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New York (USA). Die Terrororganisation al-Qaida insgesamt scheint seit der Tötung ihres Gründers Osama Bin Laden durch US-Spezialkräfte am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad an Struktur, Stärke und Schlagkraft verloren zu haben. Nach wie vor jedoch sieht sich der Westen durch das Netzwerk bedroht. Der am 2. August dieses Jahres veröffentlichte 14. Bericht des Monitoring-Teams des Al-Qaida-Sanktionsausschusses der Vereinten Nationen (VN) kommt zu folgender Lagebewertung: Die Bedrohung durch al-Qaida als globale Terrorvereinigung hat abgenommen, die Bedrohung durch die „al-Qaida-Tochtergesellschaften“ allerdings hält unvermindert an, ebenso die Gefahr der ideologischen Beeinflussung Einzelner und damit die Zunahme radikalisierter Einzeltäter. Im heutigen zweiten Teil unseres Beitrages befassen wir uns mit den „Ablegern“ der al-Qaida in Afrika.

Der Gegensatz hätte nicht größer sein können: Während am 11. September in den USA und anderen Teilen der Welt Menschen still der Opfer der al-Qaida-Terroranschläge vor zwölf Jahren gedachten, meldete sich das Terrornetzwerk mit besorgniserregenden Drohungen zu Wort.

In einer Audiobotschaft, aufgefangen in einem der einschlägigen Internetforen der Dschihadisten, forderte al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri die radikalen Islamisten zu neuen Anschlägen in den USA auf. Schon mit kleineren Angriffen könnten die Vereinigten Staaten geschädigt werden, sagte Zawahiri. Auch einzelne Aktionen, von „einem oder mehreren Brüdern“ ausgeführt, würden die US-Wirtschaft schwächen. Denn die Regierung in Washington werde nach solchen Anschlägen gezwungen sein, weitere enorme Finanzmittel für die innere Sicherheit aufzuwenden. Mittel, die damit gebunden wären und anderweitig nicht mehr verwendet werden könnten.

Entdeckt und übersetzt hatte die Zawahiri-Botschaft die Organisation „SITE Intelligence Group“, die intensiv die Onlineszene der Dschihadisten beobachtet (die als seriös geltende Einrichtung zur Aufklärung terroristischer Bedrohungen ging 2008 aus dem ehemaligen SITE-Institut hervor; die zur Verfügung gestellten Informationen sind kostenpflichtig). In der einen Tag nach den Nineeleven-Gedenkfeiern durch SITE veröffentlichten Botschaft erklärt der Nachfolger Bin Ladens, Amerika solle „wirtschaftlich ausgeblutet“ werden, indem „wir eine Fortsetzung der massiven Sicherheitsausgaben provozieren“.

Schweigen, Gedenken und ein Appell an die Nation

Beim diesjährigen Memorial in New York am Ground Zero, wo beim Einsturz der Zwillingstürme des World Trade Centers ein Großteil der fast 3000 Anschlagsopfer dieses Septembertages ums Leben gekommen war, verlasen Angehörige und Freunde die Namen der Getöteten. Im Garten des Weißen Hauses in Washington legten auch US-Präsident Barack Obama, die First Lady, Vizepräsident Joe Biden und dessen Gattin Jill gemeinsam mit allen Mitarbeitern eine Schweigeminute ein. Anschließend nahm Obama an einer Gedenkfeier im Pentagon teil. Dort rief er am Ende einer bewegenden Ansprache der Nation zu, wachsam und verteidigungsbereit zu sein. Denn die Bedrohung dauere an. Zu diesem Zeitpunkt kannte die Öffentlichkeit noch nicht die neue al-Qaida-Audiobotschaft.

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel am gefährlichsten

Die Gefahren, die von al-Qaida und der Ideologie der Radikalen ausgehen, waren auch am 5. August Schwerpunkt einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Drei Tage nach Veröffentlichung des 14. Berichts des „Al-Qaida-Sanktionsausschusses“ des VN-Sicherheitsrates interessierten sich die Medienvertreter – auch vor dem Hintergrund der vorübergehenden Schließung von US-Botschaften und -Konsulaten in islamischen Ländern weltweit – vor allem für die neuen Kräfteverhältnisse innerhalb der globalen Terrorgemeinschaft. Welche Erkenntnisse hatten die westlichen Geheimdienste?

Jay Carney, seit Februar 2011 Obamas Pressesprecher, zeichnete an diesem Montag in Washington ein scharfes Bild der weltweit agierenden Dschihadistenbewegung. Die Beseitigung Osama Bin Ladens durch US-Spezialkräfte am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad und die spätere Tötung hochrangiger al-Qaida-Kader habe entscheidend dazu beigetragen, den im afghanisch-pakistanischen Grenzraum angesiedelten zentralen Kern von al-Qaida zu schwächen, erklärte er. Aber seit einer Reihe von Jahren habe sich der Bedrohungsschwerpunkt von diesem Kern um Ayman al-Zawahiri wegverlagert vor allem hin zu der Gruppierung Al-Qaida in the Arabian Peninsula (AQAP/„Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel“).

Dieser militant-islamistische Ableger der Mutterorganisation, im Jemen und in Saudi-Arabien auch unter dem Namen Ansar al-Shari’a („Unterstützer der Scharia“) aktiv, sei besonders gefährlich, warnte Carney. Die Bereitschaft der AQAP, den USA und ihren Verbündeten Schaden zuzufügen, müsse sehr ernst genommen werden. Der ständige Druck, den die Vereinigten Staaten und der Westen auf die al-Qaida-Zentrale und deren Filialen ausübten, habe die Bedrohung insgesamt erträglicher gemacht, so Carneys Fazit zum Schluss der Presserunde.

Arbeitsteilung und Wissenstransfer – über Grenzen hinweg

Wie nun beurteilt der Ausschuss der Vereinten Nationen das internationale Beziehungsgeflecht des Terrors, die Franchiseunternehmen der von Bin Laden gegründeten Mutterorganisation al-Qaida? Der Trend zur Dezentralisierung und Globalisierung terroristischer Strukturen von al-Qaida hält dem VN-Expertenbericht zufolge unvermindert an. Das erstmals 2003 aufgetretene Phänomen der Entstehung regionaler beziehungsweise nationaler al-Qaida-Ableger ist mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr.

Große Sorgen bereiten den Beobachtern die Arbeitsteilung und der Austausch zwischen den einzelnen Bereichen der gesamten Terrorvernetzung: Der eine Bereich kann Rekruten ausbilden und trainieren, ein anderer äußerst innovativ Terroranschläge planen, ein weiterer die Anschläge durchführen. Die pakistanische Islamistengruppe Lashkar-e-Taiba (LeT/übersetzt „Armee der Reinen“) beispielsweise bietet „Terrortraining für Fortgeschrittene“ an, darunter auch die Ausbildung im Umgang mit improvisierten Sprengfallen (Improvised Explosive Devices, IED). Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, AQAP, ist nach wie vor eine der Hauptquellen für technologische Neuerungen. Die Organisation Al-Qaida in the Islamic Maghreb (AQIM/„Al-Qaida im Islamischen Maghreb“) hat sich inzwischen zu einem Spezialistenverbund für Entführungen und Lösegeldtransaktionen entwickelt. AQAP und die vor allem in Somalia aktive Islamistenorganisation Al-Shabaab sind darauf spezialisiert, Propagandaoperationen von hoher Qualität durchzuführen.

Durch die operationellen Verbindungen der einzelnen Gruppierungen unter- und miteinander erhöht sich nach Ansicht der VN-Terrorismusexperten zwangsläufig die Gesamtbedrohung, da hier dem Transfer von Fertigkeiten und Wissen keine Grenzen gesetzt sind. Dieser Austausch führt auch zur Stärkung der bisherigen Netzwerkteile und bereitet der Gründung neuer Terrorzellen den Weg.

Mali vom Terror erlöst, aber noch nicht endgültig gerettet

Die beiden auffälligsten Schauplätze, an denen „al-Qaida-Töchter“ während der ersten sechs Monate des Jahres 2013 agierten, waren der Nahe Osten und die Sahelzone (die Sahelzone ist ein etwa 400 Kilometer breiter Übergangsraum zwischen Sahara und Dornsavanne bis zu den feuchten Savannengebieten des Sudans in Afrika, ihre Ost-West-Ausdehnung vom Nil bis zur Atlantikküste beträgt 5000 Kilometer; sieben Staaten haben Anteil an dem Gebiet, rund 30 Millionen Menschen leben hier).

Im Sahel hat die von Frankreich geführte Operation „Serval“ die ursprünglich algerische AQIM und deren Partnergruppierungen, die militant-salafistische Vereinigung Ansar Dine („Verteidiger des Glaubens“) und die von mauretanischen Kämpfern dominierte MUJWA („Bewegung für Einheit und Dschihad in West-Afrika“), aus den wichtigsten Städten im Norden Malis vertrieben. Obwohl es immer noch vereinzelte Widerstandsnester gibt, ist doch die malische Staatsautorität wieder existent und der Einfluss der radikalen Islamisten vorerst entscheidend beschnitten worden.

Die Militäroperation hat auch – so beschreibt es der aktuelle Report des Monitoring-Teams des „Al-Qaida-Sanktionsausschusses“ – den hohen Stand der Ausbildung und Ausrüstung der Terrorgruppierungen in dieser Region Afrikas offengelegt. Für alle Anrainerstaaten erkennbar wurde durch die Intervention in Mali auch die Notwendigkeit einer künftigen regionalen und lokalen Zusammenarbeit, um gegen den Terrorismus gewappnet zu sein. Aufgedeckt wurde durch „Serval“ zudem das enge Zusammenspiel zwischen organisiertem Verbrechen und den Gotteskriegern. Die Experten der Vereinten Nationen kommen bezüglich der Sahelzone zu der Bewertung, dass trotz der positiven Entwicklung in Mali nach wie vor die Gefahr von Angriffen durch al-Qaida-Kräfte besteht.

Ausländische Kämpfer trainieren in libyschen Camps

Kopfschmerzen bereiten den Vereinten Nationen auch die Aktivitäten der radikalislamistischen Tunesien-Gruppierung Ansar al-Shariaa (nicht identisch mit der auf der Arabischen Halbinsel operierenden Ansar al-Shari’a beziehungsweise AQAP), die in letzter Zeit vor allem im Osten Libyens aufgetreten ist. Zwischen dieser Bewegung und al-Qaida-Tochterunternehmen im Sahel, im Maghreb, im Nahen Osten und in Südasien gibt es zahlreiche operative Kontakte. Viele ausländische Kämpfer haben in al-Shariaa-Trainingscamps in Libyen eine Ausbildung erhalten.

In Tunesien werden die Anhänger von Ansar al-Shariaa – viele von ihnen nach westlichen Erkenntnissen vor allem ehemalige Häftlinge – insbesondere von der Tunisian Combat Group (TCG) inspiriert. Die TCG ist eine lose terroristische Vereinigung, gegründet im Juni 2000 von Saif Allah bin Hussein (alias Abu Iyad) und Tarek Maaroufi. Im Augenblick, so berichten die Terrorismusexperten der Vereinten Nationen, durchlaufe TCG eine Übergangsphase vom radikalen Predigertum hin zu einer „Kontaktagentur“ für die verschiedenen al-Qaida-Gruppierungen im Maghreb, Sahel und im Jemen.

Militante Islamisten in Westafrika weiter auf dem Vormarsch

Ein Blick nach Westafrika. Die wachsenden Herausforderungen durch militante Islamisten haben hier im Norden Nigerias zu einer harten Antwort der Regierung geführt. Die Anfang 2012 gegründete Gruppierung Ansaru (vollständiger Name Jama’atu Ansarul Muslimina Fi Biladis Sudan/sinngemäß „Militärische Vorhut zum Schutz der Muslime in Schwarzafrika“) hat bereits etliche Ausländer entführt und einige davon getötet. Einem französischen Journal zufolge werden die Ansaru-Islamisten von Abu Ussamata al-Ansary befehligt. Großbritannien stufte Ansaru früh schon als terroristische Vereinigung ein, die mit Al-Qaida im Islamischen Maghreb verbunden ist. Auch die Experten der Vereinten Nationen sehen dies so und nennen in ihrem Report als weiteren Bestandteil dieses regionalen afrikanischen Terrornetzwerkes zudem die Boko-Haram-Vereinigung, die gleichfalls Verbindungen zu al-Qaida unterhält.

Im aktuellen VN-Bericht heißt es dazu: „Während der ,Serval‘-Operation in Mali stellte es sich heraus, dass es zahlreiche Verbindungen zwischen Boko Haram, AQIM und MUJWA gibt. Es ist unklar, ob sich die gewalttätigen Extremisten in Nordnigeria weiterhin auf ihren Bereich beschränken oder nicht doch eines Tages gemeinsame Aktionen mit Terrorgruppen im Sahel ausführen werden.“

Ein wenig Hoffnung für das Bürgerkriegsland Somalia

In Ostafrika hat al-Shabaab (vollständiger Name Harakat al-Shabaab al-Mujahideen/übersetzt „Bewegung der Mudschaheddin-Jugend“) die Kontrolle über einen Großteil zuvor besetzter strategischer Zentren in Somalia verloren. Die Vertreibung der Radikalislamisten vor allen aus der Hauptstadt Mogadischu und aus Baidoa im Süden Somalias nahe der Grenze zu Äthiopien und Kenia gelang mit Hilfe von AMISOM. Die von der Afrikanischen Union geführte internationale Friedenstruppe African Union Mission in Somalia (Mission der Afrikanischen Union in Somalia) umfasst aktuell rund 17.000 Soldaten.

Trotz aller Erfolge der internationalen Gemeinschaft verübt die al-Schabaab-Miliz, die Verbindungen zu al-Qaida pflegt, weiterhin Anschläge mit dem Ziel eines islamischen Gottesstaates. Die Anhänger der Terrorvereinigung haben sich in das Hinterland Somalias zurückgezogen. Einige ihrer Führer bleiben dem VN-Bericht zufolge fokussiert auf Terroraktionen auch im Ausland. Angriffsplanungen gegen nationale Regierungsziele oder westliche Vertreter gehen nach Geheimdiensterkenntnissen weiter. Al-Shabaab rekrutiert auch Islamisten aus dem Ausland. Neben zurückgekehrten Exilsomaliern aus den USA sollen vor allem Pakistaner, Afghanen und Tschetschenen in den Reihen dieser Organisation kämpfen. Nach neuesten Erkenntnissen der Vereinten Nationen zählt al-Shabaab etwa 5000 Kämpfer.

Am 16. September berieten auf einer Geberkonferenz in der belgischen Hauptstadt Brüssel 50 Staaten über konkrete Hilfsmaßnahmen für das verarmte Bürgerkriegsland Somalia. Insgesamt sicherten die Teilnehmer Somalia 1,8 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Landes zu. Allein 650 Millionen Euro steuert die Europäische Union bei. Die EU hat Somalia in den Jahren 2008 bis 2013 bereits mit 1,2 Milliarden Euro unterstützt. Mehr als die Hälfte davon floss in die Finanzierung von Friedensmissionen und in den Kampf gegen das Piratentum.

Al-Shabaab-Milizen erstürmen Einkaufszentrum in Nairobi

Mit einem verheerenden Angriff auf das Westgate-Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi am 21. September hat al-Shabaab offenbar Rache für Kenias militärisches Vorgehen gegen die Terrormilizen im Nachbarland Somalia genommen. Bei dem am Sonntag durch Sicherheitskräfte beendeten Drama töteten mindestens 18 Angreifer nach Angaben des Roten Kreuzes etwa 70 Menschen und verletzten mehr als 170 weitere. Unter den Opfern des Terrorangriffs sollen mehrere Ausländer – darunter britische, französische, niederländische und kanadische Staatsangehörige – sein.


Hinweis: Unser heutiger zweiter Teil des Beitrages „Die Metastasen des internationalen Terrors“ wird von zwei Videos begleitet. Das erste Video zeigt Präsident Barack Obama, First Lady Michelle Obama, Vizepräsident Joseph Biden und dessen Ehefrau Jill am 11. September 2013 im Garten des Weißen Hauses in Washington – ein stilles Gedenken an die Opfer der Terroranschläge 2001. Im zweiten Video begleiten wir den irakischen Journalisten Ghaith Abdul Ahad – er besuchte im September vergangenen Jahres im Südjemen eine Ortschaft die völlig von Ansar al-Shari’a (Al-Qaida in the Arabian Peninsula, AQAP) beherrscht wurde.

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Zu unserer Bildergalerie:
1. al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri, der im September 2013 zu Anschlägen in den USA aufrief.
(Foto: amk)

2. Jay Carney am 5. August 2013 im Weißen Haus – vor dem Hintergrund der vorübergehenden Schließung zahlreicher US-Vertretungen in islamischen Ländern musste Obamas Pressesprecher bei dieser Medienrunde vor allem Fragen zum Thema „Terrorismus und al-Qaida“ beantworten.
(Foto: White House)

3. Somalia – Mitglieder der al-Shabaab-Milizen.
(Foto: amk)

4. Nordmali im Oktober 2012 – militante Tuareg, viele Monate lang Verbündete von Al-Qaida im Islamischen Maghreb.
(Foto: Magharebia)

5. Somalia-Konferenz am 16. September 2013 in Brüssel: Die Europäische Union (EU) stellt zusätzliche 650 Millionen Euro für den Wiederaufbau des ostafrikanischen Bürgerkriegslandes bereit. Die Aufnahme zeigt den somalischen Finanzminister Mohamed Hassan Suleyman und die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, die bulgarische Politikerin Kristalina Georgieva.
(Foto: EEAS)


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