menu +

Nachrichten



Berlin. Es ist mit 185 Seiten der umfangreichste Koalitionsvertrag der bundesdeutschen Geschichte. Die außen- und sicherheitspolitischen Themen – im Vertragswerk in den Kapiteln „Starkes Europa“ und „Verantwortung in der Welt“ zu finden – umfassen allerdings gerade einmal zehn Seiten und ein paar Zeilen mehr. Mit ihnen haben wir uns bereits im Teil 1 unseres Beitrages befasst. Ab Seite 176 des Koalitionsvertrages beginnen die Ausführungen zum Thema „Neuausrichtung der Bundeswehr“. Gut drei Seiten sind dem Militär, der Dienstattraktivität, den Besonderheiten des Soldatenberufes, den Auslandseinsätzen und den Ausrüstungsgütern gewidmet. Wir haben uns auch diese Passagen im Koalitionsvertrag näher angesehen …

Wenn die Koalition in ihrem Vertrag prognostiziert, dass die „Bundeswehr auch in Zukunft in Auslandseinsätzen gefordert“ wird, so überrascht dies nicht wirklich. Den Vereinten Nationen beispielsweise schreibt die künftige Bundesregierung „eine Schlüsselrolle für die Wahrung des Friedens und zur Bewältigung von globalen Herausforderungen“ zu [Seite 171]. Und: „Deutschland bleibt bereit, mehr Verantwortung auf Ebene der Vereinten Nationen zu übernehmen“ (auch mit der Übernahme eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat). Deutschland will zudem sein „Engagement für Sicherheit und Frieden auch im außereuropäischen Raum durch strategische Partnerschaften konsequent fortentwickeln“. Alles dies hat in erster Linie mit Außenpolitik und Diplomatie zu tun. Aber auch mit unseren Streitkräften, der „Armee im Einsatz“.

Vernetzt denken und vernetzt handeln

Dokumentiert wird dieser vernetzte Ansatz in folgender Vertragspassage [Seite 175]: „Die Koalition bekennt sich zur Stärkung einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Verständnis einer effektiven Außen- und Sicherheitspolitik, für deren Erfolg sich zivile und militärische Instrumente ergänzen müssen. In der Außen- und Sicherheitspolitik denken und handeln wir vernetzt.“

Um auf die Bundeswehr-Einsätze der Zukunft vorbereitet zu sein, müsse man auf „ein breites militärisches Fähigkeitsspektrum“ bauen können, fordern die Koalitionäre. In diesem Zusammenhang nennt der Koalitionsvertrag bereits bekannte verteidigungs- und rüstungspolitische Standpunkte und Ausrichtungen: „Wir setzen uns, so weit es sinnvoll und möglich ist, für eine gemeinsame Nutzung nationaler militärischer Kapazitäten im Rahmen der EU (pooling and sharing) ebenso ein wie für eine stärkere Aufgabenteilung. Das gilt auch für die entsprechenden Aktivitäten der NATO (smart defence).“

Der Ansatz hierzu könnte – und hier kehren wir zu dem im Teil 1 bereits erwähnten deutschen Konzept der „Rahmennationen“ zurück – die „Anlehnungspartnerschaft“ (so der alternative Vertragsbegriff) sein, bei der sich Staaten zu Gruppen wechselseitiger Unterstützung zusammenfinden. Im Vertrag heißt es an dieser Stelle weiter [Seite 177]: „Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern wollen wir zu schwach ausgebildete Fähigkeiten stärken und die Durchhaltefähigkeit erhöhen. Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann.“

Deutscher Parlamentsvorbehalt und fortschreitende Bündnisintegration

Auch die Bundeswehr soll in Zukunft eine Parlamentsarmee bleiben, versichern die Vertragspartner [Seite 177]. „Die parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr hat sich bewährt. Sie ist eine Grundlage für die breite Verankerung der Bundeswehr und ihrer Einsätze in der Gesellschaft. Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche Deutschlands, sondern eine Stärke“, so die Unions- und SPD-Politiker.

Thematisiert wird danach auch der immanente Konfliktstoff, den deutsche Beteiligungen an Auslandseinsätzen in internationalem Rahmen bergen. Zwar wolle man eine Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit Deutschlands Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldatinnen und Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene müsse jedoch mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Eine denkbare Lösung? Eine Expertenrunde! Der Koalitionsvertrag kündigt an: „Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können. Die Kommission wird darauf aufbauend Handlungsoptionen formulieren.“

Was den aktuellen Afghanistaneinsatz betrifft, so nennt der Koalitionsvertrag noch einmal die „linke und rechte Grenze“ des weiteren deutschen Engagements am Hindukusch. Die Koalition „steht zu einer angemessenen Beteiligung Deutschlands im Rahmen einer Beratungsmission unter NATO-Führung, für den Fall, dass die völkerrechtlichen Voraussetzungen und die Beteiligung unserer Partner sichergestellt sind“. Nach Ende des ISAF-Kampfeinsatzes strebe Deutschland nun „mit einem ressortübergreifenden Engagement … eine gefestigte Zukunft Afghanistans“ an. Schwerpunkt des zukünftigen deutschen Afghanistan-Engagements soll die zivile Hilfe sein.

Ausdrücklich wurden auch die zivilen afghanischen Helfer in das Vertragswerk der Koalitionäre aufgenommen. Das Versprechen: „Afghanische Ortskräfte, die für uns in Afghanistan gearbeitet haben und deren Sicherheit und Leben nach Beendigung des Einsatzes bedroht sind, sollen zusammen mit ihren Familien in Deutschland eine Aufnahme angeboten bekommen.“ Nach Monaten der Ungewissheit für die Betroffenen jetzt eine klare Zukunftsperspektive, die Leben retten kann …

Bundeswehr beschafft nur noch, was sie wirklich braucht

Ehe wir den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode schließen und zur Seite legen, noch ein Blick auf „Ausrüstung, Beschaffung und Nutzung“ [Seite 178]. Nach der Leitforderung („Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen die bestmögliche Ausrüstung. Dabei steht ihre Sicherheit im Mittelpunkt. Die Bundeswehr beschafft, was sie braucht, und nicht, was ihr angeboten wird.“) rühren Union und SPD noch einmal an alten und an frischen Wunden.

Die folgende Vertragspassage spricht dazu eine deutliche Sprache: „Der Staat kann erwarten, dass bestellte militärische Ausrüstungsgüter vertragsgerecht, pünktlich und unter Einhaltung der verabredeten Preise und Qualität geliefert werden. Die Vertragsbeziehungen mit der Industrie müssen klar und deutlich sein. Die jüngsten Erfahrungen mit Großgeräten zeigen, dass Projektbegleitung und Controlling auf allen Ebenen verbessert werden müssen. Die mit der Neuausrichtung begonnene Neustrukturierung des Beschaffungsprozesses muss konsequent umgesetzt werden. Die Information des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags über den jeweiligen Sachstand bei der Entwicklung und Beschaffung von Gerät und Material wird verbessert.“

Nach der Schelte dann ein Schulterschluss. Das Bekenntnis: „Deutschland hat ein elementares Interesse an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Wir setzen uns für den Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und industrieller Fähigkeiten, insbesondere auch bei mittelständischen Unternehmen, ein.“

Gleichzeitig – so erweitert der Vertragstext die nationale um eine internationale Perspektive – setze Deutschland auch auf eine verstärkte europäische und euroatlantische Rüstungskooperation. Sie soll konkrete gemeinsame Ausrüstungs- und Beschaffungsvorhaben nach den gleichen Standards für alle Nationen umsetzt. Der Europäischen Verteidigungsagentur komme dabei eine Schlüsselrolle zu.

Über Aufklärung hinaus auch weitergehende Kampffähigkeiten

Nicht ausschließen wollen Sozial- und Christdemokraten an dieser Stelle schließlich die Ausstattung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen. „Unbemannte Luftfahrzeuge spielen bereits heute beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan bei der Aufklärung und dem Schutz unserer Soldaten eine wichtige Rolle – auch künftig wird die Bundeswehr auf derartige Fähigkeiten angewiesen sein“, wird argumentiert. Dann deutet sich an, was nur eine Frage der Zeit sein kann: „Vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden wir alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen. Dies gilt insbesondere für neue Generationen von unbemannten Luftfahrzeugen, die über Aufklärung hinaus auch weitergehende Kampffähigkeiten haben.“

Dass künftige unbemannte Luftfahrzeuge durchaus auch ein europäisches Gemeinschaftsprojekt sein können, beschreibt der Koalitionsvertrag ebenfalls. Die Koalition werde, so heißt es, eine europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge voranbringen. Europa brauche zudem rasch ein gemeinsames Regelwerk für die Zulassung und Teilnahme solcher Systeme am europäischen Luftverkehr: die Koalition werde hierzu die entsprechenden Initiativen weiterführen.

Eine gute Basis für die politische Arbeit der kommenden vier Jahre

Stimmen oder Medienkommentare zu den außen-, sicherheits- und wehrpolitischen Anteilen dieses Koalitionsvertrages blieben nach Veröffentlichung der 185 Seiten rar. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernd Siebert äußerte sich. In seiner Pressemitteilung vom 27. November urteilte er: „Im Themenbereich ,Verteidigungspolitik‘ ist es gelungen, viele vernünftige Vereinbarungen zu erzielen. So wird der Parlamentsvorbehalt, eine Errungenschaft auf die wir in Deutschland stolz sein können, ausdrücklich bestätigt. Auch die Neuausrichtung der Bundeswehr wird unter den Prinzipien ,Kontinuität‘ und ,Planungssicherheit‘ zum Abschluss gebracht. Wenn punktueller Nachsteuerungsbedarf entstehen sollte, erklären sich alle Koalitionspartner zu gemeinsamem Handeln bereit. Der Stellenwert der heimischen Rüstungsindustrie wird zu Recht hervorgehoben und gewürdigt … Insgesamt ist dieser Koalitionsvertrag eine gute Basis für vier Jahre erfolgreiches politisches Gestalten.“

Oberstleutnant André Wüstner, Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, erklärte zur Einigung von SPD und Unionsparteien: „Dieser Koalitionsvertrag ist für die Menschen in der Bundeswehr der wichtigste seit Langem. Er berücksichtigt wesentliche Anliegen, für die wir uns mit viel Energie eingesetzt haben. Die für die Bundeswehr zuständige Arbeitsgruppe bei den Koalitionsverhandlungen stellt damit unter Beweis, dass sie den Bezug zu den Menschen in der Bundeswehr nicht aus den Augen verloren hat.“

Der Reservistenverband, dessen Präsident Roderich Kiesewetter als CDU-Bundestagsabgeordneter Mitglied der Arbeitsgruppe „Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit“ gewesen war, begrüßte naturgemäß die ausführliche Erwähnung der Reservisten und ihres Dienstes. In seiner Presseerklärung lobte der Verband ausdrücklich die entsprechenden Vertragsinhalte. „Die neue Bundesregierung wird die Anpassung und Vereinfachung der Vergütung sowie der rentenrechtlichen Absicherung der Reservisten prüfen und die Vereinbarkeit zwischen Reservistendienst und Zivilberuf gezielt fördern. Kurzum: Es wird unseren Bürgern einfacher gemacht, sich für die Heimat zu engagieren.“

Fachchinesisch oder taktische Unverständlichkeit?

Massive Kritik am Koalitionsvertrag kommt aus völlig unerwarteter Ecke. Die Universität Hohenheim hat in Kooperation mit dem Unternehmen „CommunicationLab“ den Koalitionsvertrag auf formale Verständlichkeit analysiert. Das Urteil: Er ist in weiten Teilen schwer oder sogar kaum verständlich und „formal sogar unverständlicher als politikwissenschaftliche Doktorarbeiten“. Professor Frank Brettschneider, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Hohenheimer Universität, schüttelt den Kopf: „Die Verständlichkeit des Mammutwerks lässt sehr zu wünschen übrig. Der Koalitionsvertrag ist zwar in erster Linie ein Fachtext, geschrieben von Experten für bestimmte Themengebiete – und geschrieben für Experten. Angesichts des Mitgliederentscheids der SPD sollte der Koalitionsvertrag aber nicht nur für Experten und Akademiker verständlich sein.“

Für die Universitätsstudie setzten Brettschneider und sein Team eine bewährte Analysesoftware ein, die unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern fahndet. Auf einer Skala von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) erzielte der Koalitionsvertrag einen Wert von 3,48. Zum Vergleich: Politikwissenschaftliche Doktorarbeiten liegen durchschnittlich bei einem Wert von 4,7, die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2013 erreichten einen Wert von 7,7 (das formal verständlichste Programm wurde von der CDU/CSU vorgelegt und kam auf einen Wert von 9,9), die Politikbeiträge in der Bild-Zeitung liegen bei 16,8.

„Die mangelnde Verständlichkeit des Koalitionsvertrags ist enttäuschend“, so das Fazit des Kommunikationswissenschaftlers. „Denn alle Parteien haben sich in den letzten Jahren verstärkt Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben. Damit die Bürger eine begründete Bewertung des Koalitionsvertrags vornehmen können, sollten die Koalitionspartner ihre Absichten klar und verständlich darstellen.“

Warum nun diese „Verständlichkeitshürden“? Professor Brettschneider: „Für die Unverständlichkeit kommen mehrere Gründe in Betracht: Zum einen ist der Koalitionsvertrag das Ergebnis von Expertenrunden. Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Bürger ihr Fachchinesisch nicht versteht. Zum anderen führen schwierige Kompromissbildungen zu relativierenden Schachtelsätzen – da kann dann jeder rein interpretieren, was er mag. Das erleichtert zwar den Kompromiss, sorgt aber nicht für Klarheit. Drittens sei nicht immer sicher, ob die Koalitionspartner wirklich verstanden werden wollen. Immer wieder nutzen Parteien abstraktes Verwaltungsdeutsch auch, um unklare oder unpopuläre Positionen absichtlich zu verschleiern. Wir sprechen in diesem Fall von taktischer Unverständlichkeit.“

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim untersucht seit 2009 unter anderem Wahlprogramme der Parteien, Pressemitteilungen der Parteien und Bundesministerien sowie andere Erzeugnisse der Öffentlichkeitsarbeit. Zum Untersuchungsgegenstand „Koalitionsvertrag 2013“ merkt Sprachforscher Brettschneider noch an: „Die von uns gemessene formale Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige und auch nicht das wichtigste Kriterium, von dem die Güte eines Koalitionsvertrags abhängt. Wichtiger noch ist der Inhalt.“ Hoffen wir auf den …

Hinweis: Wir bieten Ihnen den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode – Titel „Deutschlands Zukunft gestalten“ – in unserer BIBLIOTHEK (Bereich „Schwarz auf weiß“) zum Download an; wir sind jedoch für die Inhalte dieses Dokuments und die Qualität der Datei nicht verantwortlich.


Unser Bildangebot:
1. Der Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode äußert sich auch zum Thema „Neuausrichtung der Bundeswehr“.
(Foto: mk)

2. Die Universität Hohenheim hat den Koalitionsvertrag einer Sprachanalyse unterzogen. Das Urteil: „Seine mangelnde Verständlichkeit ist enttäuschend!“
(Foto: mk)

3. Die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD unterzeichneten am 27. November 2013 im Reichstagsgebäude in Berlin den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode. Von links: Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU).
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN