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Berlin/Pinnow. Der 25. November 2015 war „ein guter und wichtiger Tag“. So empfand es nicht nur der CDU-Parlamentarier Robert Hochbaum, Vorsitzender des Unterausschusses „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ des Deutschen Bundestages. Hochbaum verfolgte am Mittwoch dieser Woche im brandenburgischen Pinnow gemeinsam mit anderen Bundespolitikern gespannt die Zerstörung der letzten deutschen Streubombe. Deutschland erfüllte damit seine Verpflichtungen aus dem Oslo-Übereinkommen vorzeitig und verfügt nun über keine Bestände an Cluster-Munition mehr.

Streu- oder Cluster-Munition wird durch Kassettenbomben oder Schüttbomben ausgebracht. Dabei dient die Bombe als Behälter für mehrere kleinere Bomblets oder Submunitionen, die nach dem Abwurf oder Abschuss verstreut werden. Die Streumunition kommt durch Fliegerbomben (Streubombe), Artilleriegeschosse (Cargo-Munition) oder Marschflugkörper-Sprengköpfe zum Einsatz.

Streubomben bedrohen durch ihre ungezielte Wirkung immer auch die Zivilbevölkerung. Sie hinterlassen zudem zahlreiche Blindgänger, die noch lange nach Ende eines Konflikts Tote und Verletzte fordern.

Internationale Koalition kämpft für weltweite Ächtung der Cluster-Munition

Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen wie das Rote Kreuz, Human Rights Watch oder Amnesty International sowie humanitäre Initiativen wie „Handicap International“ oder der „Deutsche Initiativkreis für das Verbot von Landminen“ kämpfen seit Jahren für eine Ächtung der perfiden Munition.

Im Jahr 2003 wurde von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen eine internationale Koalition, die „Cluster Munition Coalition“ (CMC), ins Leben gerufen. Ihr gehören heute weltweit rund 150 Organisationen an, die für eine komplette Verbannung von Streumunition eintreten. CMC orientiert sich an der vorbildhaften Kampagne gegen Landminen, die ein völkerrechtliches Verbot von Landminen durchsetzen konnte (und dafür 1997 den Friedensnobelpreis bekam).

Am 19. Mai 2008 trafen sich in Dublin Vertreter von 111 Staaten zu einer entscheidenden Anti-Cluster-Konferenz und formulierten eine Konvention zur Ächtung der Produktion, Lagerung und Verwendung von Streumunition. Dieses Vertragswerk konnte am 3. Dezember 2008 in Oslo unterzeichnet werden und trat schließlich am 1. August 2010 in Kraft.

Mit Inkrafttreten des zentralen Vertragswerks über die weltweite Ächtung von Streumunition hatte sich auch Deutschland dazu verpflichtet, auf den Einsatz, die Entwicklung und den Erwerb von Streumunition zu verzichten. Die Bundesregierung hatte zugesichert, innerhalb von acht Jahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens die Lagerbestände für die Bundeswehr zu vernichten.

In den letzten Jahren rund 50.000 Tonnen deutsche Streumunition beseitigt

Zur Zeit des Kalten Krieges verfügte die Bundeswehr über eine halbe Million Behälter Streumunition unterschiedlichen Typs mit insgesamt mehr als 60 Millionen Stück explosiver Submunition. Allerdings hat sie diese Waffen selbst nie eingesetzt. Im Auftrag des Verteidigungsministeriums entsorgten Unternehmen, die auf Kampfmittelbeseitigung spezialisiert sind, in den vergangenen Jahren etwa 50.000 Tonnen der deutschen Cluster-Munition.

Dazu erklärte jetzt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Die Bundesregierung hat nahezu drei Jahre schneller als vertraglich festgelegt ihre Verpflichtungen erfüllt. Eine so gewaltige Menge an Munition zu vernichten, ist ein weiterer Meilenstein für unser Engagement in der weltweiten Abrüstung. Deutschland hat damit erneut seine Fähigkeit und Erfahrung bei der Kampfmittelbeseitigung bewiesen und ein sichtbares Zeichen unseres sicherheitspolitisch verantwortungsbewussten Handelns gesetzt.“

Großmächte verweigern weiterhin ihre Vertragsunterschrift

Der Oslo-Verbotsvertrag ist bis heute von 117 Ländern unterzeichnet und von 98 ratifiziert worden. Seit 2008 haben 27 Staaten mehr als 1,3 Millionen Streubomben und mehr als 160 Millionen Stück Submunition aus ihren Lagerbeständen vernichtet. Leider wurden diese Waffen in den letzten Jahren aber auch wieder vermehrt eingesetzt: in Libyen, Syrien, Sudan, Jemen und in der Ukraine. Die meisten Opfer gab es nach Angaben von CMC in Syrien: Zwischen 2012 und 2014 wurden dort 1968 Menschen durch Streubomben getötet oder schwer verletzt.

Nicht mitgetragen wird die Konvention von immer noch 80 Ländern – darunter die USA, Russland, China, Indien, Pakistan, Finnland, Polen, Rumänien oder die Türkei. Auch keines der Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens – bis auf Irak, Libanon, die Palästinensischen Gebiete und Tunesien – haben die Konvention unterzeichnet. Auch Israel nicht.

„Ziel ist und bleibt ein globales Verbot“ für diese Form der Munition

An der Zerstörung des letzten deutschen Trägergeschosses für Streumunition am 25. November nahmen die Obleute aller Fraktionen des Unterausschusses „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ teil. Auch Vertreter der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes erlebten den historischen Moment auf dem Gelände des Entsorgungsunternehmens Nammo Buck in Pinnow live mit. „Heute ist nicht nur ein guter und wichtiger Tag, er hat auch eine Signalwirkung“, sagte Unterausschussvorsitzender Robert Hochbaum nach der Vernichtung der allerletzten deutschen Cluster-Munition.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich am Mittwoch ebenfalls zur Erfüllung des „Oslo-Übereinkommens“ durch Deutschland: „Streumunition richtet global unermessliches Leid an. Dass mit dem heutigen Tag auch alle deutschen Lagerbestände an Streumunition endgültig vernichtet sind, ist eine gute Nachricht.“ Die Räumung und die Entsorgung von Streumunition überall auf der Welt bleibe aber auch weiterhin eine große Herausforderung. Die Bundesregierung werde nicht aufhören, auch andere Länder dabei zu unterstützen, ihre Bestände zu vernichten und explosive Minen und Kampfmittel zu räumen. Steinmeier machte deutlich: „Unser Ziel ist und bleibt ein weltweites Verbot von Streumunition.“

Bislang weltweit mehr als 55.000 Opfer von Streubomben

Zeitgleich mit der Beseitigung der letzten Cluster-Bestände der Bundeswehr veröffentlichte die Initiative „Landmine and Cluster Munition Monitor“ ihren „Landmine Monitor Report 2015“. Dieser Jahresbericht über die weltweite Bedrohungslage durch Landminen, der nun bereits zum 17. Mal erschienen ist (siehe auch hier), gilt als „Schwesterpublikation“ des „Cluster Munition Monitor Report“. Die aktuelle Ausgabe der Cluster-Studie war vor wenigen Wochen, am 3. September, der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Aus ihr geht hervor, dass im Laufe des vergangenen Jahres acht Staaten – dazu gehörten unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien und Japan – insgesamt 121.585 Streubomben (die Behälter) und 16,4 Millionen Bomblets (die Submunition in den Behältern) vernichtet haben.

Weltweit schätzen die Initiativen „Cluster Munition Coalition“ und „International Campaign to Ban Landmines“ (ICBL) die Zahl der Streubomben-Opfer, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, auf etwa 55.000.

Im vergangenen Jahr wurden in 33 Ländern 1035 Kinder Opfer von Landminen, Sprengfallen, Resten von Cluster-Munition und anderen Kampfmitteln. 319 Kinder wurden getötet, 716 verletzt.

Die weltweite Zahl der Opfer von Minen und Streumunition ist 2014 im Vergleich zum Vorjahr 2013 zwar leicht angestiegen. Seit Beginn der Erfassung durch „Landmine Monitor“ im Jahr 1999 kann die Opferzahl für 2014 (3678 getötete oder verletzte Menschen durch Landminen, IEDs oder Streumunition) jedoch als „niedrig“ bezeichnet werden. 2013 war die Zahl mit 3308 Opfern laut „Monitor“-Studie auf ein „historisches Tief“ gesunken.

Der jetzt am heutigen Donnerstag (26. November) vorgestellte „Landmine Monitor Report“ dokumentiert für das Jahr 2014 eine globale Rate von zehn Unglücksfällen pro Tag, die durch Kampfmittel verursacht wurden. 1999 waren es täglich durchschnittlich noch 25 Fälle. Der Landminen-Bericht verzeichnet für Afghanistan den größten Zuwachs an Toten und Verwundeten in diesem Bereich – waren im Jahr 2013 bereits 1050 Opfer zu beklagen, so erreichte die Zahl in 2014 mit 1296 Getöteten und Verletzten einen weiteren Höhepunkt. Wie heimtückisch der Krieg in Afghanistan geführt wird, zeigt auch folgender Vergleich: 2013 waren 567 der dokumentierten Fälle Opfer von Sprengfallen, 2014 gab es 809 IED-Opfer.


Zu unserer Bildsequenz:
1. Noch intakte Streumunition in Afghanistan.
(Foto: John Rodsted/Handicap International e.V.)

2. Zahlreich Opfer gab es im Libanon im Sommer 2006 in den ersten Wochen des Waffenstillstandes. Im August etwa wurden 92 Menschen von Streumunition schwer verletzt oder getötet. Die Aufnahme zeigt drei Jungen am Grab ihres Freundes, der durch die Explosion von Cluster-Munition ums Leben gekommen war. Der Sprengsatz war bei Aufräumarbeiten von einem Baum gefallen.
(Foto: Ursula Meissner/Handicap International e.V.)

3. Die Infografik zeigt, wo weltweit überall Menschen Opfer von Streumunition wurden.
(Bild: Landmine & Cluster Munition Monitor/ICBL-CMC 08.15)

4. Auf dieser Fläche in Laos wird das Ausmaß der Verseuchung durch Streumunition überdeutlich.
(Foto: Handicap International e.V.)

5. Die zweite Infografik bietet eine Übersicht über den Gebrauch von Streumunition im Zeitraum Januar 2014 bis August 2015.
(Bild: Landmine & Cluster Munition Monitor/ICBL-CMC 08.15)

6. Techniker beim Anfertigen einer Armprothese. Das Bild entstand in einer Werkstatt zur Prothesenherstellung von „Handicap International“.
(Foto: Paul Vermeulen/Handicap International e.V.)

Kleines Beitragsbild: Aktionstag von „Handicap International“ gegen Streumunition am 26. Oktober 2008 auf dem Marienplatz in München. Das Happening fand damals im Rahmen des „Global Day Of Action der Cluster Munition Coalition“ statt.
(Foto: Heinz von Heydenaber/Handicap International e.V.)


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