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Washington (USA)/Kabul (Afghanistan)/Brüssel (Belgien). Der Konflikt zwischen den USA und Afghanistan spitzt sich zu. Da Afghanistans Präsident Hamid Karsai sich auch weiterhin beharrlich weigert, das bilaterale Sicherheitsabkommen zu unterzeichnen, plant US-Präsident Barack Obama jetzt offenbar den Totalabzug seiner Truppen aus dem Land. Dies teilte er Karsai am 25. Februar bei einem gut 40 Minuten dauernden Telefonat mit.

Das Telefonat an diesem Dienstag war das erste Gespräch der beiden Präsidenten seit Juni vergangenen Jahres. Karsais Pressesprecher Aimal Faizi charakterisierte den Dialog ausdrücklich als „freundlich“. Washington zog danach ein weniger blumiges Fazit: Man habe Karsai nun endgültig aufgegeben und setze auf die Vernunft seines Nachfolgers nach der afghanischen Präsidentschaftswahl im April.

Das bilaterale Sicherheitsabkommen (Bilateral Security Agreement, BSA) zwischen den USA und Afghanistan war nach monatelangen Verhandlungen im November vergangenen Jahres in Kabul der Großen Ratsversammlung zur Diskussion und Abstimmung vorgelegt worden. Die Mehrheit der rund 2500 Mitglieder dieser Loya Dschirga hatten sich danach für die Annahme des Sicherheitsabkommens ausgesprochen und Präsident Karsai zur Unterzeichnung aufgefordert. Dieser hatte bereits bei der Versammlung erklärt, das Vertragswerk zur Unterschrift seinem Nachfolger vorlegen zu wollen. Hamid Karsai darf nach der Verfassung nicht ein drittes Mal bei der Wahl des afghanischen Präsidenten antreten. Die Wahl ist auf den 5. April terminiert.

Karsais Unterschrift unter das Sicherheitsabkommen „eher unwahrscheinlich“

Einzelheiten des Telefonats zwischen Obama und Karsai wurden am Nachmittag des 25. Februar bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus bekannt. James Carney, Pressesprecher des US-Präsidenten, zu den Inhalten des Dialogs: „Präsident Obama sprach heute mit Präsident Karsai über die kommenden Wahlen in Afghanistan, die innerafghanischen Friedens- und Aussöhnungsbemühungen und schwerpunktmäßig natürlich über das bilaterale Sicherheitsabkommen.“ Karsai habe im Laufe des Telefonats einmal mehr „demonstriert, dass seine Unterschrift unter das BSA unwahrscheinlich ist“.

Wie Carney weiter erklärte, habe Präsident Obama mittlerweile das Pentagon mit entsprechenden Planungen für den Fall beauftragt, dass bis Ende 2014 alle US-Truppen und Streitkräfte anderer ISAF-Truppensteller aus Afghanistan abzuziehen sind. Sollte dennoch zu einem späteren Zeitpunkt das BSA unterschrieben werden – etwa von Karsais Nachfolger – so könne man über eine begrenzte Truppenpräsenz der USA in Afghanistan nachdenken. Diese in Umfang und Anspruch limitierte Mission könnte sich auf Ausbildung, Beratung und Beistand der afghanischen Streitkräfte sowie auf den Anti-Terror-Kampf – also die Verfolgung der Reste von al-Qaida – konzentrieren. Auf keinen Fall aber werde am Ende des Jahres 2014 ein US-Soldat auf afghanischem Boden verbleiben, sollte die Unterschrift eines afghanischen Präsidenten unter dem bilateralen Sicherheitsabkommen fehlen. Carney wörtlich: „Wir können und wir wollen keine US-Truppen in Afghanistan stationieren ohne ein unterzeichnetes BSA.“

Musterabkommen für die übrigen Truppensteller

Glasklar wurden die Inhalte des Telefonates zwischen Obama und Karsai an diesem Dienstag durch folgende Zwischenfrage eines Journalisten: „Ist es eine Tatsache, dass es ohne BSA keine westlichen Truppen in Afghanistan geben wird?“ Pressesprecher Carney: „Ja, korrekt.“ Frage: „Am 31. Dezember 2014 werden alle abgezogen sein?“ Carney: „Absolut richtig.“ Frage: „Da gibt es keinen Zweifel?“ Carney: „Ohne BSA wird es am Ende dieses Jahres keine US-Truppen mehr (in Afghanistan) geben.“

Das zwischen Delegationen Washingtons und Kabuls mühsam ausgehandelte bilaterale Sicherheitsabkommen regelt detailliert eine weitere Stationierung von US-Soldaten in Afghanistan. Zugleich gilt es als Musterabkommen für die übrigen Truppensteller wie Deutschland, die ebenfalls eine staatsrechtliche Legitimierung für eine künftige Truppenpräsenz am Hindukusch benötigen. Die amerikanisch-afghanische Vereinbarung ist nicht unumstritten, da sie vorsieht, dass sich US-Soldaten bei Vergehen nur in den Vereinigten Staaten vor Gericht verantworten müssen (Artikel 13 BSA). Bereits im Irak war ein ähnliches Sicherheitsabkommen an einer solchen Immunitätsregelung gescheitert, woraufhin die USA ihre Truppen komplett abzogen.

Der Westen setzt auf einen neuen afghanischen Präsidenten

Die afghanische Wahlkommission hatte am 20. November vergangenen Jahres die Kandidatenliste für die Präsidentschaftswahl am 5. April 2014 veröffentlicht (an diesem Tag finden auch die Wahlen für die Räte der afghanischen Provinzen statt). Für das Präsidentenamt bewerben sich elf Kandidaten, darunter auch Präsident Karsais Bruder Abdul Qayum.

Nach US-Angaben haben alle Kandidaten eine Unterzeichnung des BSA angekündigt. In einem Interview mit dem Informationsdienst Bloomberg am 13. Februar dieses Jahres erklärte Qayum Karsai: „Ohne das bilaterale Sicherheitsabkommen wird es keine Sicherheit geben und wir werden alles verlieren. Wir brauchen auch weiterhin die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft und die der USA – ich bin absolut sicher, dass jeder der Präsidentschaftskandidaten im Falle seines Sieges das BSA unterzeichnen wird.“

„Kein BSA, kein Truppenstatut – damit keine Truppen und keine Ausbilder“

Auch die NATO plant ab jetzt den Totalabzug aus Afghanistan zum Jahresende und parallel eine Ausbildungsmission ab 2015. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel sagte am Rande des Treffens der NATO-Verteidigungsminister am 26. und 27. Februar in Brüssel, diese Vorgehensweise der Allianz sei so bereits bei der Tagung von den insgesamt 49 Truppenstellern für Afghanistan vereinbart worden. Vor seiner Reise in die belgische Hauptstadt hatte Hagel auch noch einmal bestätigt, dass das US-Verteidigungsministerium von Präsident Obama erstmals angewiesen worden sei, auch einen Totalabzug aus Afghanistan vorzubereiten.

Die NATO will ihren Kampfeinsatz in Afghanistan in zehn Monaten nach 13 Jahren beenden. Anschließend sollen noch bis zu 12.000 Soldaten im Land bleiben, um die afghanische Armee auszubilden – allerdings nur, wenn das Sicherheitsabkommen mit den USA und ein darauf aufbauendes NATO-Truppenstatut unterzeichnet werden. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wies ebenfalls bei der Brüsseler Konferenz, an der auch Afghanistans Verteidigungsminister Bismullah Khan Mohammadi teilnahm, auf die rote Linie hin: „Wenn das BSA von der afghanischen Seite nicht unterzeichnet wird, kann es für die NATO kein Truppenstatut geben. Ohne diese notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen wird nach 2014 auch keine weitere Stationierung in Afghanistan erfolgen. Kein Sicherheitsabkommen – keine Truppen und keine Ausbilder. Das sind die harten Tatsachen.“

Deutschlands Afghanistan-Planungen seit einiger Zeit bereits zweigleisig

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte sich in Brüssel ebenfalls zu der verfahrenen Situation um die BSA-Unterzeichnung. Sie beschwor die Regierung in Kabul, endlich eine rasche Entscheidung über den weiteren Verbleib der internationalen Truppen im Land herbeizuführen. Gleichzeitig schloss auch sie einen Komplettabzug der westlichen Truppen bis Ende 2014 nicht aus. Deutschland habe seit einiger Zeit eine entsprechende Parallelplanung. Wenn der Kampfeinsatz Ende des Jahres vorbei sei, könnten die Truppen auch ganz abgezogen werden. „Es ist aber der politische Wille, Afghanistan auch 2015 und in den Folgejahren zu unterstützen“, versicherte von der Leyen.

Rückverlegung der Bundeswehr in die Heimat verläuft planmäßig

Derzeit befinden sich noch etwa 33.600 US-Soldaten im Land. Geplant ist, in einem ersten Schritt bis zum Sommer die Truppen auf 20.000 zu reduzieren. Die Bundeswehr hat zurzeit noch rund 2900 Soldaten von einst 5000 im ISAF-Einsatz. Die Rückverlegung ihres Materials aus Afghanistan verläuft planmäßig. In der letzten Februarwoche traf in Deutschland der dritte große Schiffstransport aus dem türkischen Hafenstadt Trabzon ein (das Material wird vom nordafghanischen Stützpunkt Mazar-e Sharif nach Trabzon geflogen und dann in die Heimat verschifft). Der Inspekteur der Streitkräftebasis, Vizeadmiral Manfred Nielson, sagte dazu der Tageszeitung Die Welt: „Wir haben inzwischen mehr als die Hälfte all unserer 1300 Fahrzeuge, die zurück sollen, bereits wieder in Deutschland.“ Auch von den etwa 4800 Containern und Paletten – insgesamt rund 8000 Tonnen Material – sei ungefähr die Hälfte zurück. Damit liege man im Zeitplan.

Deutschland will sich ab 2015 noch mit bis zu 800 Soldaten an der NATO-Nachfolgemission „Resolute Support“ beteiligen. Diese Mission, deren Zustandekommen wie dargestellt von der Unterzeichnung des BSA abhängt, soll die Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte weiterführen. Logistiker der Bundeswehr haben bei ihren aktuellen Planungen in erster Linie das Ende der derzeitigen ISAF-Mission am 31. Dezember 2014 vor Augen. „Darauf arbeiten wir hin“, erklärte auch Nielson gegenüber der Welt. „Sollte sich im Laufe des Jahres die Gesamtsituation gravierend verändern, müssen wir allerdings auch bereit und in der Lage sein, notfalls wieder neues Material nach Afghanistan zu transportieren.“

Verbieten die gewaltigen Opfer und Kriegskosten der USA eine „Nulloption“?

Ob US-Präsident Barack Obama tatsächlich in einigen Monaten den Totalabzug befehlen wird, sollte die afghanische Unterschrift unter dem bilateralen Sicherheitsabkommen fehlen, wird von etlichen Experten bezweifelt.

Uwe Schmitt etwa, Washington-Korrespondent der Welt, schreibt in seinem am 26. Februar erschienenen Beitrag „Hamid Karsais Endspiel mit Barack Obama“: „Karsais Endspiel ist nicht so verrückt, wie es in den USA viele anmutet. Die Amerikaner hatten laut AP-Zählung bis zum 25. Februar 2174 Mann in dem 13 Jahre währenden Feldzug verloren (Anmerkung: das Internetportal iCasualties.org meldet mit Stichtag 3. März sogar 2313 gefallene US-Soldaten). Dieses gewaltige Opfer – von den Milliardenkosten des Krieges zu schweigen – sinnlos zu machen, indem man die mageren Gewinne durch eine ,Nulloption‘ preisgibt, kann sich Obama nicht leisten. Kein Präsident könnte das … Kleinlaut aufzugeben nach all diesen Jahren und zuzusehen, wie über Kabul möglicherweise ,die schwarze Flagge von al-Qaida wie in Falludscha‘ – so US-Senator John McCain – gehisst wird, verbietet sich für die USA.“



Zu unserer Bildauswahl:
1. Afghanistans Präsident Hamid Karsai im Gespräch mit dem damaligen ISAF-Oberbefehlshaber Stanley A. McCrystal. Der US-General war vom 15. Juni 2009 bis zum 23. Juni 2010 Kommandeur der ISAF sowie der US Forces in Afghanistan. Das Bild entstand am 2. Januar 2010.
(Foto: ISAF)

2. Treffen von US-Präsident Barack Obama am 28. März 2010 im Weißen Haus in Washington mit Karsai.
(Foto: Pete Souza/White House)

3. Konferenz der NATO-Verteidigungsminister in der belgischen Hauptstadt Brüssel am 26. und 27. Februar 2014. Eröffnung durch Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
(Foto: NATO)

4. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am 27. Februar in Brüssel vor der Presse.
(Foto: NATO)

5. Der afghanische Verteidigungsminister Bismullah Khan Mohammadi (rechts) bei der NATO-Ministertagung im Gespräch mit US-General Joseph Dunford, dem aktuellen ISAF-Kommandeur.
(Foto: NATO)


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