Hintergrundbild unserer Übersicht über die bislang ausgelieferten deutschen A400M zeigt eine Airbus-Maschine am 2. Juni 2016 über dem Berliner ILA-Messegelände.
(Foto: Kevin Schrief/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN