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Berlin. Wer kennt sie nicht, die „Lebenshilfe“ der Medien zum Jahreswechsel. Mit der Überschrift „Was sich im neuen Jahr alles ändert“ werden wir noch einmal eingestimmt auf die großen und kleinen gesetzgeberischen Neuerungen, die uns nach Silvester erwarten. So setzt Deutschland ab dem 1. Januar 2016 die Europäische Arbeitszeitrichtlinie mit der 41-Stunden-Woche um. Diese Richtlinie wird wohl – nach derzeitigem Stand – auch den wöchentlichen Dienst bei der Bundeswehr im Grundbetrieb begrenzen. Allerdings fehlen wohl immer noch entsprechende Vorschriften. Die Kritik wird lauter. So fordert jetzt der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter von der Regierung einen vorläufigen Verzicht auf die bevorstehende Arbeitszeitbeschränkung für Soldaten. Die aktuellen Verpflichtungen der Bundeswehr im In- und Ausland seien momentan einfach zu groß, argumentiert der Verteidigungsexperte.

Im Februar 2014 hatten wir über eine „Studie zur Entwicklung von attraktiven und konkurrenzfähigen Dienstzeit- und Dienstzeitausgleichsmodellen für Soldatinnen und Soldaten“ berichtet, mit deren Realisierung das Verteidigungsministerium die KPMG AG Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft beauftragt hatte. Die Studie war in Auftrag gegeben worden, um – so das Ministerium – die „Attraktivität des Dienstes und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst weiter zu verbessern“.

Laut KPMG-Studie leisten Soldaten durchschnittlich 4,3 Überstunden pro Woche

Zu der Langzeituntersuchung, die von März 2012 bis Mai 2013 stattfand, gehörte auch eine umfangreiche Erhebung in 180 Dienststellen zur zeitlichen Belastung und Mehrbelastung der Bundeswehrangehörigen. Rund 60.000 Soldaten beteiligten sich. Von März bis Mai 2012 hatte KPMG bereits unterschiedliche Verbände und Einheiten aller militärischen Organisationsbereiche sowie unterschiedliche Auftragssituationen näher betrachtet und analysiert.

Darüber hinaus wurde die Erhebung ergänzt durch zahlreiche Interviews, durch Besuche an militärischen Standorten (und eines Einsatzkontingents) und durch Workshops mit ausgewählten Experten.

Der KPMG-Studie zufolge leisten Bundeswehrsoldaten im Schnitt zwischen Montag und Sonntag 48,2 Stunden Dienst und damit durchschnittlich 4,3 Überstunden pro Woche. Im Heer werden fast viermal so viele Überstunden pro Woche geleistet, wie in anderen militärischen Organisationsbereichen. Mannschaften weisen die höchste zeitliche Gesamtbelastung aller Dienstgrade auf.

Ausgleich von Mehrarbeit künftig wohl nur noch in Freizeit

Mit Inkrafttreten der neuen „Arbeitszeitverordnung Soldatinnen und Soldaten“ (kurz Soldatenarbeitszeitverordnung, SAZV) ab dem 1. Januar 2016 werden EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt.

In der Praxis bedeutet dies, dass künftig für den Grundbetrieb unserer Streitkräfte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden ohne Pausen gelten soll. In einem Pressetext des Verteidigungsministeriums vom September dieses Jahres heißt es dazu: „Bei der Wahrnehmung von familiären Betreuungs- oder Pflegeaufgaben oder bei Schwerbehinderung kann diese [wöchentliche Arbeitszeit] auf Antrag auf 40 Stunden abgesenkt werden. Des Weiteren sollen auch Ruhepausen, Bereitschafts- und Nachtdienste sowie Ausnahmen für Führungskräfte geregelt werden. Abweichungen bei Ruhepausen, wöchentlichen Ruhezeiten, der Dauer der Nachtarbeit beispielsweise sollen möglich sein bei Tagesfahrten seegehender Einheiten der Marine, Langstreckenflügen von Flugzeugbesatzungen, bei Wach-, Sonder- und Ordnungsdiensten und Teilen der Allgemeinen Grundausbildung.“

Weiter erklärt das Ministerium: „Die wöchentliche Höchstarbeitszeit von maximal 48 Stunden im Jahresdurchschnitt soll in diesen Fällen dennoch gewährleistet werden. Aus zwingenden dienstlichen Gründen soll im Ausnahmefall Mehrarbeit angeordnet werden können. Diese Mehrarbeit wäre dann jedoch innerhalb von 12 Monaten in Freizeit auszugleichen.“

Einsätze, Amtshilfe, Seefahrten, Alarmierungen und Übungen

Neben dem Bereich „Grundbetrieb“ legt die SAZV auch Tätigkeiten fest, auf die die Arbeitszeitrichtlinie beziehungsweise die Arbeitszeitregelungen keine Anwendung finden sollen. Diese sind nach Auskunft des Ministeriums:
Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen;
Amtshilfe bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen sowie im Rahmen dringender Eilhilfe, humanitärer Hilfsdienste und Hilfeleistungen;
mehrtägige Seefahrten;
Alarmierungen und Zusammenziehungen sowie Ausbildungen zur Vorbereitung von Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen und Fälle von Amtshilfe;
Übungs- und Ausbildungsvorhaben, bei denen Einsatzbedingungen simuliert werden.

In diesen Fällen werde „je nach Tätigkeit vorher, währenddessen und hinterher Freizeitausgleich gewährt“, so das Verteidigungsministerium.

„Alle warten auf verbindliche Vorschriften zu dem Thema“

Im Dezember sprach Thorsten Jungholt mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, über die wachsenden Verpflichtungen der Bundeswehr und ihre aktuellen Defizite in den Bereichen der Personalstruktur und Ausrüstung. Der Politikredakteur der Tageszeitung Die Welt fragte Bartels zum Schluss des Interviews (erschienen am 14. Dezember): „Erschwerend hinzu kommt, dass ab dem 1. Januar eine neue Arbeitszeitrichtlinie eingeführt wird, die den wöchentlichen Dienst im Grundbetrieb auf 41 Stunden begrenzt. Wie soll das funktionieren?“

Der Wehrbeauftragte gab sich skeptisch: „Das fragen sich in der Bundeswehr derzeit auch viele. Alle warten auf verbindliche Vorschriften zu dem Thema, die aber immer noch nicht vorliegen. Deshalb ist die Unsicherheit noch groß, und Anlaufprobleme sind vorprogrammiert. Ich bin sicher, dass die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie bei den Eingaben an den Wehrbeauftragten eines der Kummerthemen 2016 sein wird. Aber es wird sich einpendeln. Es gibt ja auch andere Armeen in Europa, die das hinbekommen.“

Angespannte Auftragslage widerspricht der geplanten Arbeitszeitverkürzung

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hält die angestrebte Arbeitszeitverkürzung bei der Bundeswehr für absurd. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion über weitere Einsätze der Truppe forderte er jetzt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf, von der geplanten Arbeitszeitverkürzung Abstand zu nehmen. „Ich erwarte von der Bundesregierung, die neue Arbeitszeitregelung für die Bundeswehr auszusetzen“, sagte Kiesewetter dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Der Präsident des Reservistenverbandes hält die Pläne des Ministeriums „für abwegig“. „Die Verpflichtungen im In- und Ausland sind zurzeit zu groß. Wir müssen einen Flüchtlingsansturm ungeahnten Ausmaßes bewältigen. Das geht nicht mit einer 41-Stunden-Woche“, so Kiesewetter.

Der CDU-Politiker bezieht seine Forderung auch auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und andere Einrichtungen der Bundesverwaltung, die mit der Flüchtlingskrise zu tun haben. „Im Regelbetrieb ist die Europäische Arbeitszeitrichtlinie in der angespannten Lage nicht zielführend“, meinte er gegenüber der Zentralredaktion der Madsack Mediengruppe RND.


Zu unseren beiden Bildern:
1. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sieht die geplante Soldatenarbeitszeitverordnung als Teil ihrer Initiative, die deutschen Streitkräfte als Arbeitgeber insgesamt attraktiver zu machen. Die Aufnahme zeigt die Ministerin am 20. Juli 2014 auf dem Paradeplatz des Berliner Bendlerblocks. Hier legten an diesem 70. Jahrestag des Attentats auf den NS-Diktator rund 430 Soldaten im Rahmen eines Feierlichen Appells ihr Gelöbnis ab. Neben von der Leyen der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter.
(Foto: Ralf Wittern/Reservistenverband)


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