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Potsdam/Reggio Calabria (Italien)/Genf (Schweiz). Die deutsche Marine beteiligt sich auch weiterhin an der Mission „Seenotrettung“ im Mittelmeer, allerdings jetzt mit zwei neuen Schiffen. Die Fregatte „Schleswig-Holstein“ und der Tender „Werra“ lösten die Fregatte „Hessen“ und den Einsatzgruppenversorger „Berlin“ ab, die am 5. Mai von Kreta (Griechenland) aus zum humanitären Einsatz aufgebrochen waren. Insgesamt hatten die Besatzungen dieser beiden deutschen Schiffe seitdem in mediterranen Gewässern 3419 Menschen aus gefährlichen Situationen gerettet. Die „Schleswig-Holstein“ und die „Werra“ werden die Mission im Seegebiet zwischen den italienischen und libyschen Hoheitsgewässern in den kommenden Monaten unter Führung von Kapitän zur See Thorsten Mathesius fortführen.

Am Dienstag vergangener Woche (9. Juni) veröffentlichte die internationale Organisation für Migration (International Organization for Migration, IOM) auch ihre neueste Bilanz zur Flüchtlingssituation im Mittelmeerraum. Nach Recherchen der Hilfsorganisation erreichten in diesem Jahr bislang rund 102.000 Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika auf dem Seeweg Europa. 54.660 Migranten wurden in Italien gezählt, nach dem sie sich von Libyen aus auf den Weg gemacht hatten. 46.150 kamen aus Griechenland übers Meer und hatten zuvor die Türkei-Route gewählt.

Den italienischen Behörden zufolge wurden bis zum Stichtag 31. Mai vor allem Flüchtlinge aus folgenden Ländern in italienischen Häfen registriert: Eritrea (10.985), Somalia (4958), Nigeria (4630), Syrien (3185), Gambia (2941) und Senegal (2328). Die meisten der Flüchtlinge, die Griechenland zum Ziel haben, stammen aus Afghanistan und Syrien.

Nur der Auftakt für eine weitaus schlimmere Entwicklung?

An der Rettungsmission im Mittelmeer beteiligen sich nach Informationen von IOM Marineeinheiten aus Deutschland, Großbritannien, Irland, Schweden und Spanien. Die Schiffe brachten die bislang aus Seenot geretteten Menschen in folgende italienischen Häfen: Lampedusa, Catania, Augusta, Palermo, Trapani, Pozzallo, Reggio Calabria, Corigliano Calabro, Vibo Valentia und Taranto.

Aus der Genfer Zentrale der Hilfsorganisation kommt für den Sommer eine beunruhigende Prognose. IOM: „Die Missionen zur Rettung von Menschen aus Seenot, die derzeit von der internationalen Flotte im Mittelmeer durchgeführt werden, sind leider nur der Auftakt für eine weitaus schlimmere Entwicklung. Wir rechnen in den kommenden Wochen und Monaten mit einer wahren Flüchtlingswelle. Denn das warme Wetter wird die Schlepper ermutigen, noch mehr schutzbedürftige Migranten für die Überfahrt in völlig seeuntaugliche Boote zu pressen.“

Rückkehr des EAV 2015 in den Heimatstützpunkt Wilhelmshaven

Die Fregatte „Hessen“ und der Einsatzgruppenversorger „Berlin“, die zum diesjährigen Einsatz- und Ausbildungsverband (EAV) der deutschen Marine gehören, hatten erstmals am 8. Mai mehr als 400 Männer, Frauen und Kinder, die in überfüllten Booten vor der Küste Libyens trieben, aufgenommen (wir berichteten). Insgesamt rettete die Fregatte bis zum Ende ihrer Mission 2428 Flüchtlinge, der Versorger 991.

Am 8. Juni nun wurde in Calgiari auf Sardinien Material von der „Hessen“ auf die „Schleswig-Holstein“ umgeladen. Zudem wechselte Personal für den Rettungseinsatz auf die ablösende Fregatte. Von der „Berlin“ wechselten am 10. Juni Fachpersonal und Material zur „Werra“. Die „Hessen“ wird sich nun im spanischen Malaga mit dem Einsatzgruppenversorger treffen. Danach erfolgt die Rückreise nach Deutschland. F221 und A1411 werden gemeinsam mit der Fregatte „Karlsruhe“ als EAV 2015 am 19. Juni in Wilhelmshaven erwartet.

Militäroperation der Europäer gegen Schlepper und Schleuser

Der EU-Ministerrat hat sich am 18. Mai darauf geeinigt, eine europäische Militäroperation einzurichten, um das Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im Mittelmeer zu zerschlagen. Das operative Hauptquartier der neuen Operation EU NAVFOR Med wird in Rom eingerichtet; zum Befehlshaber wurde bereits der 52 Jahre alte italienische Konteradmiral Enrico Credendino ernannt. Die gemeinsamen Kosten der Operation sollen sich nach Angaben des Pressedienstes des Rates für eine Anlaufphase von zwei Monaten und ein anfängliches Mandat von zwölf Monaten auf etwa 11,82 Millionen Euro belaufen.

Die GSVP-Operation der EU ist Teil einer Reihe umfassender Maßnahmen „zur Rettung von Menschenleben, Bewältigung von Krisensituationen und zur Bekämpfung der eigentlichen Ursachen der illegalen Migration“ (GSVP: Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik). Dies hatte der Europäische Rat am 23. April dieses Jahres gefordert.

Die Einleitung der EU-Marineoperation wird auch auf der Tagesordnung für das Ministerratstreffen „Auswärtige Angelegenheiten“ am 22. Juni stehen.

In Theorie und Praxis – die vier Phasen von EU NAVFOR Med

Die neue Militäroperation der Europäischen Union soll im Mittelmeer und an der libyschen Küste „in mehreren aufeinanderfolgenden Phasen und im Einklang mit den Anforderungen des Völkerrechts durchgeführt“ werden. Ein internes EU-Papier äußert sich unter anderem zu diesen vier Phasen. Phase 1: Deployment and Assessment. Phase 2: Operational/Seizure of Smugglers vessels. Phase 3: Operational/Disruption. Phase 4: Mission Withdrawal and Completion.

Starten soll das Unternehmen demnach mit militärischer Aufklärung (gedacht ist an folgendes „Instrumentarium“: Seefernaufklärer, Drohnen, Satelliten und geheimdienstliche Erkenntnisse). In dieser Anfangsphase „Beobachtung und Prüfung von Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzen“ sollen die Strukturen der Schleusernetzwerke entschlüsselt werden.

In einer zweiten und dritten Stufe der Operation sollen Gegenstände der Schleuser „in Einklang mit dem Völkerrecht und in Partnerschaft mit den libyschen Behörden durchsucht, beschlagnahmt und zerstört“ werden. Die Zerstörung von Schleuserbooten soll in der Phase 3 sowohl auf dem Meer als auch vor dem Ablegen an Land erfolgen. Hierfür wären allerdings ein Mandat der Vereinten Nationen und die Kooperation mit offiziellen libyschen Regierungsstellen erforderlich.

Neben einer Marineoperation wird zugleich auch der Einsatz von Spezialeinheiten an Land erörtert, um „Aktionen entlang der Küste, in Häfen oder gegen ankernde Schmugglerschiffe vor ihrer Benutzung“ durchführen zu können. Hierzu ist auf jeden Fall die Zusammenarbeit mit Libyen erforderlich. Angesichts der derzeitigen chaotischen Verhältnisse im Land und vor dem Hintergrund der wachsenden Bedrohung durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auch in Libyen ein eher unrealistisches Unterfangen.

Momentan noch utopisch dürfte auch die geplante vierte Phase von EU NAVFOR Med sein. Angedacht ist hier, dass die Bekämpfung des Schmuggler- und Schleuserunwesens einmal ganz in die Hände der libyschen Küstenwache gelegt werden soll. Diese nationale Organisation muss aber erst einmal aufgebaut werden.

Mogherini kämpft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen um robustes Mandat

Nach Informationen des Spiegel droht der Start der EU-Operation zur Bekämpfung des Menschenhandels im Mittelmeerraum jedoch schon früh zu scheitern. Wie das Nachrichtenmagazin in seinem Onlineauftritt am 13. Juni meldete, habe man Informationen, denen zufolge der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „Probleme macht“. Es scheint, als wenn das notwendige robuste Mandat für die entscheidenden Phasen von EU NAVFOR Med durch „russische Einwände“ geblockt werden könnte.

Mehrere EU-Mitgliedstaaten haben sich bereits dafür ausgesprochen, deswegen die Operation zunächst auf Phase 1 der Planungen zu beschränken. Zu den Befürwortern dieser „Aufklärer-Variante“ gehört laut Spiegel auch Deutschland. Andere EU-Partner, allen voran Italien, lehnen diesen Kompromiss ab.

Die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, ist ebenfalls gegen eine „abgespeckte“ Militäroperation. Beschränke man sich auf eine Aufklärungsmission und die verstärkte Rettung von Flüchtlingen durch EU-Schiffe, dann liefere man falsche Anreize für Schleuser, soll Mogherini nach Spiegel-Informationen im EU-Militärausschuss argumentiert haben. Schleuser würden ermuntert, so ihre Warnung, Flüchtlinge auf unsicheren Booten bis in internationale Gewässer zu bringen, wo diese dann auch von Marineeinheiten aufgenommen würden.

Die EU-Außenbeauftragte hatte übrigens am 11. Mai in New York im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eindringlich um ein robustes Mandat für einen Militäreinsatz gegen Schlepper und Schleuser geworben. Sie gab sich nach ihrem gut zweistündigen Auftritt im Gremium zuversichtlich, dass „in naher Zukunft“ eine Resolution auf dem Tisch liegen werde.

Bewaffneter Militäreinsatz birgt große Gefahren auch für Flüchtlinge

In dem zuvor bereits zitierten EU-Papier wird auch darauf hingewiesen, dass „Operationen gegen Schmuggler in der Anwesenheit von Migranten ein hohes Risiko von Kollateralschäden und den Verlust von Menschenleben“ bedeuten können („Non-compliant boarding operations against smugglers in the presence of migrants has a high risk of collateral damage including the loss of life“).

Dazu äußerte sich am 19. Mai in einem Pressebeitrag die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Sie warnt: „Tatsächlich stellt der bewaffnete Militäreinsatz eine kaum kontrollierbare Gefahr für Menschenleben dar. Flüchtlingsboote werden in der Regel von verarmten Fischern oder Flüchtlingen gesteuert und beladen.“ Die EU-Operation werfe zudem weitere Fragen auf, meint Pro Asyl. „Wie kann sichergestellt werden, dass unter Deck nicht bereits Flüchtlinge sind? Was passiert wenn Kämpfe zwischen Milizen und EU-Sondereinheiten ausbrechen und Zivilisten und Flüchtlinge dazwischen geraten? Was, wenn Migranten als menschliche Schutzschilde missbraucht werden?“

Die Organisation erinnert an die bitteren Erfahrungen mit „Präzisionsschlägen“ in Afghanistan oder dem Irak. Diese hätten deutlich gezeigt, dass als Folge vermeintlich „präziser“ Operationen gegen Infrastrukturziele immer wieder auch zivile Opfer zu beklagen seien.


Video-Hinweis: Das Video des YouTube-Kanals der Bundeswehr lässt noch einmal die rund vierwöchige Seenotrettungsmission der Fregatte „Hessen“ und des Einsatzgruppenversorgers „Berlin“ Revue passieren. Während ihres Einsatzes im Mittelmeer haben die Besatzungen der beiden Schiffe mehr als 3400 Menschen in lebensbedrohlichen Situationen geholfen.
(Video 15E21513: Redaktion der Bundeswehr)

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Das Bildangebot zu unserem Beitrag:
1. Besatzungsmitglieder der Fregatte „Hessen“ retten am 6. Juni 2015 weitere Schiffbrüchige aus dem Mittelmeer.
(Foto: Michael Gottschalk/Bundeswehr)

2. Am Morgen des 29. Mai 2015 wurde die „Hessen“ von der Seenotleitstelle Rom (Maritime Rescue Coordination Centre, MRCC) zu mehreren Notfällen etwa 30 Seemeilen nordwestlich der libyschen Stadt Abu Kammash gerufen. Insgesamt wurden Schiffbrüchige aus sechs Booten aufgenommen. Später befanden sich insgesamt etwa 880 Flüchtlinge an Bord der Fregatte, davon 118 Frauen und 27 Kinder.
(Foto: Michael Gottschalk/Bundeswehr)

3. Am 14. Mai 2015 nahm die Fregatte „Hessen“ etwa 117 Kilometer nördlich der libyschen Hafenstadt Tripolis 102 Menschen auf, die sich in Seenot befanden. Die Rettung begann an diesem Tag gegen 14 Uhr, etwa 90 Minuten später war die Aufnahme der Migranten an Bord des Marineschiffes abgeschlossen.
(Foto: Sascha Jonack/Bundeswehr)

4. Die Fregatte „Schleswig-Holstein“ vom 2. Fregattengeschwader in Wilhelmshaven löste am 8. Juni 2015 in Calgiari auf Sardinien die „Hessen“ bei der Seenotrettung im Mittelmeer ab.
(Foto: Eugenio Castillo Pert)

5. Die Ablösung der „Berlin“ – der Tender „Werra“ vom 5. Minensuchgeschwader in Kiel.
(Foto: Ralf Roletschek)

6. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am 11. Mai 2015 in New York vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dort warb sie intensiv um ein robustes Mandat zur Bekämpfung der Schlepper und Schleuser im Mittelmeerraum.
(Foto: Loey Felipe/Vereinte Nationen)

Unser Großbild auf der START-Seite entstand am 8. Mai 2015 etwa 130 Seemeilen vor der italienischen Insel Lampedusa; hier nahm die Fregatte „Hessen“ rund 200 Schiffbrüchige auf.
(Foto: PAO/Mittelmeer/Bundeswehr)


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