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Berlin/Paris/London. Es begann als faustdicke Überraschung und war das Gesprächsthema der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA 2012 in Berlin: der geplante Zusammenschluss von EADS und BAE Systems. Die angestrebte Mega-Fusion der beiden Rüstungskonzerne war am zweiten Tag der Air Show in der Bundeshauptstadt vermeldet worden. Rund einen Monat später ist der Deal mit lautem Krach geplatzt. Die Schuldzuweisungen haben begonnen…


Die Fusion des deutsch-französischen Gemeinschaftsunternehmens EADS mit seinem britischen Konkurrenten BAE Systems sollte eine neue weltweite „Nummer Eins“ in der Luftfahrt- und Rüstungsbranche schaffen. Beide Konzerne erwirtschafteten 2011 mit ihren rund 220.000 Beschäftigten zusammen einen Jahresumsatz von mehr als 73 Milliarden Euro. Der neue globale Branchenprimus wäre demnach um einiges größer gewesen als der bisherige Tabellenführer der „Top 100“ (nach SIPRI), der US-amerikanische Konzern Boeing.

Die maßgeblichen Kräfte hinter dem Fusionsprojekt – Thomas Enders (Chief Executive Officer/CEO von EADS) und Ian King (CEO von BAE Systems) – handelten auch mit Blick auf die schmerzhafte Realität der schrumpfenden Wehretats. Der Druck, der durch diese Entwicklung ausgelöst wurde und wird, wirkt sich in etwa so aus wie die berühmte „Flucht nach vorne“. Es geht, wenn an der „Heimatfront“ knappe Budgets gefahren werden, um die Erschließung neuer Märkte. Auch und gerade in den USA. Hier hatte EADS im Februar vergangenen Jahres eine bittere Niederlage erlitten. Nach langem Bieterwettstreit hatten die Europäer den „Jahrhundert-Auftrag“ – die Lieferung von 179 Tankflugzeugen für die U.S. Air Force – an den Erzrivalen Boeing verloren. Der Tanker-Auftrag hat ein Volumen von rund 35 Milliarden US-Dollar. Mit Folgeaufträgen könnte das Geschäft, so Schätzungen, auf 100 Milliarden anwachsen. Mit BAE Systems, die in den Vereinigten Staaten erfolgreich agieren, erhoffte sich EADS zugleich künftig einen besseren Zugriff auf den US-Markt.

Größer als die Summe seiner Teile

Die Verhandlungen zwischen EADS und BAE Systems wurden in der Endphase von einem Streit um den künftigen Einfluss der Regierungen in Berlin, Paris und London auf den neuen Mega-Konzern begleitet, erschwert und schließlich abgewürgt. Die EADS-Anteilseigner Deutschland und Frankreich strebten nach Einfluss, die britische Regierung sowie die beiden Einzelkonzerne plädierten dafür, den Einfluss der Regierungen zurückzufahren. Diametrale Wirtschaftsphilosophien!

Das Ringen zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien um Mitsprache und Beteiligungen in dem geplanten neuen Unternehmen, das doppelt börsennotiert sein sollte, wurde schließlich am 10. Oktober beendet. EADS und BAE Systems gaben an diesem Mittwoch in einer gemeinsamen Mitteilung bekannt, dass man sich entschlossen habe, die Gespräche zu diesem Zukunftsprojekt einzustellen. In den vergangenen Wochen sei deutlich geworden, heißt es in der Mitteilung weiter, dass die Interessen der Regierungsbeteiligten der beiden Parteien nicht angemessen miteinander oder mit den von BAE Systems und EADS für die Fusion festgelegten Zielen in Einklang zu bringen seien. Aus diesem Grund hätten BAE Systems und EADS beschlossen, im Interesse ihrer Unternehmen und Anteilseigner die Gespräche zu beenden und sich auf die Umsetzung ihrer jeweiligen Unternehmensstrategien zu konzentrieren.

EADS-Chef Thomas Enders formulierte in der Mitteilung zudem: „Sicher ist es bedauerlich, dass wir gescheitert sind, aber ich bin froh, dass wir es versucht haben. Ich bin sicher, dass wir in Zukunft gemeinsam neue Herausforderungen angehen werden. Gleichwohl wird EADS seine internationale Wachstumsstrategie fortsetzen.“ Ian King von BAE Systems äußerte sich in der gemeinsamen Erklärung: „Wir glauben, dass der Zusammenschluss von BAE Systems und EADS die einzigartige Chance geboten hätte, zwei sich ergänzende Unternehmen von Weltrang zu einem weltweit führenden Unternehmen in den Bereichen Luftfahrt, Raumfahrt, Verteidigung und Sicherheit zusammenzuführen.“ Beide Seiten beziehen noch ein letztes Mal Position: „BAE Systems und EADS sind überzeugt, dass der Zusammenschluss auf einer fundierten industriellen Logik beruhte und die Chance bot, zwei starke und erfolgreiche Unternehmen zu einem Ganzen zusammenzuführen, das größer ist als die Summe seiner Teile.“

Eine rüstungspolitische Bruchlandung

Die geplante Fusion von EADS und BAE Systems ist Geschichte. Was bleibt, ist der Druck auf den europäischen Rüstungssektor. Nach Ansicht von Dr. Christian Mölling von der Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik braucht die Rüstung in Europa nun endlich einen politischen Rahmen. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter der Stiftung schreibt in seinem Gastbeitrag:


Mit der geplatzten Fusion des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS und des britischen Waffenherstellers BAE scheiterte der zweite Anlauf nach 1997, die Europäische Rüstungsindustrie auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu halten. Dieses Versagen ist auch dieses Mal auf die rüstungsindustriellen Philosophien der drei wichtigsten EU-Staaten zurückzuführen, die nicht zueinander passen: Frankreich weigert sich bis heute beharrlich, seinen staatlichen Einfluss auf strategische Industriezweige abzugeben. Deutschland verfolgt zwar keine klare rüstungsindustrielle Strategie und hält sich üblicherweise vom Staatsinterventionismus fern. Wenn es aber um die deutsch-französische Industriekooperation geht, ändert sich dies: Berlin besteht darauf, mindestens so viel Einfluss wie Paris zu nehmen, weil es fürchtet, ansonsten das Nachsehen im Kampf um Arbeitsplätze und um die Vorherrschaft im Hightech-Bereich zu haben. In den Verhandlungen um die Fusion insistierte Berlin deshalb darauf, die gleichen Mitbestimmungsrechte und Anteile an dem neuen Unternehmen zu bekommen wie Paris.

Neben dem rationalen Argument spielt auch ein emotionales Motiv eine Rolle für die Verweigerungshaltung der Berliner Verhandlungspartner: In Deutschland herrscht der Eindruck vor, man sei in der deutsch-französischen Industriekooperation zu oft von den Franzosen über den Tisch gezogen worden – viel zitiertes Beispiel ist die Fusion von Aventis und Sanofi 2004. Großbritannien bildet das andere Extrem: Es hat seine Rüstungsindustrie seit langem radikal privatisiert und besitzt keinerlei Anteile mehr an ihr. Deshalb blockiert es das Bestreben der beiden anderen Staaten nach zu großer staatlicher Intervention.

Nicht schlechte Unternehmer, sondern gute Regulierer sein

Weil sie um ihren Einfluss fürchteten, haben Deutschland und Frankreich nun einen Zusammenschluss verhindert. Damit aber schaffen sie neue Probleme, anstatt sich um die alten zu kümmern: Mit ihrer Intervention nämlich haben sie einen Teil des unternehmerischen Risikos auf ihre eigenen Schultern verlagert. Dies wird spätestens dann eine Rolle spielen, wenn die Frage zu klären ist, woher nun Aufträge für EADS kommen sollen. Immerhin wird die Verhinderung der Fusion mit der Sicherung von Arbeitsplätzen begründet. Nun müssen Aufträge her, die das Auskommen der Arbeiter sichern.

Entscheidend aber ist, dass der europäische Rüstungssektor seit 20 Jahren vor ungelösten Anpassungsproblemen steht, die weiterreichender Lösungen bedürfen. Die Probleme beginnen damit, dass die Rüstungsstaaten in Europa sich mit ihren viel zu großen Produktionskapazitäten vormachen, sie seien in der Rüstung vollständig autonom. Doch der Traum der nationalen rüstungsindustriellen Unabhängigkeit ist längst ausgeträumt. Jeder europäische Staat ist heute von Treibstoff-, Munitions- oder Ersatzteillieferungen aus dem Ausland abhängig. Gerade im Luftfahrtbereich, in dem EADS und BAE tätig sind, geht nichts mehr rein national, weil kein Land allein die Technologien und das Geld für Entwicklungen bereitstellen kann.

Weil die Verteidigungsbudgets in Europa stetig sinken, gelingt es den Staaten immer weniger, ihre Kapazitäten auszulasten. Bislang konnten sie dem Druck zur Verkleinerung der Industrien zwar standhalten, weil er nur langsam stieg und weil die Industrie die mangelnde Auslastung über steigende Exporte kompensieren konnte. Jetzt aber sehen die Prognosen für die Zukunft des europäischen Rüstungsmarkts schlagartig düster aus. In den nächsten Jahren wachsen weltweit fast alle Rüstungsmärkte, nur der in Europa schrumpft krisenbedingt. Damit liegt auch die Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie nicht mehr in Europa. Die Zahl der Unternehmen, die nicht nur exportiert, sondern auch ihre Produktion ins Ausland verlagert, nimmt zu.

In dieser Situation sollten die Staaten in Europa nicht schlechte Unternehmer, sondern gute Regulierer sein. Ihr notwendiger Beitrag zur unausweichlichen industriellen Konsolidierung der Rüstungsindustrie in Europa ist es, einen einheitlichen rechtlichen Rahmen und politische Zielvorgaben für den Wandel zu definieren. Denn sie selbst möchten, dass ihre gemeinsame Verteidigung von einer unabhängigen, europäischen Rüstungsindustrie getragen wird. Hierfür muss Klarheit geschaffen werden: Wie soll Europas Rüstungssektor in Zukunft aussehen? Auf welchen Wegen gelangt er dorthin? Und wie viel ist Europa bereit, dafür zu bezahlen?

Staaten müssen nun gemeinsam die Weichen stellen

Bislang aber verweigern die Staaten die gemeinsame politische Weichenstellung und überlassen die Gestaltung allein der Industrie. Dieser Nichtgestaltungswille wird als Bumerang zurückkommen. Denn bis vor kurzem wollten die Europäer sich in der Verteidigungspolitik besser organisieren – seit dem US-Schwenk nach Asien müssen sie es sogar.

Die Industrie aber sucht vor allem nach neuen Märkten und findet diese nur außerhalb Europas. So fallen die politische und die industrielle Landkarte Europas immer weiter auseinander. Die Staaten Europas werden zunehmend auf rüstungsindustrielle Unterstützung und Importe aus Staaten angewiesen sein, die nicht Teil der politischen Gemeinschaft sind.

Gerade Berlin ist mit seiner informellen und wenig dogmatischen Politik der Nichteinmischung bei der Rüstungsindustrie bislang gut gefahren. Doch angesichts der sich rasch wandelnden Bedingungen wird dieses Rezept schon bald nicht mehr ausreichen. Statt eine Blockadehaltung wie bei der Fusion von EADS und BAE an den Tag zu legen, muss Deutschland die Frage beantworten, wie es seine immer größeren Abhängigkeiten im Verteidigungsbereich mit seinen politischen, industriellen und finanziellen Ressourcen am besten gestalten kann. Dies setzt eine Auseinandersetzung mit der unbeliebten Frage voraus, welche Rolle die Rüstungsindustrie für Deutschland spielt, wie deutsch diese heute noch ist und welchen Einfluss die Politik nehmen kann. Nicht auf einzelne Unternehmen, sondern auf die für Deutschland – und Europa – wichtige verteidigungsindustrielle Basis insgesamt.

Bitte Sehen Sie zu unserem Beitrag als Ergänzung auch ein Video des Handelsblattes zu der gescheiterten Fusion von EADS und BAE Systems.

http://bcove.me/jxb0zcc2


Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin ist mit ihrem Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit, dessen Trägerin sie ist, die führende deutsche Forschungseinrichtung zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Beraten werden vor allem der Bundestag und die Bundesregierung. Die SWP besitzt mehrere Forschungsgruppen, rund 50 Wissenschaftler gehören ihr längerfristig an.
Die SWP wurde 1962 auf private Initiative hin in München gegründet. Am 21. Januar 1965 beschloss der Bundestag einstimmig den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Gründung. 2001 wurde der Sitz der Stiftung von München nach Berlin verlegt. Die Stiftung bürgerlichen Rechts wird durch Bundesmittel gefördert und erhält aus dem Etat des Bundeskanzleramts den wesentlichen Teil ihrer Fördergelder. Daneben gehen aber auch finanzielle Drittmittel von deutschen und internationalen Forschungsförderungseinrichtungen ein. Zwar ist die SWP auf die finanzielle Unterstützung seitens des Bundes angewiesen, doch kommt es dadurch nicht zu einer Einflussnahme auf Forschung, Themengebiete, Personalfragen oder die interne Organisation. Dafür trägt vor allem der Stiftungsrat Sorge, welcher sich aus Vertretern der Bundestagsfraktionen und verschiedener Bundesministerien, sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Leben zusammensetzt. www.swp-berlin.org

Dr. Christian Mölling ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der SWP. Er arbeitete in den vergangenen Jahren unter anderem am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin, als Gastwissenschaftler am Institute for Security Studies der EU in Paris, als Gastwissenschaftler am Royal United Services Institute for Defence and Security Studies in London, als Gastwissenschaftler beim International Security Information Service in Brüssel, als Gastmitarbeiter in der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU in Brüssel, als Gastwissenschaftler an der Foundation pour la Recherche Stratégique in Paris und am Center for Security Studies in Zürich.

- Hintergrund



Zu unseren Bildern
1. Thomas Enders beim World Economic Forum 2008 in Tianjin, China – zu diesem Zeitpunkt war der heutige EADS-Chef noch CEO von Airbus.
(Foto: Natalie Behring)

2. Die Top-100-Rüstungskonzerne nach SIPRI, dem Stockholm International Peace Research Institute.
(Infografik mediakompakt)

3. Zentrale der EADS-Division Cassidian – Rüstungssparte des Konzerns – in Unterschleißheim.
(Foto: EADS)

4. Das britische Unternehmen BAE Systems hat rund 87.000 Beschäftigte.
(Foto: BAE Systems)


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