Berlin. Die Bundeswehr hat jetzt einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa zufolge die Beteiligung an der NATO-geführten Operation „Active Endeavour“ (OAE) im Mittelmeer vorläufig eingestellt. Das Bundestagsmandat für OAE endete am 31. Dezember 2013. Das Kabinett will in einer der ersten Sitzungen 2014 über eine Fortsetzung in veränderter Form beraten. Die Operation war ursprünglich als gemeinsame Reaktion der NATO auf die Anschläge des 11. Septembers 2001 in den USA initiiert worden. Grundlage waren Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen und Artikel 5 des Nordatlantikvertrages.
Bereits vor gut fünf Wochen, am 27. November, hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die geschäftsführende Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert, die deutsche Beteiligung an der Operation „Active Endeavour“ zum Jahresende zu beenden. Ein Evaluationsbericht sei vorzulegen. Man müsse sich ferner innerhalb der NATO dafür einzusetzen, auch den 2001 ausgerufenen Bündnisfall zu beenden. In dem Antrag heißt es unter anderem: Der OAE-Einsatz wird „völkerrechtlich als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001, auf das Selbstverteidigungsrecht der Staaten (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) und die Feststellung des Bündnisfalles (Artikel 5 des NATO-Vertrags) sowie die Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) der Vereinten Nationen gestützt. Diese Begründung ist über zwölf Jahre nach den Anschlägen äußerst zweifelhaft. Nach deutschem Völkerrechtsdenken lässt sich dieser Einsatz schon aufgrund des großen zeitlichen Abstands zu den Anschlägen nicht mehr auf den Selbstverteidigungsgedanken stützen.“
Mandatswahrheit und Mandatsklarheit seien nicht mehr gegeben, so die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiter. Es sei deshalb an der Zeit, die deutsche Beteiligung an der Operation „Active Endeavour“ einzustellen. Die NATO lege bei OAE Schwerpunkt auf Präsenz, Informationsgewinnung und Überwachung. Dies gehöre zu den Routineaufgaben des Bündnisses. Die Aufgaben und militärischen Befugnisse seien auf das Maß zurückzuführen, das bei anderen maritimen Routineaufgaben der NATO in Hoheits- und internationalen Gewässern üblich sei. An diesen Aufgaben solle die Bundeswehr weiterhin – auch im Mittelmeerraum – in angemessenem Umfang partizipieren.
Der Bundestag hatte erstmals am 16. November 2001 die Entsendung von deutschen Soldaten in das OAE-Einsatzgebiet „Mittelmeer“ beschlossen. Der Auftrag lautete: Begleitschutz für Handelsschiffe, Kontrolle von verdächtigen Schiffen und Seeraumüberwachung des gesamten Mittelmeeres. Übergeordnetes Ziel dabei war es, von terroristischen Aktivitäten abzuschrecken und insgesamt „NATO-Solidarität und Entschlossenheit“ zu demonstrieren. Über das Mittelmeer sind drei Kontinente miteinander verbunden. Damit und vor allem mit seinen Ausgängen, der Meerenge von Gibraltar auf der westlichen sowie dem Suezkanal auf der östlichen Seite, spielt es eine Schlüsselrolle im weltweiten Seeverkehr.
Die deutsche Marine unterstützte diese Mission seit dem ersten Tag der Mandatierung. Meistens entsandte sie dazu ein Schiff, das ohnehin vorübergehend dem ständigen maritimen Einsatzverband (Standing NATO Maritime Group, SNMG) 1 oder 2 des Bündnisses unterstellt war. Oft handelte es sich dabei um Fregatten, doch auch deutsche Uboote waren immer wieder beteiligt. Zeitweise operierten in der Straße von Gibraltar auch deutsche Schnellboote. Erst kurz vor Weihnachten, am 14. Dezember, kehrte die
Fregatte „Sachsen“ vom Einsatzverband SNMG 2 nach Wilhelmshaven zurück. Sie hatte im August ihren Heimathafen verlassen und mehrere Wochen an der Operation „Active Endeavour“ teilgenommen.
Neben Deutschland stellten und stellen vor allem Dänemark, Griechenland, Italien, Norwegen, Spanien und die Türkei Einheiten. Mehrfach haben Russland und die Ukraine die Mission mit Schiffen unterstützt. Bis zum 22. Februar 2013 unterstand OAE dem Kommando des Allied Joint Force Command (JFC) im italienischen Neapel, geführt wurde die Operation vom Allied Maritime Component Command Neapel auf der nahen Insel Nisida. Heute ist das Maritime Command Headquarters im britischen Northwood verantwortlich für OAE.
Nach Angaben der NATO sind seit dem 26. Oktober 2001 bis jetzt von maritimen Einheiten und Flugzeugen des Bündnisses sowie der Partnernationen rund 115.000 Handelsschiffe kontaktiert und mehr als 160 verdächtige Schiffe direkt kontrolliert worden.
Der italienische Vizeadmiral Roberto Cesaretti beschrieb einmal in einem noch heute lesenswerten Beitrag für den „NATO-Brief“ (Herbst 2005) die Aufgaben und Erfolge der Operation „Active Endeavour“ im Mittelmeer seit 2001. Die Operation sei in den Monaten nach ihrem Start immer vielschichtiger geworden, da die NATO ihre Anti-Terror-Rolle genauer definiert habe und entsprechende Lehren integrieren konnte, die man im Laufe der Operation gemacht habe, so der frühere OAE-Commander. Beispielsweise sei das Mandat der Operation „Active Endeavour“ regelmäßig überprüft sowie Auftrag und Streitkräftemix im Hinblick auf den Aufbau eines effizienten Instruments zur Bekämpfung des Terrorismus auf dem gesamten Mittelmeer fortlaufend angepasst worden.
Im Februar 2003, so schreibt Cesaretti weiter, sei die Operation um die Aufgabe erweitert worden, Handelsschiffe der Bündnisstaaten durch die Straße von Gibraltar zu eskortieren. Dies sei eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, die man aufgrund nachrichtendienstlicher Erkenntnisse getroffen habe (im Mai 2004 wurden die Eskorten infolge der abnehmenden Nachfrage wieder eingestellt). Im April 2003 habe die NATO den Umfang von „Active Endeavour“ um Operationen, bei denen Inspektionspersonal mit Zustimmung des jeweiligen Schiffskapitäns und des Flaggenstaats an Bord eines Schiffes gehen kann, erweitert. Ab 16. März 2004 sei dann das gesamte Mittelmeer NATO-Operationsgebiet geworden. Am 15. September 2005 habe man bereits rund 69.000 Schiffe kontaktiert, bei 95 sei man zur Inspektion an Bord gewesen. 488 zivile Schiffe seien bis dahin durch die Straße von Gibraltar eskortiert worden.
Im Laufe der Jahre hat sich „Active Endeavour“ durch den Austausch von Daten, die von NATO-Staaten und Mittelmeeranrainern auf See gesammelt werden konnten, in zunehmendem Maße zu einer Operation entwickelt, die sich auf Informationen und nachrichtendienstliche Erkenntnisse stützt. Dazu äußerte sich Vizeadmiral Cesaretti im Herbst 2005 in seinem Fachbeitrag ebenfalls: „Das bisher erreichte Ausmaß des Informationsaustausches bietet für die künftige Arbeit eine solide Grundlage. Unser Ziel ist es, ein sehr viel effizienteres System zur Datenerhebung und -analyse zu entwickeln und den Charakter von ,Active Endeavour‘ so zu ändern, dass nachrichtendienstliche Erkenntnisse die Operation nicht nur stützen, sondern ihre treibende Kraft darstellen.“
In diesem Zusammenhang erwähnte der OAE-Kommandeur auch das zu diesem Zeitpunkt als Versuchsprojekt neu eingerichtete Gemeinsame Informations- und Analysezentrum (Joint Information and Analysis Centre, JIAC). Cesaretti: „Dieses Zentrum dient als Schaltstelle, bei der alle verfügbaren Informationen eingehen und dann abgeglichen und analysiert sowie als operativ nutzbare Erkenntnisse an die einschlägigen Kommandos weitergeleitet werden. Sein Standort ist das Kommando der NATO in Neapel. JIAC überwacht das gesamte Einsatzgebiet.“ Die Operation „Active Endeavour“ soll nicht nur von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen gestützt werden, so der italienische Admiral 2005. „Unsere nachrichtendienstlichen Erkenntnisse sollen vielmehr die treibende Kraft von OAE sein … Das JIAC dürfte dazu beitragen, dass sich sowohl die NATO insgesamt als auch einzelne Bündnisstaaten verstärkt darum bemühen, sachdienliche Informationen bereitzustellen, mit denen sie den Kampf gegen destabilisierende Faktoren wie den Terrorismus, die organisierte Kriminalität und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in der Region unterstützen.“
Nach Bündnis 90/Die Grünen hatte auch die Fraktion Die Linke einen Antrag zum Thema „Operation Active Endeavour“ in den Deutschen Bundestag eingebracht. In dem am 17. Dezember gestellten Antrag wird gefordert, den vor zwölf Jahren ausgerufenen NATO-Bündnisfall „umgehend zu beenden“. Vertreter der neuen Regierungskoalition und auch der Grünen äußerten sich zwei Tage später bei einer Plenarsitzung im Bundestag im Rahmen der Antragsberatung.
Der Abgeordnete Ingo Gädechens der CDU/CSU-Fraktion verteidigte den OAE-Einsatz noch einmal grundsätzlich. „Für Deutschland als führende Handelsnation, aber auch für unsere Partner in der Europäischen Union, ist das Mittelmeer ein entscheidendes Transitmeer, auf dem wichtige Güter transportiert werden,“ erinnerte Gädechens. „Wenn wir uns die sicherheitspolitische Lage rund um das Mittelmeer anschauen, dann gibt es wahrlich keinen Grund zur Entwarnung. In Syrien wird – wenn man den Presseberichten Glauben schenken darf – die Oppositionsbewegung nach und nach von radikalen Islamisten übernommen. In Nord- und Zentralafrika ist die Terrorismusgefahr durch die Einsätze der Internationalen Gemeinschaft, zum Beispiel in Mali, noch lange nicht abgewendet. Es liegt somit eine Bedrohung der Handelswege und der Anrainerstaaten vor. Der Kampf gegen Aggressoren und gegen eine latente Instabilität, auch im maritimen Bereich, ist noch lange nicht beendet. Wachsamkeit ist weiterhin notwendig. Diese Wachsamkeit wird unter anderem durch ,Active Endeavour‘ gewährleistet.“
OAE sei als Beitrag zur maritimen Sicherheit, insbesondere aber zu einer Lagebilderstellung im Mittelmeer überaus sinnvoll und erforderlich, so der Unionspolitiker weiter. Die Operation leiste einen wichtigen Beitrag, dieses Lagebild in einer politisch instabilen Region zu verdichten. Die deutsche Marine und der deutsche Anteil der AWACS-Besatzungen hätten im Rahmen von OAE einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit und Bündnissolidarität in dieser Region geleistet. Deutschland sei der drittgrößte Truppensteller. Im Rahmen von „Active Endeavour“ werde mit Seestreitkräften, Luftfahrzeugen und unter Nutzung multinationaler, netzwerkgestützter Informationssysteme ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittelmeerraum erstellt. Die ständigen maritimen Einsatzverbände der NATO bildeten das wesentliche militärische Instrument für diese Operation.
Zur Frage der Mandatsdauer erklärte der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Berufssoldat aus dem Kreis Ostholstein: „Natürlich ist das Mandat nicht auf ewig in Stein gemeißelt. Darum haben wir über die NATO bereits Anträge zur Weiterentwicklung des Mandats unter den genannten Aspekten eingebracht. Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, welch verheerende Signalwirkung der einseitige Ausstieg Deutschlands aus der Bündnissolidarität hätte.“
Der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil erinnerte in seinem Debattenbeitrag noch einmal daran, dass das Kabinett Merkel im Laufe des Monats Januar über die Zukunft der Bundeswehrmission OAE entscheiden werde. Für die Sozialdemokraten sei immer klar gewesen, dass zwölf Jahre nach dem 11. September der Bündnisfall keine gerechtfertigte Rechtsgrundlage mehr für ein Mandat sei.
Klingbeil weiter: „Deswegen drängen wir auf Veränderungen. Das haben wir in den letzten Jahren immer wieder deutlich gesagt. Wir haben aber auch klargemacht, dass wir die Tätigkeit der Mission an sich – so wie sie seit Jahren praktiziert wird, also die Überwachung und Aufklärung im Mittelmeerraum – nicht ablehnen, sondern als sinnvoll empfinden; lediglich die Rechtsgrundlage ist für uns problematisch. Deswegen wird die neue Bundesregierung auf NATO-Ebene darauf drängen, dass es hier zu einer Änderung des Istzustandes kommt.“
Zur Zukunft des OAE-Mandates aus deutscher Sicht äußerte sich anschließend auch Reinhard Brandl (CDU/CSU). Er sagte an diesem Donnerstag im Parlament: „Die NATO ist nicht nur ein Militärbündnis. Sie ist auch eine Wertegemeinschaft. Wir wollen auch in Zukunft Verantwortung für Freiheit, Sicherheit und Frieden in der Welt wahrnehmen. Wir können diese Verantwortung nur gemeinsam mit unseren Verbündeten wahrnehmen. Die NATO ist dafür eine Plattform.“ Jedes Bündnis jedoch sei nur so stark wie die Solidarität seiner Bündnispartner. Der Bündnisfall sei zum ersten und einzigen Mal nach dem 11. September 2001 ausgerufen worden. Im Moment gebe es nur noch eine einzige Mission, die darauf Bezug nehme. Dies sei die Operation „Active Endeavour“.
Brandl schloss: „Wir haben es schon mehrfach diskutiert: Man könnte diese Mission auch gut ohne diesen Bündnisfall begründen. Die Bundesregierung wirkt auch innerhalb der NATO darauf hin, dass eine Neuformulierung dieses Mandats erfolgt beziehungsweise ein neuer Auftrag erteilt wird.“
Klare Position zum Thema „NATO-Bündnisfall und Operation Active Endeavour“ bezog einmal mehr auch der Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen, Omid Nouripour. Er argumentierte, dass es im Kern richtig bleibe, den Bündnisfall zu beenden. Dieser sei mit einem Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika begründet worden, dies jedoch sei zwölf Jahre her. Mittlerweile lebe man aber „in einem komplett anderen Sicherheitszeitalter“.
Nouripour forderte deshalb auch mit Nachdruck: „Das Problem ist, dass wir uns in der NATO seit zwölf Jahren in einem permanenten Ausnahmezustand befinden. Dieser permanente Ausnahmezustand unterminiert nachhaltig die Solidaritätsklausel der Allianz. Es ist nicht im Sinne eines Bündnisses – erst recht nicht im Sinne eines multilateralen Agierens, dass dieser Ausnahmezustand weiter anhält. Deshalb muss der Bündnisfall endgültig beendet werden.“
Zu unserem Bildangebot:
1. Ein NATO-Schiffsverband im Mittelmeer während der Operation „Active Endeavour“. Die Aufnahme entstand im April 2012 und zeigt die „De Ruyter“ (Niederlande; unten im Bild), die „Rheinland Pfalz“ (Deutschland; oben) und die „Charlottetown“ (Kanada; rechts).
(Foto: Ronnie Kinnie/Department of National Defence Canada)
2. Seit Oktober 2004 hat sich „Active Endeavour“ mehr und mehr zu einer auf Information und Nachrichtenwesen gestützten Operation entwickelt.
(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/Deutsche Marine)
3. Einsatzmedaille der Bundeswehr für Personal, das an der Operation „Active Endeavour“ teilgenommen hat.
(Foto: amk)