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Berlin. „Gewerkschaften und Bundeswehr leben weitgehend nebeneinander her. Und das ist noch das Beste, was man dazu sagen kann.“ Diese fast schon mutlos klingende Beschreibung einer Beziehung, die keine war und (noch nicht) ist, stammt von Michael Sommer. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) äußerte sie am 8. März 2011 in einer Rede an der Helmut Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Inzwischen aber hat es eine – zumindest atmosphärische – Veränderung gegeben: Erstmals seit rund drei Jahrzehnten besuchte wieder ein deutscher Verteidigungsminister den Bundesvorstand des weltweit größten Gewerkschaftsbundes. Auf Einladung Sommers.

Das Spitzentreffen zwischen Minister Thomas de Maizière und den Vorsitzenden der acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften anlässlich der Bundesvorstandssitzung des Dachverbandes fand am 5. Februar in Berlin statt. DGB-Chef Sommer hatte diese Begegnung im September vergangenen Jahres an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik angeregt. Dort hatte er am Kolloquium „Sicherheit gemeinsam gestalten“ teilgenommen und die von ihm bereits mehrfach erhobene Forderung nach einem Dialog zwischen Gewerkschaften und Politik – auch und gerade in Bezug auf Sicherheitspolitik – wiederholt. Seit den SPD-Politikern Helmut Schmidt und Georg Leber hatte kein Verteidigungsminister mehr den DGB besucht.

Verhältnis historisch stark belastet

DGB-Vorsitzender Sommer sprach vor der Presse am Ende des Besuches von de Maizière von einem „guten und nachdenklichen“ Gedankenaustausch mit dem Verteidigungsminister. Man werde eine gemeinsame Erklärung von Bundeswehr und Gewerkschaften erarbeiten, kündigten Gastgeber und Gast an. Die Erklärung solle neben Fragen zu Ausbildung und Personalpolitik auch das Thema „Rechtsradikalismus in der Bundeswehr“ umfassen, so Sommer. Das Gespräch zwischen Gewerkschaften und Bundeswehr werde weitergeführt.

Verteidigungsminister de Maizière regte im Haus des DGB vor dem Hintergrund der veränderten sicherheits- und verteidigungspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland einen „neuen, einen lebendigen Dialog über das Verhältnis von Demokratie, Streitkräften und Gewerkschaften“ an. „Wir müssen den gemeinsamen Gesprächsfaden wieder aufnehmen und fester knüpfen“, meinte der Minister zustimmend mit Blick auf den DGB-Vorsitzenden. Dieser erklärte, man habe die Differenzen der Vergangenheit nun endgültig überwunden. Das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und den Streitkräften sei lange Zeit historisch belastet gewesen. „Das ist es heute nicht mehr“, versicherte Sommer. De Maizière seinerseits machte die Bemerkung: „Die Bundeswehr versteht sich auch als Teil der Friedensbewegung.“

Nicht mehr als ein „gleichgültiger Friede“?

Dass er den Dialog mit den Soldaten will und sucht, hatte Michael Sommer bereits bei früheren Gelegenheiten deutlich gemacht. Erinnert sei beispielsweise an seinen schon eingangs erwähnten Auftritt an der Hamburger Universität im März 2011. In seiner Rede „Die Gewerkschaften und ihr Verhältnis zur Bundeswehr“ hatte der DGB-Vorsitzende dort in Erinnerung gerufen, warum es in der Vergangenheit ein belastetes Verhältnis zwischen Militär und Gewerkschaftern gegeben habe.

Diese Belastungen, so Sommer damals an der Helmut Schmidt-Universität, resultierten unter anderem aus der Historie vor 1945. Für die Geschichte der Arbeiterbewegung sei konstitutiv gewesen, das Militär als ein Instrument der Unterdrückung zu begreifen. Das Militär wiederum habe Arbeiter häufig nur als „Kanonenfutter“ gesehen. Die in der Arbeiterschaft entwickelten demokratischen Traditionen seien so für das Militär verloren gewesen. Die historischen Erfahrungen der Gewerkschaften beispielsweise mit den Freikorps, dem Kapp-Putsch und der Wehrmacht hätten es den Gewerkschaften auch nach 1955 schwer gemacht, ihren Frieden mit der Bundeswehr zu schließen. Allerdings hätte sich die Frontstellung der Gewerkschaften niemals gegen das Militär, sondern gegen den Militarismus gerichtet. Als es in den 1960er- und 1970er-Jahren dann endlich darum gegangen sei, Frieden zwischen Gewerkschaften und Bundeswehr zu schließen, sei daraus ein „gleichgültiger Friede“ geworden – was „sehr schade“ sei.

Im Hinblick auf eine Kultur der sicherheitspolitischen Debatte dokumentiert das Hamburger Protokoll vom 8. März 2011 folgende O-Töne Sommers: „Es ist ein Skandal, dass die Reformen der Bundeswehr auch in den Gewerkschaften nicht debattiert werden. Ich werde verrückt. Wenn ich daran denke, dass die Bundeswehr eine wichtige Institution ist, die viel Geld kostet, über die es aber keine Debatte gibt.“ Und: „Lasst uns darüber reden, über die Aufgaben der Bundeswehr, die Sicherheitsarchitektur, das Bild des Soldaten in den Streitkräften und in der Gesellschaft.“

Realpolitiker und Fundamentalisten

Die Ankündigung eines neuen Dialoges, ja die Vereinbarung einer „engeren Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Gewerkschaften“ sorgte nicht überall für Zustimmung. An der Gewerkschaftsbasis, innerhalb der Friedensbewegung, im Spektrum von „Grün bis Links“ und in sozialen Netzwerken stieß der jetzt in Berlin angedeutete Schulterschluss der beiden Institutionen auf Ablehnung.

Minister de Maizières Sichtweise, auch die Bundeswehr sei Teil der Friedensbewegung, konterte etwa der Sprecher des Bundesausschusses „Friedensratschlag“, Peter Strutynski, als „kurios und wenig originell“. Der Friedensbewegung gehe es nicht darum, den Frieden mit Waffen zu verteidigen. Katja Keul, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, stimmte dem zu. Mit seiner Äußerung zur Friedensbewegung sei der Minister übers Ziel hinausgeschossen, meint sie. Jutta Krellmann, Bundestagsabgeordnete der Linken, ließ in einer Pressemitteilung über die Spitzenbegegnung von de Maizière und Sommer verlauten: „Das ist ein fatales und absolut falsches Signal. Der DGB-Vorsitzende muss sich zu den friedenspolitischen Positionen der Gewerkschaften bekennen und darf sich nicht der militärischen Interventionspolitik der Bundesregierung andienen.“

Den Spagat zwischen Realpolitik und ideologischer Betrachtungsweise versucht immer wieder das DGB-Gewerkschaftsmitglied ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft). Auf der einen Seite betrachtet ver.di die Bundeswehr als „ganz normalen Geschäftspartner, weil sie Tarifpartnerin ist“ (so Sprecher Christoph Schmitz). Auf der anderen Seite lehnt ver.di beispielsweise den Auftritt von Vertretern der Bundeswehr an Schulen strikt ab. Beim ver.di-Bundeskongress in Leipzig 2011 etwa hatte sich ein Antrag gegen jede Form von Auslandseinsätzen der Bundeswehr gerichtet und nur deswegen die Mehrheit verfehlt, weil ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske intervenierte (bereits im Vorfeld des Bundeskongresses hatte sich dazu ein Konflikt zwischen der ver.di-Fachgruppe „Bundeswehr“ und friedenspolitisch aktiven Teilen der Gewerkschaft aufgetan).

Koalitionsfreiheit der deutschen Soldaten

Die Kluft, die sich einst zwischen Gewerkschaftern und Militärs auftat, war breit und tief. Der Kaiserliche Generalquartiermeister und spätere Reichswehrminister Wilhelm Groener formulierte die Parole, die fast 15 Jahre lang die Strategie der Weimarer Streitkräfte bestimmte: „Politik dürfen nur wenige treiben, und diese zäh und verschwiegen.“ Der Rest der Armee aber müsse „wieder gehorchen lernen und von der verflixten Politik die Finger lassen“. Viereinhalb Jahrzehnte später sperrte sich der damalige Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel gegen Versuche der Gewerkschaft ÖTV (Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr), Bundeswehrsoldaten als Mitglieder zu werben. Eine Politisierung des Soldatenbereichs sei unerwünscht, so zitierte im Juni 1965 das Nachrichtenmagazin Der Spiegel den Minister. Gleichwohl segnete dieser am 1. August 1966 schließlich einen „Gewerkschaftserlass“ ab, der klarstellte, dass die Koalitionsfreiheit der Soldaten auch „den Beitritt und die Betätigung in Gewerkschaften“ einschließe. Dieser von-Hassel-Erlass provozierte damals die Rücktritte von Generalinspekteur Heinz Trettner und Günther Pape, Befehlshaber im Wehrbereich III.

Bereits zehn Jahre zuvor war in Munster der Deutsche Bundeswehr-Verband (DBwV) gegründet worden. Damit hatten sich erstmals in der deutschen Geschichte Soldaten aller Dienstgradgruppen zur Wahrnehmung ihrer Interessen zusammengeschlossen. Die Gründung erfuhr auch von offizieller Seite Unterstützung: Joseph Rust, zu jener Zeit Staatssekretär im Verteidigungsministerium, erlaubte Versammlungen des DBwV in den Kasernen, soweit „politische Fragen in keiner Form behandelt werden.“ Der Verband bezeichnet sich bis heute nicht als Gewerkschaft; er hat auf das Streikrecht für seine Mitglieder freiwillig verzichtet.

Im November 1971 entschied der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt, dass sowohl der DBwV als auch die ÖTV auf Antrag Mitgliederversammlungen zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belangen des Dienstes in Gebäuden der Bundeswehr durchführen können.

Von der äußeren und inneren Sicherheit

Das Verhältnis von Militär und Gewerkschaften bezeichnete Wilhelm Trottenberg einmal als eine „lange Geschichte der Feindfixierungen“. Er ist der Autor einer 1995 erschienenen Studie über die beiden Institutionen und beschreibt das „Ende einer hundertjährigen Feindschaft“. Seine Arbeit umfasst den Zeitraum 1945 bis 1966 und „skizziert eine Wegstrecke mit ihren vielfachen erfolgreichen Bemühungen von Bundeswehr und Gewerkschaft um Annäherung und um ein spannungsfreies Miteinander“.

Miteinander! – ganz im Sinne von Waldemar Reuter, dem 1993 verstorbenen langjährigen DGB-Bundesvorstandsmitglied und Leiter der Abteilung „Beamte“. In seiner Rede am 20. Juli 1965 in der Bonner Beethovenhalle zum Gedenken an den Widerstand im Unrechtsstaat des Nationalsozialismus hatte Reuter gefordert: „Es gibt im heutigen Staat zwei potenziell gleich starke Kräfte, die Bundeswehr und die Gewerkschaftsbewegung. Sorgen wir dafür, dass sie nicht in Gegensatz zu einander gebracht werden, wie er für die Weimarer Zeit typisch war. Sorgen wir im Sinne des Vermächtnisses der Toten des 20. Juli dafür, dass Bundeswehr und Gewerkschaften im demokratischen Staat ihre gemeinsamen Aufgaben erkennen und erfüllen. Beide haben sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu festigen und zu verteidigen, die einen nach innen, die anderen nach außen.“


Hintergrund                                             

Der Dachverband der deutschen Gewerkschaften, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), wurde am 13. Oktober 1949 in München von 16 Branchengewerkschaften gegründet. Der Gründungskongress, auch „Parlament der Arbeit“ genannt, wählte den damals 74 Jahre alten Hans Böckler zum ersten DGB–Vorsitzenden. Zum programmatischen Grundsatz der DGB–Gewerkschaften wurde das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, politische Richtungsgewerkschaften wie in der Weimarer Republik sollten so von vornherein ausgeklammert werden.
Mit rund 6,4 Millionen organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist der DGB heute der weltgrößte Gewerkschaftsbund. Auf internationaler Ebene arbeitet er im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) mit und vertritt die deutsche Gewerkschaftsbewegung bei internationalen Institutionen wie der Europäischen Union und den Vereinten Nationen.
Der DGB ist die Stimme der Gewerkschaften gegenüber den politischen Entscheidungsträgern, Parteien und Verbänden in Bund, Ländern und Gemeinden. Als Dachverband schließt er keine Tarifverträge ab, koordiniert und unterstützt aber als Spitzenorganisation die Beamtenpolitik der Gewerkschaften.
400 Delegierte der DGB-Gewerkschaften wählen alle vier Jahre beim DGB-Bundeskongress den Geschäftsführenden Bundesvorstand (GBV). Dem Bundesvorstand gehören neben dem GBV die Vorsitzenden der acht Mitgliedsgewerkschaften an. Die acht Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund sind:

  • IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt)
  • IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie)
  • IG Metall (Industriegewerkschaft Metall)
  • NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten)
  • GdP (Gewerkschaft der Polizei)
  • EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft)
  • ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft)

Hinweis: Die Videodatei, zur Verfügung gestellt vom Deutschen Gewerkschaftsbund, dokumentiert die Pressestatements von Verteidigungsminister Thomas de Maizière und DGB-Chef Michael Sommer nach ihrem Spitzentreffen in Berlin am 5. Februar 2013.



Das Bildangebot:
1. DGB-Vorsitzender Michael Sommer (links) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei ihrem gemeinsamen Presseauftritt in Berlin.
(Foto: Christiane Menze/DGB)

2. Finanzminister Helmut Schmidt am 1. Mai 1973 bei einer Kundgebung des DGB auf dem Münchner Königsplatz. Im Jahr zuvor war der SPD-Politiker noch Verteidigungsminister gewesen. Als Inhaber dieses Amtes hatte Schmidt bereits Kontakt zum DGB.
(Foto: Storz/Bundesarchiv)


Kommentare

  1. Markus | 29. Mai 2013 um 14:02 Uhr

    Mit dem Verband der Soldaten der Bundeswehr (VSB) gibt es – neben dem Bundeswehrverband – eine weitere Interessenvertretung.

    homepage: http://www.vsb-bund.de

    Als Alternative der bereits vorhandenen Interessengruppen innerhalb der Personalvertretungen wurde in den 90er Jahren die „Vereinigte freie Liste (VfL)“ zur Vertretung der Interessen von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr gegründet.
    Aufgrund der anhaltend positiven Resonanz aus dem Kreise der Soldatinnen und Soldaten ergab sich die Motivation, eine eigenständige und organisierte Interessensvertretung zu institutionalisieren.
    Aus diesem Vorhaben hat sich der Verband der Soldaten der Bundeswehr entwickelt. Um den Grad der Handlungsfähigkeit zu erhöhen, war eines der ersten Ziele des konstituierten Vorstandes, die Eintragung des VSB in das Vereinsregister zu erwirken. Dieser Schritt wurde im Februar 2012 vollzogen.
    Die Verbandsstruktur ist auf Stetigkeit und mit dem Ziel ausgelegt, bundeswehrweit Interessen für Soldatinnen und Soldaten wahrzunehmen sowie in diesem Sinne Ansprechpartner für Gesellschaft und Politik zu sein.

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