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Bonn. Wir leben in einer Zeit tiefgreifender sicherheitspolitischer Veränderungen weltweit. Ideologien spielen kaum noch eine Rolle. In vielen Regionen der Erde sind ausschließlich Nationalismus und Religion die treibenden Kräfte. Hartnäckig strebt der Terrorismus nach Allianzen mit fundamentalistischen, radikalen Strömungen. Vor diesem Hintergrund müssen mit großer Sorge die massiven Aufrüstungsbemühungen verschiedener Drittstaaten im Bereich der atomaren, biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) und bei Raketen verfolgt werden. Besonders die weltweite Verbreitung von ballistischen Trägersystemen, die zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen genutzt werden können, schafft regionale Instabilität und gefährdet die globale Sicherheit. Die Bedrohung durch Proliferation von Raketentechnologie war auch Schwerpunkt eines Themenabends am 29. Oktober in Bonn, zu dem die Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe (IDLw) eingeladen hatte.

Für die Veranstaltung im Rahmen ihrer Reihe „Bonner Plattform“ hatte die IDLw den Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Dieter Naskrent, und den Geschäftsführer des Unternehmens MBDA Deutschland, Thomas Homberg, als Vortragende gewinnen können. Beide Experten waren sich über das wachsende Bedrohungspotential einig. „Die Proliferation ballistischer Raketentechnik schreitet mit wachsendem Tempo voran“, erklärte Naskrent. „Ballistische Raketen stellen eine vergleichsweise billige Technik dar. Bestückt mit konventionellen oder ABC-Gefechtsköpfen geben sie auch einem militärisch unterlegenen Gegner zumindest eine temporäre Angriffsoption. Einige Staaten sind bereits in der Lage, NATO-Territorium zu erreichen. Andere können Interessenzonen der NATO bedrohen.“

Risikostaaten rüsten weiter auf

Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern definieren Proliferation als „die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen (beispielsweise Raketen und Drohnen), einschließlich des dafür erforderlichen Know-how“. Die Verbreitung dieser Waffen stelle weltweit eines der größten Sicherheitsrisiken dar, schreibt der Verfassungsschutz weiter. „Sogenannte Risikostaaten bemühen sich darum, in den Besitz solcher Massenvernichtungswaffen und der für deren Einsatz benötigten Trägertechnologie zu gelangen.“

Zu den Risikostaaten zählen die deutschen Verfassungsschützer vor allem die Staaten Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien. Der Iran besitzt Chemiewaffen und Raketen mit hoher Reichweite, die Urananreicherung im industriellen Maßstab wird angestrebt, 2010 erklärte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad sein Land zur Atommacht. Nordkorea führte unter Kim Jong Il 2006 und 2009 erste Kernwaffentests durch und wird von der Internationalen Atomenergie Agentur als Atomwaffenstaat bezeichnet; das Land exportiert weltweit Waffenträgersysteme. Pakistan besitzt Atomwaffen und erfolgreich getestete Trägersysteme. Syrien hat einsatzfähige Chemiewaffen und unterhält ein fortgeschrittenes Raketenprogramm.

Und es gibt weitere „Verdächtige“. Laut Globalsecurity haben im Nahen Osten auch Algerien, Ägypten, Libyen, Saudi Arabien und der Yemen Trägerraketen stationiert. Ebenfalls Israel. In anderen Teilen der Welt verfügen – neben westlichen Staaten sowie Russland und China – auch Chile, Indien, Kuba und Südkorea über ein paar Kurz- oder Mittelstreckenraketen.

Öffentlichkeit mehrheitlich ahnungslos

Bereits Anfang 2000 hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) in einer Expertise gewarnt: „Da ein Großteil der Proliferationsaktivitäten im Verborgenen abläuft, ist der Öffentlichkeit weithin nicht bewusst, mit welch hoher Intensität manche Länder ihre Rüstungsprojekte im Bereich der Massenvernichtungswaffen verfolgen und sich die dazu erforderlichen technischen Mittel in den Industrieländern beschaffen.“ Das Ausmaß der bereits vollzogenen Proliferation sei wegen der Sensitivität der Vorgänge in seinem ganzen Umfang zumeist nur Experten im Bereich der Exportkontrolle bekannt, so der BND damals. Bereits vor gut einem Jahrzehnt also schlug der Dienst Alarm: „Die zunehmende Verbreitung von ABC-Waffen hat zur Folge, dass es für kriminelle, terroristische oder sektiererische Gruppierungen einfacher wird, sich Massenvernichtungsmittel zu verschaffen.

Kernelement der kollektiven Verteidigung

Generalleutnant Dieter Naskrent befasste sich in seinem Vortrag „Flugkörperabwehr – Zukunftsfeld der Luftwaffe“ nach den Bedrohungsszenarien durch ballistische Raketen auch mit möglichen Antworten und Lösungen darauf. Dabei erinnerte er zunächst noch einmal an die bündnispolitischen Rahmenvorgaben. Das Strategische Konzept der NATO, so Naskrent, definiere als Kernelement der kollektiven Verteidigung den Aufbau einer Fähigkeit zum Schutz des NATO-Territoriums und dessen Bevölkerungen gegen einen Angriff mit ballistischen Flugkörpern. In der Umsetzung dieser konzeptionellen Überlegungen sei beim NATO-Gipfel 2010 in Lissabon deshalb durch die Staats- und Regierungschefs der Aufbau einer NATO-Raketenarchitektur beschlossen worden.

Als einen ersten Schritt auf dem Weg zur vollständigen Implementierung habe man auf dem NATO-Gipfel in Chicago im Mai dieses Jahres eine zwar eingeschränkte, doch immerhin solide funktionierende Anfangsbefähigung erklären können. Naskrent wörtlich: „Die Führungsfähigkeit durch das Air Command in Ramstein ist nachgewiesen und erprobt. Als Sensor dient ein amerikanisches Radar in der Türkei. Ein amerikanisches Luftverteidigungsschiff AEGIS steht bei Bedarf mit der Standard-Missile, kurz SM-3, als Wirkmittel zur Verfügung.“ Alle Beteiligten seien sich allerdings darüber im Klaren, dass nach diesem ersten Schritt „ein noch anspruchsvoller und anstrengender Weg vor uns liegt“, so der General.

Freiwillige nationale Beiträge

Wie nun sieht der grundsätzliche Rahmen für mögliche nationale Beiträge zu einer NATO-Raketenabwehrarchitektur aus? Kernelement nach Naskrent ist und bleibt die Erweiterung des gemeinsam finanzierten Führungs- und Informationssystems „Active Layered Theatre Ballistic Missile Defence“, kurz ALTBMD. Alle NATO-Partner sind darüber hinaus aufgefordert, diese Führungsfähigkeit durch freiwillige nationale Beiträge in Form von Führungselementen, Sensoren und Effektoren zu ergänzen sowie die Führungsorganisation und Operationszentralen mit qualifiziertem Personal zu unterstützen. Die Positionierung von Sensoren und Wirkmitteln einer gemeinsamen Architektur muss sich außerdem an den geografischen Gegebenheiten ausrichten. Zu diesem Punkt merkte Naskrent an: „Sogenannte ,hosting arrangements‘ – die Stationierungserlaubnis beispielsweise von Radarstellungen – sind von zentraler Bedeutung und finden in der Erklärung von Chicago ausdrücklich Berücksichtigung.“

Gegenwärtig leisten im Wesentlichen die USA durch ihre Sensoren und Effektoren einen Beitrag zur NATO-Raketenabwehr. Kernelement dabei ist der SM-3-Flugkörper. Neben seegestützten Abschussplattformen soll es bald auch landgestützte Abschussstellungen im Osten Europas geben. Entsprechende Kooperationsvereinbarungen hat Washington bereits mit den Regierungen Polens und Rumäniens getroffen. Zum US-amerikanischen Portfolio gehören auch Radarstellungen, beispielsweise in der Türkei.

Kompetenzträger bei der Flugkörperabwehr

Deutschland leistet bereits jetzt in den Bereichen „Systeme“, „Personal“ und „Infrastruktur“ wertvolle Beiträge zur Raketenabwehr des Bündnisses. Alleine die Tatsache, dass unsere Luftwaffe seit 1990 das Waffensystem Patriot betreibt und durch Training, Übungen und Einsatzüberprüfungen eine langjährige Expertise im Bereich der Flugkörperabwehr aufbauen konnte, erklärt die deutsche Ausnahmestellung auf diesem Gebiet. Deutsches „Raketenpersonal“ wird auf allen NATO-Ebenen eingesetzt, die deutsche Luftwaffe ist durch den langen Betrieb des Waffensystems Patriot der europäische Kompetenzträger bei der Flugkörperabwehr schlechthin. Noch! Denn auch der Stellvertreter des Inspekteurs warnt eindringlich: „Unsere Systeme Patriot werden zum Ende des Jahrzehnts an die Grenzen ihrer wirtschaftlich vertretbaren Nutzungsdauer gelangen.“ Man sei gezwungen, sich über eine Folgelösung Gedanken zu machen.

Zeit der nationalen Prestigeobjekte vorbei

An welchen Kriterien sollen sich zukünftige nationale deutsche Luftwaffenbeiträge zur bodengebundenen Luftverteidigung (inklusive der Flugkörperabwehr) ausrichten? Generalleutnant Naskrent beschrieb bei der IDLw drei Schwerpunkte eines Forderungskataloges, aus dem später dann ein entsprechendes Fähigkeitsprofil entwickelt und in eine nationale Rüstungsstrategie eingebettet werden könnte. Erstens: Kohärenz und keine Duplizierung (Naskrent: „Ein erweiterter Fähigkeitsbeitrag muss sich komplementär in die NATO-Gesamtarchitektur einfügen … Die heutigen finanziellen Rahmenbedingungen lassen keinen Raum für Dubletten oder gar Prestigeobjekte.“). Zweitens: Finanzen und Wirtschaftlichkeit (Naskrent: „Eine derart anspruchsvolle Technologie wird ihren Preis haben. Investitionen würden Verdrängungseffekte für andere Vorhaben haben – nicht nur alleine für die Luftwaffe, sondern streitkräfteübergreifend.“). Drittens: Bedrohungsangepasst (Naskrent: „Die Wahrscheinlichkeiten der unterschiedlichen Bedrohungsszenarien müssen gründlich analysiert und abgewogen werden, nur so werden wir einen notwendigen und nachhaltigen Fähigkeitsgewinn erzielen.“).

Man werden gut beraten sein, fügte der Luftwaffengeneral seinem Kriterienkatalog hinzu, sich bei all diesen Überlegungen nicht alleine auf eine rein deutsche Sichtweise abzustützen. Es werde auch darum gehen, in engem Diskurs mit den europäischen Partnern Synergien zu erkennen und zu nutzen, um insgesamt effizienter und effektiver zu werden.

Zentrale Bedeutung für die Luftwaffe

Nach Naskrent bieten das vorhandene Fähigkeitsspektrum der deutschen Luftwaffe und bereits angestoßene Entwicklungen jetzt schon vielfältige Ansatzpunkte für einen möglichen Fähigkeitsaufwuchs.

Für die Fähigkeitskategorie „Wirkung“ hat aus Sicht der Teilstreitkraft schließlich das Thema „Medium Extended Air Defense System, MEADS“ eine zentrale Bedeutung. Der Stellvertreter des Inspekteurs dazu in seinem Vortrag: „Die in der ursprünglichen Fähigkeitsforderung ausgewiesenen Charakteristika einer offenen Systemarchitektur, einer 360-Grad-Fähigkeit und eines ,Hit-to-kill‘-Flugkörpers würden auch künftig einen weiterreichenden und nachhaltigeren Beitrag der Luftwaffe zur Flugkörperabwehr sicherstellen.“

Der ursprünglichen Planung zufolge sollte MEADS bei der Bundeswehr ab 2018 eingeführt werden. Nachdem sich 2008 die Entwicklungszeit aufgrund zusätzlicher Systemanforderungen verlängerte, beschlossen die USA im Februar 2011, spätestens nach der Entwicklungsphase aus dem trinationalen Projekt auszusteigen. Dies stieß bei den beiden anderen Vertragspartnern Deutschland und Italien auf massiven Widerstand. Die Obama-Regierung entschied sich daraufhin, die rund vier Milliarden Euro teure Systementwicklung doch noch abzuschließen. Im Januar dieses Jahres jedoch forderte US-Rüstungsdirektor Frank Kendall unter dem Druck des Kongresses das endgültige Projekt-Aus. US-Verteidigungsminister Leon Panetta versicherte danach zwar, in das Budget für das Haushaltsjahr 2013 ausreichend Finanzmittel – rund 400 Millionen US-Dollar – für die MEADS-Schlussentwicklung eingestellt zu haben. Der US-Senat blockierte diese Gelder jetzt aber am 4. Dezember im Entwurf des Verteidigungsetats für das Jahr 2013. Zurzeit wird darüber verhandelt, ob die USA ihren vertraglichen Verpflichtungen, die bis 2014 bestehen, nachkommen.

Generalleutnant Dieter Naskrent kommentierte den MEADS-Sachstand bei der IDLw-Veranstaltung wie folgt: „Derzeitig ist es nicht mehr vorgesehen, Systeme beschaffungswirksam zu produzieren. Folglich wird es für die deutsche Luftwaffe um die Frage gehen, inwieweit wir nationale Technologiepotentiale wirtschaftlich nutzen können, um – gegebenenfalls in europäischer Kooperation – die erzielten und verwertbaren Ergebnisse, also die sogenannten Major End Items wie Multifunktionsradar, Startgeräte und Software für das Führungsinformationssystem, in ein modernes und im europäischen Vergleich konkurrenzloses Luftverteidigungssystem umzusetzen.“

Das zweite nukleare Zeitalter

Im Jahr 1999 sorgte der Politikwissenschaftler Paul Bracken, Professor an der US-amerikanischen Universität Yale, mit seiner scharfsinnigen Analyse „über die endliche Größe der Welt und den militärischen Fortschritt“ für Aufsehen. Hauptthese seines Buches „Fire in the East: The Rise of Asian Military Power and the Second Nuclear Age“ war, dass die ständige Weiterentwicklung militärischer Hard- und Software die Weltkarte habe „schrumpfen“ lassen. Atomtests und Raketen, Programme für biologische Kriegsführung und die Entwicklung chemischer Waffen seien „das Ergebnis eines blühenden und liberalisierten Asien“. In einer jetzt erschienenen Nachfolgepublikation befasst sich Bracken mit der nuklearen Proliferation im Nahen Osten. In „The Second Nucelar Age: Strategy, Danger and the New Power Politics“ beschreibt der Wissenschaftler die neue geopolitische Realität als „zweites nukleares Zeitalter nach Ende des Weltkrieges“. Es ist dem Autor zufolge ein Zeitalter, das nicht von Ideologie angetrieben wird, sondern dominiert wird von nationalen und religiösen Motiven. Der Mob auf der Straße prägt das Bild dieser „neuen nuklearen Ära“, stets überschattet von der Möglichkeit, dass Terroristen sich mit Nuklearstaaten zur unheilvollen Allianz finden.

Ende der Kampfwertsteigerung ist in Sicht

Thomas Homberg, Geschäftsführer der MBDA Deutschland GmbH, sprach in seinem Vortrag bei der IDLw ebenfalls über die zunehmende Proliferation von Raketentechnologie. „Sie stellt für die Bundesrepublik eine stetig wachsende Bedrohung dar. Heute sind weltweit etwa 6000 ballistische Raketen kurzer und mittlerer Reichweite vorhanden – auch in politisch instabilen Regionen.“ Mit Blick auf diese Bedrohung müsse „Luftverteidigung und Raketenabwehr“ eine der prioritären Aufgaben der Bundeswehr sein, da es um den Schutz Deutschlands gehe und dem unserer Truppen im Einsatz.

Auch Homberg bescheinigte der deutschen Luftwaffe heute in Europa eine Führungsrolle im Bereich der Flugkörperabwehr. Vergleichbare Fähigkeiten und Kompetenzen könne derzeit kein anderer europäischer Bündnispartner aufweisen. Neben dem Schutz des eigenen Territoriums und der Erfüllung von Bündnisverpflichtungen garantiere unsere Luftwaffe zudem den Schutz und die Sicherheit der Truppe im Einsatzgebiet. Allerdings, so Homberg, werden in Zukunft „die in Deutschland eingeführten Systeme selbst mit Kampfwertsteigerungen nicht mehr in der Lage sein, einen ausreichenden Schutz gegen Raketen mittlerer und großer Reichweite sicherzustellen“.

Zeitnah, bedrohungsgerecht und erweiterbar

In seinem Beitrag zum Zukunftsfeld der Luftverteidigung und Raketenabwehr beschrieb Thomas Homberg im weiteren Verlauf des Abends die drohenden Fähigkeitslücken und – aus industrieller Sicht – die eine konkrete Option zur Überwindung aller Defizite. Er sagte: „Heutige Systeme zur Luftverteidigung können auch mit weiteren Kampfwertanpassungen die künftig geforderten Fähigkeiten nicht bereitstellen. Fähigkeitslücken umfassen unter anderem: einen 360-Grad-Rundumschutz, Wirkung im vollen Bedrohungsspektrum, eine offene Systemarchitektur für die Integration weitere Sensoren und Effektoren der Bundeswehr und der Bündnispartner, hohe taktische und strategische Mobilität.“

Nach Hombergs Auffassung ist eine rasche Lösung der Gesamtproblematik in greifbarer Nähe: MEADS! „Im Rahmen der Neuausrichtung der Luftwaffe und unter Nutzung der bereits 2014 verfügbaren Entwicklungsergebnisse des trinationalen Luftverteidigungsprogrammes ,Medium Extended Air Defense System‘ kann zeitnah eine bedrohungsgerechte und erweiterbare Luftverteidigung und Raketenabwehr für die Landes- und Bündnisverteidigung, und für Auslandseinsätze der Bundeswehr realisiert werden“, so der MBDA-Chef. Das Entwicklungsprogramm MEADS sei trotz mitunter negativer Presse erfolgreich und weit fortgeschritten. Dies belege der erste Testschuss gegen ein simuliertes Ziel mit dem Flugkörper PAC-3 MSE im November 2011. Zwei weitere Flugtests im November dieses Jahres gegen eine Zieldrohne und im kommenden Jahr gegen eine taktisch-ballistische Rakete werden folgen. (Anm.: am 29. November 2012 hat das Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystem MEADS seinen ersten Abfangtest gegen eine Zieldrohne erfolgreich bestanden; siehe dazu unseren Beitrag „MEADS besteht Wüstentest mit Bravour“.)

Abschließende Systemdemonstration im Jahr 2014

Zum augenblicklichen rüstungspolitischen Sachstand und zu weiteren Planungen und Vorhaben der Industrie gab Homberg in Bonn folgende Informationen: „Trotz der US-Entscheidung, MEADS nicht zu beschaffen, und entsprechender Vertragsanpassungen werden von den ursprünglichen Systemforderungen 60 Prozent vollständig und 30 Prozent teilweise implementiert. Im ersten Quartal 2014 findet eine abschließende, umfangreiche Systemdemonstration statt, in der alle Fähigkeiten nachgewiesen werden. Eine Kopplung der in 2014 zur Verfügung stehenden MEADS-Systemkomponenten mit vorhandenen deutschen – gegebenenfalls europäischen Systemen – ist eine finanzierbare und sinnvolle Lösung, die den Aufbau einer erweiterbaren und bedrohungsgerechten Luftverteidigungs-Architektur ermöglicht.“

Dass allerdings die entsprechenden Entscheidungen für diese Luftverteidigungslösung jetzt getroffen werden müssten, sei mit Blick auf die Bedrohungslage und den Kompetenzerhalt verständlich, erklärte Homberg mit Nachdruck. „Ab 2014, nach Beendigung des MEADS-Programms, wird in Deutschland ein Verlust der über 15 Jahre aufgebauten Expertise eintreten, wenn zu diesem Zeitpunkt keine Folgeaktivitäten beauftragt werden. Ein Know-how-Verlust ist in diesem spezialisierten Technologiefeld nahezu unumkehrbar. Folglich bedürfen wir dringend konkreter Entscheidungen über die künftige deutsche Luftverteidigungsarchitektur und nachfolgender industrieller Beauftragung.“

Näher an die rote Linie heran

In diesen Tagen steht die Entsendung deutscher Patriot-Batterien in die Türkei im Rahmen einer NATO-Mission im Fokus der Medien. Die Patriots im türkisch-syrischen Grenzgebiet sollen im Verbund mit seegestützten Abwehrsystemen den Bündnispartner vor möglichen syrischen Raketenangriffen schützen. Angeblich verfügt die Regierung al-Assad über etwa 700 Raketen. Am 3. Dezember hat US-Präsident Barack Obama – offensichtlich auf Grundlage alarmierender Berichten der eigenen Geheimdienste – das Assad-Regime scharf vor einem Chemiewaffen-Einsatz gewarnt. Sollte eine solche Verzweiflungstat geschehen, dann sei eine „rote Linie überschritten“.

In seinem kürzlich erschienenen englischsprachigen Buch „Defense. How to Protect against Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Threats in a Changing Security Environment“ beschreibt Oberst a.D. Hans H. Kühl ebenfalls das erschreckend andere, neue globale sicherheitspolitische Umfeld. Irrational handelnde Konfliktparteien in regionalen Auseinandersetzungen, asymmetrische Bedrohungen, maximale Zerstörung durch terroristische Angriffe, der Einsatz geächteter Kampfstoffe gegen die eigene Bevölkerung? All dies immer denkbarer, all dies der roten Linie immer näher! Auch hier ist die anhaltende Proliferation eine starke Wurzel des Übels. Kühl, einer der führenden deutschen Experten auf dem Gebiet der ABC-Abwehr, hat sich wie Bracken mutig und schonungslos mit diesem „zweiten Zeitalter“, dem Zeitalter ungehemmter Proliferation auseinandergesetzt. Zeit zu entscheiden, Zeit zu handeln. Auch und gerade bei der Raketenabwehr…


Zu unserem Bildangebot:
1. Iranische Boden-Boden-Rakete vom Typ Sedschil 2 – Reichweite rund 2000 Kilometer.
(Foto: VS)

2. Stößt bald an die Grenzen der wirtschaftlich vertretbaren Nutzungsdauer: Flugabwehrraketensystem Patriot der Bundeswehr.
(Foto: Andreas Freude/Bundeswehr)

3. Generalleutnant Dieter Naskrent am 29. Oktober bei der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe (IDLw) in Bonn.

4. und 5. Gespannt verfolgen die Teilnehmer der IDLw-Vortragsveranstaltung die Beiträge des Stellvertreters des Inspekteurs Luftwaffe, Generalleutnant Naskrent, und des Geschäftsführers von MBDA Deutschland, Thomas Homberg.
(Fotos: IDLw e.V.)

6. Das Multifunction Fire Control Radar (MFCR) des Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystems MEADS.
(Foto: MEADS International, Inc.)


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