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Mainz. Warum zieht es so viele junge Menschen in den islamischen Extremismus? Und weshalb radikalisieren sich auch in Deutschland immer mehr von ihnen? In der Dokumentation „Mit Bomben ins Paradies“ zeigt Filmautor Rainer Fromm jetzt an drei aufeinanderfolgenden Tagen in ZDFinfo, auf welchen Wegen deutsche Gotteskrieger in den Dschihad ziehen. Wie junge Menschen aus Deutschland zu al-Qaida und der Terrorbande „Islamischen Staat“ (IS) finden und wie die Netzwerke funktionieren, dies hat das Filmteam in einem experimentellen Selbstversuch untersucht. Mit Pseudonym in die sozialen Netzwerke der radikalislamischen Community eingeschrieben, gab es in kürzester Zeit Kontakt zu al-Qaida- und IS-Kreisen, dabei immer wieder die Aufforderung: „Kommt doch mit in den Dschihad!“

Das Experiment erklärt eine wichtige Facette der sogenannten „Turboradikalisierung“ junger Salafisten: Die islamischen Krieger sind im Netz sofort präsent und wissen das Internet für die Rekrutierung zu nutzen.

Die Dokumentation zeigt in exklusiven Interviews mit jungen deutschen Dschihad-Touristen, warum diese sich vom „Heiligen Krieg“ angezogen fühlen. Filmautor Rainer Fromm und ZDF-Redakteur Udo Frank beleuchten zum Beispiel den Weg von Tarik, der sich zunächst im Bielefelder Islamischen Zentrum sozial engagiert hatte und später für den IS in den Krieg zog. Die 45-minütige Dokumentation nimmt darüber hinaus die in Europa wirkenden Strippenzieher der salafistischen Bewegung in den Blick.

„Gestern noch Geiseln geköpft, heute schon auf der heimischen Couch“

Über das Phänomen der „Turboradikalisierung im Netz“ sprach Thomas Hagedorn vom ZDF mit Autor Fromm:

Auf welchen Wegen werden junge Leute in Deutschland für den Dschihad angeworben?
Rainer Fromm: Um zu erfahren, wie junge Menschen aus Deutschland zu al-Qaida und dem sogenannten „Islamischen Staat“ finden und wie die Netzwerke funktionieren, führten wir einen experimentellen Selbstversuch durch: Wir haben uns unter Pseudonym in die sozialen Netzwerke der radikalislamischen Community eingeschrieben. In kürzester Zeit gab es explosionsartige Reaktionen. Wir bekamen Kontakt in al-Qaida- und IS-Kreise und immer wieder die Aufforderung: „Kommt doch mit in den Dschihad!“ Das Experiment macht deutlich, wie leicht das geht, und erklärt eine wichtige Facette der „Turboradikalisierung“ junger Salafisten. Vom Ergebnis her ist es erschreckend, dass die islamischen Krieger sofort präsent sind: Gestern noch Geiseln geköpft, heute schon auf der heimischen Wohnzimmercouch – und wir wohnen dem Terror nahezu „live“ bei. Diese negative Faszination ist für viele junge Männer sehr anziehend, IS-Filme werden inzwischen auf Schulhöfen getauscht wie früher Abziehbildchen von Fußballstars.

Bedurfte es eines besonderen Erstkontaktes, um die Aufmerksamkeit in der Community zu wecken?
Fromm: Die Undercover-Recherche starteten wir auf einer Veranstaltung mit dem deutschen islamistischen Prediger Pierre Vogel. Das Pseudonym war auf eine junge Frau angelegt, entsprechend kamen sofort Angebote, ob sie Gotteskrieger heiraten wolle. Aber es gab auch Warnungen in den sozialen Netzwerken: „Mädchen, hör‘ auf mit dem Mist“. Nach sechs Wochen wurde der Account gesperrt.

Wie wird man ansonsten fündig, wenn man in Sachen IS Feldrecherche betreibt?
Fromm: Man muss in jedem Fall initiativ werden: auf Veranstaltungen gehen, Leute ansprechen. Zum einen helfen die Infos aus dem Umfeld der Polizei und des Verfassungsschutzes weiter – wer beispielsweise aus Deutschland nicht ausreisen darf, um in den Dschihad zu ziehen. Zum anderen stößt man mit langem Recherche-Atem auch auf Islamisten aus dem Umfeld der Terrornetzwerke, die sich mitteilen wollen. Für die neue Doku ist der informationsreichste Weg: Wo dockt man als Jugendlicher an, der vom „Heiligen Krieg“ angezogen wird, wie findet man im Netz den Weg? Und da haben wir inzwischen auch verlässliche Szenekontakte aufbauen können und folgen europaweit den Spuren von Mitgliedern verbotener salafistischer Netzwerke.

Mehr als 20.000 ausländische Kämpfer aus rund 90 Ländern

Neueste Zahlen belegen die ungebrochene Anziehungskraft der IS-Terroristen und anderer extremistischer Gruppierungen. Jetzt wurden aktuelle Schätzungen des US-Terrorabwehrzentrums (National Counterterrorism Center, NCTC) publik, die von rund 20.000 ausländischen Kämpfern aus mehr als 90 Ländern in Syrien ausgehen. Etwa 3400 dieser Dschihad-Touristen sollen aus westlichen Ländern stammen, mehr als 150 Personen aus den USA selbst. Ein Großteil der Ausländer soll sich dem IS angeschlossen haben, dessen Stärke das NCTC auf derzeit bis zu 31.500 Mann schätzt.

Diese Angaben machte NCTC-Direktor Nicholas J. Rasmussen am gestrigen Donnerstag (12. Februar) bei einer Anhörung des Senatsausschusses für Geheimdiensttätigkeiten (United States Senate Select Committee on Intelligence, SSCI) und am 11. Februar vor dem United States House Committee on Homeland Security, einem ständigen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses.

Dabei skizzierte Rasmussen die Dimensionen der derzeitigen Dschihad-Reisewelle: „Es ziehen heutzutage zahlenmäßig mehr ausländische Kämpfer nach Syrien, als jemals zuvor in den vergangenen 20 Jahren nach Afghanistan, Pakistan, in den Irak, in den Jemen und nach Somalia zusammen.“

Rückreise nach Europa mit Hilfe von Schlepperbanden und falschen Papieren

Die Zahl der Dschihadisten aus der Europäischen Union, die sich im irakisch-syrischen Kriegsgebiet Terrorgruppen angeschlossen haben, könnte nach einer Schätzung der spanischen Polizei mit 30.000 bis 100.000 Personen sogar noch wesentlich höher als bislang angenommen sein. Diese Schreckensstatistik sei in einer Studie der Cuerpo Nacional de Policía de España enthalten, berichtete am 6. Februar die Tageszeitung El Pais („Los yihadistas usan redes de tráfico de personas para regresar a Europa“).

Bei der Rückkehr radikaler Islamisten nach Europa werde häufig die Hilfe von Schlepper in Anspruch genommen, zitiert El Pais aus der Studie. Den Ex-Kämpfern werde die Einreise mit falschen Papieren ermöglicht. Die Rückkehrer versteckten sich unter Flüchtlingen. Die Schlepperbanden benutzten vor allem das spanische Territorium, um ihre Auftraggeber von dort aus nach Zentraleuropa zu bringen.


Randnotiz                                  

„Mit Bomben ins Paradies – die deutschen Gotteskrieger“, Dokumentarfilm von Rainer Fromm, Redaktion Udo Frank. Die drei Sendetermine:
Donnerstag, 12. Februar 2015, (1:20 Uhr) in ZDFinfo;
Freitag, 13. Februar 2015, (17:15 Uhr) in ZDFinfo;
Samstag, 14. Februar 2015, (9:05 Uhr) in ZDFinfo.
Ab Freitag, 13. Februar 2015, ist die Fromm-Dokumentation auch in der Mediathek des ZDF abrufbar. Alle Angaben ohne Gewähr.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Filmautor Rainer Fromm interviewt den deutschen Salafistenprediger Pierre Vogel.
(Foto: ZDF Presse und Information)

2. Nach Angaben des Terrorabwehrzentrums der USA sind derzeit rund 20.000 ausländische Kämpfer aus rund 90 Nationen in Syrien aktiv. Ein Großteil hat sich der Terrorbewegung „Islamischer Staat“ angeschlossen.
(Foto: amk)


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