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Berlin. Die Bundesregierung hat am Mittwoch (8. Juli) ein Strategiepapier zur Stärkung der deutschen Verteidigungsindustrie beschlossen. Schwerpunkte dieses Zehn-Punkte-Programms sind die Rahmenbedingungen internationaler Rüstungskooperationen sowie der Erhalt wehrtechnischer Schlüsseltechnologien und Arbeitsplätze in Deutschland. Identifiziert und gelistet wurden dabei auch „nationale verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien“ sowie konkrete Maßnahmen zu deren Sicherung. Zu den „besonders wichtigen und erhaltenswerten“ Technologien, die die militärischen Fähigkeiten und die Versorgungssicherheit der Bundeswehr garantieren sollen, zählen die Bereiche Kryptologie, Sensorik und vor allem Technologien in den Rüstungsbereichen der gepanzerten Fahrzeuge und Uboote.

Das Zehn-Punkte-Programm wurde – auf der Grundlage des Koalitionsvertrages – gemeinsam vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, vom Bundesministerium der Verteidigung, vom Auswärtigen Amt und unter Beteiligung des Bundeskanzleramtes erarbeitet.

Der rote Faden, der sich durch das Strategiepapier des Bundeskabinetts zieht: In Zeiten knapper Kassen, die eine verstärkte internationale Rüstungskooperation unumgänglich machen, spielen der europäische Gedanke und damit auch die „Europäisierung“ der Verteidigungsindustrie eine immer wichtigere Rolle, nationale Wirtschaftsinteressen dürfen dabei jedoch keinesfalls außer Acht gelassen werden.

Restriktive Rüstungsexportpolitik bleibt vom neuen Strategiepapier unberührt

Mit dem Programm verfolgt die Regierung – wie zu Beginn bereits angerissen – im Wesentlichen zwei Ziele.

Zum einen wird im Strategiepapier klar zum Ausdruck gebracht, dass eine leistungs- und wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie wichtiger Baustein für die notwendige Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) auf europäischer Ebene ist.

Zweitens ist es das Ziel des Strategiepapiers, die Verteidigungsindustrie in Deutschland aktiv bei ihrer notwendigen Neuausrichtung zu unterstützen. Hierzu enthält das elfseitige Dokument folgende Kernelemente:
Stärkung der Rahmenbedingungen für eine Europäisierung der Verteidigungsindustrie sowie für verstärkte internationale Rüstungskooperationen;
Stärkung der Grundlagen für notwendige nationale und unternehmerische Konsolidierungsprozesse;
Festlegung „nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien“ und konkreter Maßnahmen zur Sicherung dieser Technologien.

Die bisherige restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung bleibt von der neuen Initiative unberührt. Darauf weist ausdrücklich das Haus von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hin.

Die wehrtechnische industrielle Basis Europas stärken

Substanzielle Akzente zur Entwicklung einer europäischen Verteidigungsindustrie hatte der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, bereits im Dezember 2013 und nun erst wieder im Juni dieses Jahres gesetzt. Erklärtes Ziel dabei war und ist es, den bislang stark fragmentierten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die wehrtechnische industrielle Basis Europas zu stärken.

Im Strategiepapier aus Berlin findet sich dazu die Passage: „Die noch stark national orientierten wehrtechnischen Industrien in Europa stehen aufgrund überwiegend sinkender Verteidigungshaushalte, des verstärkten internationalen Wettbewerbs und der Tendenz zu global agierenden Systemhäusern vor steigenden Herausforderungen. Europa braucht eine eigene und leistungsfähige Verteidigungsindustrie, wenn wir die gemeinsame sicherheitspolitische Verantwortung ernst nehmen. Dafür ist ein tieferes gemeinsames Verständnis einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vonnöten. Die Ausarbeitung einer darauf bezogenen Strategie kann dazu beitragen. […] Darauf aufbauend bedarf es konkreter Vorgaben für eine europäische Zusammenarbeit – gerade im Bereich europäischer Verteidigung.“

Die Bundesregierung erinnert auch noch einmal an den Koalitionsvertrag, der die Bedeutung einer verstärkten europäischen und transatlantischen Rüstungszusammenarbeit betone. Deutschland mit seinen wettbewerbsfähigen Unternehmen und seinen Streitkräften habe hier viel einzubringen. Der Koalitionsvertrag unterstreiche zudem das nationale Interesse an der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie – aus wirtschaftlicher, technologiepolitischer und sicherheitspolitischer Sicht. CDU/CSU und SPD sind sich einig: „Verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien und Arbeitsplätze sollen erhalten, Technologien und Fähigkeiten weiterentwickelt werden.“

Bundesregierung verlangt klare Standards in der Exportpolitik

In ihrem Zehn-Punkte-Papier kündigt die Bundesregierung unter anderem an, den Prozess der „Europäisierung“ der Verteidigungsindustrie gemeinsam mit der EU-Kommission, der Europäischen Verteidigungsagentur und den wichtigsten Partnern in der EU intensivieren zu wollen. Schwerpunkte dabei sollen die Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsförderungen, der Themenkomplex „Standardisierung und Zertifizierung“ sowie die Stärkung des europäischen Mittelstandes sein.

Insbesondere brauche eine stärker europäisch ausgerichtete Verteidigungsindustrie klare Standards in der Exportpolitik, fordert die Bundesregierung. Dazu erklärt sie: „Im Kern geht es […] darum, die Anwendung des ,Gemeinsamen Standpunktes der EU betreffend gemeinsamer Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern‘ innerhalb der EU weiter anzugleichen, ohne die Standards der ,Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern‘ aus dem Jahr 2000 infrage zu stellen.“ Man darf einen Spagat erwarten …

Neue Beschaffungsprogramme künftig gemeinsam mit EU-Partnern realisieren

Beim Ausrüstungs- und Beschaffungswesen setzt Deutschland in Zukunft auf verstärkte europäische und euroatlantische Rüstungskooperationen, die dann Projekte gemeinsam für alle Partnernationen umsetzen sollen. Die Bundesregierung verspricht: „Es ist unser erklärtes Ziel, zukünftig neue Beschaffungsprogramme zunehmend gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union durchzuführen. […] Mehr gemeinsame, möglichst standardisierte Entwicklung und Beschaffung wird mittel- bis langfristig zu mehr Zusammenarbeit und darüber hinaus auch zur Konsolidierung in der Verteidigungsindustrie in Europa führen.“

Auf dem Weg hin zu einer stärkeren „Europäisierung der Streitkräfte“ soll es dabei nach den deutschen Regierungsplänen „jenseits von reiner Rüstungskooperation um eine echte und tiefe Integration von militärischen Fähigkeiten“ gehen. Als Rahmennation will Deutschland so strategische Kooperationen mit anderen Streitkräften eingehen, die dann auch durch Rüstung unterlegt sind.

Unternehmensfusionen über Grenzen hinweg bei Wahrung nationaler Interessen

Zum Programmpunkt „Konsolidierung der deutschen und europäischen Verteidigungsindustrie“ beklagt die Bundesregierung: „Die Verteidigungsindustrie in der Europäischen Union ist nach wie vor national ausgerichtet […]. Europa leistet sich den ,Luxus‘ zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, einen intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugprogrammen und eine starke Konkurrenz im Überwasser- und Unterwasserbereich.“

Notwendig sei deshalb eine verstärkte industrielle Konsolidierung und Wettbewerbsfähigkeit in der nationalen und europäischen Verteidigungswirtschaft. Deshalb setze man auch verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter Wahrnehmung der nationalen Interessen. Die Bündelung technologischer Stärken werde die wirtschaftliche Bedeutung europäischer Projekte im internationalen Wettbewerb entscheidend erhöhen, hofft die Regierung.

Die Nagelprobe für dieses Postulat wird nicht lange auf sich warten lassen. Die seit langer Zeit betriebene Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann mit dem französischen Rüstungsunternehmen Nexter Systems (siehe hier und hier) könnte mit der Unterzeichnung der entsprechenden Grundlagenverträge – möglicherweise am 14. Juli in Paris – zu nicht unerheblichen Problemstellungen führen.

Heftige Kritik am geplanten deutsch-französischen Joint Venture

Darauf weist beispielsweise der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, in seinem am 8. Juli in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Beitrag „Ausverkauf deutscher Panzer an Frankreich verhindern“ hin.

Nexter sei im internationalen Markt nicht wettbewerbsfähig, meint Arnold. Im Gegensatz dazu sei Krauss-Maffei Wegmann (KMW) zwar technologisch herausragend, habe aber mit eingeschränkten Exportmöglichkeiten zu kämpfen. Das Joint Venture sehe eine auf fünf Jahre befristete 50:50-Beteiligung beider Unternehmen vor, die damit gleichberechtigt Entscheidungen treffen würden. Danach sei eine Neuverteilung der Anteile möglich. Der Verteidigungsexperte der SPD befürchtet eine Übernahme deutscher Anteile durch die französische Seite und macht auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam: „Für KMW ließen sich die strengen deutschen Export-Richtlinien durch eine 80:20-Prozent-Regelung umgehen: Das Land, in dem 80 Prozent des Produktionsanteils geleistet werden, trifft allein die Exportentscheidungen.“

Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten sprechen deutsche Sicherheitsinteressen eindeutig gegen die Firmenzusammenführung. Arnold fordert: „Wenn die gerade erfolgte Definition von Schlüsselfähigkeiten nicht zur Makulatur werden soll, muss die deutsche Politik alle Möglichkeiten nutzen, um die Fusion zumindest in der geplanten Form zu verhindern.“

Gezielte Industriepolitik, Exportunterstützung und ministerielle Auftragsvergabe

Noch einmal kurz ein Blick auf die Ausführungen der Bundesregierung zum Thema „Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien“. In dem Strategiepapier sind die nachfolgenden Technologiefelder ausgemacht und benannt (unter Berücksichtigung des Aspekts „Systemfähigkeit“):
Führung (vor allem Kryptotechnologie);
Aufklärung (vor allem Sensorik);
Wirkung (vor allem Technologien in den Bereichen gepanzerte Plattformen sowie Unterwassereinheiten);
Unterstützung (vor allem Schutztechnologien).

Diese Liste soll regelmäßig überprüft werden. Für den Erhalt beziehungsweise die Förderung verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien verfügt die Bundesregierung, wie sie sagt, über einige wirksame Instrumente: ressortübergreifende Abstimmung und Priorisierung von Forschungs- und Technologie-Maßnahmen, gezielte Industriepolitik, Exportunterstützung (im Rahmen der Einzelfallentscheidung auf der Grundlage der Politischen Grundsätze der Bundesregierung) sowie die Auftragsvergabe durch das Verteidigungsministerium.

„Bei der Abwägung außen-, europa-, und verteidigungspolitischer Interessen im Rahmen von Beschaffungsentscheidungen wird der Erhalt ausgewählter verteidigungsindustrieller Schüsseltechnologien berücksichtigt“, erläutert das Strategiepapier weiter. Allerdings hatte das Verteidigungsministerium bereits im November vergangenen Jahres die deutschen Unternehmen auch davor gewarnt, aus dem Prädikat „Schlüsseltechnologie“ irgendwelche Zusicherung abzuleiten. In einem ministeriellen Diskussionspapier wird großer Wert auf die Feststellung gelegt, dass die Deklarierung als Kernfähigkeit keine Bestandsgarantie bedeute oder direkte Aufträge oder automatische Exportgenehmigungen zur Folge habe.

Mit deutscher Spitzentechnologie auch sicherheitspolitische Schwerpunkte setzen

Zu guter Letzt noch ein Pressestatement des verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Henning Otte. Auch er begreift eine leistungsfähige wehrtechnische Industrie als zentrales Element deutscher Sicherheitspolitik. Aus diesem Grund seien auch bestimmte Schlüsseltechnologien identifiziert worden, die nun vom Staat gezielt gefördert und unterstützt werden könnten, so Otte. Maßgeblich für die Identifizierung der Schlüsseltechnologien seien entweder Aspekte der Souveränität Deutschlands oder übergreifende sicherheitspolitische Perspektiven.

Der CDU-Parlamentarier erklärt dies: „Im Abstimmungsprozess über die Definition hat die CDU/CSU-Fraktion sich gezielt für eine sicherheitspolitisch bestimmte Sichtweise eingesetzt. Im Falle der geschützten Fahrzeuge kommt aber sogar beides zum Tragen: So ist es wichtig für die Souveränität, dass die Bundeswehr als Vorzugskunde auf Systeme höchster Qualität zurückgreifen kann. Mit deutscher Spitzentechnologie können wir aber auch sicherheitspolitische Schwerpunkte setzen. Das kann beispielsweise durch gezielte Kooperationen mit Verbündeten oder eine sicherheitspolitisch begründete Exportpolitik geschehen. Für die deutschen Uboote gelten ähnliche Argumente.“


Nun ebenfalls „militärisch relevante Schlüsseltechnologie aus Deutschland“ – gepanzerte Fahrzeuge und Unterseeboote:
1. Neuer Kampfpanzer Leopard 2 A7 vom Panzerbataillon 203 in Augustdorf.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)

2. Taufe von U35 am 15. November 2011 in Kiel. Vor dem Unterseeboot angetreten ist der Ehrenzug der Marineschule Mürwik.
(Foto: Björn Wilke/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Der neue Leopard in Augustdorf; unsere beiden Panzer-Aufnahmen entstanden am 18. März 2015.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)


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