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Oslo (Norwegen)/Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck hat sich am 14. Juni in einem Interview mit dem Deutschlandradio für ein größeres internationales Engagement unseres Landes in der Welt ausgesprochen. Er habe das Gefühl, so Gauck an diesem Samstag in Deutschlandradio Kultur, dass „unser Land eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung“. Die Kritiker ließen nicht lange auf sich warten.

Der Bundespräsident äußerte sich im Gespräch mit Hans-Joachim Wiese zum Abschluss seines Staatsbesuches in Norwegen, der im Zeitraum 10. bis 13. Juni stattfand. Er habe in Norwegen „auf allen Ebenen ein ,Ja‘ zu einem aktiveren Deutschland gehört“, berichtete Gauck. Er finde es gut, dass nicht nur innerhalb Deutschlands darüber gesprochen werde, „wie und wo wir uns engagieren sollen“, sondern dass auch von außen Fragen wie „Handelt ihr entsprechend eurer Bedeutung?“ gestellt würden.

Mit seinen Äußerungen im Deutschlandradio nahm der Bundespräsident den Faden auf, den er am 31. Januar dieses Jahres zur Eröffnung der 50. Münchner Sicherheitskonferenz gezogen hatte. In seiner vielbeachteten Rede in der bayerischen Landeshauptstadt hatte er bereits gefordert, es sollte „heute für Deutschland und seine Verbündeten selbstverständlich sein, Hilfe anderen nicht einfach zu versagen, wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden“. Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürften gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. In seinem Plädoyer für eine stärkere Rolle Deutschlands im Rahmen von EU und NATO hatte Gauck im Januar ausdrücklich militärisches Engagement eingeschlossen.

Deutschland steht an der Seite der Unterdrückten

In seinem Interview für Deutschlandradio Kultur sagte der Bundespräsident jetzt: „Ich habe das Gefühl, dass unser Land eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung.“ Ihm gehe es keinesfalls um „deutsches Dominanzgebahren“, das Gegenteil sei der Fall. Ihm gehe es vielmehr, so erklärte Gauck, um ein „Ja“ zu einer aktiven Teilnahme an Konfliktlösungen im größeren Rahmen mit Partnern der Europäischen Union und des Nordatlantischen Bündnisses.

Deutschland sei heute eine solide und verlässliche Demokratie und ein Rechtsstaat. „Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen“, sagte Gauck weiter. „So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, stoppen. Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen.“

Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nicht nur mit Worten verteidigen

Gauck hatte bereits bei seiner Rede im Nobelinstitut in der norwegischen Haupstadt Oslo eine Bemerkung gemacht, die seine grundsätzliche Einstellung zu einer veränderten deutschen Außenpolitik erhellt. Der Bundespräsident: „Wer überzeugend für den Frieden eintreten will, muss sich der Wirklichkeit stellen. Freiheit, Demokratie und Menschenrechte können im Ernstfall eben nicht nur mit Worten verteidigt werden.“

Für seine Forderung nach einem stärkeren außen- und sicherheitspolitischen deutschen Engagement in der Welt wird Joachim Gauck nun heftig kritisiert – vor allem durch die deutsche Linke. „Ein Bundespräsident, der quasi als Feldherr die Bundeswehr mit Hurra in alle Welt schicken möchte, stellt sich gegen die Bevölkerung und begibt sich damit ins Abseits“, monierte etwa der außenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Jan van Aken. Es sei völlig richtig und wichtig, dass Deutschland viel aktiver werden müsse, um auch international die Durchsetzung von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit zu unterstützen. Aber dies könne und dürfe nicht militärisch geschehen, warnte der Verteidigungsexperte der Linkspartei.

Von verqueren Zitaten und erbärmlichen Fotomontagen

Constanze von Bullion, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, hat ein feines Empfinden für politische Botschaften. „Pickelhaube auf – und an die Front?“ – so habe Joachim Gauck es nicht gemeint, erklärt sie uns. „Und doch schwingt in dem, was der Bundespräsident zu deutschen Militäreinsätzen sagt, eine gefährliche Botschaft mit.“ Was klingt mit in Gaucks Worten? Von Bullion hat ganz genau hingehört. „Was er (Gauck) will, ist die Bereitschaft zu Kampf und Blutvergießen, die Deutschen sollen da draußen nicht nur andere sterben lassen“, interpretiert die Korrespondentin Töne, die außer ihr wohl niemand zu hören vermag.

Gauck habe zudem eine Vision – eine „Vision vom Anbrechen einer neuen Zeit“. Es habe, so zitiert Constanze von Bullion den Bundespräsidenten, „früher eine gut begründete Zurückhaltung gegen Militäreinsätze gegeben, die könnten die Deutschen jetzt vielleicht ablegen“. Daraus gewinnt sie die Erkenntnis: „Gauck sagt es nicht, aber es klingt bei seinen Worten mit: dass irgendwann mal Schluss ist. Das ist der eigentliche Sprengstoff seiner Botschaft.“

Ärgerlich nur, dass sich die Journalistin die entscheidende Passage aus dem Interview zurechtbiegt. Gesagt hatte Joachim Gauck: „Es gab früher eine gut begründete Zurückhaltung der Deutschen, international sich entsprechend der Größe oder der wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands einzulassen. Das kann ich verstehen.“

Komplett unseriös wird es bei der Kritik von Jürgen Todenhöfer. Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete, Buchautor und Nahostexperte präsentiert auf seiner Facebook-Seite eine Fotomontage mit Gauck. Das Gesamtbild zeigt das Staatsoberhaupt Deutschlands als Terrorist mit Bart, Kopftuch und Maschinengewehr. Laut Kommentar des Urhebers beruht die Montage auf einer Aufnahme von Aiman al-Sawahiri, Chef der Terrorgruppierung al-Qaida. Weiter verunglimpft der entschiedene Kriegsgegner Todenhöfer Gauck als „Jihadisten“, der „wie ein Irrer alle paar Monate dafür wirbt, dass sich Deutschland endlich wieder an Kriegen beteiligt“. Damit sei der Bundespräsident „doch ein Sicherheitsrisiko für unser Land“.

Belassen wir es bei der geschmacklosen Kostprobe und kehren aus diesen publizistischen Niederungen wieder auf die Ebene der sachlichen Auseinandersetzung zurück.

Deutsche Außenpolitik jetzt vor einer Neuausrichtung

Dort steht unter anderem Journalist Christoph Seils dem Bundespräsidenten zur Seite. Im Berliner Tagesspiegel schreibt er: „Nach den Ohne-uns-Jahren der Ära Guido Westerwelle steht die deutsche Außenpolitik in der Großen Koalition unverkennbar vor einer Neuausrichtung.“ Für die deutsche Linke bedeute jeder Versuch deutscher Politiker, sich den außenpolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen, ein Rückfall in imperiale Großmachtpolitik, die Rückkehr des Stahlhelms, kommentiert der Politikwissenschaftler. Aber: „Angesichts der aktuellen Entwicklungen im Irak und in Syrien, in Zentralafrika oder in Nigeria klingen die Worte des Bundespräsidenten eher wie eine Selbstverständlichkeit. Natürlich lassen sich Menschenrechte nicht herbeibomben, so naiv ist der Bundespräsident nicht. Aber manchmal ist es notwendig, das Morden zu stoppen. Dies ist eine Lehre etwa aus dem Massaker von Srebrenica im Jugoslawienkrieg oder dem Völkermord in Ruanda.“

Es sei gut, so schließt der Seils-Beitrag „Joachim Gauck hat Recht“ im Tagesspiegel, dass sich Deutschland wieder um eine aktive Außenpolitik bemühe und mehr Verantwortung in der internationalen Politik übernehmen wolle.


Unser Bild zeigt Bundespräsident Joachim Gauck am 31. Januar 2014 bei seiner Eröffnungsrede zur 50. Münchner Sicherheitskonferenz.
(Foto: Michael Kuhlmann/MSC)


Kommentare

  1. Joachim Bode | 24. Juni 2014 um 15:46 Uhr

    Gibt es nicht zu denken, dass rund 90-95 Prozent aller Zuschriften zu den Gauck/Todenhöfer-Berichten in der deutschen Presse eindeutig die Position Todenhöfers befürworten? Sogar in der BILD, die ja die Wahl von Gauck so sehr unterstützt hat, findet sich das entsprechende Unterstützer-Verhältnis. Und merkwürdig: In den letzten 2-3 Tagen ist das Thema weitgehend verschwunden aus der Medienlandschaft, von Ihrer Meldung mal abgesehen.
    Wir haben also ein Volk ohne den dazu passenden Bundespräsidenten. Und die Presse schwebt irgendwo in der Luft, ohne Bodenhaftung.
    Manche – die offensichtliche Minderheit – kümmert das nicht, nach dem Motto: Wir kriegen das Volk noch so weit, dass es bereitwillig wieder „Verantwortung übernimmt“, wie Sie es in Übereinstimmung mit Gauck auszudrücken belieben.
    Mir ist durchaus bekannt, dass das politische Berlin in manchen Fragen auf Volkes Meinung pfeifft, so z.B. beim Afghanisten-Einsatz, der von rund 2/3 der Bevölkerung abgelehnt wird.
    So lange nur Versuchsballons hochgelassen werden und immer wieder mal versucht wird, die Meinung im Volk zu kippen, mag das ja in Ordnung gehen. Gefährlich für alle wird es, wenn einige Traumtänzer die zur Verteidigung gegründete und entsprechend in der Verfassung verankerte Bundeswehr in Konflikte schickt, die noch brisanter sind als in Afghanistan. Dann wird es möglicherweise für Sie einen 2-Fronten-Krieg geben, den Sie verlieren werden: Das Volk läßt sich nicht besiegen, insbesondere nicht bei so klaren Mehrheitsmeinungen!

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