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Hamburg/Berlin. Deutschland trauert um einen großen Deutschen. Altbundeskanzler Helmut Schmidt ist tot. Der Sozialdemokrat starb am gestrigen Dienstag (10. Oktober) im Alter von 96 Jahren in seinem Haus in Hamburg-Langenhorn. Außenminister Frank-Walter Steinmeier gelang in Worte zu fassen, was viele – vor allem ältere – Bundesbürger in diesem Moment empfinden. Der SPD-Politiker bekannte: „Wir Deutschen haben eine Vaterfigur verloren. Helmut Schmidt hat uns und unser Land tief geprägt. Generationen, auch ich, haben seine Klugheit und Autorität gesucht und geschätzt – bis an sein Lebensende in einem gesegneten Alter. Helmut Schmidt war nicht nur Kanzler der Deutschen – er war Mentor der Deutschen.“ Auch die Bundeswehr trauert um Bundeskanzler a.D. Schmidt, der während der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt von 1969 bis 1972 der erste sozialdemokratische Verteidigungsminister auf der Bonner Hardthöhe gewesen war.

Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen würdigte den verstorbenen Staatsmann am Dienstagnachmittag in einem Onlinebeitrag ihres Ministeriums mit den Worten: „Wir haben Helmut Schmidt viel zu verdanken. Seit ihrer Gründung hat er die Bundeswehr eng begleitet und immer wieder geprägt, als Abgeordneter, als Verteidigungsminister und als Bundeskanzler. Helmut Schmidt war nicht nur ein großer Denker, der stets über den Tellerrand schaute. Helmut Schmidt war als Politiker auch ein großer Pragmatiker. Seine zupackende Hilfe für Menschen in Not ist heute noch vorbildhaft, auch für die Bundeswehr.“

In diesem Nachruf („Zum Tod von Altbundeskanzler Helmut Schmidt: Deutschland trauert um einen großen Staatsmann“) erinnerte das Verteidigungsministerium gestern auch noch einmal an die prägenden Ereignisse dieser Ministerjahre. Jörg Fleischer, Ressortleiter „Politik“ in der Redaktion der Bundeswehr in Berlin, schreibt: „Schmidt maß den Prinzipien der Inneren Führung große Bedeutung zu. 1970 legte er mit seinem Weißbuch das für damalige Zeit bisher größte Reformprogramm der Bundeswehr vor – weniger Rüstung, kürzere Dienstzeit und eine neue Wehrstruktur waren die Kernpunkte. So verkürzte Schmidt den Grundwehrdienst von 18 auf 15 Monate. Die Neuordnung der Ausbildung in der Bundeswehr prägte seine Amtszeit. Er beschloss die Gründung der Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München. Mit dem Namen ,Helmut-Schmidt-Universität‘ trägt die Universität der Bundeswehr in seiner Heimatstadt Hamburg seinen Namen.“

Achtung und Dankbarkeit vor einer beispielhaften Lebensleistung

Helmut Schmidt ist seit dem 15. Dezember 2003 Namensgeber der Hamburger Universität. Der Akademische Senat hatte diese Entscheidung damals wie folgt begründet: „Als Verteidigungsminister hat Helmut Schmidt die Universitäten der Bundeswehr gegründet, die am 1. Oktober 1973 den Lehrbetrieb aufnahmen. Damit hat er die Wissenschaft um zwei Universitäten bereichert und den Offizierberuf zu einem akademischen Beruf gemacht. Diese gesellschaftspolitische Reform und wissenschaftspolitische Leistung soll durch den Namen der Universität sichtbar gemacht und dauerhaft gewürdigt werden.“

Prof. Dr. Wilfried Seidel, Präsident der Universität, äußerte sich am Dienstag unmittelbar nach Bekanntwerden des Todes des früheren Ministers und Bundeskanzlers. In Seidels Presseerklärung heißt es unter anderem: „Mit Helmut Schmidt hat unser Land einen außergewöhnlichen Menschen, einen angesehenen Politiker und einen überaus beliebten Staatsmann verloren. […] Helmut Schmidt stand als Persönlichkeit für eine Generation, die Krieg und Zusammenbruch erlebt, die Bundesrepublik Deutschland aufgebaut und die parlamentarische Demokratie neu und zuverlässig begründet hat. Seine Verdienste als Politiker und Parlamentarier, Minister und Bundeskanzler sind groß. Er gab als Kanzler den meisten Deutschen – egal, welcher Partei sie nahe standen – das Gefühl, gut regiert zu werden. Er verstand sich zeitlebens als Problemlöser. Seine hanseatische Bescheidenheit und sein Pragmatismus kennzeichneten seine Persönlichkeit.“

Seidel schließt den Nachruf der Hochschule mit den Worten: „Wir verneigen uns in Achtung und Dankbarkeit vor seiner Person, seinem Wirken und seiner beispielhaften Lebensleistung.“

Einer der großen Baumeister unserer sozialen Demokratie

In einem „Pressestatement zum Tod von Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt“ würdigt Bundespräsident Joachim Gauck den Verstorbenen mit ergreifenden Worten: „Wir trauern um Helmut Schmidt. Deutschland hat einen großen Staatsmann verloren, einen Menschen, der so vieles für uns war: Politiker und Publizist, Macher und Mahner, vor allem aber ein Demokrat; ein Mann, der wusste, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet, und der sich dieser Verantwortung stellte. So wurde er mit seiner Haltung für Millionen zum Vorbild.“

Was Schmidt ausgezeichnet habe, sei vor allem seine geistige Unabhängigkeit gewesen. Erkennen und schnörkellos benennen – dies sei seine Devise gewesen, danach habe er gelebt. Gauck erinnerte auch daran: „Er wich Problemen nicht aus, auch dann nicht, wenn es für ihn bequemer gewesen wäre. Mit seiner Entschlossenheit schrieb er deutsche Geschichte. Helmut Schmidt war der Mann, der zu entscheiden vermochte – sowohl bei Naturkatastrophen wie angesichts terroristischer Gefährdung des Staatswohls sahen wir einen Mann, der entschlossen und tatkräftig war. Er, der den Frieden liebte, weil er den Krieg erfahren hatte, wusste in Zeiten von Bedrohungen zu schützen, was ihm und uns allen am Herzen lag – unsere Freiheit, unsere Demokratie, den Frieden. Das Werden und Wachsen eines in Freiheit vereinigten Europas war ihm, der weltumspannend dachte, Aufgabe und Verpflichtung. Sein Pflichtbewusstsein, sein Arbeitsethos und seine Ausdauer haben uns, Ost- wie Westdeutsche, beeindruckt – und das immer wieder.“

Der fünfte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland habe die Erfolge starker Führung genauso wie den Geschmack bitterer Niederlagen gekannt, schrieb Gauck weiter. Viele Jahre habe er außerdem die Menschen an seinen Erfahrungen teilhaben lassen. Helmut Schmidt habe an die Leidenschaft appelliert und vor allem an die Vernunft. So viele Menschen hätten ihm zugehört. So viele Menschen hätten auf seine Urteilskraft vertraut, hätten auch im besten Sinne demokratisch mit ihm gestritten. So viele Menschen würden ihn nun vermissen.

Der Bundespräsident schloss seine Erklärung mit einer historischen Einordnung: „Helmut Schmidt gehörte der Generation der ‚gebrannten Kinder‘ des blutigen Jahrhunderts in Deutschland an. Die Schrecken und Abgründe, die er in seiner Jugend erfahren hatte, gaben ihm eine Richtung vor – die soziale Demokratie. Er war einer ihrer großen Baumeister. Wir verabschieden uns von ihm in Trauer und in großer Dankbarkeit.“

Nüchternheit und Rationalität, Toleranz und Weltoffenheit

Bundestagspräsident Norbert Lammert nannte am Dienstag in einem Beileidsschreiben an die Tochter Schmidts den ehemaligen Bundeskanzler „eine der bedeutendsten politischen und intellektuellen Persönlichkeiten unseres Landes“, die sich als Parlamentarier, als Bundesminister und vor allem als Bundeskanzler „auf herausragende Weise um Deutschland verdient gemacht“ habe.

Von der Wirtschaftsrezession der 1970er-Jahre bis hin zu Deutschlands Rolle im Kalten Krieg habe Helmut Schmidt in seiner Amtszeit große Herausforderungen zu bewältigen gehabt, die er ebenso tatkräftig wie besonnen gemeistert habe, so Lammert. Unvergessen sei seine Standfestigkeit im „Deutschen Herbst“, in dem die Bundesrepublik ihre schwerste Belastungsprobe bestand – ohne selbst die Freiheit zu gefährden, gegen die der Terror gerichtet war. Damit habe sich Helmut Schmidt hohes Vertrauen und Ansehen erworben – nicht allein in Deutschland.

In der ganzen Welt habe Schmidt höchste Reputation als Staatsmann genossen, der deutsche Politik berechenbar gemacht habe, weil sie „auf Nüchternheit und Rationalität, Toleranz und Weltoffenheit beruhte“, würdigte Lammert den Repräsentanten Deutschlands.

Auch nach seiner Amtszeit sei Helmut Schmidt mit seiner immensen politischen Erfahrung für die politische Debatte prägend gewesen. Nicht wenigen Menschen habe seine Meinung bis zuletzt als ein Kompass gedient. Man verneige sich nun vor einer der „bedeutendsten politischen und intellektuellen Persönlichkeiten unseres Landes“, erklärte der Bundestagspräsident.

Eine politische Institution der Bundesrepublik Deutschland

„Er war für mich eine Instanz – einer, dessen Rat und Urteil mir etwas bedeuteten.“ Mit diesem Bekenntnis würdigte Angela Merkel am gestrigen Dienstag den verstorbenen Altbundeskanzler. Helmut Schmidt, so urteilte sie, habe sich um Deutschland verdient gemacht.

Wörtlich sagte Merkel während der Pressekonferenz im Kanzleramt: „Den Deutschen über Hamburg hinaus wurde Helmut Schmidt 1962 ein Begriff – in den Stunden der höchsten Not seiner geliebten Heimatstadt. Während der Sturmflut handelte er als Innensenator entschlossen und mit der Gabe zur Improvisation. Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals als kleines Mädchen und natürlich auch meine Eltern in der DDR buchstäblich am Radio hingen, weil wir uns unglaubliche Sorgen um unsere Großmutter und unsere Tante in Hamburg machten, und wie wir gerade Helmut Schmidt vertrauten, dass er die Lage in den Griff bekommen wird. Das ist meine erste starke, meine ganz persönliche Erinnerung an ihn. Von da an schätzten die Deutschen diesen Politiker mit seiner hanseatischen schnörkellosen Sprache und seiner natürlichen Autorität.“

Heute sei sichtbar, so Merkel weiter, dass aus der Wertschätzung und dem Respekt, die Schmidt entgegen gebracht worden seien, in den Jahrzehnten „eine tiefe Zuneigung zu unserem Altkanzler“ geworden sei. Dabei habe die Menschen seine persönliche Bescheidenheit genauso beeindruckt wie sein Pflichtbewusstsein. Die Bundeskanzlerin gewährte schließlich einen Einblick in ihr Seelenleben: „Helmut Schmidt war eine politische Institution dieser Bundesrepublik. Er war auch für mich eine Instanz – einer, dessen Rat und Urteil mir etwas bedeuteten. Zuletzt vor gut einem Jahr habe ich ihn zu einem längeren Gespräch in seinem Wohnhaus in Hamburg besuchen dürfen. Das werde ich nicht vergessen.“

Wichtige Impulse, die Schmidt der internationalen Politik gab, wirken fort

Über den Bundeskanzler Helmut Schmidt, der das Amt in Bonn von 1974 bis 1982 bekleidete, urteilte Angela Merkel: „Seine Standfestigkeit hat uns geholfen, die schweren Prüfungen des internationalen und des deutschen Terrorismus der 1970er-Jahre zu bestehen. Wichtige Anstöße, die Helmut Schmidt der internationalen Politik damals gab, wirken bis heute fort: sein Einsatz in der Debatte um den NATO-Doppelbeschluss, sein Einsatz für das europäische Währungssystem, für eine vertiefte europäische Integration überhaupt – eine Forderung, die ihre Gültigkeit nicht verloren hat. Und wann immer sich heute Staats- und Regierungschefs zu einem G7- oder G20-Gipfel treffen, sei daran erinnert, dass vor genau 40 Jahren Bundeskanzler Helmut Schmidt zusammen mit Frankreichs Präsident Valéry Giscard d’Estaing zum ersten Weltwirtschaftsgipfel eingeladen hat. Wir gedenken heute also auch eines der Väter der Gipfeldiplomatie.“

Sichtlich bewegt würdigte die CDU-Politikerin zum Schluss dieser Pressekonferenz den verstorbenen Hanseaten: „Ich stehe heute hier in tiefem Respekt vor der Leistung Helmut Schmidts, vor den Leistungen im Laufe seines langen Lebens – als Hamburger Politiker, als Minister verschiedener Bundesregierungen, als Bundeskanzler und schließlich als unabhängiger Geist und Publizist. Er hat sich um unser Land verdient gemacht. Wir werden das nie vergessen.“


Zu unserer Bildsequenz:
1. Helmut Schmidt am 1. Februar 2014 bei der 50. Münchner Sicherheitskonferenz. Die Aufnahme zeigt den Altbundeskanzler bei einer Podiumsdiskussion, verdeckt neben ihm Valéry Giscard d’Estaing, von 1974 bis 1981 Staatspräsident Frankreichs. In der Bildmitte sehen wir Henry Kissinger, der unter anderem von 1973 bis 1977 US-Außenminister war. Ganz rechts der am 19. August 2015 in Berlin verstorbene SPD-Politiker Egon Bahr. Bahr war von 1972 bis 1974 Bundesminister für besondere Aufgaben und von 1974 bis 1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Unter dem von ihm geprägten Leitgedanken „Wandel durch Annäherung“ war der Sozialdemokrat einer der entscheidenden Vordenker und führender Mitgestalter der von der Regierung Willy Brandt ab 1969 eingeleiteten Ost- und Deutschlandpolitik.
(Foto: Tobias Kleinschmidt/MSC)

2. Empfang der damaligen Bundeswehr-Führung bei Bundeskanzler Willy Brandt am 8. Dezember 1969. Die Aufnahme zeigt (von links) Luftwaffeninspekteur Johannes Steinhoff, Verteidigungsminister Helmut Schmidt, Kanzler Brandt, Generalinspekteur Ulrich de Maizière und Heeresinspekteur Albert Schnez.
(Foto: Lothar Schaack/Bundesarchiv)

3. Bundeskanzler Willy Brandt und sein späterer Nachfolger Helmut Schmidt beim SPD-Bundesparteitag in Hannover im April 1973.
(Foto: Bundesarchiv)

4. Helmut Schmidt in seinem Büro im damals neuen Kanzleramt in Bonn, 1976. Auf seine Initiative hin wurde das hinter ihm erkennbare Porträt August Bebels, einem der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, dem Kanzleramt zur Verfügung gestellt.
(Foto: Bundesarchiv)

5. Der 1. Oktober 1982: Das konstruktive Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt führte an diesem Freitag zu dessen Sturz nach 13 Jahren sozial-liberaler Koalition. Der erfolgreiche gemeinsame Antrag von CDU/CSU und FDP machte damals den CDU-Politiker Helmut Kohl zum neuen Kanzler. Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte vollzog sich damit ein Regierungs- und Kanzlerwechsel durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Das eindrucksvolle Zeitdokument zeigt Helmut Schmidt auf der Regierungsbank während der mehr als sechsstündigen Bundestagsdebatte, die der Abstimmung über den Misstrauensantrag vorausging.
(Foto: Presse-Service Steponaitis/Deutscher Bundestag)

6. Helmut Schmidt am 10. September 1986 bei seiner Abschiedsrede im Plenarsaal des Deutschen Bundestages im Wasserwerk in Bonn. Er beendete seine Mitgliedschaft im Parlament nach Ablauf der 10. Wahlperiode.
(Foto: Presse-Service Steponaitis/Deutscher Bundestag)

7. Helmut Schmidt wurde im Rahmen der 50. Münchner Sicherheitskonferenz (31. Januar bis 2. Februar 2014) gemeinsam mit dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing mit dem Ewald-von-Kleist-Preis geehrt. Schmidt und Giscard d’Estaing hatten in den 1970er-Jahren mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) die Grundlage für den heutigen Euro gelegt und galten als Schlüsselfiguren der deutsch-französischen Aussöhnung im Rahmen der Europäischen Integration. Die Münchner Sicherheitskonferenz vergibt den Ewald-von-Kleist-Preis seit 2009. Mit ihm werden herausragende Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise für Frieden und Konfliktbewältigung eingesetzt haben. Schmidt und Giscard d’Estaing sind die fünften Preisträger. Die Auszeichnung würdigt das politische Leben und Wirken Ewald von Kleists, der 1963 die Münchner Sicherheitskonferenz damals unter dem Namen „Wehrkunde-Begegnung“ ins Leben rief und sie bis 1998 leitete.
(Foto: Marc Mueller/MSC)

8. Die große Leidenschaft!
(Foto: Sebastian Zwez/MSC)

Kleines Beitragsbild: Helmut Schmidt, Valéry Giscard d’Estaing, Henry Kissinger und Egon Bahr am 1. Februar 2014 bei der Münchner Sicherheitskonferenz (weitere Infos unter Punkt 1).
(Foto: Tobias Kleinschmidt/MSC)


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