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Schrobenhausen/White Sands Missile Range, New Mexiko (USA). Es war eine Weltpremiere, die von den Verantwortlichen als „bemerkenswerter Durchbruch“ gefeiert wurde und trotzdem neue Fragen aufwarf. Am 6. November entdeckte auf der Missile Range in White Sands im US-Bundesstaat New Mexiko das Raketenabwehrsystem MEADS zwei aus entgegengesetzten Richtungen anfliegende Ziele und verfolgte und zerstörte sie. Dies war zuvor noch keinem anderen am Markt verfügbaren System geglückt.

Man sollte meinen, die MEADS-Story könne nach dem bravourösen Kunstschuss auf dem Erprobungsgelände nun erst richtig beginnen. Wohl erst einmal nicht! Denn dieser Schlüsseltest markiert zumindest den Schlusspunkt eines transatlantischen Projektes, das vor gut neun Jahren begann. „Die Erfolgsmeldung aus New Mexico kommt vermutlich zu spät für MEADS, denn eine Serienbeschaffung des Systems wird es wohl nicht geben“, kommentierte beispielsweise ARD-Korrespondent Christian Thiels für tagesschau.de. Und er befürchtet: „Wenn das Luftabwehrsystem MEADS nicht gekauft wird, muss das betagte System Patriot mit umfangreichen und teuren Maßnahmen am Leben erhalten werden.“

Als weltweit erstes Luftverteidigungssystem hat MEADS (Medium Extended Air Defense System) zwei aus entgegengesetzten Richtungen gleichzeitig anfliegende Ziele erfolgreich bekämpft. Ein Sprecher des an der MEADS-Entwicklung beteiligten deutschen Rüstungsunternehmens MBDA Deutschland (Schrobenhausen) beschrieb uns das Testszenario so: „Während des Tests näherte sich ein strahlgetriebener QF-4-Flugkörper von Süden, während gleichzeitig ein Lance-Flugkörper auf einer taktisch-ballistischen Flugbahn von Norden her anflog. Das Aufklärungsradar ortete beide Ziele und leitete die Zielinformationen an den Gefechtsstand weiter, der die erforderlichen Daten an das Multifunktions-/Feuerleitradar, kurz MFCR, übermittelte. Das MFCR verfolgte dann beide angreifenden Flugobjekte und leitete die von den Werfern abgefeuerten Flugkörper PAC-3 MSE erfolgreich zu den Zielen.“

Bei dem Flugtest in New Mexiko habe man alle Elemente des MEADS-Systems eingesetzt und getestet, so der MBDA-Vertreter weiter. „Das Überwachungsradar und das MFCR – beide mit 360-Grad-Abdeckung, den Gefechtsstand mit offener Systemarchitektur, zwei Werfer in Leichtbauweise sowie den neuen PAC-3-MSE-Flugkörper. Alle Systemelemente funktionierten wie geplant.“

Ausstieg der USA aus dem Dreinationen-Programm

Bei der MEADS-Entwicklung arbeiten die Rüstungsunternehmen MBDA Deutschland, MBDA Italien sowie der US-Konzern Lockheed Martin in dem Joint Venture MEADS International zusammen (MEADS International in Orlando/Florida fungiert als Hauptauftragnehmer für das Raketenabwehrsystem). MBDA Deutschland ist bei MEADS vor allem zuständig für die Elemente der Gefechtsstandsoftware BMC4I, des Startgeräts und des MFCR.

Die vertragliche Konstellation zwischen den USA und den europäischen Partnern bei diesem Dreinationen-Projekt sieht vor, dass die USA 58 Prozent des MEADS-Programms für die Entwicklung finanzieren, Deutschland 25 Prozent und Italien 17 Prozent. MEADS sollte bei der Bundeswehr ab 2018 eingeführt werden. Die US-Regierung hat im Februar 2011 beschlossen, nach der Entwicklungsphase nicht in die trinationale Beschaffung einzusteigen. Gut ein Jahr zuvor war in Washington bereits ein internes Memo der U.S. Army, deren Führung sich vehement gegen MEADS aussprach, öffentlich geworden.

Deutschland investierte bereits rund 850 Millionen Euro

Nach heftigen Protesten aus Berlin und Rom entschied die Obama-Regierung schließlich, die MEADS-Systementwicklung doch noch abzuschließen. Repräsentantenhaus und Senat einigten sich am 21. März vergangenen Jahres auf einen Übergangshaushalt bis Ende September, der 380 Millionen Dollar für MEADS beinhaltete – etwas weniger, als die ursprünglich vertraglich zugesicherten 401 Millionen. Präsident Barack Obama unterzeichnete das Haushaltsgesetz am 26. März 2013. Mit dem Beitrag Washingtons kann nun der angestrebte hohe technologische Reifegrad des Systems zum Abschluss der sogenannten „Proof of Concept-Phase“ (im Laufe des Jahres 2014) sichergestellt werden. Dieser Entwicklungsstand soll es Deutschland und Italien dann ermöglich, die MEADS-Technologien im Rahmen der Ausgestaltung ihrer künftigen Fähigkeiten im Bereich „Luftverteidigung und Raketenabwehr“ zu nutzen. Auch die U.S. Army prüft inzwischen, wie MEADS-Technologien für die Modernisierung der US-Raketenabwehr genutzt werden können.

Nach einem am 24. März 2013 erschienenen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) soll sich das Verteidigungsministerium bereits „im Grundsatz“ dazu entschieden haben, auf der Basis von MEADS eine eigene Luftabwehr aufzubauen, die von 2020 an das System Patriot ersetzen wird. Es sei beabsichtigt, so zitierte die Zeitung einen Sprecher des Ministeriums, die Ergebnisse aus dem Entwicklungsprogramm zum Aufbau einer zukünftigen Luftverteidigungsarchitektur zu nutzen, „wo dies technisch, operationell und wirtschaftlich sinnvoll“ sei.

Nach Angaben der Industrie wird Deutschland bis zum Abschluss der „Proof of Concept-Phase“ 2014 mit rund 850 Millionen Euro (etwa 1,1 Milliarden US-Dollar) 25 Prozent der gesamten MEADS-Entwicklung bezahlen.

Einen hohen technologischen Reifegrad erreicht

Unmittelbar im Anschluss an den erfolgreichen Wüstentest äußerte sich Gregory Kee, der Generalmanager der NATO MEADS Management Agency (NAMEADSMA; die Agentur mit Sitz in Huntsville/Alabama ist Auftraggeber der Joint-Venture-Gruppe MEADS International): „Dieser erfolgreiche Flugtest ist der Höhepunkt in der Zusammenarbeit zwischen den drei MEADS-Partnernationen. Sie haben nachgewiesen, dass sie in der Lage sind, das modernste und leistungsfähigste Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystem der Welt zu konzipieren, zu entwickeln und zu bauen.“

Kein derzeit genutztes bodengestütztes Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystem könne Ziele abfangen, die gleichzeitig aus zwei verschiedenen Richtungen anfliegen, erklärte Kee stolz. MEADS habe am 6. November 2013 gezeigt, dass diese Fähigkeit real sei. Die MEADS-Technologie besitze zudem einen hohen technologischen Reifegrad. Jetzt könne sie eingesetzt werden, um die von Deutschland, Italien und den Vereinigten Staaten angestrebten vernetzten Luftverteidigungs- und Raketenabwehr-Fähigkeiten zu realisieren.

Flugkörper traf im „Über-die Schulter“-Manöver

Dave Berganini, Präsident von MEADS International, gab sich nach dem Testschießen in White Sands ebenfalls zuversichtlich im Hinblick auf eine weitere Zukunft von MEADS-Anteilen. „Das MEADS-Programm erfüllt weiterhin in vollem Umfang die Erwartungen und übertrifft sie teilweise sogar. In diesem Jahr zeigte MEADS bereits seine Fähigkeiten im Hinblick auf Radarleistung und Interoperabilität mit NATO-Systemen im Rahmen der Übung ,Joint Project Optic Windmill‘. Darüber hinaus wurde die Mode 5 ,Freund-Feind‘-Erkennung zertifiziert. Wir freuen uns, dass wir jetzt mit diesem beispiellosen Abfangmanöver allen Testkriterien gerecht wurden und MEADS für die weitere Entwicklung und Erprobung in Europa zur Verfügung stellen können.“

In der Tat – die von MEADS bei schwierigen Testszenarien erzielten Resultate sprechen für sich. Im Rahmen des Entwicklungsprogramms sind in den letzten Jahren alle Flugtests erfolgreich durchgeführt worden. Im November 2011 hatte das mobile bodengestützte Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystem der nächsten Generation ein simuliertes Abfangmanöver gegen ein strahlgetriebenes Ziel bestritten. Im November 2012 hatte MEADS eine MQM-107-Hochgeschwindigkeitsdrohne erfasst, verfolgt und zerstörte. Bei beiden Tests war die Fähigkeit von MEADS zur 360-Grad-Rundumverteidigung demonstriert worden. Der PAC-3 MSE-Flugkörper hatte dabei jeweils ein einzigartiges „Über-die-Schulter“-Manöver durchgeführt und die von hinten angreifenden Ziele ausgeschaltet.

Besondere deutsche Kompetenzen im Bereich der Luftverteidigung

Mit Blick auf Bundeswehr und NATO meinte jetzt Thomas Homberg, Geschäftsführer der MBDA Deutschland: „Mit dem erfolgreichen Test in New Mexiko sind insbesondere für Deutschland die Voraussetzungen geschaffen worden, seine künftige Luftverteidigung und Raketenabwehr auf Basis der MEADS-Technologien aufzubauen und damit einen Beitrag im Rahmen der NATO Missile Defense zu leisten. In diesem kritischen Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung spielt Deutschland heute schon in der NATO eine führende Rolle.“

Durch das MEADS-Programm seien in Deutschland in den letzten neun Jahren mit signifikanten Investitionen besondere Kompetenzen im Bereich „Luftverteidigung“ aufgebaut worden, rief Homberg in Erinnerung. Eine zeitgerechte Anschlussbeauftragung sei nun von entscheidender Bedeutung für die Nutzung, den Erhalt und die Weiterentwicklung des Know-hows.

Wirtschaftliche Gründe sprechen für eine Fortschreibung des Projektes

Der Bundestagsabgeordnete Bernd Siebert, verteidigungspolitischer Experte der CDU/CSU, bringt in einer Pressemitteilung die derzeitige Hängepartie um ein offensichtlich leistungsfähiges System auf den Punkt. Er äußert sich besorgt: „Das letzte Testschießen des Raketenabwehrsystems MEADS hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass hier eine besonders leistungsfähige Technologie zur Verfügung steht … Mit bereits über 800 Millionen Euro Entwicklungskosten wäre es ein Fehler, wenn dies nicht für eine ohnehin benötigte Fähigkeit der Bundeswehr nutzbar gemacht würde. Der deutsche Investitionsanteil von 25 Prozent ermöglicht zudem den Zugriff auf beinahe 100 Prozent der Ergebnisse. Daher ist auch aus wirtschaftlichen Gründen eine Verwertung der Entwicklung geboten.“

Weiter argumentiert der Unionspolitiker: „Auch wenn die Spielräume im Verteidigungshaushalt begrenzt sind, sollte Deutschland die Chance nutzen, um einen Baustein für die bündnisgemeinsame ,missile defence‘ zu liefern. Auf Europa kommt jedenfalls eine weiter steigende Verantwortung zu, die eigene Sicherheit auch mit eigenen Beiträgen zu gewährleisten. Deutschland sollte in der Tat eine Vorreiterrolle spielen – denn wer, wenn nicht wir, hat noch Spielräume, um in der Sicherheitspolitik Akzente zu setzen? Im Verbund mit anderen europäischen Interessenten ist hier sicher etwas möglich.“

Europäisches Raketenschutzsystem als Ergänzung zu einem NATO-System

Dass großes Interesse an MEADS vorhanden ist, zeigt auch der Besuch einer polnischen Delegation auf der White Sands Missile Range. Die Gruppe verfolgte gespannt den Testschuss und die anschließende Zerstörung der beiden Ziele. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge will Polen zwischen drei und fünf Milliarden (US-Dollar) für den Aufbau eines neuen Luftverteidigungssystems ausgeben. Marty Coyne, Leiter „Geschäftsentwicklung“ bei MEADS International, nannte im November in einem Pressegespräch die Rahmenbedingungen für eine polnische MEADS-Beteiligung: „Bestandteil einer jeden Vereinbarung wird sein, dass die polnische Industrie maßgeblich an diesem Projekt mitarbeiten kann. Polens Industrie wird – wenn es denn zu einer Beteiligung an MEADS kommen sollte – ein vollwertiges Mitglied unseres Teams sein.“

Interesse an den bislang erzielten MEADS-Ergebnissen und an den nachgewiesenen Luftverteidigungsfähigkeiten hat möglicherweise auch die Europäische Union (EU). Erst am 27. November diskutierte der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des EU-Parlaments den Berichtsentwurf „über einen Raketenschild für Europa“. Der Entwurf des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten für eine Parlamentsentschließung weist auf die gestiegene Zahl der Befürworter eines europäischen Raketenschutzsystems als Ergänzung zu einem System der NATO hin. Vorgeschlagen wird, wenn überhaupt, die Entwicklung und den Bau auf europäischer Ebene zu realisieren. Die Errichtung eines Raketenschutzsystems würde zudem die EU einer Verteidigungsunion näherbringen, heißt es in dem Papier weiter.

Offensichtlich eine „offene Tür für MEADS“

Das Thema „Luftverteidigungssystem MEADS“ kommt – unausgesprochen – auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vor. Auf Seite 169 des Vertragswerkes ist zu lesen: „Die Bundesregierung bekennt sich zu ihren bündnispolitischen Zusagen und wird ihren Beitrag zum Aufbau der NATO-Raketenabwehr leisten, die wir für den effektiven Schutz vor der Bedrohung durch Raketen in den Händen von Risikostaaten benötigen. Die Bundesregierung wird dabei mit ihren NATO-Partnern gemeinsame und kooperative Lösungen suchen, die nicht zu neuen Spannungen und Rüstungswettläufen führen.“

Wie das Handelsblatt am 7. November berichtete, sei diese Formulierung im Koalitionsvertrag „eine offene Tür für MEADS“, das den Kern des deutschen Beitrages zu einem NATO-Raketenschild bilden könnte. Das Verteidigungsministerium prüfe derzeit, so die Tageszeitung weiter, wie Deutschland sich und seine Verbündeten künftig gegen feindliche Raketen schützen könnte. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, werde dem Ministerium zufolge 2014 eine Auswahlentscheidung treffen.

Über die Zukunft des MEADS-Projektes sprachen wir auch mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl. Der Unionspolitiker bekam und bekommt die Debatte um das trinationale Luftverteidigungssystem als Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages aus nächster Nähe mit. Zu unserem Interview mit Dr. Brandl.



Hinweis: Das Video des Unternehmens MEADS International Inc., leider unvertont, zeigt den erfolgreichen Abfangtest am 6. November 2013 auf dem Versuchsgelände in White Sands im US-Bundesstaat New Mexiko.

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Zu unserem Bildangebot:
1. Ein MEADS-Launcher (Startgerät) in deutscher Konfiguration.
(Foto: MEADS International Inc.)

2. MEADS-Raketenabwehrsystem im Einsatz auf der Missile Range White Sands.
(Foto: MEADS International Inc.)


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