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Washington (USA)/Bagram (Afghanistan)/Berlin. Die Spekulationen haben ein Ende, die Zeitachse ist ausgebracht, die Rahmenbedingungen für die Verbündeten sind gesetzt. Am 27. Mai trat US-Präsident Barack Obama im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington vor die Presse und nannte seine weiteren Pläne für Afghanistan. Nach Ende des NATO-geführten Kampfeinsatzes am 31. Dezember 2014 sollen nur noch 9800 US-Soldaten im Land verbleiben – zur Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte und zur Unterstützung von Anti-Terror-Operationen gegen „Reste von al-Qaida“. Ende 2015 soll die amerikanische Präsenz in Afghanistan dann lediglich noch rund 5000 Kräfte umfassen, stationiert in Bagram Air Base und in Kabul. Ende 2016 schließlich sollen die US-Truppen Afghanistan komplett verlassen haben – bis auf wenige Soldaten zum Schutz der amerikanischen Botschaft in der Hauptstadt. Zwei Tage vor dieser Ankündigung, am 25. Mai, hatte Obama überraschend die Militärbasis Bagram nahe Kabul besucht.

Der Komplettabzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan wird beendet sein, wenn der 44. Präsident der Vereinigten Staaten im Januar 2017 nach seiner zweiten Amtszeit das Weiße Haus verlässt. Im Augenblick sind in Afghanistan noch etwa 32.000 US-Soldaten stationiert, vor gut drei Jahren waren es einmal rund 100.000.

Eine Sprecherin der NATO äußerte sich am Abend des 27. Mai in Brüssel zu Obamas Ankündigung. Das Bündnis begrüße ausdrücklich den „beachtlichen Beitrag“, den die USA für den von der NATO geplanten Einsatz in Afghanistan – die Folgemission „Resolute Support“ – leisten wollen. Die NATO stehe zu ihrer Verpflichtung, so die Sprecherin, auch nach Ende des ISAF-Kampfeinsatzes mit Beratern und Ausbildern im Land zu bleiben.

Bilaterales Sicherheitsabkommen noch immer nicht ratifiziert

Voraussetzung für ein weiteres Engagement der Vereinigten Staaten am Hindukusch und damit für „Resolute Support“ ist die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens zwischen Washington und Kabul und weiterer Folgedokumente. Der bisherige afghanische Staatspräsident Hamid Karsai hatte sich bis zuletzt geweigert, das fertig ausgehandelte und von der Großen Ratsversammlung Afghanistans verabschiedete Abkommen mit den USA zu ratifizieren.

Die Unterzeichnung durch den neuen afghanischen Präsidenten – ob Ex-Außenminister Abdullah Abdullah oder der frühere Finanzminister Ashraf Ghani – gilt aber als sicher. Karsai konnte nach seiner zweiten Amtsperiode nicht mehr erneut für das höchste Amt seines Landes kandidieren. Abdullah und Ghani, Gewinner der afghanischen Präsidentschaftswahl vom 5. April, werden am 14. Juni in einer Stichwahl um die Amtsnachfolge gegeneinander antreten.

Planungssicherheit jetzt auch für die Bundeswehr

Ein Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung nannte in Berlin die US-Pläne für die weitere Truppenstationierung „ein wichtiges Signal“, das Planungssicherheit bedeute. Weitere Gespräche mit den NATO-Partnern müssten jetzt Klarheit auch im Hinblick auf das zukünftige Bundeswehr-Engagement in Afghanistan bringen. Die NATO-Verteidigungsminister beispielsweise werden sich bei ihrem Treffen am 3. und 4. Juni in Brüssel bereits intensiv mit dem Thema befassen.

Bisherigen Planungen zufolge will sich Deutschland mit etwa 800 Soldaten an der neuen NATO-geführten Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“ beteiligen. Im Augenblick befinden sich rund 2500 Bundeswehrangehörige im ISAF-Einsatz (Stand 28. Mai 2014). Seit Dezember 2001 bis heute haben mehr als 130.000 deutsche Soldaten an der Mission in Afghanistan teilgenommen, 55 kamen dabei zu Tode.

Es ist schwieriger, Kriege zu beenden, als sie zu beginnen

In seinem Statement vor der Presse am 27. Mai sagte Präsident Obama unter anderem über Amerikas bislang längste militärische Auseinandersetzung: „Wir haben gelernt, dass es schwieriger ist, Kriege zu beenden, als sie zu beginnen … Heute – so unser Fazit – ist es an der Zeit, nach mehr als einem Jahrzehnt der außenpolitischen Fokussierung auf den Irak und auf Afghanistan endlich ein neues Kapitel aufzuschlagen.“ Dieses neue Kapitel der US-amerikanischen Außenpolitik werde es ermöglichen, mit den dann eingesparten Ressourcen rascher auf veränderte terroristische Bedrohungen bei gleichzeitig größerem weltweiten Aufgabenspektrum reagieren zu können.

An die Adresse des afghanischen Volkes gerichtet versprach Obama: „Wir bleiben auch weiterhin einem souveränen, sicheren, stabilen und geeinten Afghanistan verpflichtet. Aus diesem Grund werden wir auch alle afghanischen Anstrengungen, Frieden im Land durch einen Prozess der Versöhnung zu fördern, unterstützen.“ Aber, und hier gebrauchte der Präsident deutliche Worte: „Wir müssen auch erkennen und akzeptieren, dass Afghanistan kein perfekter Ort ist und es nicht Aufgabe der USA sein kann, es zu einem solchen zu machen. Die Zukunft des Landes wird von den Afghanen selbst bestimmt. Was jedoch die Vereinigten Staaten tun können – die eigenen Interessen zu sichern und einen Beitrag zu leisten, damit Afghanistan die Chance auf einen dauerhaften Frieden erhält – soll getan werden.“

Blitzreise zu den US-Truppen auf der Militärbasis Bagram

„Hallo Bagram! Ich weiß, es ist bereits ein bisschen spät – aber ich war sowieso in der Nachbarschaft und dachte mir, ich lege hier mal einen Halt ein!“ Mit diesen launigen Worten hatte am Abend des 25. Mai Überraschungsgast Barack Obama auf der Bagram Air Base seine jubelnden US-Soldaten begrüßt. Der Präsident war völlig unangekündigt mit der „Air Force One“ nach Afghanistan gereist und hatte dabei Countrysänger Brad Paisley mitgebracht, der für die Truppe ein Konzert gab. Die Militärbasis Bagram befindet sich in der Provinz Parwan etwa 75 Kilometer nordöstlich von Kabul.

Zu einer Weiterreise in die Hauptstadt oder einem Treffen mit dem noch amtierenden afghanischen Präsident Karsai kam es nicht. Das Verhältnis zwischen dem stolzen, oft eigenwilligen Paschtunen und der US-Regierung gilt als schwierig, ja nachhaltig gestört. Übereinstimmenden Presseberichten zufolge soll am 26. Mai aus dem Präsidentenpalast in Kabul mitgeteilt worden sein, Karsai habe ein von der US-Regierung angefragtes Treffen mit Obama auf dem Stützpunkt Bagram schlicht verweigert.

Dort sprach der US-Präsident in einem großen Flugplatzhangar zu den rund 3000 Militärangehörigen. Er rief seinen begeisterten Soldaten zu: „Ich bin alleine deswegen nach Bagram gekommen, um Ihnen als Oberbefehlshaber für Ihren Dienst zu danken. Ich danke Ihnen auch in Namen alle unserer Landsleute, die stolz auf Sie sind und Sie vorbehaltlos unterstützen. Und ich bin auch hier, weil wir nach mehr als einem Jahrzehnt des Krieges nun gemeinsam einen entscheidenden Punkt erreicht haben. Bereits im vergangenen Jahr passierten wir einen großen Meilenstein mit der Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanischen Kräfte. Heute bereits haben Sie die Rolle des Partners übernommen – Sie bilden die afghanischen Sicherheitskräfte aus und begleiten sie. Für viele von Ihnen wird dies die letzte Kommandierung nach Afghanistan sein. Bis Ende des Jahres wird der Übergang der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen endgültig abgeschlossen und unser Kampfeinsatz vorüber sein. Unser Krieg in Afghanistan wird damit zu einem verantwortungsvollen Ende gelangen.“

Al-Qaida in der Region am Hindukusch entscheidend geschwächt

Im Laufe seiner immer wieder von langem Applaus unterbrochenen Rede erinnerte Obama noch einmal an die maßgeblichen Beweggründe für den Einsatz in Afghanistan. Zum einen sollte hier al-Qaida mit der Invasion des Westens der „sichere Hafen“ entzogen werden. Dies sei gelungen, erklärte Obama. „Heute ist die Führung von al-Qaida in den Stammesgebieten an der pakistanisch-afghanischen Grenze entscheidend dezimiert. Unsere Truppen in Bagram spielten bei all unseren Anti-Terror-Operationen eine entscheidende Rolle – einschließlich der, bei der Osama Bin Laden den Preis für seine Verbrechen zahlen musste … Al-Qaida ist in diesem Teil der Welt auf dem Rückzug.“

Ein zweiter Beweggrund sei gewesen, die Herrschaft der Taliban zu beenden. Auch dabei sei man erfolgreich gewesen, so der Präsident. Schon mit Beginn der Offensive der Koalitionstruppen habe man die Taliban aus ihren Hochburgen vertreiben können. Obama fuhr fort: „Natürlich ist Afghanistan immer noch ein sehr gefährliches Land. Noch immer verüben Aufständische feige Anschläge gegen unschuldige Zivilisten. Aber die Erfolge überwiegen den Schrecken. Die afghanische Bevölkerung erobert nach und nach ihre angestammten Lebensbereiche zurück, mehr und mehr Mädchen gehen zur Schule, im öffentlichen Gesundheitswesen und bei der Lebenserwartung werden große Fortschritte erzielt. Selbst bei allen immer noch bestehenden Herausforderungen haben weit mehr Afghanen Hoffnung auf eine bessere Zukunft, als zuvor.“

Dem weltweiten Terrorismus mit Stärke und Wachsamkeit begegnen

Ein drittes Motiv für das lange Engagement in Afghanistan sei die Herkulesaufgabe gewesen, die nationalen Kräfte Afghanistans so zu stärken, dass diese in Zukunft mehr Verantwortung für die eigene und für die Sicherheit des Landes übernehmen könnten. „Deshalb haben wir die afghanischen Streitkräfte nach und nach aufgebaut und ständig trainiert“, erklärte Obama. „Wir wissen, dass hier noch ein langer Weg vor uns liegt. Aber seit mittlerweile fast einem Jahr haben die Afghanen die Führungsrolle übernommen. Ihre Opfer dabei waren und sind enorm. Aber die afghanischen Sicherheitskräfte sind bereit zu kämpfen und werden von Mal zu Mal stärker. Die Afghanen sind stolz darauf, ihr Land zu verteidigen – auch dank unserer Hilfe.“

Barack Obama schloss seine Rede in Bagram mit der eindringlichen Warnung: „Unser Kampfeinsatz in Afghanistan wird bald zu einem Ende kommen. Auch wenn die Führung von al-Qaida hier schon förmlich in den Seilen hängt, so stellt diese Terrororganisation und mit ihr verbundene Gruppierungen in anderen Teilen der Welt doch nach wie vor eine ernsthafte Bedrohung dar. Wir werden stark bleiben müssen. Und wir werden wachsam bleiben müssen.“



Zu unserer Bildsequenz:
1. US-Präsident Barack Obama am 25. Mai 2014 in Bagram kurz nach der Landung der „Air Force One“.
(Foto: Pete Souza/White House)

2. Briefing in Camp „Alpha“ in Bagram durch General Joseph F. Dunford, Kommandeur der International Security Assistance Force in Afghanistan.
(Foto: Pete Souza/White House)

3. „Hallo Bagram!“ – der Präsident begrüßt die jubelnden US-Soldaten der Militärbasis.
(Foto: Pete Souza/White House)

4. Militäroberbefehlshaber Obama bedankt sich bei den Angehörigen aller Teilstreitkräfte für ihren Dienst in Afghanistan.
(Foto: Evelyn Chavez/U.S. Air Force)


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