Zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung
2013
Berlin. Ohrfeige für die Truppe, öffentliche Demütigung, Soldaten als Heulsusen hingestellt, Kritik wie eine Bombe eingeschlagen – die Reaktionen auf ein Interview des Verteidigungsministers in der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), erschienen am 24. Februar, waren teilweise heftig. Auch heftig überzogen und heftig überzeichnet. Denn de Maizières Ansicht, Soldaten hätten „den verständlichen, aber oft übertriebenen Wunsch nach Wertschätzung“, ja sie seien „vielleicht gerade süchtig danach“, war so neu und mithin überraschend nicht.
Bereits am 18. Januar hatte sich Thomas de Maizière in seiner Festrede an der Universität der Bundeswehr in München anlässlich des Neujahrsempfangs der Militärseelsorge vor 500 Gästen zum Selbstverständnis unseres Militärs geäußert. Gut einen Monat später, am 17. Februar, war dann in der Tageszeitung Die Welt ein Meinungsartikel des Ministers erschienen, der sich erneut mit der Fremd- und Eigenwahrnehmung der Soldaten befasste. Dort heißt es – gut eine Woche vor Erscheinen seines FAZ-Interviews: „Wir haben bei uns eine nach oben hin offene Zuwendungsskala. Wir sind süchtig nach Anerkennung. Und das ist falsch.“
Wie die Welt in einem redaktionellen Hinweis erklärte, war de Maizières Gastbeitrag auszugsweise mit jener Rede identisch, die er in München gehalten hatte. Demnach hatte der Minister also bereits im Januar zentrale Inhalte seiner späteren FAZ-Kritik in der Öffentlichkeit vorgetragen: „Wenn also die Bundeswehr immerzu nach öffentlicher Wertschätzung fragt, geht das der Gesellschaft irgendwann auf den Geist. Wer dagegen selbstbewusst auftritt, überzeugt ist von seinem Auftrag und von seinem Dienst, der erfährt Wertschätzung wie von selbst. Hören wir also auf, nach Anerkennung zu gieren. Die könnte kaum besser sein. Erzählen wir von unserer Arbeit, seien wir stolz auf das, was wir leisten. Dann erfolgt die Wertschätzung auf dem Fuße.“
„Gedemütigt“ fühlte sich zu diesem früheren Zeitpunkt offensichtlich noch kein Soldat (der Bundesvorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Oberst Ulrich Kirsch, empörte sich erst nach dem FAZ-Interview und sprach von einer „öffentlichen Demütigung“). Auch war die Welt-Veröffentlichung von den Bundeswehrangehörigen anscheinend auch nicht als „Ohrfeige“ begriffen worden (erst Andreas Timmermann-Levanas, Vorsitzender des Veteranenverbandes, empfand die Äußerungen de Maizières in der FAZ als schmerzhaft). Es bleibt rätselhaft, warum der Verteidigungsminister erst jetzt „Gegenwind bekommt“ (so das Wochenmagazin Stern) und seine Wortwahl erst jetzt als „enttäuschend und absolut unangemessen“ (Verbandschef Kirsch) angesehen wird. Im Januar zumindest war an der Bundeswehr-Uni noch kein Unmut laut geworden, als de Maizière dort beim Neujahrsempfang zum Thema „Auftrag und Selbstverständnis der Bundeswehr“ sprach. Im Gegenteil – eine Pressemitteilung der Universität zum Ministerbesuch endet mit folgendem Stimmungsbild: „Der langanhaltende Applaus des Publikums machte deutlich, dass (de Maizières) Rede einen nachhaltigen Eindruck bei den Zuhörerinnen und Zuhörern hinterlassen hat.“
Im Kern wiederholte der Verteidigungsminister seine Äußerungen Anfang März auch in einem Gespräch mit der Boulevardzeitung Bild am Sonntag. Dabei stellte er klar: „Ich habe nicht den richtigen Ton getroffen, die Melodie bleibt aber richtig. Als Chef muss man auch öffentlich einmal ein kritisches Wort sagen dürfen.“ Er habe nur darauf aufmerksam machen wollen, erklärte de Maizière weiter, dass man Wertschätzung am besten durch das selbstbewusste Vorzeigen guter Leistungen erringe. Studien und Umfrageergebnisse bescheinigten der Bundeswehr zudem, ein attraktiver Arbeitgeber und eine geachtete Institution zu sein. Wie die Auswertungen zeigten, sei der Soldatenberuf respektiert. „Dazu haben am meisten die Soldaten selbst beigetragen.“
In der Tat schneiden die Soldaten der Bundeswehr bei aktuellen Umfragen gut ab. So rangieren die Streitkräfte im „Global Trust Report 2013“ der Marktforschungsorganisation GfK an fünfter Stelle einer insgesamt 12 Ränge umfassenden Skala der Institutionen. Laut dieser erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Erhebung genießt in Deutschland die Polizei das höchste Vertrauen, gefolgt von den Bereichen „Justiz/Gerichte“, „Nichtregierungsorganisationen“, „Öffentliche Verwaltung, Ämter und Behörden der Polizei“ sowie „Militär/Armee“. Hinter den Soldaten rangieren unter anderem die Institutionen „Medien“, „Kirche“ oder „Regierung“. Das wenigste Vertrauen genießen laut „GfK Global Trust Report 2013“ in Deutschland die politischen Parteien.
Das „Schülerbarometer 2012/2013“ des Berliner Instituts trendence zeigt, dass die Bundeswehr bei Jugendlichen als Arbeitgeber hoch im Kurs steht. Von Januar bis Juni 2012 wurde an allgemeinbildenden Schulen eine Umfrage unter rund 10.000 Schülern der Klassen 8 bis 13 durchgeführt und nach dem „Top-Arbeitgeber“ gefragt. Hinter Polizei und der ProSieben/Sat.1-Media AG landete die Bundeswehr auf der insgesamt 90 Unternehmen und Institutionen umfassenden Antwortenliste auf Platz drei.
Das ehemalige Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (kurz SOWI; zum Jahreswechsel im neuen Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit Sitz in Potsdam aufgegangen) führte in den vergangenen Jahren regelmäßig repräsentative Bevölkerungsumfragen durch, um die sicherheits- und verteidigungspolitische Einstellung der Bundesbürger wissenschaftlich fundiert zu erfassen. So auch 2012.
Im Mittelpunkt der im August vergangenen Jahres realisierten Studie standen neben der öffentlichen Wahrnehmung des Militärs vor allem die Bewertung des aktuellen Mottos der Bundeswehr „Wir. Dienen. Deutschland.“, das Image der Streitkräfte sowie Fragen zum Umgang mit Veteranen. Die Daten wurden vom Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Rahmen von 2500 telefonischen Interviews (CATI) in der Zeit vom 30. Juli bis 24. August 2012 erhoben.
Die Bundeswehr befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch: Größe, Struktur, Aufgabenspektrum und Selbstverständnis haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Bundeswehr hat sich von einer Armee der Landes- und Bündnisverteidigung zu einer Armee im (Auslands-)Einsatz entwickelt. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt und ein freiwilliger Wehrdienst eingeführt, der Personalumfang wurde gestrafft und die Zahl der Standorte verringert. Diese vielschichtigen Veränderungen haben weitreichende Folgen: sie wirken sich auch auf die öffentliche Wahrnehmung der Bundeswehr aus. Wenn heute in den Medien über die Bundeswehr berichtet wird, dann oftmals in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan, einer Mission, die in der Öffentlichkeit als Kriegseinsatz wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund stellten das Sozialwissenschaftliche Institut und Dr. Thomas Bulmahn, Leiter der Forschungsschwerpunkte „Einstellungsforschung und Meinungsumfragen“ am Institut die Frage, was die Menschen in Deutschland mit dem Militär verbinden. Was fällt ihnen spontan ein, wenn sie das Wort „Bundeswehr“ hören?
Mit dem Stichwort „Bundeswehr“ werden in erster Linie spontan die Begriffe „Krieg“, „Waffen“ und „Soldaten“ (16 Prozent) assoziiert. Vielen Befragten fallen zudem die Auslandseinsätze und hier insbesondere der Einsatz in Afghanistan (15 Prozent) ein. Persönliche Bezüge wie beispielsweise der eigene Wehrdienst (12 Prozent) oder die Leistungen der Bundeswehr (11 Prozent) werden ebenfalls relativ häufig genannt. Ein Teil der Befragten äußert auch Unverständnis, Kritik und Ablehnung: 12 Prozent formulieren allgemein kritische Kommentare, 3 Prozent kritisieren den Zustand der Truppe, zuweilen wird auch die Abschaffung der Bundeswehr mit dem Argument, sie sei „unnötig“, gefordert.
„Alles in allem verdichten sich die spontanen Assoziationen zu einem etwas positiveren Gesamtbild als im Vorjahr 2011“, erklärt Bulmahn dieses erste Teilergebnis. „Kritik am Zustand der Bundeswehr und unspezifische kritische Kommentare wurden ebenfalls in geringerem Maße geäußert.“
Die Bevölkerungsmehrheit vertritt, so zeigt die aktuelle SOWI-Umfrage, eine positive Einstellung zur Bundeswehr (75 Prozent). Ausgesprochen gut bewertet werden ihre Leistungen bei der Katastrophenhilfe im Inland und das öffentliche Auftreten der Soldaten (84 Prozent bzw. 79 Prozent). Die Leistungen der Bundeswehr bei den Einsätzen im Ausland werden kritischer betrachtet. Zwar kommt die Mehrheit zu einem positiven Votum (68 Prozent), doch rund ein Viertel der Befragten teilt die Mehrheitsmeinung nicht und äußert sich negativ (26 Prozent). Kritik wird auch bei der Frage nach der gesellschaftlichen Integration der Bundeswehr deutlich, die etwa jeder vierte Befragte negativ beurteilt (26 Prozent).
Von allen betrachteten Aspekten wird die Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr am schlechtesten bewertet. Jeder Dritte kommt bei der „Bevölkerungsumfrage 2012“ zu einem negativen Urteil. Thomas Bulmahn erklärt dazu: „Für die Bundeswehr, die mittlerweile auch von einem Großteil der Bevölkerung als eine Armee im Einsatz wahrgenommen wird, ist dieses Urteil nicht unproblematisch. Die Einschätzung, dass es Mängel bei der Ausrüstung und Bewaffnung der Truppe gibt, könnte die gesellschaftliche Akzeptanz für die Auslandseinsätze unterminieren.“
Mit der Bundeswehr werden der SOWI-Studie zufolge vor allem positive Emotionen verbunden: Vertrauen (79 Prozent), Hochachtung (69 Prozent), Stolz (68 Prozent) und Dankbarkeit (67 Prozent). Dieses Resultat der Image-Analyse steht in einem deutlichen Kontrast zu der Empfindung vieler Soldatinnen und Soldaten, dass ihnen zu wenig gesellschaftliche Anerkennung entgegengebracht wird.
Negative Gefühle werden seltener mit der Bundeswehr assoziiert. Am häufigsten sind Zweifel (46 Prozent), Angst (32 Prozent), Unverständnis (29 Prozent) und Enttäuschung (24 Prozent). Etwa jeder vierte Befragte empfindet im Zusammenhang mit der Bundeswehr Gleichgültigkeit (24 Prozent) oder Langeweile (23 Prozent). Starke negative Emotionen sind ebenfalls vorhanden: etwa ein Fünftel der Befragten sagt, dass sie Wut (22 Prozent) beziehungsweise Abneigung (18 Prozent) mit der Bundeswehr verbinden.
Im Vergleich zum Umfragejahr 2011 hat sich dieses emotionale Spektrum nur leicht gewandelt. Die positiven Emotionen haben im Durchschnitt um drei Prozentpunkte zugelegt, und die negativen Emotionen sind um 0,3 Prozentpunkte zurückgegangen.
Die Zustimmung der Bundesbürger zum Einsatz deutscher Streitkräfte in Afghanistan
ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Mittlerweile befürworten nur noch 38 Prozent diese Mission und 55 Prozent lehnen sie ab, so ein weiteres Ergebnis der SOWI-Bevölkerungsumfrage für das Jahr 2012. Vor einigen Jahren waren nahezu umgekehrte Mehrheitsverhältnisse zu beobachten. Im Jahr 2008 beispielsweise sprachen sich 63 Prozent für den Einsatz aus, lediglich 34 Prozent waren dagegen.
Empirische Analysen lassen die Ursachen für diesen Einstellungswandel deutlich werden. Dazu Sozialwissenschaftler Bulmahn: „Der Rückgang der Zustimmung zum Afghanistaneinsatz ist vor allem auf die Wahrnehmung ausbleibender Fortschritte, steigender Kosten und zunehmender Gefahren für die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten zurückzuführen. Nur noch jeder vierte Befragte bewertet diese Mission mehr oder weniger als einen Erfolg. Was bedeutet es für das Ansehen und die gesellschaftliche Bedeutung der Bundeswehr, wenn ihr größter Auslandseinsatz von einem Großteil der Bevölkerung als Fehlschlag beurteilt wird?“
Die empirischen Untersuchungen ergeben keine Hinweise auf einen gravierenden Rückgang der gesellschaftlichen Bedeutung der Bundeswehr. Die Mehrheit der Befragten ist nach wie vor von ihrer Relevanz überzeugt. Insgesamt 86 Prozent meinen, die Streitkräfte sind wichtig für Deutschland (49 Prozent „sehr wichtig“ und 37 Prozent „eher wichtig“). Nur 14 Prozent halten die Bundeswehr für mehr oder weniger unwichtig. Dieser Anteil ist im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozentpunkte leicht gestiegen.
Die Frage nach dem Ansehen der Bundeswehr wird abhängig vom Bezugspunkt unterschiedlich beantwortet (Fragestellung: „Welches Ansehen genießt die Bundeswehr bei Ihnen persönlich? Und was meinen Sie, wie hoch ist das Ansehen der Bundeswehr in unserer Gesellschaft?“). Etwa jeder dritte Befragte meint, die Bundeswehr genießt bei ihm persönlich ein hohes Ansehen. Bei mehr als jedem Zweiten (53 Prozent) hat die Bundeswehr ein durchschnittliches Ansehen. Lediglich 12 Prozent sagen, sie hat bei ihnen ein geringes Ansehen. Wesentlich zurückhaltender wird die Frage nach dem Ansehen der Bundeswehr in der Gesellschaft beantwortet. Nur 14 Prozent der Befragten meinen, die Bundeswehr genießt in unserer Gesellschaft ein hohes Ansehen. Zwei Drittel meinen, ihr gesellschaftliches Ansehen ist eher durchschnittlich und 18 Prozent bezeichnen es als eher gering.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière selber stieß bei der Mehrheit der Deutschen mit seiner Soldaten-Kritik scheinbar auf Unverständnis. In einer repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa bewerteten 61 Prozent der Befragten seine Äußerungen als unangemessen, nur 17 Prozent hielten sie für angemessen (22 Prozent der Befragten antworteten auf die entsprechende Frage mit „Weiß nicht“). In der Umfrage zeigten sich 37 Prozent auch mit der Amtsführung des Verteidigungsministers insgesamt unzufrieden, 30 Prozent zeigten sich zufrieden (33 Prozent hatten keine Meinung dazu). Für die Umfrage waren zwischen dem 1. und 4. März dieses Jahres 1033 Bürgerinnen und Bürger befragt worden.
Eine Umfrage zur politischen Stimmung von Infratest dimap im Auftrag der ARD-Tagesthemen und der Tageszeitung Die Welt dürfte Minister de Maizière mehr erfreuen. In diesem ARD-DeutschlandTREND für März 2013 liegt er auf dem vierten Platz des Rankings „Politikerzufriedenheit“ hinter Angela Merkel (1), Wolfgang Schäuble (2), Hannelore Kraft (3) und Frank-Walter Steinmeier (4). Aktuell sind 53 Prozent der Bevölkerung mit seinem politischen Wirken einverstanden. Die Rangliste umfasst 14 Bundespolitiker – Gregor Gysi (13) und Philipp Rösler (14) belegen die beiden letzten Plätze. Die Umfrage (CATI-Verfahren) fand im Zeitraum 4. bis 5. März statt.
Unsere Infografiken zeigen einige zentrale Ergebnisse der SOWI-Bevölkerungsumfrage 2012 zum Image der Bundeswehr:
1. Spontane Assoziationen zum Begriff „Bundeswehr“.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)
2. Mit der Bundeswehr verbundene Gefühle.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)
3. Zur Bedeutung der Bundeswehr für die Gesellschaft .
(Foto: Reservistenverband)