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Sarajevo (Bosnien-Herzegowina). Vor 20 Jahren begann in Bosnien und Herzegowina eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren europäischen Geschichte, der Bosnienkrieg. Es war ein Krieg der Vertreibungen und Deportationen, der Vergewaltigungen und des Terrors, der Massaker und des Genozids. Rund 2,2 Millionen Menschen verließen in den Jahren 1992 bis 1995 die umkämpfte Heimat – freiwillig oder gezwungen. Rund 100.000 Menschen kamen in den Wirrungen der ethnischen Auseinandersetzungen um. Jetzt, rund 17 Jahre nach Kriegsende hat Bosnien-Herzegowina „nach den Gräuel des Krieges wieder die Chance auf eine gute Zukunft“. So formulierte es Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU, am 27. September 2012 in einer Grußadresse an die Bundeswehr.

Am 27. September endete im Camp Butmir nahe der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo der längste Auslandseinsatz der Bundeswehr. Mit dem Einholen der deutschen Flagge vor dem Hauptquartier der EUFOR-Mission Althea verabschiedeten sich auch die letzten zwei Bundeswehrangehörigen aus dem multinationalen Kontingent unter Führung des österreichischen Generalmajors Robert Brieger (seit 3. Dezember ist Generalmajor Dieter Heidecker aus Österreich EUFOR-Commander). CDU-Generalsekretär Gröhe zollte den beiden deutschen Luftwaffensoldaten – Oberstleutnant Markus Demann und Stabsfeldwebel Jörg Häck – sowie allen 50.600 deutschen Soldaten, die in den vergangenen 17 Jahren an NATO- und EU-Missionen in Bosnien-Herzegowina teilgenommen haben, „Respekt und Anerkennung für ihr unermüdliches Engagement für Frieden in dem südosteuropäischen Land“.

Auch der Wehrbeauftragte sandte am 27. September „einen herzlichen Gruß nach Bosnien-Herzegowina“. Zu Beginn der parlamentarischen Aussprache zu seinem Jahresbericht 2011 sagte Hellmut Königshaus: „In diesen Minuten wird im EUFOR-Hauptquartier bei Sarajevo die deutsche Flagge eingeholt … Mein Dank gilt allen Soldatinnen und Soldaten, die durch ihren Dienst in Bosnien-Herzegowina maßgeblich zur Stabilisierung der Region beigetragen haben. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle aber auch ihren Angehörigen, die viel zu häufig vergessen werden und manche Entbehrung und Belastung tragen mussten.“ Und, so Königshaus im Bundestag weiter: „Ich gedenke in Trauer der Soldaten, die bei diesem Einsatz wie auch bei den anderen Einsätzen ihr Leben lassen mussten oder die gesundheitlichen oder seelischen Schaden erlitten haben.“ Im Rahmen dieses Balkaneinsatzes starben nach Angaben des Verteidigungsministeriums 19 Bundeswehrangehörige.

Militärische Sicherheitslage ist grundsätzlich stabil

Am 1. Dezember 2011 hatte das Parlament letztmalig einem Regierungsantrag zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Althea zugestimmt. „Zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina“, wie es im Antrag heißt. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die letzte Althea-Beteiligung werden für den Zeitraum 22. November 2011 bis 21. November 2012 mit rund 6,8 Millionen Euro beziffert. Zum Zeitpunkt des Parlamentsentscheides beteiligte sich Deutschland noch mit 15 Soldaten an der insgesamt 1300 Mann starken EU-Operation und stellte gemeinsam mit Österreich ein Reservebataillon. Im Antrag der Bundesregierung vom 2. November 2011 zeichnete sich bereits der Althea-Abschied der Bundeswehr ab. Dort hieß es: „Die militärische Sicherheitslage in Bosnien und Herzegowina ist derzeit grundsätzlich stabil … Unter Berücksichtigung der (sicherheits)-politischen Lageentwicklung strebt die Bundesregierung die Weiterentwicklung von Althea in eine nicht-exekutive Beratungs- und Unterstützungsmission mit insgesamt etwa 200 Soldatinnen und Soldaten an. Diese soll Bosnien und Herzegowina beim weiteren Aufbau seines Verteidigungsministeriums und seiner Streitkräfte beraten.“

Ein General 16 Jahre auf der Flucht

Die Präsenz der Bundeswehr auf dem Balkan wurde lange Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung (und Bewertung des Erfolges) mit dem Etikett „Vergessene Einsätze“ gewürdigt. Afghanistan überlagert alles. Erst die Unruhen des vergangenen Sommers im Kosovo haben den Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern in dieser Region Europas wieder ins öffentliche Bewusstsein gerufen. Die Verhaftung des 16 Jahre flüchtigen Serben-Generals und Kriegsverbrechers Ratko Mladic am 26. Mai 2011 sowie die Weltpremiere des Films „Liebe in Zeiten des Krieges“ der Schauspielerin und Regisseurin Angelina Jolie am 5. Dezember 2011 haben auch wieder Bosnien-Herzegowina in helles Licht getaucht. Und als wenn er es geahnt hätte, hatte bereits ein Jahr zuvor, im März 2010, der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg unseren Soldaten bei einem Balkan-Besuch versichert: „Sie sind nicht vergessen – solange ist der Krieg doch noch gar nicht her.“

Erst Hass und schließlich Brudermord

Nein, so lange ist der Krieg in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens noch nicht her. Angelina Jolie berichtet in ihrem Filmdebüt „In the Land of Blood and Honey“ von einer Liebestragödie inmitten des Bosnienkrieges. Die ethnisch gemischte Kulturszene Sarajevos bewertete das Filmwerk als „ein realistisches Bild dieses Krieges und seiner Ursachen“. Im serbisch dominierten Landesteil „Republika Srpska“ erntete „Liebe in Zeiten des Krieges“ schon lange vor der Fertigstellung heftige Ablehnung und böse Kritiken. Sogar im serbischen Parlament in Belgrad war gegen das Filmdrama gehetzt worden. Der Krieg ist noch nicht lange her…

Die Auflösung der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ begann im Frühsommer 1991. Ohne die Stimmen der serbischen Politiker verabschiedete das Parlament Bosnien-Herzegowinas bald danach ein Memorandum zur Unabhängigkeit (innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes). Postwendend erklärte die serbische Regierung in Belgrad, sie bestehe auf einem Jugoslawien unter Einschluss der „serbischen Gebiete in Kroatien und Bosnien-Herzegowina“. Mit dem stückweise Auseinanderbrechen der Republik wuchsen auch die Spannungen zwischen den Ethnien in Bosnien und Herzegowina. Während hier große Teile der serbischen Bevölkerung für einen Verbleib in Jugoslawien plädierten, favorisierten die bosnischen Muslime (Bosniaken) und die Kroaten aus der westlichen Herzegowina eigene Staatsgebilde.

Die Belagerung von Sarajevo beginnt

Die Spannungen eskalierten nach der am 3. März 1992 verkündeten Unabhängigkeit der Republik Bosnien und Herzegowina. Wenige Wochen zuvor, am 9. Januar, hatten bereits die bosnischen Serben in ihrem selbsternannten Parlament eine Serbische Republik in Bosnien-Herzegowina ausgerufen. Am 5. April begann mit der Einnahme des Flughafens durch die Jugoslawische Volksarmee die Belagerung von Sarajevo. Nach Anerkennung Bosnien-Herzegowinas durch die Europäische Gemeinschaft brachen kurz darauf in ganz Bosnien schwere Kämpfe aus.

Am 27. April entstand durch den Zusammenschluss Serbiens und Montenegros die Bundesrepublik Jugoslawien. Das neue Staatspräsidium übertrug am 5. Mai den Oberbefehl über die Jugoslawischen Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina an die bosnischen Serben, die auch alles militärische Großgerät erhielten. Die Bürgerkriegsparteien begannen in dieser Phase mit „ethnischen Säuberungen“: die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen allen drei großen Volksgruppen nahmen apokalyptische Züge an, Gräueltaten und Massaker waren vor allem in Gebieten mit unklaren Bevölkerungsmehrheiten an der Tagesordnung.

Schutzzonen der Vereinten Nationen

Am 5. Mai 1993 erklärte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) Bihac, Gorazde, Sarajevo, Srebrenica, Tuzla und Zepa zu „VN-Schutzzonen“ für die Bosniaken. Die Resolution sah zudem die Entsendung von 25.000 Blauhelmsoldaten vor. Am 16. Juni einigten sich die Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Slobodan Milosevic und Franjo Tudjman, über die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas. In einer losen Konföderation sollten drei auf ethnischen Gesichtspunkten beruhende Staaten miteinander verbunden sein. Im Herbst 1993 begannen heftige Kämpfe zwischen kroatischen und bosniakischen Einheiten in Zentralbosnien. Die Armee der bosnischen Serben setzte ihre Angriffe in Nordbosnien und in den ostbosnischen Enklaven fort. Kroatische Geschütze zerstörten am 9. November große Teile der Altstadt von Mostar, darunter auch die weltberühmte osmanische Brücke.

Im März 1994 beenden Kroaten und Bosniaken ihren Konflikt und stimmten unter US-Vermittlung einer Bosnisch-Kroatischen Föderation zu. Die bosnischen Serben, die zu diesem Zeitpunkt immer noch den Großteil des Territoriums besetzt hielten, stellten sich gegen diese Entwicklung. Als die Internationale Gemeinschaft im Sommer 1994 einen neuen Teilungsplan für Bosnien-Herzegowina präsentierte, lehnte die bosnisch-serbische Seite ab. Am 10. und 11. April 1994 griff die NATO erstmals Bodenziele der bosnischen Serben an.

Kampfeinsätze der NATO-Luftstreitkräfte

Im Juli 1995 drangen die Serben in die VN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa ein. Unter den Augen der zumeist niederländischen Blauhelme ermordeten die Truppen in Srebrenica rund 8000 bosnische Jungen und Männer. Nach der Eroberung Zepas vertrieben oder töteten die bosnischen Serben alle muslimischen Bewohner. Die Kroaten annektierten Anfang August die traditionell von Serben bewohnte Krajina-Region und vertrieben die dortige Bevölkerung. Am 28. August beschossen die bosnischen Serben wiederum Sarajevo, erneut starben zahlreiche Menschen durch diese Terrorangriffe (bei der insgesamt 44 Monate dauernden Belagerung der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas starben mehr als 11.000 Menschen).

Am frühen Morgen des 30. August 1995 reagierte die NATO auf diese Untaten mit Luftschlägen. Geflogen wurden zahlreiche Präzisionsangriffe auf ausgewählte Ziele in Regionen, die von bosnischen Serben kontrolliert wurden. Dies war der Beginn der zweieinhalb Wochen dauernden Operation „Deliberate Force“, des ersten Kampfeinsatzes von NATO-Luftstreitkräften. Fast alle der damals 16 Bündnispartner trugen auf irgendeine Weise zu den Operationen bei; insgesamt wurden 3515 Einsätze geflogen und 1026 Bomben auf 338 Einzelziele abgeworfen. Die NATO erlitt keine Verluste an Menschenleben.

Der Friedensvertrag von Dayton

Nach „Deliberate Force“ hatten die bosnischen Serben angesichts einer koordinierten Offensive kroatischer sowie bosnisch-kroatischer Verbände und bosnischer Muslime immer größere Schwierigkeiten, Gebiete zu halten. Die NATO-Operation ebnete den Weg für die Friedensvereinbarungen von Dayton, mit denen eine Rahmenstruktur für die Verwaltung Bosniens und Herzegowinas geschaffen werden konnte. Der Friedensvertrag kam unter Vermittlung der USA mit Beteiligung der Europäischen Union und unter der Leitung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton zustande. Er wurde am 21. November 1995 in der Wright-Patterson Air Force Base bei Dayton (Ohio) paraphiert und am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet.

IFOR kontrolliert den Waffenstillstand

Die militärischen Aspekte diese Friedensabkommens sollten von der Implementation Force (IFOR) umgesetzt werden. Die NATO-geführte multinationale Friedenstruppe – definiert und eingerichtet vom VN-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1031 vom 15. Dezember 1995 – überwachte nun die Waffenstillstandsvereinbarungen und die Truppenentflechtung. An IFOR beteiligten sich 16 NATO- und 17 Nicht-NATO-Länder, darunter 14 Staaten aus dem Rahmen des NATO-Programms „Partnership for Peace“ einschließlich Russland und der Ukraine. Die IFOR-Sollstärke betrug rund 57.000 Soldaten, davon 20.000 aus den Vereinigten Staaten, 13.000 aus Großbritannien und 7500 aus Frankreich.

Das deutsche Heer stellte ab Ende Januar 1996 unter Führung von Generalleutnant Klaus Reinhardt das erste Hauptkontingent für GECONIFOR (L) – die Abkürzung steht für German Contingent Implementation Force (Land) – mit rund 2600 Soldaten bereit. Vorauskommandos hatten bereits ab Mitte Dezember die späteren Liegenschaften infrastrukturell vorbereitet.

Die Europäer übernehmen von der NATO

Durch die VN-Resolution 1088 vom 12. Dezember 1996 ging das IFOR-Mandat auf die Nachfolgemission SFOR (Stabilisation Force) über. Das Mandat war zunächst auf 18 Monate befristet, wurde später aber mehrfach verlängert.

Am 2. Dezember 2004 erfolgte die Kommandoübergabe der NATO-Friedenstruppe SFOR an die Europäische Union, die nun mit EUFOR Althea ihre bislang größte militärische Operation startete (EUFOR: European Union Force). Die Mission – weiterhin auf Grundlage der VN-Resolution 1088 sowie des Friedensvertrages von Dayton – begann mit 6300 Soldaten. Der Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR Althea wurde vom Bundestag erstmals am 26. November 2004 gebilligt.

Das EUFOR-Einsatzgebiet bestand aus drei Sektoren beziehungsweise Verbänden: Multi-National Task Force North in Tuzla (1300 EUFOR-Angehörige), Multi-National Task Force North West in Banja Luka (1000) und Multi-National Task Force South East in Mostar (1400). Das EUFOR-Hauptquartier wurde im Camp Butmir in der Nähe von Sarajevo errichtet. Dort wurde auch eine 500 Mann starke Polizeieinheit, die Integrated Police Unit (IPU), stationiert. Zusätzlich bezogen etwa 2000 Althea-Soldaten Unterkunft in verschiedenen bosnischen Ortschaften, die sogenannten Liaison and Observation Teams (Verbindungs- und Beobachtungseinheiten).

Im Februar 2007 kam es wegen der verbesserten Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina zu einer Verringerung der EUFOR-Kräfte auf rund 2500 Soldaten. Die drei Multi-National Task Forces wurden aufgelöst und ab 28. März durch einen Einsatzverband in Bataillonstärke, dem Multinational Maneuver Battalion, ersetzt. Stationiert wurde der Verband im Camp Butmir. Bei Bedarf konnte und kann auf Kräfte der KFOR (Kosovo Force der NATO) und Reservekräfte in Europa (Over the Horizon Forces) zurückgegriffen werden.

Bundesregierung schafft Fakten

Am 24. Juli 2012 wurde bekannt, dass die Bundesregierung eine Verlängerung des Mandates der Bundeswehr für EUFOR Althea über den 21. November 2012 hinaus nicht beabsichtigt. Die Begründung: Die internationale Bosnien-Mission unter Führung der Europäer arbeite überaus erfolgreich, Polizei und Militär in Bosnien-Herzegowina könnten die Sicherheit selbst gewährleisten, Deutschland halte die militärischen Aufgaben von EUFOR Althea für erfüllt.

Diese Inhalte eines Briefes von Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maizière an die Bundestagsfraktionen zitierte unter anderem die Mitteldeutsche Zeitung. In dem Brief heißt es der Zeitung zufolge weiter: „Die Bundesregierung beabsichtigt zum jetzigen Zeitpunkt nicht, den Deutschen Bundestag um eine Zustimmung zum fortgesetzten Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Operation EUFOR Althea über den 21. November 2012 hinaus zu bitten … Es ist beabsichtigt, die deutschen Soldatinnen und Soldaten bis spätestens 15. November 2012 aus Bosnien und Herzegowina abzuziehen.“ Dies betreffe, so das Ministerschreiben, die deutsche Beteiligung im Hauptquartier, den deutschen Anteil des deutsch-österreichischen Bataillons der operativen Reserve für den Einsatz in Bosnien und Herzegowina und die deutsche Beteiligung am NATO-Hauptquartier in Sarajevo. Dem Brief zufolge hielten Westerwelle und de Maizière die militärischen Aufgaben für erfüllt. Sie hätten um eine Entscheidung der Europäischen Union für eine Beendigung der Operation gebeten, wird in dem Brief weiter erklärt. Da hierzu kein Konsens erzielt werden konnte, wolle die Bundesregierung „nun von sich aus Fakten schaffen“.

Kriegsverbrechen und Völkermord

Die Folgen der jugoslawischen Kriege sind heute in den neuen sieben Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien – Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien – in allen gesellschaftlichen Bereichen spürbar. Besonders die Völkermorddelikte und Kriegsverbrechen der Jahren 1992 bis 1995 haben tiefe Wunden geschlagen.

Stellvertretend für die vielen Gräuel auf postjugoslawischem Territorium steht die Ermordung der rund 8000 Menschen in Srebrenica. Im Juli 1995 hatten Tausende bosnisch-herzegowinischer Muslime in der ostbosnischen Stadt nahe der Grenze zu Serbien Schutz vor der Soldateska des Generals Ratko Mladic gesucht. Der Befehlshaber der bosnischen Serben ließ den Belagerungsring um die muslimische Enklave immer enger ziehen. In Srebrenica wähnten sich die Flüchtlinge in Sicherheit, die Vereinten Nationen hatten das Gebiet ja zur Schutzzone erklärt. Am 11. Juli nahmen die bosnisch-serbischen Einheiten die Stadt ein und töteten in den nächsten Tagen Jungen und Männer. Die etwa 350 niederländischen VN-Soldaten sahen tatenlos zu.

Zu der juristischer Verfolgung dieses Kriegsverbrechens, das später als „Völkermord“ klassifiziert wurde, hatten die Vereinten Nationen bereits am 23. Mai 1993 mit der Resolution 827 einen Ad-hoc-Gerichtshof mit Sitz in Den Haag (Niederlande) gegründet. Mladic war am 24. Juli 1995 in Abwesenheit vor diesem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) als Kriegsverbrecher wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zahlreicher Kriegsverbrechen angeklagt worden. Am 16. November gleichen Jahres waren die Anklagepunkte des ICTY auf den Angriff gegen die VN-Schutzzone Srebrenica ausgedehnt worden.

Taktik des „unbedingten Verzögerns“

Als gesuchter Verbrecher, auf der Flucht vor dem ICTY, wurde Mladic in den folgenden 16 Jahren verdächtigt, sich in Serbien, in der Republik Srpska oder gar in Russland zu verstecken. An der Fahndung beteiligten sich auch immer wieder Kräfte der SFOR, seit 2004 dann Kräfte von EUFOR Althea.

Am 26. Mai 2011 wurde Mladic in Lazarevo in Serbien verhaftet. Seine Identität wurde durch eine DNA-Analyse festgestellt. Am 31. Mai überstellte man ihn an das Haager Tribunal. Das Medienecho nach der Ergreifung des „Schlächters vom Balkan“ war enorm. Die Berliner Tageszeitung brachte den Grundtenor der Mehrzahl der Kommentare auf den Punkt: „Ratko Mladic war, nach Osama bin Laden, der meistgesuchte Kriegsverbrecher der Welt. Nun ist er in Haft. Das ist eine gute Nachricht.“

Die schlechte Nachricht ist, dass Mladic und sein Anwaltsteam seit Prozessbeginn auf eine Taktik des „unbedingten Verzögerns“ setzen. Es sei ihm egal, sagte der Angeklagte zum Auftakt des Verfahrens, ob der Prozess gegen ihn „fünf oder hundert Jahre“ dauere. Die Zeit arbeitet für den mittlerweile 70-Jährigen, in einigen Monaten läuft das Mandat des VN-Gerichtes aus. Zwar sind jetzt bereits Sondermittel für eine befristete Verlängerung des Verfahrens bewilligt, viele Mitarbeiter des seit Anfang 2008 amtierenden belgischen Chefanklägers Serge Brammertz sind jedoch bereits auf der Suche nach neuen Jobs mit längerfristigen Perspektiven.

Kurz vor Weihnachten dann allerdings doch noch eine Erfolgsmeldung aus Den Haag: Das VN-Kriegsverbrechertribunal verurteilte am 12. Dezember einen der sieben Stellvertreter Mladics, den 2007 verhafteten früheren bosnisch-serbischen General Zdravko Tolimir zu lebenslanger Haft. Er sei maßgeblich an der Planung und Umsetzung des Massakers von Srebrenica 1995 beteiligt gewesen, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Richter entschieden, Tolimir habe „das Verbrechen als rechte Hand von Mladic geplant und überwacht“.

Ein völlig unregierbares Land?

Während der Einsatz der NATO und später der EU in Bosnien und Herzegowina eine große Erfolgsgeschichte war, gerieten die politischen Friedensbemühungen zu einem Fiasko. Die früheren Kriegsparteien sind noch immer erbitterte Gegner und halten das Balkanland wegen ihres fortdauernden Streites in einem permanenten Zustand der Unregierbarkeit. Die insgesamt 130 Minister des 4,6 Millionen Einwohner zählenden Staatsgebildes arbeiten nicht selten gegen- statt miteinander. Milorad Dodik, Führer der Serben in Bosnien-Herzegowina, wiederholte erst im Oktober in einem Interview mit der Belgrader Zeitung Novosti den Wunsch vieler seiner Landsleute nach Abspaltung, weil „das Haltbarkeitsdatum Bosniens schon längst abgelaufen“ sei. Bosnien hänge an der Infusion der Internationalen Gemeinschaft, die allein noch der Fiktion eines gemeinsamen Bosniens von Muslimen, Serben und Kroaten anhinge, so Dodik spöttisch.

In den Kriegen nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens starben in Kroatien, in Bosnien und im Kosovo mehr als 130.000 Menschen, davon allein etwa 100.000 im Bosnienkrieg. Heute werden immer noch rund 14.000 Personen vermisst. Amnesty International wirft den Nachfolgestaaten Jugoslawiens vor, mangelhaften Einsatz bei der Aufklärung des Vermisstenschicksale der Balkankriege zu zeigen. Die Menschenrechtsorganisation verurteilt zudem den „fehlenden politischen Willen“, die Täter zu ermitteln. Dies alles sind keine guten Voraussetzungen für eine tiefe, dauerhafte Aussöhnung auf dem Balkan und ein neues Miteinander im Haus Europa…


Zu unserem Bildangebot:
1. Am 27. September 2012 endete mit dem Einholen der deutschen Flagge im Camp Butmir bei Sarajevo der bislang längste Auslandseinsatz der Bundeswehr.
(Foto: Herbert Pendl/EUFOR Althea)

2. Die deutsche Botschafterin in Bosnien und Herzegowina, Ulrike Maria Knotz, nahm am Schluss der Zeremonie die Flagge in Empfang.
(Foto: Herbert Pendl/EUFOR Althea)

3. In den Jahren 1992 bis 1995 starben im Bosnienkrieg mehr als 100.000 Menschen. Bei der 44 Monate dauernden Belagerung der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajewo verloren rund 10.000 Einwohner ihr Leben. Die Aufnahme entstand nach Kriegsende in der zerstörten Stadt.
(Foto: amk)

4. Die Kriegshandlungen und Übergriffe auf die Bevölkerung lösten eine gewaltige Flüchtlingswelle aus: etwa 2,2 Millionen Menschen verließen ihre Heimat oder wurden vertrieben beziehungsweise deportiert.
(Foto: amk)

5. Das Massaker von Srebrenica gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Internationale Strafgerichtshof der Vereinten Nationen im niederländischen Den Haag bezeichnete die Ereignisse vom Juli 1955 als Völkermord. Die Aufnahme aus dem Jahr 2007 zeigt das Begräbnis von mittlerweile weiteren 465 identifizierten Opfern des Genozids.
(Foto: Almir Dzanovic)

6. Gedenkstätte für die Opfer des Srebrenica-Massakers in Potocari, Bosnien.
(Foto: Julian Nitzsche)

7. Luftaufnahme von Camp Butmir, viele Jahre Auslandsstandort unzähliger deutscher Soldaten.
(Foto: Johann Hermann/Österreichisches Bundesheer)

8. In den vergangenen 17 Jahren nahmen rund 50.000 Bundeswehrangehörige an den verschiedenen NATO- und EU-Missionen in Bosnien-Herzegowina teil. Das Bild entstand im Januar 2004 und zeigt einen deutschen Transportpanzer Fuchs bei der Stabilization Force (SFOR) nahe der bosnischen Stadt Pale.
(Foto: John P. Rohrer/U.S. Air Force)

6. Das Multifunction Fire Control Radar (MFCR) des Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystems MEADS.
(Foto: MEADS International, Inc.)


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