Berlin/Brüssel (Belgien). Die Bundeswehr wird sich offensichtlich bald schon stärker in Afrika engagieren. Am Montag, 20. Januar, einigten sich die Außenminister der Europäischen Union in Brüssel grundsätzlich auf eine Militärmission für die im Chaos versinkende Zentralafrikanische Republik. Deutschland wird sich daran zwar nicht mit Bodentruppen, jedoch voraussichtlich mit Lufttransportkapazitäten beteiligen. Für die Krisenregion Mali ist die Entsendung von Anteilen der Deutsch-Französischen Brigade im Gespräch. Ein anderer Einsatz deutscher Soldaten in Afrika endete kurz vor Weihnachten – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit und kaum wahrgenommen von den Medien. Doch zunächst der Blick auf Zentral- und Westafrika …
Die Anzeichen für eine Ausweitung der Bundeswehrpräsenz in Afrika verdichteten sich in den vergangenen Tagen. So hatte der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, am 16. Januar beim traditionellen Jahresempfang seines Kommandos in Potsdam sibyllinisch formuliert, „dass uns Afrika – insbesondere sein Norden und seine Mitte – in den nächsten Jahren beschäftigen wird“. Die Süddeutsche Zeitung und andere Medien hatten denn auch diese und andere Passagen aus der Rede des Befehlshabers als zusätzliche Indizien für eine geplante deutliche Ausweitung der Bundeswehreinsätze auf dem Nachbarkontinent gewertet.
Überregionale Tageszeitungen und Magazine hatten zudem unter Berufung auf Informationen aus Regierungs- und Militärkreisen berichtet, dass wohl die Deutsch-Französische Brigade mit einem deutlich verstärkten Bundeswehranteil den derzeitigen Militäreinsatz in Mali unterstützen wird. Deutschland hat bereits jetzt rund 100 Spezialisten bei der European Union Training Mission Mali (EUTM Mali) im Einsatz. Sie helfen bei der Pionierausbildung und stellen die sanitätsdienstliche Versorgung bei dieser Mission sicher. Presseberichten zufolge könnten die deutschen Soldaten für ein größeres und robusteres Mali-Kontingent vom Artilleriebataillon 295 (Immendingen) und vom Jägerbataillon 292 (Donaueschingen) der Brigade kommen. Sollte die Verstärkung Realität werden, dann könnten diese Brigadeangehörigen unter anderem um die malische Hauptstadt Bamako eingesetzt werden.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte sich am 20. Januar vor einem Treffen mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian in Paris zum Thema „Afrikamissionen“. Vor der Presse in Berlin sagte sie zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Zentralafrikanischen Republik zwischen muslimischen Rebellen und christlichen Milizen: „Die Lage in Afrika ist ernst. Es bahnt sich in der Mitte Afrikas eine humanitäre Katastrophe an, die zu einer Destabilisierung der gesamten Region führen kann.“ Sie begrüße deshalb die Initiative der Europäischen Union, das Engagement in Zentralafrika im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für den Kontinent zu verstärken. Man sei am Beginn der Planungen und werde in dieser Woche gemeinsam mit dem Außenminister im Kabinett die Situation und die Anforderungen beraten. Gleichzeitig sollen auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages informiert werden. Im Grundsatz sei es richtig, so die Ministerin in ihrem Statement weiter, dass Europa nun ein Gesamtkonzept entwickelt, wie es seinem Nachbarn Afrika helfen und bei Fragen der Stabilität, Demokratie und des sozialen und wirtschaftlichen Aufbaues unterstützen könne.
In Mali, wo die französische Armee in den vergangenen Monaten eine Übernahme des Staates durch Islamisten verhindert hat, leistet die Bundeswehr – wie bereits beschrieben – logistische Hilfe im Süden des Landes und bildet Soldaten der malischen Armee aus. Stefan Kornelius schrieb am 20. Januar in einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung: „Viele Jahre lang pflegte die Bundeswehr eine Liaison mit den malischen Streitkräften. Ein paar Feldwebel – Pioniere, Instandsetzer – brachten malischen Soldaten bei, wie man Lastwagen repariert und pflegt. Nichts Außergewöhnliches, die übliche Form von Staatendiplomatie mithilfe auch der Armee. Jetzt … mit geschärftem Blick über das Mittelmeer hinweg, wird man Vokabeln wie ,strategisches Interesse‘ und ,Stabilisierung der Demokratie‘, ,Befähigung zur Selbsthilfe‘ oder ,Schutz vor fundamentalistischem Terror‘ hören, wenn der Bundestag bald den Einsatz für möglicherweise wenige Tausend Soldaten beschließt.“
Über eine stärke Unterstützung in Mali müsse man nachdenken, hatte erst vor Kurzem Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesagt. Europa dürfe Frankreich dort nicht alleine lassen. Am 19. Februar, wenn sich der Deutsch-Französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat trifft, soll die Mali-Frage endgültig entschieden werden (der Rat wird von den Staats- und Regierungschefs sowie den Außen- und den Verteidigungsministern gebildet; an den Sitzungen nehmen auch der Generalstabschef der französischen Streitkräfte und der Generalinspekteur der Bundeswehr teil).
In ihrem Grundsatzbeschluss zum Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik vom 20. Januar äußerten sich die EU-Außenminister sorgenvoll und betroffen. In einem Kommuniqué heißt es: „Der Rat ist zutiefst besorgt über die extreme Unsicherheit und Instabilität in der Zentralafrikanischen Republik, besonders seit den schweren Unruhen in der Hauptstadt Bangui am 5. Dezember 2013. Zu beklagen sind große zivile Opfer, massive Flüchtlingsbewegungen der Bevölkerung, zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen sowie insgesamt eine dramatische Verschlechterung der humanitären Lage. Der Rat bekundet zudem seine Befürchtungen, dass der zentralafrikanische Konflikt sich auch auf die Nachbarländer auswirken könnte.“
Die EU-Außenminister beschlossen deshalb an diesem Montag in Brüssel im Prinzip, militärisch in den Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik einzugreifen, um die Lage zu stabilisieren und die verschiedenen bewaffneten Gruppierungen zu trennen. Frankreich ist bereits seit gut einem Monat mit etwa 1600 Soldaten in seiner ehemaligen Kolonie im Einsatz. Die EU soll, so die Überlegungen der Politiker, jetzt zusätzlich weitere 500 bis 1000 Mann entsenden. Voraussetzung ist eine entsprechende Resolution der Vereinten Nationen, die in den kommenden Tagen erwartet wird. Die deutsche Beteiligung wird sich allerdings nach Medienberichten lediglich auf den Lufttransport und die Luftbetankung beschränken. Konkret will Berlin vier Flugzeuge für den Transport von Truppen und Material nach Bangui anbieten.
Michael Gahler, CDU-Europaabgeordneter und sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, äußerte sich am Montag nach dem Grundsatzbeschluss der Außenminister zu den Einsatzvorbereitungen für Mali und Zentralafrika: „Ich begrüße, dass die Bundesregierung ihren Ankündigungen für ein stärkeres sicherheitspolitisches Engagement mit den laufenden Einsatzplanungen für Mali und Zentralafrika schnell Taten folgen lässt. Die heute verabschiedeten Ratsschlussfolgerungen zu einem militärischen Engagement in Zentralafrika belegen, dass die Deutschen gemeinsam mit den europäischen Partnern zu ihrer globalen Verantwortung stehen.“
Weiter erklärte Gahler, die deutsche Beteiligung an der Ausweitung der GSVP-Militärmission in Mali und an der beginnenden Militärmission in Zentralafrika seien Beleg dafür, dass die neue Bundesregierung sich von einer Position verabschiedet, die in Deutschland als „Kultur der Zurückhaltung“ bezeichnet wurde (GSVP: Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik). Diese Haltung sei allerdings bei den europäischen Partnern oftmals auf Unverständnis gestoßen. „Die festzustellende Häufung von Krisen in unserer Nachbarschaft – deren Auswirkungen unter anderem zu Tragödien wie Lampedusa führen – sollte alle Partner künftig veranlassen, gemeinsames vorausschauendes Planen und Handeln zu verbessern“, forderte der Parlamentarier mit Nachdruck.
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und wenig wahrgenommen von den Medien endete kurz vor Weihnachten ein anderer Afrika-Einsatz der Bundeswehr. Das deutsche Personal der Ausbildungsmission EUTM Somalia verlegte im Zeitraum 10. bis 20. Dezember 2013 zurück in die Heimat.
Die EU leistet seit 2010 mit EUTM Somalia Unterstützung beim Aufbau der nationalen Streitkräfte. Bislang wurden dabei rund 3600 somalische Militärangehörige in Uganda ausgebildet. In den ersten beiden Jahren wurde militärisches Grundwissen vermittelt. Danach stand die Spezialisierung von Führungspersonal – zukünftige Teileinheitsführer, Pionierkräfte, Militärpolizisten und CIMIC-Fachkräfte – im Mittelpunkt der Lehrgänge.
Das Nachbarland war für das Vorhaben ausgewählt worden, weil die Sicherheitslage in Somalia zu Missionsbeginn noch äußerst kritisch gewesen war. Die Bundeswehr beteiligte sich auf Grundlage eines für das Einsatzgebiet Uganda geltenden Kabinettbeschlusses vom 15. August 2011 mit bis zu 20 Soldaten an der Mission (EUTM-Gesamtumfang: 125 Soldaten aus 13 Nationen). Zuletzt stellte Deutschland unter anderem den Kommandeur des Ausbildungslagers im ugandischen Bihanga (Bihanga Training Camp) und übernahm die Führungsverantwortung – im Wechsel mit Schweden – für das Ausbildungsteam „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ (Civil-Military Cooperation, CIMIC). Die EU hatte erst am 22. Januar vergangenen Jahres EUTM Somalia um zwei Jahre bis März 2015 verlängert.
Zur Unterstützung der politischen Konsolidierung in Somalia richtet sich die weitere EU-Unterstützung jetzt unter anderem auf die Stärkung des Sicherheitssektors. Die Aufgabe der Mission wurde daher nach einem EU-Ratsbeschluss um die strategische Beratung des somalischen Verteidigungsministeriums und des Generalstabes erweitert – bei gleichzeitiger Verlegung in die somalische Hauptstadt Mogadischu.
Berlin scheute offensichtlich den Einsatz deutscher Soldaten in der Metropole des ostafrikanischen Landes, in dem seit dem Sturz von Machthaber Mohamed Siad Barre 1991 immer noch die Ausläufer eines schlimmen Bürgerkrieges zu spüren sind. 20 Jahre lang existierte in Somalia keine funktionierende Zentralregierung mehr. Seit Anfang 2011 sieht es allerdings jetzt zum ersten Mal so aus, als ob die aktuelle Übergangsregierung die Macht in Mogadischu und in Teilen Südsomalias übernehmen könnte – bisher aber nur mit massiver militärischer Hilfe der Friedenstruppe der Afrikanischen Union (AMISOM) sowie Kenias und Äthiopiens.
Die 1998 gegründete radikale Miliz al-Shabaab, die Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida hat und unnachgiebig für die Errichtung eines Gottesstaates in Somalia kämpft, bleibt eine latente Bedrohung (im September überfiel ein Shabaab-Kommando das Einkaufszentrum Westgate in Kenias Hauptstadt Nairobi und tötete mehr als 60 Menschen). Die Extremisten konnten 2011 zwar von somalischen Regierungstruppen und AMISOM-Soldaten aus Mogadischu vertrieben werden, sie kontrollieren aber weiterhin große Teile im Zentrum und Süden Somalias und verüben immer wieder Anschläge auf Behörden und Sicherheitskräfte.
Auf der anderen Seite mehren sich im Land die Anzeichen von Normalität. Am 17. Januar beispielsweise stellte Somalias neuer Ministerpräsident Abdiweli Sheikh Ahmed sein neues Kabinett vor, dem auch fünf Frauen angehören. 20 Jahre nach dem Abschuss zwei ihrer „Blackhawk“-Helikopter und dem Verlust von 18 Soldaten sind zudem die USA wieder nach Somalia zurückgekehrt: in der Hauptstadt haben sie am Flughafen eine Handvoll Militärexperten stationiert, die als „Koordinierungszelle“ die nationalen Sicherheitskräfte und AMISOM im Kampf gegen die Islamisten beraten sollen.
In seinem Beitrag „Kein Training im Krisengebiet“ beleuchtet der Spiegel am 11. Januar die Entscheidung der Regierung zum Rückzug Deutschlands aus der Mission EUTM Somalia. Das Nachrichtenmagazin: „Als die EU-Mission … im Mai (2013) beschloss, das Training wegen der verbesserten Sicherheitslage in Somalia selbst weiterzuführen, zog Berlin die Handbremse. Nach dem Besuch eines Erkundungsteams entschied man wegen Sicherheitsbedenken, keine deutschen Soldaten in das ostafrikanische Land zu entsenden. Konkret fehle es an den ,Rahmenbedingungen zum Schutz‘, einer ,adäquaten medizinischen und logistischen Versorgung‘ und der nötigen Infrastruktur, hieß es.“
Den deutschen Ausstieg aus der Mission hatte bereits Thorsten Jungholt am 7. Juli vergangenen Jahres in seinem Korrespondentenbericht „Somalias Soldaten und die Angst vor Mogadischu“ – erschienen in der Tageszeitung Die Welt – thematisiert. Bei seinem Besuch im ugandischen Trainingslager Bihanga hatte er notiert: „Es wäre eine Blamage, heißt es in Bihanga, wenn man seine europäischen Partner und die Mission im Stich ließe.“ Und der irische Brigadegeneral Gerald Aherne, Kommandeur der EUTM Somalia, hatte dem Journalisten damals auf die Frage, ob er die Deutschen in Mogadischu brauche, geantwortet: „Einhundert Prozent, absolut! Deutschland ist ein Schlüsselland dieser Mission und der europäischen Verteidigungspolitik insgesamt“. Aber natürlich habe er Respekt davor, wenn die Regierung in Berlin anders entscheide …
Der letzte Ausbildungsabschnitt in Bihanga endete am 29. November 2013. Alle 141 somalischen Lehrgangsteilnehmer hatten ihre verschiedenen militärischen Prüfungen mit Erfolg bestanden. Neun Wochen lang waren sie im Aufgabenbereich „CIMIC“, in der militärischen Aufklärung und als Militärpolizisten und Kompanieführer geschult worden. Nach der feierlichen Abschlussparade übergab die EU das Trainingscamp wieder an die einheimischen Streitkräfte. Die Verlegung des Missionshauptquartiers aus Ugandas Hauptstadt Kampala nach Mogadischu stand unmittelbar bevor – ohne deutsche Beteiligung.
2. Am 20. Januar 2014 befasste sich in Brüssel der Rat für Auswärtige Angelegenheiten mit der Lage in der Zentralafrikanischen Republik. Die Aufnahme zeigt den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seiner Ankunft in der belgischen Hauptstadt, neben ihm Belgiens Außenminister Didier Reynders.
(Foto: Rat der Europäischen Union)
3. Somalische Soldaten in Bihanga bei der Kartenausbildung.
(Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr)
4. und 5. Deutsche Ausbilder unterrichteten rund drei Jahre lang somalische Militärangehörige im Camp Bihanga in militärischer Theorie und Praxis. An der EU-geführten Ausbildungsmission beteiligten sich bis Ende November vergangenen Jahres 13 europäische Staaten.
(Fotos: Sebastian Wilke/Bundeswehr)
6. Das Hintergrundbild der Infografik zeigt Flüchtlinge nahe Bangui. Sie haben die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik wegen der dort anhaltenden Kämpfe verlassen.
(Foto: Djerassem Mbaiorem/UNHCR, Infografik © mediakompakt 01.14)